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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 60. Die königliche Gewalt.
in Privatrechte der Unterthanen nach dessen Tode von König Gunt-
chram im Rechtswege gesühnt wurden 5.

Auch in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts war die Gewalt
des Königs keine rechtlich unbeschränkte. Den Bann sollte der König
nur im Rahmen des geltenden Rechtes (legibus) ausüben 6. Der Unter-
than war ihm nur gemäss dem bestehenden Rechte Gehorsam schuldig.
Wo die Rechtsprechung der Volksgerichte durch die Gerichtsgemein-
den erfolgte, stand es dem König nicht zu, darauf unmittelbaren Ein-
fluss zu üben, noch vermochte er im Wege einseitiger Gesetzgebung
neues Volksrecht zu schaffen 7. In den Tagen seiner höchsten Macht-
fülle war das Königtum nicht imstande, in Fragen der Besteuerung
den Widerstand auch nur der römischen Bevölkerung zu brechen.
Sogar in Sachen der Heergewalt musste es nicht selten seinen Willen
vor dem des versammelten Heeres beugen.

Der übermässigen Spannung folgte als Rückschlag eine dauernde
Schwächung der königlichen Gewalt. Den Wendepunkt bezeichnet
das Edikt Chlothars II. vom Jahre 614. Unter dem Drucke der Amts-
aristokratie, die im Königsdienste grossgeworden war, sah sich der
König damals veranlasst, eine Reihe von Konzessionen zu gewährleisten
und die Abschaffung von Missbräuchen zu versprechen. Nicht mit Un-
recht hat man das Edikt Chlothars als die fränkische Magna Charta
Libertatum bezeichnet, mit der es auch in sachlichen Einzelheiten
zufällig übereinstimmt 8. Vier bis fünf Generationen waren vergangen
nach einer vom Herrscher des erobernden Volkes eingeleiteten Erobe-
rung, als das Königtum in der englischen Magna Charta wie im frän-
kischen Edikt von 614 eine Beschränkung der als Frucht der Erobe-
rung gewonnenen Machtfülle zugestehen musste, weil die von ihm
grossgezogene Amtsaristokratie es inzwischen gelernt hatte, sich als
selbständige Gewalt im Staate zu fühlen.

Die Reihe der Thatsachen und Vorgänge, durch welche die Haus-
meier zuerst als Führer, dann als Gegner und endlich als Herren der
Aristokratie die Befugnisse des Königtums an sich zogen, bedeutete
in ihrem schliesslichen Ergebnis nicht die Aufhebung, sondern die
Wiederherstellung der königlichen Gewalt. Unter den Karolingern
haben die Heranziehung der Kirche zu den unmittelbaren Staats-
aufgaben und die Ausdehnung des Benifizialwesens und der Vassallität
zunächst eine fortschreitende Stärkung der königlichen Gewalt in die

5 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 7.
6 Lex Rib. 65, 1.
7 Siehe oben I 278, 375.
8 Siehe unten § 66.

§ 60. Die königliche Gewalt.
in Privatrechte der Unterthanen nach dessen Tode von König Gunt-
chram im Rechtswege gesühnt wurden 5.

Auch in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts war die Gewalt
des Königs keine rechtlich unbeschränkte. Den Bann sollte der König
nur im Rahmen des geltenden Rechtes (legibus) ausüben 6. Der Unter-
than war ihm nur gemäſs dem bestehenden Rechte Gehorsam schuldig.
Wo die Rechtsprechung der Volksgerichte durch die Gerichtsgemein-
den erfolgte, stand es dem König nicht zu, darauf unmittelbaren Ein-
fluſs zu üben, noch vermochte er im Wege einseitiger Gesetzgebung
neues Volksrecht zu schaffen 7. In den Tagen seiner höchsten Macht-
fülle war das Königtum nicht imstande, in Fragen der Besteuerung
den Widerstand auch nur der römischen Bevölkerung zu brechen.
Sogar in Sachen der Heergewalt muſste es nicht selten seinen Willen
vor dem des versammelten Heeres beugen.

Der übermäſsigen Spannung folgte als Rückschlag eine dauernde
Schwächung der königlichen Gewalt. Den Wendepunkt bezeichnet
das Edikt Chlothars II. vom Jahre 614. Unter dem Drucke der Amts-
aristokratie, die im Königsdienste groſsgeworden war, sah sich der
König damals veranlaſst, eine Reihe von Konzessionen zu gewährleisten
und die Abschaffung von Miſsbräuchen zu versprechen. Nicht mit Un-
recht hat man das Edikt Chlothars als die fränkische Magna Charta
Libertatum bezeichnet, mit der es auch in sachlichen Einzelheiten
zufällig übereinstimmt 8. Vier bis fünf Generationen waren vergangen
nach einer vom Herrscher des erobernden Volkes eingeleiteten Erobe-
rung, als das Königtum in der englischen Magna Charta wie im frän-
kischen Edikt von 614 eine Beschränkung der als Frucht der Erobe-
rung gewonnenen Machtfülle zugestehen muſste, weil die von ihm
groſsgezogene Amtsaristokratie es inzwischen gelernt hatte, sich als
selbständige Gewalt im Staate zu fühlen.

Die Reihe der Thatsachen und Vorgänge, durch welche die Haus-
meier zuerst als Führer, dann als Gegner und endlich als Herren der
Aristokratie die Befugnisse des Königtums an sich zogen, bedeutete
in ihrem schlieſslichen Ergebnis nicht die Aufhebung, sondern die
Wiederherstellung der königlichen Gewalt. Unter den Karolingern
haben die Heranziehung der Kirche zu den unmittelbaren Staats-
aufgaben und die Ausdehnung des Benifizialwesens und der Vassallität
zunächst eine fortschreitende Stärkung der königlichen Gewalt in die

5 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 7.
6 Lex Rib. 65, 1.
7 Siehe oben I 278, 375.
8 Siehe unten § 66.
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[10/0028] § 60. Die königliche Gewalt. in Privatrechte der Unterthanen nach dessen Tode von König Gunt- chram im Rechtswege gesühnt wurden 5. Auch in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts war die Gewalt des Königs keine rechtlich unbeschränkte. Den Bann sollte der König nur im Rahmen des geltenden Rechtes (legibus) ausüben 6. Der Unter- than war ihm nur gemäſs dem bestehenden Rechte Gehorsam schuldig. Wo die Rechtsprechung der Volksgerichte durch die Gerichtsgemein- den erfolgte, stand es dem König nicht zu, darauf unmittelbaren Ein- fluſs zu üben, noch vermochte er im Wege einseitiger Gesetzgebung neues Volksrecht zu schaffen 7. In den Tagen seiner höchsten Macht- fülle war das Königtum nicht imstande, in Fragen der Besteuerung den Widerstand auch nur der römischen Bevölkerung zu brechen. Sogar in Sachen der Heergewalt muſste es nicht selten seinen Willen vor dem des versammelten Heeres beugen. Der übermäſsigen Spannung folgte als Rückschlag eine dauernde Schwächung der königlichen Gewalt. Den Wendepunkt bezeichnet das Edikt Chlothars II. vom Jahre 614. Unter dem Drucke der Amts- aristokratie, die im Königsdienste groſsgeworden war, sah sich der König damals veranlaſst, eine Reihe von Konzessionen zu gewährleisten und die Abschaffung von Miſsbräuchen zu versprechen. Nicht mit Un- recht hat man das Edikt Chlothars als die fränkische Magna Charta Libertatum bezeichnet, mit der es auch in sachlichen Einzelheiten zufällig übereinstimmt 8. Vier bis fünf Generationen waren vergangen nach einer vom Herrscher des erobernden Volkes eingeleiteten Erobe- rung, als das Königtum in der englischen Magna Charta wie im frän- kischen Edikt von 614 eine Beschränkung der als Frucht der Erobe- rung gewonnenen Machtfülle zugestehen muſste, weil die von ihm groſsgezogene Amtsaristokratie es inzwischen gelernt hatte, sich als selbständige Gewalt im Staate zu fühlen. Die Reihe der Thatsachen und Vorgänge, durch welche die Haus- meier zuerst als Führer, dann als Gegner und endlich als Herren der Aristokratie die Befugnisse des Königtums an sich zogen, bedeutete in ihrem schlieſslichen Ergebnis nicht die Aufhebung, sondern die Wiederherstellung der königlichen Gewalt. Unter den Karolingern haben die Heranziehung der Kirche zu den unmittelbaren Staats- aufgaben und die Ausdehnung des Benifizialwesens und der Vassallität zunächst eine fortschreitende Stärkung der königlichen Gewalt in die 5 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 7. 6 Lex Rib. 65, 1. 7 Siehe oben I 278, 375. 8 Siehe unten § 66.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/28>, abgerufen am 24.11.2024.