Hinsichtlich der Verwaltung im engeren Sinne geht die Vollmacht der Missi im allgemeinen dahin, zu verbessern, was sie verbesserungs- bedürftig fänden 34. Insbesondere liegt ihnen ob, die Kirchen, Wit- wen, Waisen und die kleinen Leute zu schützen. Die Missi verkün- den dem Volke Anordnungen des Königs, nehmen den Unterthanen den Treueid ab. Sie sollen den Bestand des Königsgutes in Evidenz halten, sowohl desjenigen, welches unmittelbar für den König ver- waltet wird, als auch desjenigen, welches als Benefizium verliehen ist 35, darüber Inventare nach festem Schema aufnehmen und an den Hof einsenden 36. Überdies ist es ihre Pflicht, den Eingang und die Verrechnung der fiskalischen Einkünfte zu kontrollieren.
Neben den ordentlichen Missi verwendet der König nach wie vor für einzelne Bedürfnisse der Reichsverwaltung ausserordentliche Missi. Sie erledigen Angelegenheiten, die nicht in den Geschäftskreis der ordentlichen Missi fallen, fungieren als politische Gesandte, als Führer von Heeresabteilungen, setzen Grafen ein und ab, vertreten den Fiskus als Prozesspartei und bei Rechtsgeschäften. Aber auch solche Angelegenheiten, die zur Kompetenz der ordentlichen Missi ge- hörten, pflegte der König mitunter einem ausserordentlichen Missus zu- zuweisen. Zeitweilig wurde die Vollmacht zur Eintreibung der Heer- bannbussen nicht den ordentlichen Missi eingeräumt, sondern einer besonderen Art ausserordentlicher Missi übertragen, welche als hari- bannatores bezeichnet werden 37.
Schärfer als jede andere Einrichtung kennzeichnet das missatische Institut den Geist der karolingischen Verfassung. Als des Königs unmittelbare Stellvertreter brachten die Missi in Staat und Kirche die Reformgedanken des Königtums zur Geltung und machten sie eine Centralisation der Verwaltung möglich, wie sie kein germanischer Staat des Mittelalters aufzuweisen hat, mit Ausnahme der normanni- schen Staatsbildungen, die auf fränkischer Grundlage erwuchsen. Die lange dauernde Nachwirkung, welche die fränkische Rechtsentwicklung nach Auflösung der Monarchie in den daraus hervorgegangenen Reichen hinterliess, beruht zum guten Teile auf dem tiefgreifenden Einflusse, den der fränkische König durch seine Missi auf die Provinzialverwal- tung ausübte.
34 Cap. miss. spec. v. J. 802, c. 19, I 101.
35 Cap. de iust. fac. 811--813, c. 7, I 177.
36 Formulare in Cap. I 250. Vgl. H. Brunner, Zeugen- und Inquisitions- beweis S. 120.
37 Cap. miss. v. J. 803, c. 5, I 115. Cap. omnibus cognita facienda 801--814, c. 2, I 144. Krause a. O. S. 62, Anm. 7 und Mitth. d. Inst. XI 664.
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§ 85. Die königlichen Missi.
Hinsichtlich der Verwaltung im engeren Sinne geht die Vollmacht der Missi im allgemeinen dahin, zu verbessern, was sie verbesserungs- bedürftig fänden 34. Insbesondere liegt ihnen ob, die Kirchen, Wit- wen, Waisen und die kleinen Leute zu schützen. Die Missi verkün- den dem Volke Anordnungen des Königs, nehmen den Unterthanen den Treueid ab. Sie sollen den Bestand des Königsgutes in Evidenz halten, sowohl desjenigen, welches unmittelbar für den König ver- waltet wird, als auch desjenigen, welches als Benefizium verliehen ist 35, darüber Inventare nach festem Schema aufnehmen und an den Hof einsenden 36. Überdies ist es ihre Pflicht, den Eingang und die Verrechnung der fiskalischen Einkünfte zu kontrollieren.
Neben den ordentlichen Missi verwendet der König nach wie vor für einzelne Bedürfnisse der Reichsverwaltung auſserordentliche Missi. Sie erledigen Angelegenheiten, die nicht in den Geschäftskreis der ordentlichen Missi fallen, fungieren als politische Gesandte, als Führer von Heeresabteilungen, setzen Grafen ein und ab, vertreten den Fiskus als Prozeſspartei und bei Rechtsgeschäften. Aber auch solche Angelegenheiten, die zur Kompetenz der ordentlichen Missi ge- hörten, pflegte der König mitunter einem auſserordentlichen Missus zu- zuweisen. Zeitweilig wurde die Vollmacht zur Eintreibung der Heer- bannbuſsen nicht den ordentlichen Missi eingeräumt, sondern einer besonderen Art auſserordentlicher Missi übertragen, welche als hari- bannatores bezeichnet werden 37.
Schärfer als jede andere Einrichtung kennzeichnet das missatische Institut den Geist der karolingischen Verfassung. Als des Königs unmittelbare Stellvertreter brachten die Missi in Staat und Kirche die Reformgedanken des Königtums zur Geltung und machten sie eine Centralisation der Verwaltung möglich, wie sie kein germanischer Staat des Mittelalters aufzuweisen hat, mit Ausnahme der normanni- schen Staatsbildungen, die auf fränkischer Grundlage erwuchsen. Die lange dauernde Nachwirkung, welche die fränkische Rechtsentwicklung nach Auflösung der Monarchie in den daraus hervorgegangenen Reichen hinterlieſs, beruht zum guten Teile auf dem tiefgreifenden Einflusse, den der fränkische König durch seine Missi auf die Provinzialverwal- tung ausübte.
34 Cap. miss. spec. v. J. 802, c. 19, I 101.
35 Cap. de iust. fac. 811—813, c. 7, I 177.
36 Formulare in Cap. I 250. Vgl. H. Brunner, Zeugen- und Inquisitions- beweis S. 120.
37 Cap. miss. v. J. 803, c. 5, I 115. Cap. omnibus cognita facienda 801—814, c. 2, I 144. Krause a. O. S. 62, Anm. 7 und Mitth. d. Inst. XI 664.
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§ 85. Die königlichen Missi.
Hinsichtlich der Verwaltung im engeren Sinne geht die Vollmacht
der Missi im allgemeinen dahin, zu verbessern, was sie verbesserungs-
bedürftig fänden 34. Insbesondere liegt ihnen ob, die Kirchen, Wit-
wen, Waisen und die kleinen Leute zu schützen. Die Missi verkün-
den dem Volke Anordnungen des Königs, nehmen den Unterthanen
den Treueid ab. Sie sollen den Bestand des Königsgutes in Evidenz
halten, sowohl desjenigen, welches unmittelbar für den König ver-
waltet wird, als auch desjenigen, welches als Benefizium verliehen
ist 35, darüber Inventare nach festem Schema aufnehmen und an
den Hof einsenden 36. Überdies ist es ihre Pflicht, den Eingang und
die Verrechnung der fiskalischen Einkünfte zu kontrollieren.
Neben den ordentlichen Missi verwendet der König nach wie
vor für einzelne Bedürfnisse der Reichsverwaltung auſserordentliche
Missi. Sie erledigen Angelegenheiten, die nicht in den Geschäftskreis
der ordentlichen Missi fallen, fungieren als politische Gesandte, als
Führer von Heeresabteilungen, setzen Grafen ein und ab, vertreten
den Fiskus als Prozeſspartei und bei Rechtsgeschäften. Aber auch
solche Angelegenheiten, die zur Kompetenz der ordentlichen Missi ge-
hörten, pflegte der König mitunter einem auſserordentlichen Missus zu-
zuweisen. Zeitweilig wurde die Vollmacht zur Eintreibung der Heer-
bannbuſsen nicht den ordentlichen Missi eingeräumt, sondern einer
besonderen Art auſserordentlicher Missi übertragen, welche als hari-
bannatores bezeichnet werden 37.
Schärfer als jede andere Einrichtung kennzeichnet das missatische
Institut den Geist der karolingischen Verfassung. Als des Königs
unmittelbare Stellvertreter brachten die Missi in Staat und Kirche die
Reformgedanken des Königtums zur Geltung und machten sie eine
Centralisation der Verwaltung möglich, wie sie kein germanischer
Staat des Mittelalters aufzuweisen hat, mit Ausnahme der normanni-
schen Staatsbildungen, die auf fränkischer Grundlage erwuchsen. Die
lange dauernde Nachwirkung, welche die fränkische Rechtsentwicklung
nach Auflösung der Monarchie in den daraus hervorgegangenen Reichen
hinterlieſs, beruht zum guten Teile auf dem tiefgreifenden Einflusse,
den der fränkische König durch seine Missi auf die Provinzialverwal-
tung ausübte.
34 Cap. miss. spec. v. J. 802, c. 19, I 101.
35 Cap. de iust. fac. 811—813, c. 7, I 177.
36 Formulare in Cap. I 250. Vgl. H. Brunner, Zeugen- und Inquisitions-
beweis S. 120.
37 Cap. miss. v. J. 803, c. 5, I 115. Cap. omnibus cognita facienda 801—814,
c. 2, I 144. Krause a. O. S. 62, Anm. 7 und Mitth. d. Inst. XI 664.
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/213>, abgerufen am 24.11.2024.
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