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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.
dürfte die Thatsache zusammenhängen, dass später in Frankreich
der Vassall der Jurisdiktion seines Herrn in allen Rechtssachen unter-
worfen ist, wenn und soweit dieser überhaupt Jurisdiktion besitzt.
In Deutschland und Italien trat eine derartige Entwickelung nachmals
nicht ein. Abgesehen von der Strafgewalt im Heere51), war hier die
Jurisdiktion des Herrn über die Vassallen auf eigentliche Lehnssachen
beschränkt. Für deren Erledigung entstanden die besonderen Lehns-
gerichte, die hinwiederum dem altfranzösischen Rechte fremd blieben,
weil sie bei der allgemeinen Gerichtsbarkeit der grösseren Lehns-
herren entbehrlich waren52).

Wie dem Gefolgsmann, schuldet der Herr auch dem Vassallen
den Unterhalt und die Ausrüstung für den Dienst, den er von ihm
begehrt. Dem Gefolgsgenossen gewährte das Haus des Herrn den
Lebensunterhalt. Und wenn es auch von alters her abgeschichtete
und auf Land angesiedelte Gefolgsleute gab, so pflegte doch der Ge-
folgsdienst stets im Hause des Herrn zu beginnen. Dagegen um-
fasst die Vassallität von vornherein zwei Arten von Vassallen,
solche die im Hause des Herrn leben53), und solche, bei denen das
nicht der Fall ist. Jene bilden etwa seit der Mitte des achten Jahr-
hunderts die entschiedene Minderheit. Die meisten Vassallen haben
nämlich Benefizien von ihrem Herrn, die ihnen den Unterhalt ge-
währen und sie befähigen, sich für den Heerdienst auszurüsten.
Die Sitte, Vassallen durch Landvergabung zu gewinnen oder abzu-
schichten, reicht bis in die Zeiten zurück, da wir zum erstenmal von
freien Vassallen hören54). Seit den Massregeln, durch welche Karl
Martell und seine Söhne mit Hilfe der Vassallität und der Benefizien-
verleihung das fränkische Reiterwesen schufen, bilden die belehnten
Vassallen den Kern der Vassallität, die vassallitischen Benefizien den
massgebenden Typus des Benefizialwesens. Aber trotz der wirtschaft-
lichen Selbständigkeit der meisten Vassallen haben sich für die Vassallität
schlechtweg einzelne Rechtssitten und Rechtsgrundsätze erhalten, die
auf den hausgenossenschaftlichen Ursprung des Institutes zurückweisen:
so die Strafe des Fastens, welche die Königsvassallen trifft, wenn sie

51) Über diese siehe oben S. 214.
52) Die 'cours des barons' waren in der Regel ebensowohl Landgerichte als
Lehenhöfe. v. Daniels, System und Geschichte d. franz. und rhein. Civilprozess-
rechtes I 192. Derselbe, Ursprung und Wert der Geschworenenanstalt S. 42,
Anm. 1.
53) Siehe oben S. 100.
54) Pardessus II 357, Nr. 544 v. J. 728: vel ad vassos nostros beneficiatum
habui. Martene und Durand, Ampliss. Coll. I, col. 41: ad Hinniberto suo vasso

§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.
dürfte die Thatsache zusammenhängen, daſs später in Frankreich
der Vassall der Jurisdiktion seines Herrn in allen Rechtssachen unter-
worfen ist, wenn und soweit dieser überhaupt Jurisdiktion besitzt.
In Deutschland und Italien trat eine derartige Entwickelung nachmals
nicht ein. Abgesehen von der Strafgewalt im Heere51), war hier die
Jurisdiktion des Herrn über die Vassallen auf eigentliche Lehnssachen
beschränkt. Für deren Erledigung entstanden die besonderen Lehns-
gerichte, die hinwiederum dem altfranzösischen Rechte fremd blieben,
weil sie bei der allgemeinen Gerichtsbarkeit der gröſseren Lehns-
herren entbehrlich waren52).

Wie dem Gefolgsmann, schuldet der Herr auch dem Vassallen
den Unterhalt und die Ausrüstung für den Dienst, den er von ihm
begehrt. Dem Gefolgsgenossen gewährte das Haus des Herrn den
Lebensunterhalt. Und wenn es auch von alters her abgeschichtete
und auf Land angesiedelte Gefolgsleute gab, so pflegte doch der Ge-
folgsdienst stets im Hause des Herrn zu beginnen. Dagegen um-
faſst die Vassallität von vornherein zwei Arten von Vassallen,
solche die im Hause des Herrn leben53), und solche, bei denen das
nicht der Fall ist. Jene bilden etwa seit der Mitte des achten Jahr-
hunderts die entschiedene Minderheit. Die meisten Vassallen haben
nämlich Benefizien von ihrem Herrn, die ihnen den Unterhalt ge-
währen und sie befähigen, sich für den Heerdienst auszurüsten.
Die Sitte, Vassallen durch Landvergabung zu gewinnen oder abzu-
schichten, reicht bis in die Zeiten zurück, da wir zum erstenmal von
freien Vassallen hören54). Seit den Maſsregeln, durch welche Karl
Martell und seine Söhne mit Hilfe der Vassallität und der Benefizien-
verleihung das fränkische Reiterwesen schufen, bilden die belehnten
Vassallen den Kern der Vassallität, die vassallitischen Benefizien den
maſsgebenden Typus des Benefizialwesens. Aber trotz der wirtschaft-
lichen Selbständigkeit der meisten Vassallen haben sich für die Vassallität
schlechtweg einzelne Rechtssitten und Rechtsgrundsätze erhalten, die
auf den hausgenossenschaftlichen Ursprung des Institutes zurückweisen:
so die Strafe des Fastens, welche die Königsvassallen trifft, wenn sie

51) Über diese siehe oben S. 214.
52) Die ‘cours des barons’ waren in der Regel ebensowohl Landgerichte als
Lehenhöfe. v. Daniels, System und Geschichte d. franz. und rhein. Civilprozeſs-
rechtes I 192. Derselbe, Ursprung und Wert der Geschworenenanstalt S. 42,
Anm. 1.
53) Siehe oben S. 100.
54) Pardessus II 357, Nr. 544 v. J. 728: vel ad vassos nostros beneficiatum
habui. Martène und Durand, Ampliss. Coll. I, col. 41: ad Hinniberto suo vasso
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[266/0284] § 92. Gefolgschaft und Vassallität. dürfte die Thatsache zusammenhängen, daſs später in Frankreich der Vassall der Jurisdiktion seines Herrn in allen Rechtssachen unter- worfen ist, wenn und soweit dieser überhaupt Jurisdiktion besitzt. In Deutschland und Italien trat eine derartige Entwickelung nachmals nicht ein. Abgesehen von der Strafgewalt im Heere 51), war hier die Jurisdiktion des Herrn über die Vassallen auf eigentliche Lehnssachen beschränkt. Für deren Erledigung entstanden die besonderen Lehns- gerichte, die hinwiederum dem altfranzösischen Rechte fremd blieben, weil sie bei der allgemeinen Gerichtsbarkeit der gröſseren Lehns- herren entbehrlich waren 52). Wie dem Gefolgsmann, schuldet der Herr auch dem Vassallen den Unterhalt und die Ausrüstung für den Dienst, den er von ihm begehrt. Dem Gefolgsgenossen gewährte das Haus des Herrn den Lebensunterhalt. Und wenn es auch von alters her abgeschichtete und auf Land angesiedelte Gefolgsleute gab, so pflegte doch der Ge- folgsdienst stets im Hause des Herrn zu beginnen. Dagegen um- faſst die Vassallität von vornherein zwei Arten von Vassallen, solche die im Hause des Herrn leben 53), und solche, bei denen das nicht der Fall ist. Jene bilden etwa seit der Mitte des achten Jahr- hunderts die entschiedene Minderheit. Die meisten Vassallen haben nämlich Benefizien von ihrem Herrn, die ihnen den Unterhalt ge- währen und sie befähigen, sich für den Heerdienst auszurüsten. Die Sitte, Vassallen durch Landvergabung zu gewinnen oder abzu- schichten, reicht bis in die Zeiten zurück, da wir zum erstenmal von freien Vassallen hören 54). Seit den Maſsregeln, durch welche Karl Martell und seine Söhne mit Hilfe der Vassallität und der Benefizien- verleihung das fränkische Reiterwesen schufen, bilden die belehnten Vassallen den Kern der Vassallität, die vassallitischen Benefizien den maſsgebenden Typus des Benefizialwesens. Aber trotz der wirtschaft- lichen Selbständigkeit der meisten Vassallen haben sich für die Vassallität schlechtweg einzelne Rechtssitten und Rechtsgrundsätze erhalten, die auf den hausgenossenschaftlichen Ursprung des Institutes zurückweisen: so die Strafe des Fastens, welche die Königsvassallen trifft, wenn sie 51) Über diese siehe oben S. 214. 52) Die ‘cours des barons’ waren in der Regel ebensowohl Landgerichte als Lehenhöfe. v. Daniels, System und Geschichte d. franz. und rhein. Civilprozeſs- rechtes I 192. Derselbe, Ursprung und Wert der Geschworenenanstalt S. 42, Anm. 1. 53) Siehe oben S. 100. 54) Pardessus II 357, Nr. 544 v. J. 728: vel ad vassos nostros beneficiatum habui. Martène und Durand, Ampliss. Coll. I, col. 41: ad Hinniberto suo vasso

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/284>, abgerufen am 25.11.2024.