älteren deutschen Rechtes, jener Formalismus, wie er sich namentlich in der Geschichte des Rechtsganges und des Strafrechtes äussert, tritt uns in keiner der staatsrechtlichen Institutionen so merklich entgegen, wie in der des Königtums. Es ist ein durchaus unrömischer Zug, dass die Franken ein Königtum, welches weder die Macht noch den Inhalt, sondern nur noch die Form des Königtums bewahrt hatte, etwa ein Jahrhundert hindurch trugen und ertrugen, bis ihnen der römische Pontifex sagte, dass es besser sei, wenn der König heisse, der die Macht besitzt.
Auch wenn der unmittelbare Einfluss der römischen Ordnungen noch erheblich weiter gegangen sein sollte, als er bisher im einzelnen nachgewiesen werden kann, selbst wenn wir absehen von der Möglich- keit, dass in den spätrömischen Zuständen schon manches germanisch sein dürfte, was römisch aussieht 8, werden wir den Grundtypus des fränkischen Staatsrechtes als deutsch bezeichnen müssen. Er ist es, durch den das fränkische Reich sich in voller Schärfe abhebt von den Zwitterstaaten, welche die Ostgermanen auf römischer Erde gegründet hatten. Damit soll nicht geleugnet werden, dass die spätrömischen Zustände eine tiefgreifende und nachhaltige Einwirkung auf die Ent- wicklung des fränkischen Staatsrechtes ausübten. Allein der Schwer- punkt dieser Einwirkung ist nicht dort zu suchen, wo man ihn in der Regel sucht, nicht unter den Faktoren, welche Staaten bilden und erhalten, sondern unter den zersetzenden und auflösenden Kräften. Die Behauptung klingt paradox. Um sie zu begründen, gilt es, von einer rückwärts schauenden Betrachtung auszugehen.
Die Erscheinungen, die dem allgemeinen historischen Bewusstsein der Gegenwart das deutsche Mittelalter hauptsächlich kennzeichnen, ein kirchlich gefärbtes Kaisertum, dessen Macht seinen universalen Aufgaben nicht gewachsen ist, eine Kirche, welche die Staatsgewalt fast ohne Unterbrechung bekämpft oder untergräbt, endlich das Ge- menge jener Einrichtungen, die man unter dem Schlagworte Feudalis- mus zusammenfasst, stellen sich als die verhängnisvolle Erbschaft dar, die das heilige römische Reich deutscher Nation aus dem Nachlass der fränkischen Monarchie übernommen hatte.
Die abendländische Kaiserkrone war Karl dem Grossen zu teil geworden als der staatsrechtliche Ausdruck jener Verquickung von Kirche und Staat, welche sich seit den Anfängen der karolingischen Zeit vollzogen hatte und nachmals unablässige Reibungen zwischen beiden Gewalten herbeiführte. Jene Verquickung geht aber zurück
8 Vergleiche oben I 32 ff. und unten S. 5 Anm. 9.
§ 59. Einleitung.
älteren deutschen Rechtes, jener Formalismus, wie er sich namentlich in der Geschichte des Rechtsganges und des Strafrechtes äuſsert, tritt uns in keiner der staatsrechtlichen Institutionen so merklich entgegen, wie in der des Königtums. Es ist ein durchaus unrömischer Zug, daſs die Franken ein Königtum, welches weder die Macht noch den Inhalt, sondern nur noch die Form des Königtums bewahrt hatte, etwa ein Jahrhundert hindurch trugen und ertrugen, bis ihnen der römische Pontifex sagte, daſs es besser sei, wenn der König heiſse, der die Macht besitzt.
Auch wenn der unmittelbare Einfluſs der römischen Ordnungen noch erheblich weiter gegangen sein sollte, als er bisher im einzelnen nachgewiesen werden kann, selbst wenn wir absehen von der Möglich- keit, daſs in den spätrömischen Zuständen schon manches germanisch sein dürfte, was römisch aussieht 8, werden wir den Grundtypus des fränkischen Staatsrechtes als deutsch bezeichnen müssen. Er ist es, durch den das fränkische Reich sich in voller Schärfe abhebt von den Zwitterstaaten, welche die Ostgermanen auf römischer Erde gegründet hatten. Damit soll nicht geleugnet werden, daſs die spätrömischen Zustände eine tiefgreifende und nachhaltige Einwirkung auf die Ent- wicklung des fränkischen Staatsrechtes ausübten. Allein der Schwer- punkt dieser Einwirkung ist nicht dort zu suchen, wo man ihn in der Regel sucht, nicht unter den Faktoren, welche Staaten bilden und erhalten, sondern unter den zersetzenden und auflösenden Kräften. Die Behauptung klingt paradox. Um sie zu begründen, gilt es, von einer rückwärts schauenden Betrachtung auszugehen.
Die Erscheinungen, die dem allgemeinen historischen Bewuſstsein der Gegenwart das deutsche Mittelalter hauptsächlich kennzeichnen, ein kirchlich gefärbtes Kaisertum, dessen Macht seinen universalen Aufgaben nicht gewachsen ist, eine Kirche, welche die Staatsgewalt fast ohne Unterbrechung bekämpft oder untergräbt, endlich das Ge- menge jener Einrichtungen, die man unter dem Schlagworte Feudalis- mus zusammenfaſst, stellen sich als die verhängnisvolle Erbschaft dar, die das heilige römische Reich deutscher Nation aus dem Nachlaſs der fränkischen Monarchie übernommen hatte.
Die abendländische Kaiserkrone war Karl dem Groſsen zu teil geworden als der staatsrechtliche Ausdruck jener Verquickung von Kirche und Staat, welche sich seit den Anfängen der karolingischen Zeit vollzogen hatte und nachmals unablässige Reibungen zwischen beiden Gewalten herbeiführte. Jene Verquickung geht aber zurück
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§ 59. Einleitung.
älteren deutschen Rechtes, jener Formalismus, wie er sich namentlich
in der Geschichte des Rechtsganges und des Strafrechtes äuſsert, tritt
uns in keiner der staatsrechtlichen Institutionen so merklich entgegen,
wie in der des Königtums. Es ist ein durchaus unrömischer Zug,
daſs die Franken ein Königtum, welches weder die Macht noch den
Inhalt, sondern nur noch die Form des Königtums bewahrt hatte,
etwa ein Jahrhundert hindurch trugen und ertrugen, bis ihnen der
römische Pontifex sagte, daſs es besser sei, wenn der König heiſse,
der die Macht besitzt.
Auch wenn der unmittelbare Einfluſs der römischen Ordnungen
noch erheblich weiter gegangen sein sollte, als er bisher im einzelnen
nachgewiesen werden kann, selbst wenn wir absehen von der Möglich-
keit, daſs in den spätrömischen Zuständen schon manches germanisch
sein dürfte, was römisch aussieht 8, werden wir den Grundtypus des
fränkischen Staatsrechtes als deutsch bezeichnen müssen. Er ist es,
durch den das fränkische Reich sich in voller Schärfe abhebt von den
Zwitterstaaten, welche die Ostgermanen auf römischer Erde gegründet
hatten. Damit soll nicht geleugnet werden, daſs die spätrömischen
Zustände eine tiefgreifende und nachhaltige Einwirkung auf die Ent-
wicklung des fränkischen Staatsrechtes ausübten. Allein der Schwer-
punkt dieser Einwirkung ist nicht dort zu suchen, wo man ihn in
der Regel sucht, nicht unter den Faktoren, welche Staaten bilden und
erhalten, sondern unter den zersetzenden und auflösenden Kräften.
Die Behauptung klingt paradox. Um sie zu begründen, gilt es, von
einer rückwärts schauenden Betrachtung auszugehen.
Die Erscheinungen, die dem allgemeinen historischen Bewuſstsein
der Gegenwart das deutsche Mittelalter hauptsächlich kennzeichnen,
ein kirchlich gefärbtes Kaisertum, dessen Macht seinen universalen
Aufgaben nicht gewachsen ist, eine Kirche, welche die Staatsgewalt
fast ohne Unterbrechung bekämpft oder untergräbt, endlich das Ge-
menge jener Einrichtungen, die man unter dem Schlagworte Feudalis-
mus zusammenfaſst, stellen sich als die verhängnisvolle Erbschaft dar,
die das heilige römische Reich deutscher Nation aus dem Nachlaſs
der fränkischen Monarchie übernommen hatte.
Die abendländische Kaiserkrone war Karl dem Groſsen zu teil
geworden als der staatsrechtliche Ausdruck jener Verquickung von
Kirche und Staat, welche sich seit den Anfängen der karolingischen
Zeit vollzogen hatte und nachmals unablässige Reibungen zwischen
beiden Gewalten herbeiführte. Jene Verquickung geht aber zurück
8 Vergleiche oben I 32 ff. und unten S. 5 Anm. 9.
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/22>, abgerufen am 24.11.2024.
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