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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 88. Dingpflicht und Gerichtswesen.

Hand in Hand ging mit der Beschränkung der allgemeinen Ding-
pflicht die Einführung des Schöffentums. Scabinus, altniederdeutsch
scepino, ist ein Wort von fränkischer Herkunft 22. Es begegnet uns
zuerst in Formeln, welche dem salischen Rechtsgebiete angehören und
aus den Jahren 770--775 stammen 23. Die Schöffen sind ständige
Rachineburgen. Thatsächlich mochte sich schon vor Karl dem Grossen
wenigstens in einzelnen Gegenden des fränkischen Rechtsgebietes eine
gewisse Stätigkeit der Urteilfinderfunktion ausgebildet haben, indem
die Auswahl zum Rachineburgen sich auf einen engen Kreis geeigneter
Persönlichkeiten beschränkte. Die Schöffen fungierten als Urteil-
finder in den Vollgerichten, wo ihr Urteil durch das Vollwort des
Umstandes gestätigt wurde. Sie konnten als ausschliessliche Urteiler
in den gebotenen Gerichten fungieren, in welchen ausser den Parteien
und Zeugen nur der Richter und die Schöffen erscheinen mussten 24.
Auch diese Neuerung Karls konnte ohne Eingriff in das Volksrecht
auf dem Wege der Verordnung und Verwaltung durchgeführt werden.
War die Besetzung der Urteilfinderbank und die Auswahl der Ding-
leute für die gebotenen Dinge von jeher ein Recht des Richters,
so bedurfte es nur einer Anweisung des Königs an seine Beamten,
um an Stelle der ad hoc ausgewählten Urteilfinder und der ad hoc
berufenen Dingleute ständige Schöffen zu setzen.

Das Schöffentum war ein 'ministerium' 25, ein dauerndes und zwar

22 Von skapjan, schaffen, ordnen, bestimmen. Grimm, RA S. 775. 768.
v. Amira, Recht S. 186. Altfränk. *scapin, fries. sceppena, ahd. sceffino, scafino,
daneben die Formen scaphio, Schöffe, scefel, Schöffel. Das Wort scapin mag
in den Stammsitzen des arnulfingischen Hauses bereits als Bezeichnung der Ra-
chineburgen, vielleicht ständiger Rachineburgen, gedient haben, ehe ihm Karl der
Grosse seine allgemeine technische Anwendung verschaffte.
23 Bignon. 7. Merkel. 32. Es folgen Cart. de S. Victor de Marseille I 43
v. J. 780, Urk. Karls v. J. 781, Mühlbacher Nr. 238, Urk. Karls von ungefähr
782, Mühlbacher Nr. 252, Urk. Karls v. J. 797, Mühlbacher Nr. 326, Form.
Lindenbrog. 19. 21. Die angeblich älteren Fundstellen gehören unechten Urkun-
den an, darunter ganz zweifellos auch die von Viollet, Histoire S. 311, Anm. 3,
angeführte, oder beruhen auf unrichtiger Auflösung von Abkürzungen, ausgenom-
men Brunetti, Cod. dipl. Toscano II 1, S. 213, für Pistoja, die aber nicht aus dem
Jahre 774, sondern aus dem Jahre 880 stammt. Siehe Mitth. des Inst. für österr.
Gf. VIII 178 ff.
24 Cap. miss. v. J. 803, c. 20, I 116. Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 5, I 148.
Cap. miss. Aquisgr. v. J. 809, c. 13, I 150. Cap. ital. 781--810, c. 12, I 207.
Pipp. Cap. ital. 801--810, c. 14, I 210. Cap. miss. v. J. 819, c. 14, I 290. Con-
cessio gener. v. J. 823 (?), c. 2, I 320. Cap. pro lege tenend. Worm. v. J. 829,
c. 5, II 19.
25 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 11, I 149.
§ 88. Dingpflicht und Gerichtswesen.

Hand in Hand ging mit der Beschränkung der allgemeinen Ding-
pflicht die Einführung des Schöffentums. Scabinus, altniederdeutsch
scepino, ist ein Wort von fränkischer Herkunft 22. Es begegnet uns
zuerst in Formeln, welche dem salischen Rechtsgebiete angehören und
aus den Jahren 770—775 stammen 23. Die Schöffen sind ständige
Rachineburgen. Thatsächlich mochte sich schon vor Karl dem Groſsen
wenigstens in einzelnen Gegenden des fränkischen Rechtsgebietes eine
gewisse Stätigkeit der Urteilfinderfunktion ausgebildet haben, indem
die Auswahl zum Rachineburgen sich auf einen engen Kreis geeigneter
Persönlichkeiten beschränkte. Die Schöffen fungierten als Urteil-
finder in den Vollgerichten, wo ihr Urteil durch das Vollwort des
Umstandes gestätigt wurde. Sie konnten als ausschlieſsliche Urteiler
in den gebotenen Gerichten fungieren, in welchen auſser den Parteien
und Zeugen nur der Richter und die Schöffen erscheinen muſsten 24.
Auch diese Neuerung Karls konnte ohne Eingriff in das Volksrecht
auf dem Wege der Verordnung und Verwaltung durchgeführt werden.
War die Besetzung der Urteilfinderbank und die Auswahl der Ding-
leute für die gebotenen Dinge von jeher ein Recht des Richters,
so bedurfte es nur einer Anweisung des Königs an seine Beamten,
um an Stelle der ad hoc ausgewählten Urteilfinder und der ad hoc
berufenen Dingleute ständige Schöffen zu setzen.

Das Schöffentum war ein ‘ministerium’ 25, ein dauerndes und zwar

22 Von skapjan, schaffen, ordnen, bestimmen. Grimm, RA S. 775. 768.
v. Amira, Recht S. 186. Altfränk. *scapin, fries. sceppena, ahd. sceffino, scafino,
daneben die Formen scaphio, Schöffe, scefel, Schöffel. Das Wort scapin mag
in den Stammsitzen des arnulfingischen Hauses bereits als Bezeichnung der Ra-
chineburgen, vielleicht ständiger Rachineburgen, gedient haben, ehe ihm Karl der
Groſse seine allgemeine technische Anwendung verschaffte.
23 Bignon. 7. Merkel. 32. Es folgen Cart. de S. Victor de Marseille I 43
v. J. 780, Urk. Karls v. J. 781, Mühlbacher Nr. 238, Urk. Karls von ungefähr
782, Mühlbacher Nr. 252, Urk. Karls v. J. 797, Mühlbacher Nr. 326, Form.
Lindenbrog. 19. 21. Die angeblich älteren Fundstellen gehören unechten Urkun-
den an, darunter ganz zweifellos auch die von Viollet, Histoire S. 311, Anm. 3,
angeführte, oder beruhen auf unrichtiger Auflösung von Abkürzungen, ausgenom-
men Brunetti, Cod. dipl. Toscano II 1, S. 213, für Pistoja, die aber nicht aus dem
Jahre 774, sondern aus dem Jahre 880 stammt. Siehe Mitth. des Inst. für österr.
Gf. VIII 178 ff.
24 Cap. miss. v. J. 803, c. 20, I 116. Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 5, I 148.
Cap. miss. Aquisgr. v. J. 809, c. 13, I 150. Cap. ital. 781—810, c. 12, I 207.
Pipp. Cap. ital. 801—810, c. 14, I 210. Cap. miss. v. J. 819, c. 14, I 290. Con-
cessio gener. v. J. 823 (?), c. 2, I 320. Cap. pro lege tenend. Worm. v. J. 829,
c. 5, II 19.
25 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 11, I 149.
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[223/0241] § 88. Dingpflicht und Gerichtswesen. Hand in Hand ging mit der Beschränkung der allgemeinen Ding- pflicht die Einführung des Schöffentums. Scabinus, altniederdeutsch scepino, ist ein Wort von fränkischer Herkunft 22. Es begegnet uns zuerst in Formeln, welche dem salischen Rechtsgebiete angehören und aus den Jahren 770—775 stammen 23. Die Schöffen sind ständige Rachineburgen. Thatsächlich mochte sich schon vor Karl dem Groſsen wenigstens in einzelnen Gegenden des fränkischen Rechtsgebietes eine gewisse Stätigkeit der Urteilfinderfunktion ausgebildet haben, indem die Auswahl zum Rachineburgen sich auf einen engen Kreis geeigneter Persönlichkeiten beschränkte. Die Schöffen fungierten als Urteil- finder in den Vollgerichten, wo ihr Urteil durch das Vollwort des Umstandes gestätigt wurde. Sie konnten als ausschlieſsliche Urteiler in den gebotenen Gerichten fungieren, in welchen auſser den Parteien und Zeugen nur der Richter und die Schöffen erscheinen muſsten 24. Auch diese Neuerung Karls konnte ohne Eingriff in das Volksrecht auf dem Wege der Verordnung und Verwaltung durchgeführt werden. War die Besetzung der Urteilfinderbank und die Auswahl der Ding- leute für die gebotenen Dinge von jeher ein Recht des Richters, so bedurfte es nur einer Anweisung des Königs an seine Beamten, um an Stelle der ad hoc ausgewählten Urteilfinder und der ad hoc berufenen Dingleute ständige Schöffen zu setzen. Das Schöffentum war ein ‘ministerium’ 25, ein dauerndes und zwar 22 Von skapjan, schaffen, ordnen, bestimmen. Grimm, RA S. 775. 768. v. Amira, Recht S. 186. Altfränk. *scapin, fries. sceppena, ahd. sceffino, scafino, daneben die Formen scaphio, Schöffe, scefel, Schöffel. Das Wort scapin mag in den Stammsitzen des arnulfingischen Hauses bereits als Bezeichnung der Ra- chineburgen, vielleicht ständiger Rachineburgen, gedient haben, ehe ihm Karl der Groſse seine allgemeine technische Anwendung verschaffte. 23 Bignon. 7. Merkel. 32. Es folgen Cart. de S. Victor de Marseille I 43 v. J. 780, Urk. Karls v. J. 781, Mühlbacher Nr. 238, Urk. Karls von ungefähr 782, Mühlbacher Nr. 252, Urk. Karls v. J. 797, Mühlbacher Nr. 326, Form. Lindenbrog. 19. 21. Die angeblich älteren Fundstellen gehören unechten Urkun- den an, darunter ganz zweifellos auch die von Viollet, Histoire S. 311, Anm. 3, angeführte, oder beruhen auf unrichtiger Auflösung von Abkürzungen, ausgenom- men Brunetti, Cod. dipl. Toscano II 1, S. 213, für Pistoja, die aber nicht aus dem Jahre 774, sondern aus dem Jahre 880 stammt. Siehe Mitth. des Inst. für österr. Gf. VIII 178 ff. 24 Cap. miss. v. J. 803, c. 20, I 116. Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 5, I 148. Cap. miss. Aquisgr. v. J. 809, c. 13, I 150. Cap. ital. 781—810, c. 12, I 207. Pipp. Cap. ital. 801—810, c. 14, I 210. Cap. miss. v. J. 819, c. 14, I 290. Con- cessio gener. v. J. 823 (?), c. 2, I 320. Cap. pro lege tenend. Worm. v. J. 829, c. 5, II 19. 25 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 11, I 149.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/241>, abgerufen am 22.11.2024.