Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 99. Klage und Antwort.

Das Verfahren im Ding beginnt mit Erhebung der Klage, in den
Volksrechten und Urkunden mallare, admallare, interpellare, appellare,
pulsare genannt8. Der heidnische Klagformalismus, nach welchem
der Kläger die Klage unter Anrufung der Heidengötter erhob, wurde
in fränkischer Zeit durch christliche Klagformen ersetzt. Bei den
Baiern verbot eine Satzung Tassilos III. den heidnischen Brauch des
Stabsagens; dafür sollten die Parteien zur Beteuerung von Klage und
Antwort unter Anrufung Gottes die rechte Hand zum Himmel er-
heben9. Das ribuarische Volksrecht kennt den Brauch, dass der
Kläger die Klagworte vor dem Altar aufsagt10. Nachmals findet sich
als weitverbreitete Sitte, dass der Kläger seine Klage vor Gott und den
Heiligen erhebt11.

An Stelle der heidnischen Klagbeteuerung trat bei manchen
Stämmen, namentlich bei Franken, Sachsen, Langobarden und Angel-
sachsen, ein Voreid des Klägers oder das Anbieten des Voreides12.
Der Voreid, bei den Franken Widereid, wedredus, bei den Angel-

Wechselrede zeigt u. a. noch const. 5 der 24 Landrechte, Richthofen, Rqu.
S. 50: thit lond, tha thu mi vmbe to tha thinge lathad hest, thet capade ic ...
8 Die deutschen Ausdrücke siehe oben I 179. Mallatio in Extrav. B. 1. 2 zur
Lex Sal. und z. B. in Meichelbeck Nr. 535 (H. 262), in Form. Sangall. 5, Zeumer
S. 382. Remalatio in Form. Bignon. 9. Mallator in Extrav. B. 1, 2 und Du
Cange (Henschel) IV 209.
9 Decr. Tassil. Niuh. c. 6, LL III 465. Unter dem iustum iudicium Dei ist
hier nicht ein eigentliches Gottesurteil, sondern die göttliche Vergeltung überhaupt
gemeint.
10 Lex Rib. 58, 19: non ei, sicut Ribuario, ante altario verba commemoret.
11 Richtsteig Ldr. c. 31, § 3: her richter, so steit hier N unde claget unseme
heren gode unde iu in godes stede. Dingtal von Middelburg, Verslagen en Mede-
deelingen 1885, I 318: dies clagh ick Gode van hemelrijcke, zyner liever gebene-
dider moeder, alle dat hemelsche geselscap ende den heere van den lande.
12 Lex Sal. 106. Ed. Chilp. c. 10. Perard. S. 148 v. J. 868, H. 370. Lex
Rib. 67, 5 (siehe unten Anm. 20). Synodus Tribur. v. J. 895, c. 21. Auf einen
Voreid des Klägers beziehe ich Lex Saxonum c. 39 (siehe unten § 119). Liu. 71.
118. Formel zu Roth. 361. Liber Pap. Karl. 33. Aus dem Voreid des Klägers
und dem Reinigungseid des Beklagten erklärt sich wohl die Stelle in Cap. ital.
I 217, c. 8: ubi palam apparet, quod aut ille qui crimen ingerit, aut ille qui se
defendere vult, periurare se debeat, melius est, ut in campo cum fustibus conten-
dant, quam periurium perpetrent. -- Aethelstan II 23, § 2: Und es beginne jeder-
mann seine Klage mit Voreid. Leges Henrici primi c. 64, § 1: omnis tihla tracte-
tur anteiuramento. Dazu die Belegstellen bei Schmid, Ges. der Ags. S. 578.
Jüngere Belege aus deutschen Rechtsquellen bei Rich. Loening, Reinigungs-
eid S. 302.
§ 99. Klage und Antwort.

Das Verfahren im Ding beginnt mit Erhebung der Klage, in den
Volksrechten und Urkunden mallare, admallare, interpellare, appellare,
pulsare genannt8. Der heidnische Klagformalismus, nach welchem
der Kläger die Klage unter Anrufung der Heidengötter erhob, wurde
in fränkischer Zeit durch christliche Klagformen ersetzt. Bei den
Baiern verbot eine Satzung Tassilos III. den heidnischen Brauch des
Stabsagens; dafür sollten die Parteien zur Beteuerung von Klage und
Antwort unter Anrufung Gottes die rechte Hand zum Himmel er-
heben9. Das ribuarische Volksrecht kennt den Brauch, daſs der
Kläger die Klagworte vor dem Altar aufsagt10. Nachmals findet sich
als weitverbreitete Sitte, daſs der Kläger seine Klage vor Gott und den
Heiligen erhebt11.

An Stelle der heidnischen Klagbeteuerung trat bei manchen
Stämmen, namentlich bei Franken, Sachsen, Langobarden und Angel-
sachsen, ein Voreid des Klägers oder das Anbieten des Voreides12.
Der Voreid, bei den Franken Widereid, wedredus, bei den Angel-

Wechselrede zeigt u. a. noch const. 5 der 24 Landrechte, Richthofen, Rqu.
S. 50: thit lond, tha thu mi vmbe to tha thinge lathad hest, thet capade ic …
8 Die deutschen Ausdrücke siehe oben I 179. Mallatio in Extrav. B. 1. 2 zur
Lex Sal. und z. B. in Meichelbeck Nr. 535 (H. 262), in Form. Sangall. 5, Zeumer
S. 382. Remalatio in Form. Bignon. 9. Mallator in Extrav. B. 1, 2 und Du
Cange (Henschel) IV 209.
9 Decr. Tassil. Niuh. c. 6, LL III 465. Unter dem iustum iudicium Dei ist
hier nicht ein eigentliches Gottesurteil, sondern die göttliche Vergeltung überhaupt
gemeint.
10 Lex Rib. 58, 19: non ei, sicut Ribuario, ante altario verba commemoret.
11 Richtsteig Ldr. c. 31, § 3: her richter, so steit hier N unde claget unseme
heren gode unde iu in godes stede. Dingtal von Middelburg, Verslagen en Mede-
deelingen 1885, I 318: dies clagh ick Gode van hemelrijcke, zyner liever gebene-
dider moeder, alle dat hemelsche geselscap ende den heere van den lande.
12 Lex Sal. 106. Ed. Chilp. c. 10. Pérard. S. 148 v. J. 868, H. 370. Lex
Rib. 67, 5 (siehe unten Anm. 20). Synodus Tribur. v. J. 895, c. 21. Auf einen
Voreid des Klägers beziehe ich Lex Saxonum c. 39 (siehe unten § 119). Liu. 71.
118. Formel zu Roth. 361. Liber Pap. Karl. 33. Aus dem Voreid des Klägers
und dem Reinigungseid des Beklagten erklärt sich wohl die Stelle in Cap. ital.
I 217, c. 8: ubi palam apparet, quod aut ille qui crimen ingerit, aut ille qui se
defendere vult, periurare se debeat, melius est, ut in campo cum fustibus conten-
dant, quam periurium perpetrent. — Aethelstan II 23, § 2: Und es beginne jeder-
mann seine Klage mit Voreid. Leges Henrici primi c. 64, § 1: omnis tihla tracte-
tur anteiuramento. Dazu die Belegstellen bei Schmid, Ges. der Ags. S. 578.
Jüngere Belege aus deutschen Rechtsquellen bei Rich. Loening, Reinigungs-
eid S. 302.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0361" n="343"/>
              <fw place="top" type="header">§ 99. Klage und Antwort.</fw><lb/>
              <p>Das Verfahren im Ding beginnt mit Erhebung der Klage, in den<lb/>
Volksrechten und Urkunden mallare, admallare, interpellare, appellare,<lb/>
pulsare genannt<note place="foot" n="8">Die deutschen Ausdrücke siehe oben I 179. Mallatio in Extrav. B. 1. 2 zur<lb/>
Lex Sal. und z. B. in Meichelbeck Nr. 535 (H. 262), in Form. Sangall. 5, Zeumer<lb/>
S. 382. Remalatio in Form. Bignon. 9. Mallator in Extrav. B. 1, 2 und Du<lb/>
Cange (Henschel) IV 209.</note>. Der heidnische Klagformalismus, nach welchem<lb/>
der Kläger die Klage unter Anrufung der Heidengötter erhob, wurde<lb/>
in fränkischer Zeit durch christliche Klagformen ersetzt. Bei den<lb/>
Baiern verbot eine Satzung Tassilos III. den heidnischen Brauch des<lb/>
Stabsagens; dafür sollten die Parteien zur Beteuerung von Klage und<lb/>
Antwort unter Anrufung Gottes die rechte Hand zum Himmel er-<lb/>
heben<note place="foot" n="9">Decr. Tassil. Niuh. c. 6, LL III 465. Unter dem iustum iudicium Dei ist<lb/>
hier nicht ein eigentliches Gottesurteil, sondern die göttliche Vergeltung überhaupt<lb/>
gemeint.</note>. Das ribuarische Volksrecht kennt den Brauch, da&#x017F;s der<lb/>
Kläger die Klagworte vor dem Altar aufsagt<note place="foot" n="10">Lex Rib. 58, 19: non ei, sicut Ribuario, ante altario verba commemoret.</note>. Nachmals findet sich<lb/>
als weitverbreitete Sitte, da&#x017F;s der Kläger seine Klage vor Gott und den<lb/>
Heiligen erhebt<note place="foot" n="11">Richtsteig Ldr. c. 31, § 3: her richter, so steit hier N unde claget unseme<lb/>
heren gode unde iu in godes stede. Dingtal von Middelburg, Verslagen en Mede-<lb/>
deelingen 1885, I 318: dies clagh ick Gode van hemelrijcke, zyner liever gebene-<lb/>
dider moeder, alle dat hemelsche geselscap ende den heere van den lande.</note>.</p><lb/>
              <p>An Stelle der heidnischen Klagbeteuerung trat bei manchen<lb/>
Stämmen, namentlich bei Franken, Sachsen, Langobarden und Angel-<lb/>
sachsen, ein Voreid des Klägers oder das Anbieten des Voreides<note place="foot" n="12">Lex Sal. 106. Ed. Chilp. c. 10. Pérard. S. 148 v. J. 868, H. 370. Lex<lb/>
Rib. 67, 5 (siehe unten Anm. 20). Synodus Tribur. v. J. 895, c. 21. Auf einen<lb/>
Voreid des Klägers beziehe ich Lex Saxonum c. 39 (siehe unten § 119). Liu. 71.<lb/>
118. Formel zu Roth. 361. Liber Pap. Karl. 33. Aus dem Voreid des Klägers<lb/>
und dem Reinigungseid des Beklagten erklärt sich wohl die Stelle in Cap. ital.<lb/>
I 217, c. 8: ubi palam apparet, quod aut ille qui crimen ingerit, aut ille qui se<lb/>
defendere vult, periurare se debeat, melius est, ut in campo cum fustibus conten-<lb/>
dant, quam periurium perpetrent. &#x2014; Aethelstan II 23, § 2: Und es beginne jeder-<lb/>
mann seine Klage mit Voreid. Leges Henrici primi c. 64, § 1: omnis tihla tracte-<lb/>
tur anteiuramento. Dazu die Belegstellen bei <hi rendition="#g">Schmid</hi>, Ges. der Ags. S. 578.<lb/>
Jüngere Belege aus deutschen Rechtsquellen bei <hi rendition="#g">Rich. Loening</hi>, Reinigungs-<lb/>
eid S. 302.</note>.<lb/>
Der Voreid, bei den Franken Widereid, wedredus, bei den Angel-<lb/><note xml:id="seg2pn_87_2" prev="#seg2pn_87_1" place="foot" n="7">Wechselrede zeigt u. a. noch const. 5 der 24 Landrechte, Richthofen, Rqu.<lb/>
S. 50: thit lond, tha thu mi vmbe to tha thinge lathad hest, thet capade ic &#x2026;</note><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0361] § 99. Klage und Antwort. Das Verfahren im Ding beginnt mit Erhebung der Klage, in den Volksrechten und Urkunden mallare, admallare, interpellare, appellare, pulsare genannt 8. Der heidnische Klagformalismus, nach welchem der Kläger die Klage unter Anrufung der Heidengötter erhob, wurde in fränkischer Zeit durch christliche Klagformen ersetzt. Bei den Baiern verbot eine Satzung Tassilos III. den heidnischen Brauch des Stabsagens; dafür sollten die Parteien zur Beteuerung von Klage und Antwort unter Anrufung Gottes die rechte Hand zum Himmel er- heben 9. Das ribuarische Volksrecht kennt den Brauch, daſs der Kläger die Klagworte vor dem Altar aufsagt 10. Nachmals findet sich als weitverbreitete Sitte, daſs der Kläger seine Klage vor Gott und den Heiligen erhebt 11. An Stelle der heidnischen Klagbeteuerung trat bei manchen Stämmen, namentlich bei Franken, Sachsen, Langobarden und Angel- sachsen, ein Voreid des Klägers oder das Anbieten des Voreides 12. Der Voreid, bei den Franken Widereid, wedredus, bei den Angel- 7 8 Die deutschen Ausdrücke siehe oben I 179. Mallatio in Extrav. B. 1. 2 zur Lex Sal. und z. B. in Meichelbeck Nr. 535 (H. 262), in Form. Sangall. 5, Zeumer S. 382. Remalatio in Form. Bignon. 9. Mallator in Extrav. B. 1, 2 und Du Cange (Henschel) IV 209. 9 Decr. Tassil. Niuh. c. 6, LL III 465. Unter dem iustum iudicium Dei ist hier nicht ein eigentliches Gottesurteil, sondern die göttliche Vergeltung überhaupt gemeint. 10 Lex Rib. 58, 19: non ei, sicut Ribuario, ante altario verba commemoret. 11 Richtsteig Ldr. c. 31, § 3: her richter, so steit hier N unde claget unseme heren gode unde iu in godes stede. Dingtal von Middelburg, Verslagen en Mede- deelingen 1885, I 318: dies clagh ick Gode van hemelrijcke, zyner liever gebene- dider moeder, alle dat hemelsche geselscap ende den heere van den lande. 12 Lex Sal. 106. Ed. Chilp. c. 10. Pérard. S. 148 v. J. 868, H. 370. Lex Rib. 67, 5 (siehe unten Anm. 20). Synodus Tribur. v. J. 895, c. 21. Auf einen Voreid des Klägers beziehe ich Lex Saxonum c. 39 (siehe unten § 119). Liu. 71. 118. Formel zu Roth. 361. Liber Pap. Karl. 33. Aus dem Voreid des Klägers und dem Reinigungseid des Beklagten erklärt sich wohl die Stelle in Cap. ital. I 217, c. 8: ubi palam apparet, quod aut ille qui crimen ingerit, aut ille qui se defendere vult, periurare se debeat, melius est, ut in campo cum fustibus conten- dant, quam periurium perpetrent. — Aethelstan II 23, § 2: Und es beginne jeder- mann seine Klage mit Voreid. Leges Henrici primi c. 64, § 1: omnis tihla tracte- tur anteiuramento. Dazu die Belegstellen bei Schmid, Ges. der Ags. S. 578. Jüngere Belege aus deutschen Rechtsquellen bei Rich. Loening, Reinigungs- eid S. 302. 7 Wechselrede zeigt u. a. noch const. 5 der 24 Landrechte, Richthofen, Rqu. S. 50: thit lond, tha thu mi vmbe to tha thinge lathad hest, thet capade ic …

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/361
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/361>, abgerufen am 25.11.2024.