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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 76. Volksversammlungen und Hoftage.
tum erschliessen lässt 22. Mit der Beseitigung der Stammesherzog-
tümer sind die Stammesversammlungen, mit dem Sturz des nationalen
Königtums die Volksversammlungen der Langobarden verschwunden.
Den unterworfenen Sachsen wurde von Karl dem Grossen ausdrück-
lich verboten, allgemeine Versammlungen abzuhalten 23.

Öffentliche Angelegenheiten pflegte der König mit den Grossen
des Reiches und des Hofes zu beraten, solchen, die sich dauernd am
Hofe aufhielten, und solchen, die dazu an den Hof entboten wurden.
Wir können diese Versammlungen, welche den rechtsgeschichtlichen
Keim der ständischen und parlamentarischen Vertretungskörper in sich
schliessen, als Hof- oder Reichstage bezeichnen, als Reichstage dann,
wenn sie zahlreicher besucht waren, so dass die verschiedenen Teile
des Reiches und die verschiedenen Gruppen der Amtsaristokratie an-
gemessen vertreten waren. Aus Gründen der Zweckmässigkeit empfahl
es sich, die Versammlung im Anschluss an die vom König berufenen
Landeskonzilien der Geistlichkeit abzuhalten 24, welche die Gelegen-
heit boten, die Bischöfe mit den weltlichen Grossen zusammentreten
zu lassen 25. In Neustrien und Burgund ersetzten solche Reichstage
gewissermassen das daselbst fehlende Märzfeld und konnten sich zu
Volksversammlungen erweitern, wenn die Berufung nicht bloss an die
Grossen erging 26. Die Arnulfinger hielten den Reichstag in Verbin-
dung mit dem Märzfelde ab 27, indem sie hierin wohl einem Vorbilde
der austrasischen Merowinger folgten, wie ja auch der germanischen
Landesgemeinde eine Vorberatung in engerem Kreise vorausging 28.
Unter König Pippin bestimmte eine kirchliche Synode von 755, dass
jährlich zwei Synoden stattfinden sollten 29, die eine im März 30 in

22 Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit einem heidnischen Frühlings-
opferfest. Vgl. Jahn, Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau und Viehzucht
1884, S. 120 f. Über den ersten März als Jahresanfang Sohm, a. O. S. 59.
23 Siehe oben I 132.
24 Greg. Tur. Hist. Franc. VI 1 z. J. 581: Apud Lugdunum sinodus epi-
scoporum coniungitur ... Sinodus ad regem revertitur multa de fuga Mummoli
ducis, nonnulla de discordiis tractant. Nachdem die Bischöfe kirchliche Geschäfte
erledigt hatten, gingen sie zum König, um über Staatsgeschäfte zu beraten.
25 Fredegar IV 55: cum pontificis et universi proceres regni sui .. Clippiaco
ad Clotharium pro utilitate regia et salute patriae coniuncxissent.
26 So dürften sich die oben I 376 zu Anm. 2 und 4 erwähnten Versamm-
lungen erklären.
27 Die Versammlungen von Estinnes und Soissons, Cap. I 27. 28, fanden zu
Anfang des Monats März statt.
28 Siehe oben I 127.
29 Conc. Vernense c. 4, Cap. I 34.
30 Es ist bezeichnend, dass die Bischöfe die kurz vorher erfolgte Umwand-

§ 76. Volksversammlungen und Hoftage.
tum erschlieſsen läſst 22. Mit der Beseitigung der Stammesherzog-
tümer sind die Stammesversammlungen, mit dem Sturz des nationalen
Königtums die Volksversammlungen der Langobarden verschwunden.
Den unterworfenen Sachsen wurde von Karl dem Groſsen ausdrück-
lich verboten, allgemeine Versammlungen abzuhalten 23.

Öffentliche Angelegenheiten pflegte der König mit den Groſsen
des Reiches und des Hofes zu beraten, solchen, die sich dauernd am
Hofe aufhielten, und solchen, die dazu an den Hof entboten wurden.
Wir können diese Versammlungen, welche den rechtsgeschichtlichen
Keim der ständischen und parlamentarischen Vertretungskörper in sich
schlieſsen, als Hof- oder Reichstage bezeichnen, als Reichstage dann,
wenn sie zahlreicher besucht waren, so daſs die verschiedenen Teile
des Reiches und die verschiedenen Gruppen der Amtsaristokratie an-
gemessen vertreten waren. Aus Gründen der Zweckmäſsigkeit empfahl
es sich, die Versammlung im Anschluſs an die vom König berufenen
Landeskonzilien der Geistlichkeit abzuhalten 24, welche die Gelegen-
heit boten, die Bischöfe mit den weltlichen Groſsen zusammentreten
zu lassen 25. In Neustrien und Burgund ersetzten solche Reichstage
gewissermaſsen das daselbst fehlende Märzfeld und konnten sich zu
Volksversammlungen erweitern, wenn die Berufung nicht bloſs an die
Groſsen erging 26. Die Arnulfinger hielten den Reichstag in Verbin-
dung mit dem Märzfelde ab 27, indem sie hierin wohl einem Vorbilde
der austrasischen Merowinger folgten, wie ja auch der germanischen
Landesgemeinde eine Vorberatung in engerem Kreise vorausging 28.
Unter König Pippin bestimmte eine kirchliche Synode von 755, daſs
jährlich zwei Synoden stattfinden sollten 29, die eine im März 30 in

22 Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit einem heidnischen Frühlings-
opferfest. Vgl. Jahn, Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau und Viehzucht
1884, S. 120 f. Über den ersten März als Jahresanfang Sohm, a. O. S. 59.
23 Siehe oben I 132.
24 Greg. Tur. Hist. Franc. VI 1 z. J. 581: Apud Lugdunum sinodus epi-
scoporum coniungitur … Sinodus ad regem revertitur multa de fuga Mummoli
ducis, nonnulla de discordiis tractant. Nachdem die Bischöfe kirchliche Geschäfte
erledigt hatten, gingen sie zum König, um über Staatsgeschäfte zu beraten.
25 Fredegar IV 55: cum pontificis et universi proceres regni sui .. Clippiaco
ad Clotharium pro utilitate regia et salute patriae coniuncxissent.
26 So dürften sich die oben I 376 zu Anm. 2 und 4 erwähnten Versamm-
lungen erklären.
27 Die Versammlungen von Estinnes und Soissons, Cap. I 27. 28, fanden zu
Anfang des Monats März statt.
28 Siehe oben I 127.
29 Conc. Vernense c. 4, Cap. I 34.
30 Es ist bezeichnend, daſs die Bischöfe die kurz vorher erfolgte Umwand-
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[130/0148] § 76. Volksversammlungen und Hoftage. tum erschlieſsen läſst 22. Mit der Beseitigung der Stammesherzog- tümer sind die Stammesversammlungen, mit dem Sturz des nationalen Königtums die Volksversammlungen der Langobarden verschwunden. Den unterworfenen Sachsen wurde von Karl dem Groſsen ausdrück- lich verboten, allgemeine Versammlungen abzuhalten 23. Öffentliche Angelegenheiten pflegte der König mit den Groſsen des Reiches und des Hofes zu beraten, solchen, die sich dauernd am Hofe aufhielten, und solchen, die dazu an den Hof entboten wurden. Wir können diese Versammlungen, welche den rechtsgeschichtlichen Keim der ständischen und parlamentarischen Vertretungskörper in sich schlieſsen, als Hof- oder Reichstage bezeichnen, als Reichstage dann, wenn sie zahlreicher besucht waren, so daſs die verschiedenen Teile des Reiches und die verschiedenen Gruppen der Amtsaristokratie an- gemessen vertreten waren. Aus Gründen der Zweckmäſsigkeit empfahl es sich, die Versammlung im Anschluſs an die vom König berufenen Landeskonzilien der Geistlichkeit abzuhalten 24, welche die Gelegen- heit boten, die Bischöfe mit den weltlichen Groſsen zusammentreten zu lassen 25. In Neustrien und Burgund ersetzten solche Reichstage gewissermaſsen das daselbst fehlende Märzfeld und konnten sich zu Volksversammlungen erweitern, wenn die Berufung nicht bloſs an die Groſsen erging 26. Die Arnulfinger hielten den Reichstag in Verbin- dung mit dem Märzfelde ab 27, indem sie hierin wohl einem Vorbilde der austrasischen Merowinger folgten, wie ja auch der germanischen Landesgemeinde eine Vorberatung in engerem Kreise vorausging 28. Unter König Pippin bestimmte eine kirchliche Synode von 755, daſs jährlich zwei Synoden stattfinden sollten 29, die eine im März 30 in 22 Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit einem heidnischen Frühlings- opferfest. Vgl. Jahn, Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau und Viehzucht 1884, S. 120 f. Über den ersten März als Jahresanfang Sohm, a. O. S. 59. 23 Siehe oben I 132. 24 Greg. Tur. Hist. Franc. VI 1 z. J. 581: Apud Lugdunum sinodus epi- scoporum coniungitur … Sinodus ad regem revertitur multa de fuga Mummoli ducis, nonnulla de discordiis tractant. Nachdem die Bischöfe kirchliche Geschäfte erledigt hatten, gingen sie zum König, um über Staatsgeschäfte zu beraten. 25 Fredegar IV 55: cum pontificis et universi proceres regni sui .. Clippiaco ad Clotharium pro utilitate regia et salute patriae coniuncxissent. 26 So dürften sich die oben I 376 zu Anm. 2 und 4 erwähnten Versamm- lungen erklären. 27 Die Versammlungen von Estinnes und Soissons, Cap. I 27. 28, fanden zu Anfang des Monats März statt. 28 Siehe oben I 127. 29 Conc. Vernense c. 4, Cap. I 34. 30 Es ist bezeichnend, daſs die Bischöfe die kurz vorher erfolgte Umwand-

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/148>, abgerufen am 24.11.2024.