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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 95. Die Vögte.
Vertretung der Prozesspartei erlaubte, eine Ausnahme machten die
Grafen 32 und die unmittelbaren königlichen Vassallen 33, welchen für
den Fall der Verhinderung gestattet war, sich vertreten zu lassen.

Verfassungsgeschichtlich wichtiger ist für die fränkische Zeit der
Vogt als grund- und immunitätsherrlicher Beamter. Die Grundherren,
sowohl geistliche als weltliche, hatten gleich dem Fiskus auf ihren
Gütern von jeher besondere Amtleute, die als iudices, iudices pri-
vati 34, agentes 35, actores, vicedomini, prepositi 36 vorkommen. Zu
diesen Amtleuten zählen auch die advocati. Den Namen advocati
verdanken sie den Beziehungen der Immunitäts- oder Grundherrschaft
zum Staate. Als deren Vertreter, als deren advocati im eigentlichen
Sinne des Wortes, erscheinen sie nämlich nur im Verhältnis zur öffent-
lichen Gewalt 37. Für den Herrn sind sie innerhalb des Herrschafts-
gebietes die iudices, die er über seine Leute gesetzt hat, und etwa zu-
gleich auch Gutsverwalter oder mit anderen Funktionen 38 betraute
Privatbeamte. Die Bezeichnung der gedachten Amtleute als advocati
dringt denn auch erst in karolingischer Zeit allgemein durch, Dank
der Energie, mit der Karl der Grosse das Verhältnis der öffentlichen
Gewalt zu den Immunitäts- und Grundherren regelte. Der offizielle
Sprachgebrauch der merowingischen Zeit bezeichnete die Amtleute noch
als iudices oder agentes 39; die Stellung zur Staatsgewalt wurde eben
noch nicht so accentuiert, dass sie in dem Namen des herrschaftlichen
Beamten ihren Ausdruck gefunden hätte.


32 Muratori Antiquit. I 461, v. J. 820: comes .. commendavit .. advocatori
suo. Marca Hisp. App. 796: Signum Sesenandi mandatario domno Mirone comite
ad causas fiscales requirendas.
33 Advocati der Grafen und königlichen Vassallen ergeben sich aus Cap. miss.
spec. v. J. 802, c. 18 a, I 101. Über die Vassallen siehe noch oben S. 224, Anm. 42.
34 Lex Rom. Cur. II 16, 2: hoc est privatus (iudex), qui actor ecclesia-
rum est.
35 Ed. Chloth. c. 20 (c. 15?).
36 Siehe unten S. 309.
37 Deshalb wird es in dieser Zeit vermieden, den Ausdruck Vogt auf die
fiskalischen Immunitätsbeamten als solche anzuwenden. In Cap. Carisiac. v. J.
873, c. 3: si fiscalinus noster .. in fiscum nostrum confugerit vel colonus de im-
munitate in immunitatem confugerit, mandet comes iudici nostro vel advocato
cuiuscumque casae Dei, ut talem infamem in mallo suo praesentet, wird der iudex
fisci dem Kirchenvogte gegenübergestellt. Der Herr der fiskalischen Immuni-
tätsleute ist eben der König, in dessen Namen die öffentliche Gerichtsbarkeit aus-
geübt wird.
38 In Mühlbacher Nr. 1226 verleiht Ludwig II. der Kirche von Verona
und dem Kloster S. Zeno das Recht, ut sex habeat notarios vel cancellarios ...
ipsique et advocati et defensores, si pontifex utiles previderit, ecclesiae existant.
39 So das Edikt Chlothars II. v. J. 614.
20*

§ 95. Die Vögte.
Vertretung der Prozeſspartei erlaubte, eine Ausnahme machten die
Grafen 32 und die unmittelbaren königlichen Vassallen 33, welchen für
den Fall der Verhinderung gestattet war, sich vertreten zu lassen.

Verfassungsgeschichtlich wichtiger ist für die fränkische Zeit der
Vogt als grund- und immunitätsherrlicher Beamter. Die Grundherren,
sowohl geistliche als weltliche, hatten gleich dem Fiskus auf ihren
Gütern von jeher besondere Amtleute, die als iudices, iudices pri-
vati 34, agentes 35, actores, vicedomini, prepositi 36 vorkommen. Zu
diesen Amtleuten zählen auch die advocati. Den Namen advocati
verdanken sie den Beziehungen der Immunitäts- oder Grundherrschaft
zum Staate. Als deren Vertreter, als deren advocati im eigentlichen
Sinne des Wortes, erscheinen sie nämlich nur im Verhältnis zur öffent-
lichen Gewalt 37. Für den Herrn sind sie innerhalb des Herrschafts-
gebietes die iudices, die er über seine Leute gesetzt hat, und etwa zu-
gleich auch Gutsverwalter oder mit anderen Funktionen 38 betraute
Privatbeamte. Die Bezeichnung der gedachten Amtleute als advocati
dringt denn auch erst in karolingischer Zeit allgemein durch, Dank
der Energie, mit der Karl der Groſse das Verhältnis der öffentlichen
Gewalt zu den Immunitäts- und Grundherren regelte. Der offizielle
Sprachgebrauch der merowingischen Zeit bezeichnete die Amtleute noch
als iudices oder agentes 39; die Stellung zur Staatsgewalt wurde eben
noch nicht so accentuiert, daſs sie in dem Namen des herrschaftlichen
Beamten ihren Ausdruck gefunden hätte.


32 Muratori Antiquit. I 461, v. J. 820: comes .. commendavit .. advocatori
suo. Marca Hisp. App. 796: Signum Sesenandi mandatario domno Mirone comite
ad causas fiscales requirendas.
33 Advocati der Grafen und königlichen Vassallen ergeben sich aus Cap. miss.
spec. v. J. 802, c. 18 a, I 101. Über die Vassallen siehe noch oben S. 224, Anm. 42.
34 Lex Rom. Cur. II 16, 2: hoc est privatus (iudex), qui actor ecclesia-
rum est.
35 Ed. Chloth. c. 20 (c. 15?).
36 Siehe unten S. 309.
37 Deshalb wird es in dieser Zeit vermieden, den Ausdruck Vogt auf die
fiskalischen Immunitätsbeamten als solche anzuwenden. In Cap. Carisiac. v. J.
873, c. 3: si fiscalinus noster .. in fiscum nostrum confugerit vel colonus de im-
munitate in immunitatem confugerit, mandet comes iudici nostro vel advocato
cuiuscumque casae Dei, ut talem infamem in mallo suo praesentet, wird der iudex
fisci dem Kirchenvogte gegenübergestellt. Der Herr der fiskalischen Immuni-
tätsleute ist eben der König, in dessen Namen die öffentliche Gerichtsbarkeit aus-
geübt wird.
38 In Mühlbacher Nr. 1226 verleiht Ludwig II. der Kirche von Verona
und dem Kloster S. Zeno das Recht, ut sex habeat notarios vel cancellarios …
ipsique et advocati et defensores, si pontifex utiles previderit, ecclesiae existant.
39 So das Edikt Chlothars II. v. J. 614.
20*
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[307/0325] § 95. Die Vögte. Vertretung der Prozeſspartei erlaubte, eine Ausnahme machten die Grafen 32 und die unmittelbaren königlichen Vassallen 33, welchen für den Fall der Verhinderung gestattet war, sich vertreten zu lassen. Verfassungsgeschichtlich wichtiger ist für die fränkische Zeit der Vogt als grund- und immunitätsherrlicher Beamter. Die Grundherren, sowohl geistliche als weltliche, hatten gleich dem Fiskus auf ihren Gütern von jeher besondere Amtleute, die als iudices, iudices pri- vati 34, agentes 35, actores, vicedomini, prepositi 36 vorkommen. Zu diesen Amtleuten zählen auch die advocati. Den Namen advocati verdanken sie den Beziehungen der Immunitäts- oder Grundherrschaft zum Staate. Als deren Vertreter, als deren advocati im eigentlichen Sinne des Wortes, erscheinen sie nämlich nur im Verhältnis zur öffent- lichen Gewalt 37. Für den Herrn sind sie innerhalb des Herrschafts- gebietes die iudices, die er über seine Leute gesetzt hat, und etwa zu- gleich auch Gutsverwalter oder mit anderen Funktionen 38 betraute Privatbeamte. Die Bezeichnung der gedachten Amtleute als advocati dringt denn auch erst in karolingischer Zeit allgemein durch, Dank der Energie, mit der Karl der Groſse das Verhältnis der öffentlichen Gewalt zu den Immunitäts- und Grundherren regelte. Der offizielle Sprachgebrauch der merowingischen Zeit bezeichnete die Amtleute noch als iudices oder agentes 39; die Stellung zur Staatsgewalt wurde eben noch nicht so accentuiert, daſs sie in dem Namen des herrschaftlichen Beamten ihren Ausdruck gefunden hätte. 32 Muratori Antiquit. I 461, v. J. 820: comes .. commendavit .. advocatori suo. Marca Hisp. App. 796: Signum Sesenandi mandatario domno Mirone comite ad causas fiscales requirendas. 33 Advocati der Grafen und königlichen Vassallen ergeben sich aus Cap. miss. spec. v. J. 802, c. 18 a, I 101. Über die Vassallen siehe noch oben S. 224, Anm. 42. 34 Lex Rom. Cur. II 16, 2: hoc est privatus (iudex), qui actor ecclesia- rum est. 35 Ed. Chloth. c. 20 (c. 15?). 36 Siehe unten S. 309. 37 Deshalb wird es in dieser Zeit vermieden, den Ausdruck Vogt auf die fiskalischen Immunitätsbeamten als solche anzuwenden. In Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 3: si fiscalinus noster .. in fiscum nostrum confugerit vel colonus de im- munitate in immunitatem confugerit, mandet comes iudici nostro vel advocato cuiuscumque casae Dei, ut talem infamem in mallo suo praesentet, wird der iudex fisci dem Kirchenvogte gegenübergestellt. Der Herr der fiskalischen Immuni- tätsleute ist eben der König, in dessen Namen die öffentliche Gerichtsbarkeit aus- geübt wird. 38 In Mühlbacher Nr. 1226 verleiht Ludwig II. der Kirche von Verona und dem Kloster S. Zeno das Recht, ut sex habeat notarios vel cancellarios … ipsique et advocati et defensores, si pontifex utiles previderit, ecclesiae existant. 39 So das Edikt Chlothars II. v. J. 614. 20*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/325>, abgerufen am 22.11.2024.