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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 84. Der Gerichtschreiber. Das Amtsgesinde.
auch in Schwaben und in den fränkischen Stammlanden geriet es
seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts in Verfall. Die
regelmässige Ernennung von Gerichtschreibern, wie sie Karl der Grosse
den königlichen Missi übertragen hatte, nahm mit der Auflösung des
missatischen Institutes ein Ende. Dazu kam der allgemeine Rückgang
des deutschen Urkundenwesens10, der auf einer nationalen Reaction
gegen das durch die Kirche in Schwung gebrachte Beweismittel der
Urkunde beruhte. Die eigenartige Ausgestaltung der kirchlichen
Vogtei, wie sie im Laufe des neunten Jahrhunderts eintrat, legte die
Verteidigung des kirchlichen Besitzstandes in die Hände weltlicher
Vögte, die als Laien die Abneigung gegen das Urkundenwesen teilten
und den Urkundenbeweis im Vertrauen auf die rein germanischen
Beweismittel geringschätzten.

Anders verlief die Entwicklung in Italien, welches von altersher
ein ausgebildetes Notariatswesen besass. Die karolingische Verwal-
tung führte in Italien die Einsetzung amtlicher und ständiger Schrei-
ber der Grafschaftsgerichte durch. Diese erhielt sich hier und be-
förderte oder veranlasste11 die Entstehung eines öffentlichen Notariats.
Noch im neunten Jahrhundert erlangten in Italien die amtlich bestellten
und vereidigten Notare das Monopol, beweiskräftige Urkunden zu
schreiben12. Der Gerichtschreiber war als solcher hier nicht für die
Partei, sondern für das Gericht vorhanden. Er schrieb und vollzog
die Gerichtsurkunden im Auftrage des Gerichtes, das als Aussteller
der Gerichtsurkunde erscheint13. Zu den Aufgaben der Gerichts-
notare gehörte es, Verzeichnisse der vor Gericht angebrachten und
erledigten Klagen anzulegen14.

Die spätrömische Verwaltung zeichnete sich durch ein festgeglie-
dertes und zahlreiches Subalternbeamtentum aus. Die Subalternen, die
dem römischen Beamten als Hilfspersonal dienten, bildeten dessen
officium. Dieses fasste bestimmte, für die einzelnen Beamtenkategorieen
genau geordnete Subalternämter in sich, deren Bezeichnungen mei-
stens dem Militärwesen entlehnt waren. Das spätrömische officium
mit seinen festen Rang- und Gehaltsstufen, mit seinen ausgeklügelten
Normen über Dienstalter und Beförderung war der eigentliche Träger
der Geschäftsroutine und der Verwaltungstechnik, zugleich aber das
Schwergewicht des finanziellen Verwaltungsdruckes, der den Provin-

10 Siehe oben I 399.
11 Bresslau, Urkundenlehre I 460 f.
12 H. Brunner, RG der Urk. I 23.
13 H. Brunner a. O. I 22. 29. 37.
14 Cap. Mant. v. J. 781?, c. 3, I 190.

§ 84. Der Gerichtschreiber. Das Amtsgesinde.
auch in Schwaben und in den fränkischen Stammlanden geriet es
seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts in Verfall. Die
regelmäſsige Ernennung von Gerichtschreibern, wie sie Karl der Groſse
den königlichen Missi übertragen hatte, nahm mit der Auflösung des
missatischen Institutes ein Ende. Dazu kam der allgemeine Rückgang
des deutschen Urkundenwesens10, der auf einer nationalen Reaction
gegen das durch die Kirche in Schwung gebrachte Beweismittel der
Urkunde beruhte. Die eigenartige Ausgestaltung der kirchlichen
Vogtei, wie sie im Laufe des neunten Jahrhunderts eintrat, legte die
Verteidigung des kirchlichen Besitzstandes in die Hände weltlicher
Vögte, die als Laien die Abneigung gegen das Urkundenwesen teilten
und den Urkundenbeweis im Vertrauen auf die rein germanischen
Beweismittel geringschätzten.

Anders verlief die Entwicklung in Italien, welches von altersher
ein ausgebildetes Notariatswesen besaſs. Die karolingische Verwal-
tung führte in Italien die Einsetzung amtlicher und ständiger Schrei-
ber der Grafschaftsgerichte durch. Diese erhielt sich hier und be-
förderte oder veranlaſste11 die Entstehung eines öffentlichen Notariats.
Noch im neunten Jahrhundert erlangten in Italien die amtlich bestellten
und vereidigten Notare das Monopol, beweiskräftige Urkunden zu
schreiben12. Der Gerichtschreiber war als solcher hier nicht für die
Partei, sondern für das Gericht vorhanden. Er schrieb und vollzog
die Gerichtsurkunden im Auftrage des Gerichtes, das als Aussteller
der Gerichtsurkunde erscheint13. Zu den Aufgaben der Gerichts-
notare gehörte es, Verzeichnisse der vor Gericht angebrachten und
erledigten Klagen anzulegen14.

Die spätrömische Verwaltung zeichnete sich durch ein festgeglie-
dertes und zahlreiches Subalternbeamtentum aus. Die Subalternen, die
dem römischen Beamten als Hilfspersonal dienten, bildeten dessen
officium. Dieses faſste bestimmte, für die einzelnen Beamtenkategorieen
genau geordnete Subalternämter in sich, deren Bezeichnungen mei-
stens dem Militärwesen entlehnt waren. Das spätrömische officium
mit seinen festen Rang- und Gehaltsstufen, mit seinen ausgeklügelten
Normen über Dienstalter und Beförderung war der eigentliche Träger
der Geschäftsroutine und der Verwaltungstechnik, zugleich aber das
Schwergewicht des finanziellen Verwaltungsdruckes, der den Provin-

10 Siehe oben I 399.
11 Breſslau, Urkundenlehre I 460 f.
12 H. Brunner, RG der Urk. I 23.
13 H. Brunner a. O. I 22. 29. 37.
14 Cap. Mant. v. J. 781?, c. 3, I 190.
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[187/0205] § 84. Der Gerichtschreiber. Das Amtsgesinde. auch in Schwaben und in den fränkischen Stammlanden geriet es seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts in Verfall. Die regelmäſsige Ernennung von Gerichtschreibern, wie sie Karl der Groſse den königlichen Missi übertragen hatte, nahm mit der Auflösung des missatischen Institutes ein Ende. Dazu kam der allgemeine Rückgang des deutschen Urkundenwesens 10, der auf einer nationalen Reaction gegen das durch die Kirche in Schwung gebrachte Beweismittel der Urkunde beruhte. Die eigenartige Ausgestaltung der kirchlichen Vogtei, wie sie im Laufe des neunten Jahrhunderts eintrat, legte die Verteidigung des kirchlichen Besitzstandes in die Hände weltlicher Vögte, die als Laien die Abneigung gegen das Urkundenwesen teilten und den Urkundenbeweis im Vertrauen auf die rein germanischen Beweismittel geringschätzten. Anders verlief die Entwicklung in Italien, welches von altersher ein ausgebildetes Notariatswesen besaſs. Die karolingische Verwal- tung führte in Italien die Einsetzung amtlicher und ständiger Schrei- ber der Grafschaftsgerichte durch. Diese erhielt sich hier und be- förderte oder veranlaſste 11 die Entstehung eines öffentlichen Notariats. Noch im neunten Jahrhundert erlangten in Italien die amtlich bestellten und vereidigten Notare das Monopol, beweiskräftige Urkunden zu schreiben 12. Der Gerichtschreiber war als solcher hier nicht für die Partei, sondern für das Gericht vorhanden. Er schrieb und vollzog die Gerichtsurkunden im Auftrage des Gerichtes, das als Aussteller der Gerichtsurkunde erscheint 13. Zu den Aufgaben der Gerichts- notare gehörte es, Verzeichnisse der vor Gericht angebrachten und erledigten Klagen anzulegen 14. Die spätrömische Verwaltung zeichnete sich durch ein festgeglie- dertes und zahlreiches Subalternbeamtentum aus. Die Subalternen, die dem römischen Beamten als Hilfspersonal dienten, bildeten dessen officium. Dieses faſste bestimmte, für die einzelnen Beamtenkategorieen genau geordnete Subalternämter in sich, deren Bezeichnungen mei- stens dem Militärwesen entlehnt waren. Das spätrömische officium mit seinen festen Rang- und Gehaltsstufen, mit seinen ausgeklügelten Normen über Dienstalter und Beförderung war der eigentliche Träger der Geschäftsroutine und der Verwaltungstechnik, zugleich aber das Schwergewicht des finanziellen Verwaltungsdruckes, der den Provin- 10 Siehe oben I 399. 11 Breſslau, Urkundenlehre I 460 f. 12 H. Brunner, RG der Urk. I 23. 13 H. Brunner a. O. I 22. 29. 37. 14 Cap. Mant. v. J. 781?, c. 3, I 190.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/205>, abgerufen am 22.11.2024.