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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 59. Einleitung.
etwas vollständig Neues dar, sei von den merowingischen Königen
gewissermassen aus flacher Hand geschaffen worden 6.

Vergleichen wir die fränkische Verfassung und Verwaltung mit
den spätrömischen Ordnungen, so fällt eine Anzahl erheblicher Gegen-
sätze zu Ungunsten der römischen Wagschale ins Gewicht. Das
städtische Verwaltungsprincip, welches das Wesen der antiken Staats-
verfassungen bildete, ist durch die Gau- und Grafschaftsverfassung
beseitigt 7. Die der spätrömischen Administration eigentümliche Tren-
nung der Civil- und Militärgewalt, wie sie uns noch als römisches
Erbstück im ostgotischen Staatswesen begegnet, wird von den Franken
grundsätzlich ignoriert. Das eigentliche Rückgrat des römischen Ver-
waltungskörpers war sein zahlreiches und geschultes Subalternbeamten-
tum, das die bureaukratische Technik und Routine bewahrte. Im
fränkischen Reiche ist das römische officium so gut wie spurlos ver-
schwunden. Das höhere Beamtentum weist zwar zum Teil römische
Titel und römische Züge auf; allein seine Stellung zum König deutet
auf den Ursprung aus der königlichen Gefolgschaft hin, wie es denn
auch schliesslich im Lehnwesen mündet. Das spätrömische Reich ist
undenkbar ohne jenes ausgebildete System von kaum erschwinglichen
Steuern und Abgaben, welche die Mittel lieferten, um ein gewaltiges
Heer und ein zahlreiches Beamtentum zu besolden. Dagegen zehrt
die fränkische Verwaltung von dem germanischen Grundsatz, dass die
freien Leute dem Gemeinwesen unmittelbar und unentgeltlich zu leisten
haben, was es bedarf. Der wunde Punkt des fränkischen Staats-
rechtes war eben der Mangel einer geordneten Finanzverfassung; denn
was örtlich von römischen Steuern überblieb, hat früh genug den
Charakter staatsrechtlicher Leistungen verloren und den von privat-
rechtlichen Lasten angenommen. Nicht römisch, sondern deutsch ist
die Heerverfassung und ist die Gerichtsverfassung, soweit sie im Laufe
der Zeit eine einheitliche wurde. Deutscher Herkunft ist vor allem
der Mittelpunkt des fränkischen Staatsrechtes, das Königtum, ein der
römischen Reichsverfassung völlig fremder Begriff. So sehr und so rasch
auch der fränkische Herrscher über die dem germanischen Volkskönig
gezogenen Schranken hinauswuchs, so viel er auch von Befugnissen
der römischen Staatsgewalt in sich aufsog, die germanische Auf-
fassung der zwischen Königtum und Volkstum bestehenden rechtlichen
Einheit, den Gedanken, dass der König Repräsentant des Volkes sei,
haben die Franken niemals verloren. Einer der Grundzüge des

6 So Pontus Fahlbeck, La royaute et le droit royal francs, 1883.
7 Siehe oben I 70.
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§ 59. Einleitung.
etwas vollständig Neues dar, sei von den merowingischen Königen
gewissermaſsen aus flacher Hand geschaffen worden 6.

Vergleichen wir die fränkische Verfassung und Verwaltung mit
den spätrömischen Ordnungen, so fällt eine Anzahl erheblicher Gegen-
sätze zu Ungunsten der römischen Wagschale ins Gewicht. Das
städtische Verwaltungsprincip, welches das Wesen der antiken Staats-
verfassungen bildete, ist durch die Gau- und Grafschaftsverfassung
beseitigt 7. Die der spätrömischen Administration eigentümliche Tren-
nung der Civil- und Militärgewalt, wie sie uns noch als römisches
Erbstück im ostgotischen Staatswesen begegnet, wird von den Franken
grundsätzlich ignoriert. Das eigentliche Rückgrat des römischen Ver-
waltungskörpers war sein zahlreiches und geschultes Subalternbeamten-
tum, das die bureaukratische Technik und Routine bewahrte. Im
fränkischen Reiche ist das römische officium so gut wie spurlos ver-
schwunden. Das höhere Beamtentum weist zwar zum Teil römische
Titel und römische Züge auf; allein seine Stellung zum König deutet
auf den Ursprung aus der königlichen Gefolgschaft hin, wie es denn
auch schlieſslich im Lehnwesen mündet. Das spätrömische Reich ist
undenkbar ohne jenes ausgebildete System von kaum erschwinglichen
Steuern und Abgaben, welche die Mittel lieferten, um ein gewaltiges
Heer und ein zahlreiches Beamtentum zu besolden. Dagegen zehrt
die fränkische Verwaltung von dem germanischen Grundsatz, daſs die
freien Leute dem Gemeinwesen unmittelbar und unentgeltlich zu leisten
haben, was es bedarf. Der wunde Punkt des fränkischen Staats-
rechtes war eben der Mangel einer geordneten Finanzverfassung; denn
was örtlich von römischen Steuern überblieb, hat früh genug den
Charakter staatsrechtlicher Leistungen verloren und den von privat-
rechtlichen Lasten angenommen. Nicht römisch, sondern deutsch ist
die Heerverfassung und ist die Gerichtsverfassung, soweit sie im Laufe
der Zeit eine einheitliche wurde. Deutscher Herkunft ist vor allem
der Mittelpunkt des fränkischen Staatsrechtes, das Königtum, ein der
römischen Reichsverfassung völlig fremder Begriff. So sehr und so rasch
auch der fränkische Herrscher über die dem germanischen Volkskönig
gezogenen Schranken hinauswuchs, so viel er auch von Befugnissen
der römischen Staatsgewalt in sich aufsog, die germanische Auf-
fassung der zwischen Königtum und Volkstum bestehenden rechtlichen
Einheit, den Gedanken, daſs der König Repräsentant des Volkes sei,
haben die Franken niemals verloren. Einer der Grundzüge des

6 So Pontus Fahlbeck, La royauté et le droit royal francs, 1883.
7 Siehe oben I 70.
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[3/0021] § 59. Einleitung. etwas vollständig Neues dar, sei von den merowingischen Königen gewissermaſsen aus flacher Hand geschaffen worden 6. Vergleichen wir die fränkische Verfassung und Verwaltung mit den spätrömischen Ordnungen, so fällt eine Anzahl erheblicher Gegen- sätze zu Ungunsten der römischen Wagschale ins Gewicht. Das städtische Verwaltungsprincip, welches das Wesen der antiken Staats- verfassungen bildete, ist durch die Gau- und Grafschaftsverfassung beseitigt 7. Die der spätrömischen Administration eigentümliche Tren- nung der Civil- und Militärgewalt, wie sie uns noch als römisches Erbstück im ostgotischen Staatswesen begegnet, wird von den Franken grundsätzlich ignoriert. Das eigentliche Rückgrat des römischen Ver- waltungskörpers war sein zahlreiches und geschultes Subalternbeamten- tum, das die bureaukratische Technik und Routine bewahrte. Im fränkischen Reiche ist das römische officium so gut wie spurlos ver- schwunden. Das höhere Beamtentum weist zwar zum Teil römische Titel und römische Züge auf; allein seine Stellung zum König deutet auf den Ursprung aus der königlichen Gefolgschaft hin, wie es denn auch schlieſslich im Lehnwesen mündet. Das spätrömische Reich ist undenkbar ohne jenes ausgebildete System von kaum erschwinglichen Steuern und Abgaben, welche die Mittel lieferten, um ein gewaltiges Heer und ein zahlreiches Beamtentum zu besolden. Dagegen zehrt die fränkische Verwaltung von dem germanischen Grundsatz, daſs die freien Leute dem Gemeinwesen unmittelbar und unentgeltlich zu leisten haben, was es bedarf. Der wunde Punkt des fränkischen Staats- rechtes war eben der Mangel einer geordneten Finanzverfassung; denn was örtlich von römischen Steuern überblieb, hat früh genug den Charakter staatsrechtlicher Leistungen verloren und den von privat- rechtlichen Lasten angenommen. Nicht römisch, sondern deutsch ist die Heerverfassung und ist die Gerichtsverfassung, soweit sie im Laufe der Zeit eine einheitliche wurde. Deutscher Herkunft ist vor allem der Mittelpunkt des fränkischen Staatsrechtes, das Königtum, ein der römischen Reichsverfassung völlig fremder Begriff. So sehr und so rasch auch der fränkische Herrscher über die dem germanischen Volkskönig gezogenen Schranken hinauswuchs, so viel er auch von Befugnissen der römischen Staatsgewalt in sich aufsog, die germanische Auf- fassung der zwischen Königtum und Volkstum bestehenden rechtlichen Einheit, den Gedanken, daſs der König Repräsentant des Volkes sei, haben die Franken niemals verloren. Einer der Grundzüge des 6 So Pontus Fahlbeck, La royauté et le droit royal francs, 1883. 7 Siehe oben I 70. 1*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/21>, abgerufen am 24.11.2024.