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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 85. Die königlichen Missi.

Seit Ludwig I. begann die Einrichtung zu entarten und zu ver-
fallen. Zunächst gewannen die Reichstage massgebenden Einfluss auf
die Absendung und Bestellung der Missi 38. Hatte Karl der Grosse
die hohen Reichsbeamten als Missi regelmässig nur in Sprengeln ver-
wendet, in welchen sie fremd waren, so wurden seit Ludwig I. nach
dem Willen der Grossen die einzelnen missatischen Bezirke gerade
solchen Persönlichkeiten zugewiesen, die darin als hohe Reichsbeamte
ihren ständigen Amtssitz hatten 39, sodass territoriale Gewalten zu
missatischer Stellung gelangten 40. Die herkömmliche Absendung von
Missi geschah nur noch für Gebiete, wo besondere örtliche Bedürf-
nisse vorlagen. Dagegen erschien es bereits als eine ausserordentliche
Thatsache, wenn noch Missi in das ganze Reich geschickt wurden.
So hörte die Einrichtung auf, das zu sein, was Karl der Grosse aus
ihr gemacht hatte, ein organisches Glied der Reichsverwaltung.

In Italien und im westfränkischen Reiche fand die Abordnung
von ordentlichen wandernden Missi gelegentlich noch in der zweiten
Hälfte des neunten Jahrhunderts als allgemeine Massregel statt.
Daneben entwickelte sich aus der Übertragung der missatischen
Befugnisse an die Ortsgewalten die Einrichtung ständiger Missi 41.
In Kapitularien aus den Jahren 853 und 873 setzt sie Karl II. als
vorhanden voraus 42; denn er rechnet mit dem Falle, dass ein Verbrecher,
den ein Missus gebannt hat, in ein anderes Missaticum flieht, und
befiehlt dem Missus, die Namen der von ihm gebannten Verbrecher
den übrigen (den benachbarten) Missi mitzuteilen, damit sie jene er-
greifen und einliefern können, Vorschriften, die nur auf ständige Missi
passen. Den italienischen Bischöfen machte Karl II. i. J. 876 sogar die
Konzession, dass jeder Bischof in seinem Bistum missatische Gewalt
haben solle 43. Ordentliche, wie es scheint, ständige Missi werden in

38 Krause a. O. S. 31 ff.
39 Krause a. O. S. 43 ff. Mühlbacher, D. Gesch. S. 359.
40 Krause a. O. S. 45 ff. Damit hängt es zusammen, dass statt des Aus-
drucks missi directi der Ausdruck missi constituti verwendet wird. Das dirigere
passte nicht mehr für missi, die in ihrem Sprengel ansässig waren. Die Einsetzung
eines ständigen Missus ist in dem Worte constituere nicht notwendig enthalten.
41 Ein Kapitular Karls II., Conv. apud Confluentes v. J. 860, Pertz, LL I 473,
c. 8 und 475, lin. 50, zeigt wandernde Missi (discurrentes) in Konkurrenz mit missi
maiores per ipsum missaticum constituti, unter welchen ständige Missi gemeint sein
dürften. Krause a. O. S. 47.
42 Cap. Silvac. c. 7. Cap. Carisiac. c. 1, Pertz, LL I 425. 519.
43 Karoli II Cap. Pap. v. J. 876, c. 12, II 103: ipsi nihilominus episcopi
singuli in suo episcopio missatici nostri potestate et auctoritate fungantur. In Ita-
lien scheint diese Konzession den Tod Karls II (877) nicht überdauert zu haben.
§ 85. Die königlichen Missi.

Seit Ludwig I. begann die Einrichtung zu entarten und zu ver-
fallen. Zunächst gewannen die Reichstage maſsgebenden Einfluſs auf
die Absendung und Bestellung der Missi 38. Hatte Karl der Groſse
die hohen Reichsbeamten als Missi regelmäſsig nur in Sprengeln ver-
wendet, in welchen sie fremd waren, so wurden seit Ludwig I. nach
dem Willen der Groſsen die einzelnen missatischen Bezirke gerade
solchen Persönlichkeiten zugewiesen, die darin als hohe Reichsbeamte
ihren ständigen Amtssitz hatten 39, sodaſs territoriale Gewalten zu
missatischer Stellung gelangten 40. Die herkömmliche Absendung von
Missi geschah nur noch für Gebiete, wo besondere örtliche Bedürf-
nisse vorlagen. Dagegen erschien es bereits als eine auſserordentliche
Thatsache, wenn noch Missi in das ganze Reich geschickt wurden.
So hörte die Einrichtung auf, das zu sein, was Karl der Groſse aus
ihr gemacht hatte, ein organisches Glied der Reichsverwaltung.

In Italien und im westfränkischen Reiche fand die Abordnung
von ordentlichen wandernden Missi gelegentlich noch in der zweiten
Hälfte des neunten Jahrhunderts als allgemeine Maſsregel statt.
Daneben entwickelte sich aus der Übertragung der missatischen
Befugnisse an die Ortsgewalten die Einrichtung ständiger Missi 41.
In Kapitularien aus den Jahren 853 und 873 setzt sie Karl II. als
vorhanden voraus 42; denn er rechnet mit dem Falle, daſs ein Verbrecher,
den ein Missus gebannt hat, in ein anderes Missaticum flieht, und
befiehlt dem Missus, die Namen der von ihm gebannten Verbrecher
den übrigen (den benachbarten) Missi mitzuteilen, damit sie jene er-
greifen und einliefern können, Vorschriften, die nur auf ständige Missi
passen. Den italienischen Bischöfen machte Karl II. i. J. 876 sogar die
Konzession, daſs jeder Bischof in seinem Bistum missatische Gewalt
haben solle 43. Ordentliche, wie es scheint, ständige Missi werden in

38 Krause a. O. S. 31 ff.
39 Krause a. O. S. 43 ff. Mühlbacher, D. Gesch. S. 359.
40 Krause a. O. S. 45 ff. Damit hängt es zusammen, daſs statt des Aus-
drucks missi directi der Ausdruck missi constituti verwendet wird. Das dirigere
paſste nicht mehr für missi, die in ihrem Sprengel ansässig waren. Die Einsetzung
eines ständigen Missus ist in dem Worte constituere nicht notwendig enthalten.
41 Ein Kapitular Karls II., Conv. apud Confluentes v. J. 860, Pertz, LL I 473,
c. 8 und 475, lin. 50, zeigt wandernde Missi (discurrentes) in Konkurrenz mit missi
maiores per ipsum missaticum constituti, unter welchen ständige Missi gemeint sein
dürften. Krause a. O. S. 47.
42 Cap. Silvac. c. 7. Cap. Carisiac. c. 1, Pertz, LL I 425. 519.
43 Karoli II Cap. Pap. v. J. 876, c. 12, II 103: ipsi nihilominus episcopi
singuli in suo episcopio missatici nostri potestate et auctoritate fungantur. In Ita-
lien scheint diese Konzession den Tod Karls II (877) nicht überdauert zu haben.
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[196/0214] § 85. Die königlichen Missi. Seit Ludwig I. begann die Einrichtung zu entarten und zu ver- fallen. Zunächst gewannen die Reichstage maſsgebenden Einfluſs auf die Absendung und Bestellung der Missi 38. Hatte Karl der Groſse die hohen Reichsbeamten als Missi regelmäſsig nur in Sprengeln ver- wendet, in welchen sie fremd waren, so wurden seit Ludwig I. nach dem Willen der Groſsen die einzelnen missatischen Bezirke gerade solchen Persönlichkeiten zugewiesen, die darin als hohe Reichsbeamte ihren ständigen Amtssitz hatten 39, sodaſs territoriale Gewalten zu missatischer Stellung gelangten 40. Die herkömmliche Absendung von Missi geschah nur noch für Gebiete, wo besondere örtliche Bedürf- nisse vorlagen. Dagegen erschien es bereits als eine auſserordentliche Thatsache, wenn noch Missi in das ganze Reich geschickt wurden. So hörte die Einrichtung auf, das zu sein, was Karl der Groſse aus ihr gemacht hatte, ein organisches Glied der Reichsverwaltung. In Italien und im westfränkischen Reiche fand die Abordnung von ordentlichen wandernden Missi gelegentlich noch in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts als allgemeine Maſsregel statt. Daneben entwickelte sich aus der Übertragung der missatischen Befugnisse an die Ortsgewalten die Einrichtung ständiger Missi 41. In Kapitularien aus den Jahren 853 und 873 setzt sie Karl II. als vorhanden voraus 42; denn er rechnet mit dem Falle, daſs ein Verbrecher, den ein Missus gebannt hat, in ein anderes Missaticum flieht, und befiehlt dem Missus, die Namen der von ihm gebannten Verbrecher den übrigen (den benachbarten) Missi mitzuteilen, damit sie jene er- greifen und einliefern können, Vorschriften, die nur auf ständige Missi passen. Den italienischen Bischöfen machte Karl II. i. J. 876 sogar die Konzession, daſs jeder Bischof in seinem Bistum missatische Gewalt haben solle 43. Ordentliche, wie es scheint, ständige Missi werden in 38 Krause a. O. S. 31 ff. 39 Krause a. O. S. 43 ff. Mühlbacher, D. Gesch. S. 359. 40 Krause a. O. S. 45 ff. Damit hängt es zusammen, daſs statt des Aus- drucks missi directi der Ausdruck missi constituti verwendet wird. Das dirigere paſste nicht mehr für missi, die in ihrem Sprengel ansässig waren. Die Einsetzung eines ständigen Missus ist in dem Worte constituere nicht notwendig enthalten. 41 Ein Kapitular Karls II., Conv. apud Confluentes v. J. 860, Pertz, LL I 473, c. 8 und 475, lin. 50, zeigt wandernde Missi (discurrentes) in Konkurrenz mit missi maiores per ipsum missaticum constituti, unter welchen ständige Missi gemeint sein dürften. Krause a. O. S. 47. 42 Cap. Silvac. c. 7. Cap. Carisiac. c. 1, Pertz, LL I 425. 519. 43 Karoli II Cap. Pap. v. J. 876, c. 12, II 103: ipsi nihilominus episcopi singuli in suo episcopio missatici nostri potestate et auctoritate fungantur. In Ita- lien scheint diese Konzession den Tod Karls II (877) nicht überdauert zu haben.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/214>, abgerufen am 22.11.2024.