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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 96. Die Kirche.

Zu Reibungen mit der Kirche kam schon das merowingische
Königtum in Sachen der weltlichen Gerichtsbarkeit über den Klerus,
deren Beschränkung sich die kirchlichen Konzilien des fränkischen
Reiches seit dem sechsten Jahrhundert zum Ziele setzten. Das Er-
gebnis der Auseinandersetzung, welche auf diesem Gebiete zwischen
Staat und Kirche stattfand, war ein verschiedenes hinsichtlich der
Bischöfe und des übrigen Klerus.

Die Bischöfe blieben grundsätzlich der weltlichen Gerichtsbarkeit
in vollem Umfange unterworfen, genossen aber eine Sonderstellung in
eigentlichen Kriminalsachen, das heisst in solchen Straffällen, die das
weltliche Recht als Verwirkung des Lebens mit der Acht oder einer
ihrer Abspaltungen bedrohte. In solchen sollte dem Strafurteil des
Königsgerichts, welches diesfalls bei Bischöfen ausschliesslich kom-
petent war, ein Verfahren vor einer kirchlichen Synode vorausgehen,
durch das der Angeklagte für schuldig erkannt und seiner kirchlichen
Würde entsetzt wurde. Über den degradierten Bischof liess dann der
König, der in dem ganzen Verfahren als Ankläger fungierte, im Königs-
gerichte das weltliche Strafurteil aussprechen. Der Anklage vor der
Synode konnte ein ausserprozessualisches Informationsverfahren vor-
ausgehen, durch das der König sich instruierte, ob genügender Anlass
zur Erhebung der Anklage vorliege. Der Spruch der Synode war für
das weltliche Verfahren insofern massgebend, als er die Schuld oder
Unschuld des Angeklagten feststellte. Sprach die Synode frei, so war
die Sache auch für das weltliche Verfahren erledigt. Eine Ausnahme,
welche auf dem vom römischen Rechte abweichenden Standpunkte
des germanischen Rechtes beruht, bildet der Fall der handhaften
That, dem der des Geständnisses als gleichwertige prozessualische
Lage zur Seite tritt. Wie der weltliche Rechtsgang sich dabei mit
einem summarischen Verfahren begnügte, das von rechtsförmlicher
Klage und Überführung absah, so legte der König sich das Recht
bei, gegen den durch handhafte That oder eigenes Geständnis über-
führten Bischof ohne vorausgehende Absetzung 7, ja sogar ohne Ein-
leitung eines Synodalverfahrens 8 vorzugehen, wogegen die Kirche die

Monarchie S. 141, aus einigen dieser Stellen und anderen folgert, dass derjenige,
der an den Hof des Königs zugelassen worden war, n'en pouvait plus sortir qu'avec
la permission du roi. Gab ein Höfling ein festes Dienstverhältnis einseitig auf,
um Kleriker zu werden, so lag natürlich auch Vertragsbruch vor.
7 Guntchram verbannte nach Greg. Tur. Hist. Franc. V 18 den Praetaxtatus
auf sein Geständnis hin, obwohl die Synode die Absetzung nicht ausgesprochen
hatte.
8 So sind wohl Greg. Tur. Hist. Franc. VII 27, V 20 (S. 218, 10 ff.), Vita
§ 96. Die Kirche.

Zu Reibungen mit der Kirche kam schon das merowingische
Königtum in Sachen der weltlichen Gerichtsbarkeit über den Klerus,
deren Beschränkung sich die kirchlichen Konzilien des fränkischen
Reiches seit dem sechsten Jahrhundert zum Ziele setzten. Das Er-
gebnis der Auseinandersetzung, welche auf diesem Gebiete zwischen
Staat und Kirche stattfand, war ein verschiedenes hinsichtlich der
Bischöfe und des übrigen Klerus.

Die Bischöfe blieben grundsätzlich der weltlichen Gerichtsbarkeit
in vollem Umfange unterworfen, genossen aber eine Sonderstellung in
eigentlichen Kriminalsachen, das heiſst in solchen Straffällen, die das
weltliche Recht als Verwirkung des Lebens mit der Acht oder einer
ihrer Abspaltungen bedrohte. In solchen sollte dem Strafurteil des
Königsgerichts, welches diesfalls bei Bischöfen ausschlieſslich kom-
petent war, ein Verfahren vor einer kirchlichen Synode vorausgehen,
durch das der Angeklagte für schuldig erkannt und seiner kirchlichen
Würde entsetzt wurde. Über den degradierten Bischof lieſs dann der
König, der in dem ganzen Verfahren als Ankläger fungierte, im Königs-
gerichte das weltliche Strafurteil aussprechen. Der Anklage vor der
Synode konnte ein auſserprozessualisches Informationsverfahren vor-
ausgehen, durch das der König sich instruierte, ob genügender Anlaſs
zur Erhebung der Anklage vorliege. Der Spruch der Synode war für
das weltliche Verfahren insofern maſsgebend, als er die Schuld oder
Unschuld des Angeklagten feststellte. Sprach die Synode frei, so war
die Sache auch für das weltliche Verfahren erledigt. Eine Ausnahme,
welche auf dem vom römischen Rechte abweichenden Standpunkte
des germanischen Rechtes beruht, bildet der Fall der handhaften
That, dem der des Geständnisses als gleichwertige prozessualische
Lage zur Seite tritt. Wie der weltliche Rechtsgang sich dabei mit
einem summarischen Verfahren begnügte, das von rechtsförmlicher
Klage und Überführung absah, so legte der König sich das Recht
bei, gegen den durch handhafte That oder eigenes Geständnis über-
führten Bischof ohne vorausgehende Absetzung 7, ja sogar ohne Ein-
leitung eines Synodalverfahrens 8 vorzugehen, wogegen die Kirche die

Monarchie S. 141, aus einigen dieser Stellen und anderen folgert, daſs derjenige,
der an den Hof des Königs zugelassen worden war, n’en pouvait plus sortir qu’avec
la permission du roi. Gab ein Höfling ein festes Dienstverhältnis einseitig auf,
um Kleriker zu werden, so lag natürlich auch Vertragsbruch vor.
7 Guntchram verbannte nach Greg. Tur. Hist. Franc. V 18 den Praetaxtatus
auf sein Geständnis hin, obwohl die Synode die Absetzung nicht ausgesprochen
hatte.
8 So sind wohl Greg. Tur. Hist. Franc. VII 27, V 20 (S. 218, 10 ff.), Vita
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[314/0332] § 96. Die Kirche. Zu Reibungen mit der Kirche kam schon das merowingische Königtum in Sachen der weltlichen Gerichtsbarkeit über den Klerus, deren Beschränkung sich die kirchlichen Konzilien des fränkischen Reiches seit dem sechsten Jahrhundert zum Ziele setzten. Das Er- gebnis der Auseinandersetzung, welche auf diesem Gebiete zwischen Staat und Kirche stattfand, war ein verschiedenes hinsichtlich der Bischöfe und des übrigen Klerus. Die Bischöfe blieben grundsätzlich der weltlichen Gerichtsbarkeit in vollem Umfange unterworfen, genossen aber eine Sonderstellung in eigentlichen Kriminalsachen, das heiſst in solchen Straffällen, die das weltliche Recht als Verwirkung des Lebens mit der Acht oder einer ihrer Abspaltungen bedrohte. In solchen sollte dem Strafurteil des Königsgerichts, welches diesfalls bei Bischöfen ausschlieſslich kom- petent war, ein Verfahren vor einer kirchlichen Synode vorausgehen, durch das der Angeklagte für schuldig erkannt und seiner kirchlichen Würde entsetzt wurde. Über den degradierten Bischof lieſs dann der König, der in dem ganzen Verfahren als Ankläger fungierte, im Königs- gerichte das weltliche Strafurteil aussprechen. Der Anklage vor der Synode konnte ein auſserprozessualisches Informationsverfahren vor- ausgehen, durch das der König sich instruierte, ob genügender Anlaſs zur Erhebung der Anklage vorliege. Der Spruch der Synode war für das weltliche Verfahren insofern maſsgebend, als er die Schuld oder Unschuld des Angeklagten feststellte. Sprach die Synode frei, so war die Sache auch für das weltliche Verfahren erledigt. Eine Ausnahme, welche auf dem vom römischen Rechte abweichenden Standpunkte des germanischen Rechtes beruht, bildet der Fall der handhaften That, dem der des Geständnisses als gleichwertige prozessualische Lage zur Seite tritt. Wie der weltliche Rechtsgang sich dabei mit einem summarischen Verfahren begnügte, das von rechtsförmlicher Klage und Überführung absah, so legte der König sich das Recht bei, gegen den durch handhafte That oder eigenes Geständnis über- führten Bischof ohne vorausgehende Absetzung 7, ja sogar ohne Ein- leitung eines Synodalverfahrens 8 vorzugehen, wogegen die Kirche die 6 7 Guntchram verbannte nach Greg. Tur. Hist. Franc. V 18 den Praetaxtatus auf sein Geständnis hin, obwohl die Synode die Absetzung nicht ausgesprochen hatte. 8 So sind wohl Greg. Tur. Hist. Franc. VII 27, V 20 (S. 218, 10 ff.), Vita 6 Monarchie S. 141, aus einigen dieser Stellen und anderen folgert, daſs derjenige, der an den Hof des Königs zugelassen worden war, n’en pouvait plus sortir qu’avec la permission du roi. Gab ein Höfling ein festes Dienstverhältnis einseitig auf, um Kleriker zu werden, so lag natürlich auch Vertragsbruch vor.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/332>, abgerufen am 22.11.2024.