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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.
sprünglich wie ministerialis einen höheren Knecht, nämlich einen
solchen, der im Hause, in der Umgebung des Herrn dient26. Vassi
oder pueri pflegten im merowingischen Gallien die Grossen als krie-
gerisches Gefolge auszurüsten und zu verwenden. Dieser Rest des
gallo-römischen Privatsoldatentums27 ist der germanischen Gefolgschaft
angeglichen worden. Seit dem achten Jahrhundert finden sich freie
Vassen28 neben den unfreien29 und wird das Wort vassus vorzugs-
weise auf ein höheres Schutz- und Dienstverhältnis bezogen, welches
wir Vassallität nennen. Diese stellt sich als eine Fortbildung der
Gefolgschaft dar. In Neustrien entstanden, ist sie nicht vollständig
frei von Merkmalen, die, dem germanischen Gefolgswesen fremd, auf
gallo-römische Einflüsse zurückführen.

Im Kreise der königlichen Gefolgschaft sind es die Vassallen,
durch welche die Antrustionen ersetzt wurden. In den Antrustionen
löste sich vom Königshof eine ältere Schicht der Gefolgschaft ab,
die für wirklichen Gefolgsdienst zu vornehm geworden und durch
Abschichtung und ständische Abschliessung ihrem ursprünglichen Be-
ruf entwachsen war. An ihre Stelle trat mit der Vassallität eine
Schicht der Gefolgschaft, die aus der eigentlichen Hausdienerschaft
hervorgegangen war. Frappante Analogien dieses Vorganges bietet
die Entwickelung des angelsächsischen Gefolgswesens dar. Bei den
Angelsachsen wird der Gesith durch den Thegn abgelöst. Den Thegn
kennzeichnet aber ursprünglich ein bestimmtes Amt, ministerium, im

26 Siehe oben I 234.
27 Wie weit darauf germanische Sitte eingewirkt hatte, lässt sich kaum
mit voller Sicherheit bestimmen. Die Stellung des westgotischen bucellarius ist
trotz des römischen Namens in wesentlichen Zügen die des germanischen Gefolgs-
manns und beruht auf einem kündbaren Dienstverhältnisse.
28 Die älteste sichere Fundstelle für freie Vassen ist Lex Alamannorum 36, 3:
qualiscumque persona sit aut vassus duce aut comite aut qualis persona, nemo
neglegat ad ipsum placitum venire. Die Dingpflicht kennzeichnet diese Vassen als
Freie. Lex Baiuw. II 14 kennt auch bereits den freien vassus regis.
29 Als unfreie Vassen begegnen entweder solche, die im Hause des Herrn
leben, oder solche, die als Ersatz des Unterhaltes im Hause des Herren Grundstücke
erhalten haben. Zeuss, Trad. Wizenb. Nr. 17, S. 25 v. J. 739; Nr. 52, S. 54.
Pardessus, Dipl. II, Nr. 476, S. 284 v. J. 710. Lex Alam. 74. Ein unfreier Vas-
sallus im Cap. Comp. v. J. 757, c. 9, I 38, worüber Ehrenberg, Commendation
S. 16, zu vergleichen ist. Unfreie Vassen setzt voraus das Cap. miss. I 66, c. 4,
wo es von servi spricht, qui in bassallatico honorati sunt. Die Capitula Remedii
unterscheiden in c. 3 den vassallus dominicus, der ingenuus, und den, der servus
ist. -- Unfreie Vassen kennt die Normandie noch im elften Jahrhundert. Gallia
christiana XI, Nr. 65: Rudolf Taisson schenkt i. J. 1047 bei der Gründung von
Fontenay u. a. duos vavassores.

§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.
sprünglich wie ministerialis einen höheren Knecht, nämlich einen
solchen, der im Hause, in der Umgebung des Herrn dient26. Vassi
oder pueri pflegten im merowingischen Gallien die Groſsen als krie-
gerisches Gefolge auszurüsten und zu verwenden. Dieser Rest des
gallo-römischen Privatsoldatentums27 ist der germanischen Gefolgschaft
angeglichen worden. Seit dem achten Jahrhundert finden sich freie
Vassen28 neben den unfreien29 und wird das Wort vassus vorzugs-
weise auf ein höheres Schutz- und Dienstverhältnis bezogen, welches
wir Vassallität nennen. Diese stellt sich als eine Fortbildung der
Gefolgschaft dar. In Neustrien entstanden, ist sie nicht vollständig
frei von Merkmalen, die, dem germanischen Gefolgswesen fremd, auf
gallo-römische Einflüsse zurückführen.

Im Kreise der königlichen Gefolgschaft sind es die Vassallen,
durch welche die Antrustionen ersetzt wurden. In den Antrustionen
löste sich vom Königshof eine ältere Schicht der Gefolgschaft ab,
die für wirklichen Gefolgsdienst zu vornehm geworden und durch
Abschichtung und ständische Abschlieſsung ihrem ursprünglichen Be-
ruf entwachsen war. An ihre Stelle trat mit der Vassallität eine
Schicht der Gefolgschaft, die aus der eigentlichen Hausdienerschaft
hervorgegangen war. Frappante Analogien dieses Vorganges bietet
die Entwickelung des angelsächsischen Gefolgswesens dar. Bei den
Angelsachsen wird der Gesith durch den Thegn abgelöst. Den Thegn
kennzeichnet aber ursprünglich ein bestimmtes Amt, ministerium, im

26 Siehe oben I 234.
27 Wie weit darauf germanische Sitte eingewirkt hatte, läſst sich kaum
mit voller Sicherheit bestimmen. Die Stellung des westgotischen bucellarius ist
trotz des römischen Namens in wesentlichen Zügen die des germanischen Gefolgs-
manns und beruht auf einem kündbaren Dienstverhältnisse.
28 Die älteste sichere Fundstelle für freie Vassen ist Lex Alamannorum 36, 3:
qualiscumque persona sit aut vassus duce aut comite aut qualis persona, nemo
neglegat ad ipsum placitum venire. Die Dingpflicht kennzeichnet diese Vassen als
Freie. Lex Baiuw. II 14 kennt auch bereits den freien vassus regis.
29 Als unfreie Vassen begegnen entweder solche, die im Hause des Herrn
leben, oder solche, die als Ersatz des Unterhaltes im Hause des Herren Grundstücke
erhalten haben. Zeuſs, Trad. Wizenb. Nr. 17, S. 25 v. J. 739; Nr. 52, S. 54.
Pardessus, Dipl. II, Nr. 476, S. 284 v. J. 710. Lex Alam. 74. Ein unfreier Vas-
sallus im Cap. Comp. v. J. 757, c. 9, I 38, worüber Ehrenberg, Commendation
S. 16, zu vergleichen ist. Unfreie Vassen setzt voraus das Cap. miss. I 66, c. 4,
wo es von servi spricht, qui in bassallatico honorati sunt. Die Capitula Remedii
unterscheiden in c. 3 den vassallus dominicus, der ingenuus, und den, der servus
ist. — Unfreie Vassen kennt die Normandie noch im elften Jahrhundert. Gallia
christiana XI, Nr. 65: Rudolf Taisson schenkt i. J. 1047 bei der Gründung von
Fontenay u. a. duos vavassores.
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[262/0280] § 92. Gefolgschaft und Vassallität. sprünglich wie ministerialis einen höheren Knecht, nämlich einen solchen, der im Hause, in der Umgebung des Herrn dient 26. Vassi oder pueri pflegten im merowingischen Gallien die Groſsen als krie- gerisches Gefolge auszurüsten und zu verwenden. Dieser Rest des gallo-römischen Privatsoldatentums 27 ist der germanischen Gefolgschaft angeglichen worden. Seit dem achten Jahrhundert finden sich freie Vassen 28 neben den unfreien 29 und wird das Wort vassus vorzugs- weise auf ein höheres Schutz- und Dienstverhältnis bezogen, welches wir Vassallität nennen. Diese stellt sich als eine Fortbildung der Gefolgschaft dar. In Neustrien entstanden, ist sie nicht vollständig frei von Merkmalen, die, dem germanischen Gefolgswesen fremd, auf gallo-römische Einflüsse zurückführen. Im Kreise der königlichen Gefolgschaft sind es die Vassallen, durch welche die Antrustionen ersetzt wurden. In den Antrustionen löste sich vom Königshof eine ältere Schicht der Gefolgschaft ab, die für wirklichen Gefolgsdienst zu vornehm geworden und durch Abschichtung und ständische Abschlieſsung ihrem ursprünglichen Be- ruf entwachsen war. An ihre Stelle trat mit der Vassallität eine Schicht der Gefolgschaft, die aus der eigentlichen Hausdienerschaft hervorgegangen war. Frappante Analogien dieses Vorganges bietet die Entwickelung des angelsächsischen Gefolgswesens dar. Bei den Angelsachsen wird der Gesith durch den Thegn abgelöst. Den Thegn kennzeichnet aber ursprünglich ein bestimmtes Amt, ministerium, im 26 Siehe oben I 234. 27 Wie weit darauf germanische Sitte eingewirkt hatte, läſst sich kaum mit voller Sicherheit bestimmen. Die Stellung des westgotischen bucellarius ist trotz des römischen Namens in wesentlichen Zügen die des germanischen Gefolgs- manns und beruht auf einem kündbaren Dienstverhältnisse. 28 Die älteste sichere Fundstelle für freie Vassen ist Lex Alamannorum 36, 3: qualiscumque persona sit aut vassus duce aut comite aut qualis persona, nemo neglegat ad ipsum placitum venire. Die Dingpflicht kennzeichnet diese Vassen als Freie. Lex Baiuw. II 14 kennt auch bereits den freien vassus regis. 29 Als unfreie Vassen begegnen entweder solche, die im Hause des Herrn leben, oder solche, die als Ersatz des Unterhaltes im Hause des Herren Grundstücke erhalten haben. Zeuſs, Trad. Wizenb. Nr. 17, S. 25 v. J. 739; Nr. 52, S. 54. Pardessus, Dipl. II, Nr. 476, S. 284 v. J. 710. Lex Alam. 74. Ein unfreier Vas- sallus im Cap. Comp. v. J. 757, c. 9, I 38, worüber Ehrenberg, Commendation S. 16, zu vergleichen ist. Unfreie Vassen setzt voraus das Cap. miss. I 66, c. 4, wo es von servi spricht, qui in bassallatico honorati sunt. Die Capitula Remedii unterscheiden in c. 3 den vassallus dominicus, der ingenuus, und den, der servus ist. — Unfreie Vassen kennt die Normandie noch im elften Jahrhundert. Gallia christiana XI, Nr. 65: Rudolf Taisson schenkt i. J. 1047 bei der Gründung von Fontenay u. a. duos vavassores.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/280>, abgerufen am 25.11.2024.