teil wird, aber das sonstige Vermögen des Knechtes der Herrschaft verbleibt, eine Bestimmung, die nachmals bei der Abgrenzung der öffentlichrechtlichen und der hofrechtlichen Kompetenz häufig wieder- kehrt.
Die Haftung des Herrn erstreckt sich von je nicht bloss auf Knechte, die im Hause des Herrn leben, sondern auch auf angesiedelte Knechte, auch auf auswärts befindliche, so lange der Herr sein Eigen- tum festhält und nicht durch Aufnahme des Knechtes die Haftung eines Dritten begründet wird. Erhebt ein Dritter wegen der Un- that des Knechtes einen Anspruch gegen den Herrn, so kann der Herr die Sache aussergerichtlich untersuchen oder untersuchen lassen und die Angelegenheit aussergerichtlich erledigen, indem er dem Dritten Genugthuung verschafft (in gewissen Fällen durch Ausliefe- rung des Knechtes) oder ihn von der Unschuld seines Knechtes über- zeugt. Dieser Weg ist ihm abgeschnitten, wenn es sich um Fälle der vom Staate geltend gemachten Präsentationspflicht handelt.
Rechtsverletzungen, welche Dritte an dem Unfreien begingen, machte der Herr ursprünglich aus eigenem Rechte geltend. Erst als sich eine beschränkte Rechtsfähigkeit der Knechte ausgebildet hatte, nahm für deren Bereich die Stellung des Herrn den Charakter der Vertretung an.
Was ein Knecht gegen einen anderen Knecht seines eigenen Herrn verbricht, ist eine gegen letzteren begangene Unthat. Kraft seines Eigentums am Knechte hat der Herr die Befugnis, ihn zu züchtigen, ihn zur Strafe zu töten 17. Für das Vorgehen gegen den angeschuldigten Knecht dürfte sich schon früh ein bestimmtes Ver- fahren ausgebildet haben, welches seine Formen zum Teil dem öffentlichen Rechtsgang entlehnte. In den Quellen der karolingischen Zeit erscheint das Recht des Herrn, Unthaten seiner Knechte zu ahn- den, unter dem Gesichtspunkte der Rechtspflege. Die Handhabung jenes Rechtes wird als iustitiam facere des Leibherrn dem iustitiam facere des öffentlichen Beamten entgegengesetzt 18.
Ziemlich dürftig sind die Nachrichten der Quellen über die Stel- lung des Herrn hinsichtlich der Liten. Der Herr haftet unbedingt, wenn die Unthat des Liten auf seinen Befehl geschah 19. Den ohne
17Georg Meyer a. O. II 88.
18 Cap. de latronibus c. 9, I 181: ut si servi invicem inter se furtum fecerint et in una fuerint potestate, domni eorum habeant licentiam faciendi iusticiam; si vero de foris accusat(or) adversus eum surrexerit, quae ad latrocinium pertinent, habeant missi nostri de hoc licentiam faciendi iusticiam.
19 Lex Sax. 18. 50.
§ 93. Die Grundherrlichkeit.
teil wird, aber das sonstige Vermögen des Knechtes der Herrschaft verbleibt, eine Bestimmung, die nachmals bei der Abgrenzung der öffentlichrechtlichen und der hofrechtlichen Kompetenz häufig wieder- kehrt.
Die Haftung des Herrn erstreckt sich von je nicht bloſs auf Knechte, die im Hause des Herrn leben, sondern auch auf angesiedelte Knechte, auch auf auswärts befindliche, so lange der Herr sein Eigen- tum festhält und nicht durch Aufnahme des Knechtes die Haftung eines Dritten begründet wird. Erhebt ein Dritter wegen der Un- that des Knechtes einen Anspruch gegen den Herrn, so kann der Herr die Sache auſsergerichtlich untersuchen oder untersuchen lassen und die Angelegenheit auſsergerichtlich erledigen, indem er dem Dritten Genugthuung verschafft (in gewissen Fällen durch Ausliefe- rung des Knechtes) oder ihn von der Unschuld seines Knechtes über- zeugt. Dieser Weg ist ihm abgeschnitten, wenn es sich um Fälle der vom Staate geltend gemachten Präsentationspflicht handelt.
Rechtsverletzungen, welche Dritte an dem Unfreien begingen, machte der Herr ursprünglich aus eigenem Rechte geltend. Erst als sich eine beschränkte Rechtsfähigkeit der Knechte ausgebildet hatte, nahm für deren Bereich die Stellung des Herrn den Charakter der Vertretung an.
Was ein Knecht gegen einen anderen Knecht seines eigenen Herrn verbricht, ist eine gegen letzteren begangene Unthat. Kraft seines Eigentums am Knechte hat der Herr die Befugnis, ihn zu züchtigen, ihn zur Strafe zu töten 17. Für das Vorgehen gegen den angeschuldigten Knecht dürfte sich schon früh ein bestimmtes Ver- fahren ausgebildet haben, welches seine Formen zum Teil dem öffentlichen Rechtsgang entlehnte. In den Quellen der karolingischen Zeit erscheint das Recht des Herrn, Unthaten seiner Knechte zu ahn- den, unter dem Gesichtspunkte der Rechtspflege. Die Handhabung jenes Rechtes wird als iustitiam facere des Leibherrn dem iustitiam facere des öffentlichen Beamten entgegengesetzt 18.
Ziemlich dürftig sind die Nachrichten der Quellen über die Stel- lung des Herrn hinsichtlich der Liten. Der Herr haftet unbedingt, wenn die Unthat des Liten auf seinen Befehl geschah 19. Den ohne
17Georg Meyer a. O. II 88.
18 Cap. de latronibus c. 9, I 181: ut si servi invicem inter se furtum fecerint et in una fuerint potestate, domni eorum habeant licentiam faciendi iusticiam; si vero de foris accusat(or) adversus eum surrexerit, quae ad latrocinium pertinent, habeant missi nostri de hoc licentiam faciendi iusticiam.
19 Lex Sax. 18. 50.
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§ 93. Die Grundherrlichkeit.
teil wird, aber das sonstige Vermögen des Knechtes der Herrschaft
verbleibt, eine Bestimmung, die nachmals bei der Abgrenzung der
öffentlichrechtlichen und der hofrechtlichen Kompetenz häufig wieder-
kehrt.
Die Haftung des Herrn erstreckt sich von je nicht bloſs auf
Knechte, die im Hause des Herrn leben, sondern auch auf angesiedelte
Knechte, auch auf auswärts befindliche, so lange der Herr sein Eigen-
tum festhält und nicht durch Aufnahme des Knechtes die Haftung
eines Dritten begründet wird. Erhebt ein Dritter wegen der Un-
that des Knechtes einen Anspruch gegen den Herrn, so kann der
Herr die Sache auſsergerichtlich untersuchen oder untersuchen lassen
und die Angelegenheit auſsergerichtlich erledigen, indem er dem
Dritten Genugthuung verschafft (in gewissen Fällen durch Ausliefe-
rung des Knechtes) oder ihn von der Unschuld seines Knechtes über-
zeugt. Dieser Weg ist ihm abgeschnitten, wenn es sich um Fälle
der vom Staate geltend gemachten Präsentationspflicht handelt.
Rechtsverletzungen, welche Dritte an dem Unfreien begingen,
machte der Herr ursprünglich aus eigenem Rechte geltend. Erst als
sich eine beschränkte Rechtsfähigkeit der Knechte ausgebildet hatte,
nahm für deren Bereich die Stellung des Herrn den Charakter der
Vertretung an.
Was ein Knecht gegen einen anderen Knecht seines eigenen
Herrn verbricht, ist eine gegen letzteren begangene Unthat. Kraft
seines Eigentums am Knechte hat der Herr die Befugnis, ihn zu
züchtigen, ihn zur Strafe zu töten 17. Für das Vorgehen gegen den
angeschuldigten Knecht dürfte sich schon früh ein bestimmtes Ver-
fahren ausgebildet haben, welches seine Formen zum Teil dem
öffentlichen Rechtsgang entlehnte. In den Quellen der karolingischen
Zeit erscheint das Recht des Herrn, Unthaten seiner Knechte zu ahn-
den, unter dem Gesichtspunkte der Rechtspflege. Die Handhabung
jenes Rechtes wird als iustitiam facere des Leibherrn dem iustitiam
facere des öffentlichen Beamten entgegengesetzt 18.
Ziemlich dürftig sind die Nachrichten der Quellen über die Stel-
lung des Herrn hinsichtlich der Liten. Der Herr haftet unbedingt,
wenn die Unthat des Liten auf seinen Befehl geschah 19. Den ohne
17 Georg Meyer a. O. II 88.
18 Cap. de latronibus c. 9, I 181: ut si servi invicem inter se furtum fecerint
et in una fuerint potestate, domni eorum habeant licentiam faciendi iusticiam; si
vero de foris accusat(or) adversus eum surrexerit, quae ad latrocinium pertinent,
habeant missi nostri de hoc licentiam faciendi iusticiam.
19 Lex Sax. 18. 50.
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/297>, abgerufen am 22.11.2024.
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