Recht ist diese Unterscheidung in fränkischer Zeit nicht sofort einge- drungen. Erst eine langobardische Bearbeitung eines karolingischen Kapitulars gestattet dem Eidhelfer, die Einrede der Unwissenheit durch Gottesurteil zu beweisen und sich dadurch von dem Verluste der Schwurhand zu befreien 84.
Der Beweis mit Helfern teilt zwar den streng formalen Charakter der übrigen Beweismittel des Volksrechtes. Da aber der Eidhelfer den Meineid des Hauptmannes nicht nur mit göttlicher, sondern auch mit weltlicher Strafe büssen muss, so hat er dringenden Anlass, sich vor Ableistung der Eideshilfe über den Thatbestand zu erkundigen und die Zuverlässigkeit des Hauptmannes zu erwägen. Mit Rücksicht darauf war die Eideshilfe eine Beweisform, welche geeignet war, materielle Beweismomente in der ausgiebigsten Weise zur Verwertung zu bringen, nur dass diese freilich nach aussen hin latent blieben.
Der Eineid ist ein Eid ohne Eidesfolge. Er findet sich nur bei gewissen Stämmen. Am häufigsten verwenden ihn Langobarden und Baiern. Aber auch die Sachsen und Friesen kennen ihn. Denn nur eine besondere Form, eine Abart des Eineides ist der Eid, der mit Berührung eines Genossen, des nächsten Verwandten (in manu proximi) oder eines Liten (in manu liti) geschworen wird 85. Der proximus, der Lite schwört nicht; er bleibt passiv, etwa wie die Waffe, auf die man Eide leistet, er ist, weil kein Eidhelfer, für den Meineid von Rechtswegen nicht verantwortlich.
Gewisse Personen entbehren schlechtweg das Recht des Eides. Es fehlt dem Knechte 86, sofern nicht, wie nach ribuarischem Rechte, die Knechte des Königs und der Kirchen durch königliches Privileg die Befugnis erhalten haben, in eigenen Angelegenheiten zu schwören 87. Die Eidesfähigkeit entbehren ferner Personen, die zum Tode 88 ver- urteilt sind (Friedlose), Meineidige 89, nach fränkischen Quellen vom
84 Cap. Haristall. v. J. 779, c. 10, I 49, forma langobardica.
85 Siehe unten § 108.
86 Nach langob. Recht (Liu. 50) kann einem Knechte im aussergerichtlichen Verfahren auf Grund eines Vertrages zwischen dem Herrn und dem Verletzten ein Eid abgenommen werden.
87 Lex Rib. 58, 20: servi autem regis et ecclesiarum non (per) actures, sed ipsi pro semetipsos in iudicio respondeant et sacramenta absque tangano coniurent. Für Knechte schwört der Herr oder dessen Beamter (der actor), wenn er sie nicht dem nach einzelnen Volksrechten für Knechte ausgebildeten oder einem mit dem Verletzten paktierten Beweisverfahren unterwirft. Knechte des Königs und der Kirche können sich durch eigenen und zwar durch schlichten Eid verteidigen.
88 Cap. Aquisgr. miss. v. J. 809, c. 28, I 151.
89 Karoli Admon. general. v. J. 789, c. 64, I 58: et qui semel periuratus
§ 104. Parteieid und Eideshilfe.
Recht ist diese Unterscheidung in fränkischer Zeit nicht sofort einge- drungen. Erst eine langobardische Bearbeitung eines karolingischen Kapitulars gestattet dem Eidhelfer, die Einrede der Unwissenheit durch Gottesurteil zu beweisen und sich dadurch von dem Verluste der Schwurhand zu befreien 84.
Der Beweis mit Helfern teilt zwar den streng formalen Charakter der übrigen Beweismittel des Volksrechtes. Da aber der Eidhelfer den Meineid des Hauptmannes nicht nur mit göttlicher, sondern auch mit weltlicher Strafe büſsen muſs, so hat er dringenden Anlaſs, sich vor Ableistung der Eideshilfe über den Thatbestand zu erkundigen und die Zuverlässigkeit des Hauptmannes zu erwägen. Mit Rücksicht darauf war die Eideshilfe eine Beweisform, welche geeignet war, materielle Beweismomente in der ausgiebigsten Weise zur Verwertung zu bringen, nur daſs diese freilich nach auſsen hin latent blieben.
Der Eineid ist ein Eid ohne Eidesfolge. Er findet sich nur bei gewissen Stämmen. Am häufigsten verwenden ihn Langobarden und Baiern. Aber auch die Sachsen und Friesen kennen ihn. Denn nur eine besondere Form, eine Abart des Eineides ist der Eid, der mit Berührung eines Genossen, des nächsten Verwandten (in manu proximi) oder eines Liten (in manu liti) geschworen wird 85. Der proximus, der Lite schwört nicht; er bleibt passiv, etwa wie die Waffe, auf die man Eide leistet, er ist, weil kein Eidhelfer, für den Meineid von Rechtswegen nicht verantwortlich.
Gewisse Personen entbehren schlechtweg das Recht des Eides. Es fehlt dem Knechte 86, sofern nicht, wie nach ribuarischem Rechte, die Knechte des Königs und der Kirchen durch königliches Privileg die Befugnis erhalten haben, in eigenen Angelegenheiten zu schwören 87. Die Eidesfähigkeit entbehren ferner Personen, die zum Tode 88 ver- urteilt sind (Friedlose), Meineidige 89, nach fränkischen Quellen vom
84 Cap. Haristall. v. J. 779, c. 10, I 49, forma langobardica.
85 Siehe unten § 108.
86 Nach langob. Recht (Liu. 50) kann einem Knechte im auſsergerichtlichen Verfahren auf Grund eines Vertrages zwischen dem Herrn und dem Verletzten ein Eid abgenommen werden.
87 Lex Rib. 58, 20: servi autem regis et ecclesiarum non (per) actures, sed ipsi pro semetipsos in iudicio respondeant et sacramenta absque tangano coniurent. Für Knechte schwört der Herr oder dessen Beamter (der actor), wenn er sie nicht dem nach einzelnen Volksrechten für Knechte ausgebildeten oder einem mit dem Verletzten paktierten Beweisverfahren unterwirft. Knechte des Königs und der Kirche können sich durch eigenen und zwar durch schlichten Eid verteidigen.
88 Cap. Aquisgr. miss. v. J. 809, c. 28, I 151.
89 Karoli Admon. general. v. J. 789, c. 64, I 58: et qui semel periuratus
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§ 104. Parteieid und Eideshilfe.
Recht ist diese Unterscheidung in fränkischer Zeit nicht sofort einge-
drungen. Erst eine langobardische Bearbeitung eines karolingischen
Kapitulars gestattet dem Eidhelfer, die Einrede der Unwissenheit durch
Gottesurteil zu beweisen und sich dadurch von dem Verluste der
Schwurhand zu befreien 84.
Der Beweis mit Helfern teilt zwar den streng formalen Charakter
der übrigen Beweismittel des Volksrechtes. Da aber der Eidhelfer
den Meineid des Hauptmannes nicht nur mit göttlicher, sondern auch
mit weltlicher Strafe büſsen muſs, so hat er dringenden Anlaſs, sich
vor Ableistung der Eideshilfe über den Thatbestand zu erkundigen
und die Zuverlässigkeit des Hauptmannes zu erwägen. Mit Rücksicht
darauf war die Eideshilfe eine Beweisform, welche geeignet war,
materielle Beweismomente in der ausgiebigsten Weise zur Verwertung
zu bringen, nur daſs diese freilich nach auſsen hin latent blieben.
Der Eineid ist ein Eid ohne Eidesfolge. Er findet sich nur bei
gewissen Stämmen. Am häufigsten verwenden ihn Langobarden und
Baiern. Aber auch die Sachsen und Friesen kennen ihn. Denn nur
eine besondere Form, eine Abart des Eineides ist der Eid, der mit
Berührung eines Genossen, des nächsten Verwandten (in manu proximi)
oder eines Liten (in manu liti) geschworen wird 85. Der proximus,
der Lite schwört nicht; er bleibt passiv, etwa wie die Waffe, auf die
man Eide leistet, er ist, weil kein Eidhelfer, für den Meineid von
Rechtswegen nicht verantwortlich.
Gewisse Personen entbehren schlechtweg das Recht des Eides.
Es fehlt dem Knechte 86, sofern nicht, wie nach ribuarischem Rechte,
die Knechte des Königs und der Kirchen durch königliches Privileg
die Befugnis erhalten haben, in eigenen Angelegenheiten zu schwören 87.
Die Eidesfähigkeit entbehren ferner Personen, die zum Tode 88 ver-
urteilt sind (Friedlose), Meineidige 89, nach fränkischen Quellen vom
84 Cap. Haristall. v. J. 779, c. 10, I 49, forma langobardica.
85 Siehe unten § 108.
86 Nach langob. Recht (Liu. 50) kann einem Knechte im auſsergerichtlichen
Verfahren auf Grund eines Vertrages zwischen dem Herrn und dem Verletzten ein
Eid abgenommen werden.
87 Lex Rib. 58, 20: servi autem regis et ecclesiarum non (per) actures, sed
ipsi pro semetipsos in iudicio respondeant et sacramenta absque tangano coniurent.
Für Knechte schwört der Herr oder dessen Beamter (der actor), wenn er sie nicht
dem nach einzelnen Volksrechten für Knechte ausgebildeten oder einem mit dem
Verletzten paktierten Beweisverfahren unterwirft. Knechte des Königs und der
Kirche können sich durch eigenen und zwar durch schlichten Eid verteidigen.
88 Cap. Aquisgr. miss. v. J. 809, c. 28, I 151.
89 Karoli Admon. general. v. J. 789, c. 64, I 58: et qui semel periuratus
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/408>, abgerufen am 16.02.2025.
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