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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 93. Die Grundherrlichkeit.
strafen. Mit den Lebens- und Leibesstrafen konkurrierte ein System
von Sklavenbussen, welche hinter den entsprechenden Freienbussen
zurückstehen und sich entweder als Lösungsbussen oder als Bussen
für Ungefährwerk des Herrn darstellen. Die prozessualische Behand-
lung von Unthaten der Knechte gestaltete sich nach fränkischem Rechte
derart, dass zwar die Klage im öffentlichen Gerichte gegen den Herrn
erhoben wurde, dieser aber die Wahl hatte, die That des Knechtes
zu verantworten (pro eo respondere) oder ihn vor das öffentliche Ge-
richt zu bringen. Doch wurde bei gewissen Missethaten im Interesse
der öffentlichen Friedensbewahrung das Wahlrecht des Herrn beseitigt
und ihm schlechterdings zur Pflicht gemacht, den Knecht vor den
öffentlichen Richter zu stellen (praesentare, repraesentare)12). In karo-
lingischer Zeit besteht solche Präsentationspflicht bei Diebstahl, Raub, In-
fidelität und wohl überhaupt in den Fällen, in welchen öffentliche Strafen
von Amtswegen verhängt werden13). Verweigert der Herr die Präsenta-
tion des Knechtes, so kann ihn der öffentliche Beamte durch amtliche
districtio, z. B. durch Fronung seines Besitztums, dazu zwingen14).
Den auf handhafter That betroffenen Knecht, der seiner Jurisdiktion
verfallen ist, darf der öffentliche Richter ergreifen und zwar, um in
der Sprache der späteren Weistümer zu sprechen, so, wie ihn der
Gürtel umfängt15), d. h. so, dass nur das Gewand, das der Knecht an
sich trägt, dem Richter16), das gestohlene Gut dem Bestohlenen zu

12) So wegen Diebstahls nach dem Pactus pro tenore pacis c. 5, Cap. I 5,
Cap. de latronibus c. 7, I 180, Cap. leg. add. v. J. 818/9, c. 15, I 284 (dominus ..
emendet aut .. eum excuset, nisi tale furtum perpetratum habeat, propter quod ad
subplicium tradi debeat). Allgemein heisst es in Decretio Childeberti II., c. 10,
I 17: et quicumque servum criminosum habuerit et ei iudex rogaverit ipsum
praesentare et noluerit, suum weregildum omnino componat. Eine allgemeine
Präsentationspflicht der possessores statuierte schon das römische Recht in Bezug
auf Räuber und andere Verbrecher, qui in possessione degunt seu latitant. Cod.
Iust. IX 39, 2, v. J. 451.
13) Siehe oben Anm. 12. Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 3, LL I 519 f. in Be-
zug auf testeia, latrocinium, rapacitas, assaltura und infidelitas. Dazu kommen
Münzvergehen. Cap. legibus add. 818/9, c. 18, I 285.
14) Cap. Carisiac. a. O. am Ende mit Bezugnahme auf Ansegisus III 45.
15) Cap. de latronibus c. 7, I 180: et si cum furto conprehensus fuerit, acci-
piat iudex de rebus ipsius latronis hoc quod super se habet tantummodo sua causa
et hoc quod furto consecutus est reddat cui idem latro fraudaverit, aliis vero rebus
que habet aliter non se tollendis ...
16) Nach norwegischem Recht erhält der Diebsfänger was der Dieb an sich
trägt (super se habet), nach fränkischem der Richter, dem Verfolgung und Justi-
fizierung der Diebe in erster Linie obliegen. Nach burgundischem Rechte, Lex
Burg. 108, gilt der Satz: res illius (criminosi) ab his, qui eum ceperunt, prae-
sumantur.

§ 93. Die Grundherrlichkeit.
strafen. Mit den Lebens- und Leibesstrafen konkurrierte ein System
von Sklavenbuſsen, welche hinter den entsprechenden Freienbuſsen
zurückstehen und sich entweder als Lösungsbuſsen oder als Buſsen
für Ungefährwerk des Herrn darstellen. Die prozessualische Behand-
lung von Unthaten der Knechte gestaltete sich nach fränkischem Rechte
derart, daſs zwar die Klage im öffentlichen Gerichte gegen den Herrn
erhoben wurde, dieser aber die Wahl hatte, die That des Knechtes
zu verantworten (pro eo respondere) oder ihn vor das öffentliche Ge-
richt zu bringen. Doch wurde bei gewissen Missethaten im Interesse
der öffentlichen Friedensbewahrung das Wahlrecht des Herrn beseitigt
und ihm schlechterdings zur Pflicht gemacht, den Knecht vor den
öffentlichen Richter zu stellen (praesentare, repraesentare)12). In karo-
lingischer Zeit besteht solche Präsentationspflicht bei Diebstahl, Raub, In-
fidelität und wohl überhaupt in den Fällen, in welchen öffentliche Strafen
von Amtswegen verhängt werden13). Verweigert der Herr die Präsenta-
tion des Knechtes, so kann ihn der öffentliche Beamte durch amtliche
districtio, z. B. durch Fronung seines Besitztums, dazu zwingen14).
Den auf handhafter That betroffenen Knecht, der seiner Jurisdiktion
verfallen ist, darf der öffentliche Richter ergreifen und zwar, um in
der Sprache der späteren Weistümer zu sprechen, so, wie ihn der
Gürtel umfängt15), d. h. so, daſs nur das Gewand, das der Knecht an
sich trägt, dem Richter16), das gestohlene Gut dem Bestohlenen zu

12) So wegen Diebstahls nach dem Pactus pro tenore pacis c. 5, Cap. I 5,
Cap. de latronibus c. 7, I 180, Cap. leg. add. v. J. 818/9, c. 15, I 284 (dominus ..
emendet aut .. eum excuset, nisi tale furtum perpetratum habeat, propter quod ad
subplicium tradi debeat). Allgemein heiſst es in Decretio Childeberti II., c. 10,
I 17: et quicumque servum criminosum habuerit et ei iudex rogaverit ipsum
praesentare et noluerit, suum weregildum omnino componat. Eine allgemeine
Präsentationspflicht der possessores statuierte schon das römische Recht in Bezug
auf Räuber und andere Verbrecher, qui in possessione degunt seu latitant. Cod.
Iust. IX 39, 2, v. J. 451.
13) Siehe oben Anm. 12. Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 3, LL I 519 f. in Be-
zug auf testeia, latrocinium, rapacitas, assaltura und infidelitas. Dazu kommen
Münzvergehen. Cap. legibus add. 818/9, c. 18, I 285.
14) Cap. Carisiac. a. O. am Ende mit Bezugnahme auf Ansegisus III 45.
15) Cap. de latronibus c. 7, I 180: et si cum furto conprehensus fuerit, acci-
piat iudex de rebus ipsius latronis hoc quod super se habet tantummodo sua causa
et hoc quod furto consecutus est reddat cui idem latro fraudaverit, aliis vero rebus
que habet aliter non se tollendis …
16) Nach norwegischem Recht erhält der Diebsfänger was der Dieb an sich
trägt (super se habet), nach fränkischem der Richter, dem Verfolgung und Justi-
fizierung der Diebe in erster Linie obliegen. Nach burgundischem Rechte, Lex
Burg. 108, gilt der Satz: res illius (criminosi) ab his, qui eum ceperunt, prae-
sumantur.
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[278/0296] § 93. Die Grundherrlichkeit. strafen. Mit den Lebens- und Leibesstrafen konkurrierte ein System von Sklavenbuſsen, welche hinter den entsprechenden Freienbuſsen zurückstehen und sich entweder als Lösungsbuſsen oder als Buſsen für Ungefährwerk des Herrn darstellen. Die prozessualische Behand- lung von Unthaten der Knechte gestaltete sich nach fränkischem Rechte derart, daſs zwar die Klage im öffentlichen Gerichte gegen den Herrn erhoben wurde, dieser aber die Wahl hatte, die That des Knechtes zu verantworten (pro eo respondere) oder ihn vor das öffentliche Ge- richt zu bringen. Doch wurde bei gewissen Missethaten im Interesse der öffentlichen Friedensbewahrung das Wahlrecht des Herrn beseitigt und ihm schlechterdings zur Pflicht gemacht, den Knecht vor den öffentlichen Richter zu stellen (praesentare, repraesentare) 12). In karo- lingischer Zeit besteht solche Präsentationspflicht bei Diebstahl, Raub, In- fidelität und wohl überhaupt in den Fällen, in welchen öffentliche Strafen von Amtswegen verhängt werden 13). Verweigert der Herr die Präsenta- tion des Knechtes, so kann ihn der öffentliche Beamte durch amtliche districtio, z. B. durch Fronung seines Besitztums, dazu zwingen 14). Den auf handhafter That betroffenen Knecht, der seiner Jurisdiktion verfallen ist, darf der öffentliche Richter ergreifen und zwar, um in der Sprache der späteren Weistümer zu sprechen, so, wie ihn der Gürtel umfängt 15), d. h. so, daſs nur das Gewand, das der Knecht an sich trägt, dem Richter 16), das gestohlene Gut dem Bestohlenen zu 12) So wegen Diebstahls nach dem Pactus pro tenore pacis c. 5, Cap. I 5, Cap. de latronibus c. 7, I 180, Cap. leg. add. v. J. 818/9, c. 15, I 284 (dominus .. emendet aut .. eum excuset, nisi tale furtum perpetratum habeat, propter quod ad subplicium tradi debeat). Allgemein heiſst es in Decretio Childeberti II., c. 10, I 17: et quicumque servum criminosum habuerit et ei iudex rogaverit ipsum praesentare et noluerit, suum weregildum omnino componat. Eine allgemeine Präsentationspflicht der possessores statuierte schon das römische Recht in Bezug auf Räuber und andere Verbrecher, qui in possessione degunt seu latitant. Cod. Iust. IX 39, 2, v. J. 451. 13) Siehe oben Anm. 12. Cap. Carisiac. v. J. 873, c. 3, LL I 519 f. in Be- zug auf testeia, latrocinium, rapacitas, assaltura und infidelitas. Dazu kommen Münzvergehen. Cap. legibus add. 818/9, c. 18, I 285. 14) Cap. Carisiac. a. O. am Ende mit Bezugnahme auf Ansegisus III 45. 15) Cap. de latronibus c. 7, I 180: et si cum furto conprehensus fuerit, acci- piat iudex de rebus ipsius latronis hoc quod super se habet tantummodo sua causa et hoc quod furto consecutus est reddat cui idem latro fraudaverit, aliis vero rebus que habet aliter non se tollendis … 16) Nach norwegischem Recht erhält der Diebsfänger was der Dieb an sich trägt (super se habet), nach fränkischem der Richter, dem Verfolgung und Justi- fizierung der Diebe in erster Linie obliegen. Nach burgundischem Rechte, Lex Burg. 108, gilt der Satz: res illius (criminosi) ab his, qui eum ceperunt, prae- sumantur.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/296>, abgerufen am 22.11.2024.