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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 105. Der Zeugeneid.

Die gezogenen Zeugen sind entweder Geschäftszeugen oder Öffent-
lichkeitszeugen. Das Geschäftszeugnis erfordert ein Beweisgedinge,
das unter den Kontrahenten abgeschlossen wird, um den zukünf-
tigen Beweis des Rechtsgeschäftes sicherzustellen. Der Gegner der
beweisbedürftigen Vertragspartei zieht den Zeugen und verpflichtet
sich damit, dessen Zeugnis eventuell gegen sich zu dulden 10. Anderer-
seits verpflichtet er den Gezogenen zu Gunsten der beweisbedürftigen
Vertragspartei 11.

Öffentlichkeitszeugen können wir diejenigen nennen, welche ge-
zogen werden, um die Offenkundigkeit gewisser Vorgänge zu konsta-
tieren oder gewisse Vorgänge offenkundig zu machen 12. Der Kreis der
Thatsachen, die ein Öffentlichkeitszeugnis dulden, ist in den verschie-
denen Rechten mehr oder minder enge begrenzt. Allenthalben zieht
man solche Zeugen zur Stätigung prozessualischer Akte; so über die
Vorladung, über Vorgänge vor Gericht, z. B. über das Urteil, über
das Erfüllungsgelöbnis, über die Solsadierung des Gegners, ferner über
das Ergebnis einer Beweisführung, über Schuldmahnung 13. Vereinzelt
findet die Zeugenziehung auch statt über Begebenheiten, die nicht als
Rechtsakte erscheinen, z. B. über das Auffinden eines Leichnams 14,
über das Leben eines bald nach der Geburt verstorbenen Kindes 15.
Das Öffentlichkeitszeugnis wird von dem beweisbedürftigen Zieher ein-
seitig gezogen. Es unterscheidet sich also vom Geschäftszeugnis durch
den Mangel des Beweisgedinges und dadurch, dass der Zeuge vom
Beweisbedürftigen selbst, nicht von dessen Gegner gezogen wird.

Gemeindezeugen sind Wissende, die auf Grund ihrer Lebens-
stellung, insbesondere in ihrer Eigenschaft als Nachbarn und Gemeinde-
genossen, über orts- oder gemeindekundige Verhältnisse und Thatsachen
Zeugnis geben. Bei dem Gemeindezeugen fehlt sowol das Beweis-
gedinge als auch der Akt der Zeugenziehung. Eine Verpflichtung, als
Zeuge aufzutreten, besteht für ihn nicht, sondern es hängt von seinem
guten Willen ab, sich als Zeugen verwenden zu lassen. Das Volks-

10 In Lex Baiuw. XVII 3 erklärt der Beklagte: non tibi traxi testem de ista
causa.
11 Ein uralter Anwendungsfall des Vertrages zu Gunsten Dritter. -- Ausser
Betracht bleibt hier die dem Privatrechte angehörige Frage, wie weit die Zu-
ziehung von Zeugen als Form des Rechtsgeschäftes diente, die Frage des sogen.
Sollennitätszeugnisses.
12 Vgl. K. Maurer, Kr. Ü. V 193. Derselbe, Kr. V. XVIII 69.
13 Siehe die Aufzählung und die Belege bei Siegel, GV S. 199.
14 Roth. 16.
15 Lex Alam. 89, 2.
§ 105. Der Zeugeneid.

Die gezogenen Zeugen sind entweder Geschäftszeugen oder Öffent-
lichkeitszeugen. Das Geschäftszeugnis erfordert ein Beweisgedinge,
das unter den Kontrahenten abgeschlossen wird, um den zukünf-
tigen Beweis des Rechtsgeschäftes sicherzustellen. Der Gegner der
beweisbedürftigen Vertragspartei zieht den Zeugen und verpflichtet
sich damit, dessen Zeugnis eventuell gegen sich zu dulden 10. Anderer-
seits verpflichtet er den Gezogenen zu Gunsten der beweisbedürftigen
Vertragspartei 11.

Öffentlichkeitszeugen können wir diejenigen nennen, welche ge-
zogen werden, um die Offenkundigkeit gewisser Vorgänge zu konsta-
tieren oder gewisse Vorgänge offenkundig zu machen 12. Der Kreis der
Thatsachen, die ein Öffentlichkeitszeugnis dulden, ist in den verschie-
denen Rechten mehr oder minder enge begrenzt. Allenthalben zieht
man solche Zeugen zur Stätigung prozessualischer Akte; so über die
Vorladung, über Vorgänge vor Gericht, z. B. über das Urteil, über
das Erfüllungsgelöbnis, über die Solsadierung des Gegners, ferner über
das Ergebnis einer Beweisführung, über Schuldmahnung 13. Vereinzelt
findet die Zeugenziehung auch statt über Begebenheiten, die nicht als
Rechtsakte erscheinen, z. B. über das Auffinden eines Leichnams 14,
über das Leben eines bald nach der Geburt verstorbenen Kindes 15.
Das Öffentlichkeitszeugnis wird von dem beweisbedürftigen Zieher ein-
seitig gezogen. Es unterscheidet sich also vom Geschäftszeugnis durch
den Mangel des Beweisgedinges und dadurch, daſs der Zeuge vom
Beweisbedürftigen selbst, nicht von dessen Gegner gezogen wird.

Gemeindezeugen sind Wissende, die auf Grund ihrer Lebens-
stellung, insbesondere in ihrer Eigenschaft als Nachbarn und Gemeinde-
genossen, über orts- oder gemeindekundige Verhältnisse und Thatsachen
Zeugnis geben. Bei dem Gemeindezeugen fehlt sowol das Beweis-
gedinge als auch der Akt der Zeugenziehung. Eine Verpflichtung, als
Zeuge aufzutreten, besteht für ihn nicht, sondern es hängt von seinem
guten Willen ab, sich als Zeugen verwenden zu lassen. Das Volks-

10 In Lex Baiuw. XVII 3 erklärt der Beklagte: non tibi traxi testem de ista
causa.
11 Ein uralter Anwendungsfall des Vertrages zu Gunsten Dritter. — Auſser
Betracht bleibt hier die dem Privatrechte angehörige Frage, wie weit die Zu-
ziehung von Zeugen als Form des Rechtsgeschäftes diente, die Frage des sogen.
Sollennitätszeugnisses.
12 Vgl. K. Maurer, Kr. Ü. V 193. Derselbe, Kr. V. XVIII 69.
13 Siehe die Aufzählung und die Belege bei Siegel, GV S. 199.
14 Roth. 16.
15 Lex Alam. 89, 2.
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[393/0411] § 105. Der Zeugeneid. Die gezogenen Zeugen sind entweder Geschäftszeugen oder Öffent- lichkeitszeugen. Das Geschäftszeugnis erfordert ein Beweisgedinge, das unter den Kontrahenten abgeschlossen wird, um den zukünf- tigen Beweis des Rechtsgeschäftes sicherzustellen. Der Gegner der beweisbedürftigen Vertragspartei zieht den Zeugen und verpflichtet sich damit, dessen Zeugnis eventuell gegen sich zu dulden 10. Anderer- seits verpflichtet er den Gezogenen zu Gunsten der beweisbedürftigen Vertragspartei 11. Öffentlichkeitszeugen können wir diejenigen nennen, welche ge- zogen werden, um die Offenkundigkeit gewisser Vorgänge zu konsta- tieren oder gewisse Vorgänge offenkundig zu machen 12. Der Kreis der Thatsachen, die ein Öffentlichkeitszeugnis dulden, ist in den verschie- denen Rechten mehr oder minder enge begrenzt. Allenthalben zieht man solche Zeugen zur Stätigung prozessualischer Akte; so über die Vorladung, über Vorgänge vor Gericht, z. B. über das Urteil, über das Erfüllungsgelöbnis, über die Solsadierung des Gegners, ferner über das Ergebnis einer Beweisführung, über Schuldmahnung 13. Vereinzelt findet die Zeugenziehung auch statt über Begebenheiten, die nicht als Rechtsakte erscheinen, z. B. über das Auffinden eines Leichnams 14, über das Leben eines bald nach der Geburt verstorbenen Kindes 15. Das Öffentlichkeitszeugnis wird von dem beweisbedürftigen Zieher ein- seitig gezogen. Es unterscheidet sich also vom Geschäftszeugnis durch den Mangel des Beweisgedinges und dadurch, daſs der Zeuge vom Beweisbedürftigen selbst, nicht von dessen Gegner gezogen wird. Gemeindezeugen sind Wissende, die auf Grund ihrer Lebens- stellung, insbesondere in ihrer Eigenschaft als Nachbarn und Gemeinde- genossen, über orts- oder gemeindekundige Verhältnisse und Thatsachen Zeugnis geben. Bei dem Gemeindezeugen fehlt sowol das Beweis- gedinge als auch der Akt der Zeugenziehung. Eine Verpflichtung, als Zeuge aufzutreten, besteht für ihn nicht, sondern es hängt von seinem guten Willen ab, sich als Zeugen verwenden zu lassen. Das Volks- 10 In Lex Baiuw. XVII 3 erklärt der Beklagte: non tibi traxi testem de ista causa. 11 Ein uralter Anwendungsfall des Vertrages zu Gunsten Dritter. — Auſser Betracht bleibt hier die dem Privatrechte angehörige Frage, wie weit die Zu- ziehung von Zeugen als Form des Rechtsgeschäftes diente, die Frage des sogen. Sollennitätszeugnisses. 12 Vgl. K. Maurer, Kr. Ü. V 193. Derselbe, Kr. V. XVIII 69. 13 Siehe die Aufzählung und die Belege bei Siegel, GV S. 199. 14 Roth. 16. 15 Lex Alam. 89, 2.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/411>, abgerufen am 22.11.2024.