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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 76. Volksversammlungen und Hoftage.

Das Märzfeld fiel in Neustrien und Burgund nach dem Tode
Chlodovechs hinweg 10. Dagegen lebte es in Austrasien fort. Es
nahm hier teil an der Satzung des Rechtes, wie die Märzfeldbeschlüsse
beweisen, aus welchen 596 die decretio Childeberti II. entstand 11.
Auf dem Märzfeld wurden dem König die üblichen Jahresgeschenke
dargebracht 12. Gegen Ende des siebenten Jahrhunderts haben die
Arnulfinger das Märzfeld von Austrasien aus, wo es als hergebrachter
Brauch erscheint, auf das ganze Reich ausgedehnt 13. König Pippin
verlegte im Jahre 755 die Heerschau in den Mai 14. Diese Verlegung
geschah aus militärischen Gründen. Mit Rücksicht auf die eingetretene
Vermehrung der Reiterei mussten die Heerfahrten etliche Monate
später beginnen, weil erst um diese Zeit das für den Pferdebestand
erforderliche Gras auf den Wiesen und Weiden zu finden war, wäh-
rend es andererseits füglich nicht anging, das im März zur Heerschau
versammelte Heer auseinandergehen zu lassen, um es binnen kurzer
Zeit aufs neue zur Heerfahrt einzuberufen. Seit jener Massregel heisst
die Versammlung Maifeld, campus Madius, Magiscampus. Sie be-
hält diesen Namen, obwohl sie unter Karl dem Grossen nicht selten
in den Hochsommer fällt. Verhandlungen oder Beschlussfassungen
kommen in den karolingischen Heerversammlungen höchstens bei ausser-
ordentlichen Gelegenheiten vor 15. Doch werden sie ausser zur Heer-

10 Die Gesta abb. Fontanell. sagen I, c. 8 (Loewenfeld S. 17) von einer Ur-
kunde des Königs Chlodovaeus, dass sie zu Compiegne ausgestellt worden sei:
die Kalendarum Martiarum congregatis Francorum populis in campo Martio, ubi
omnibus annis conveniebant veluti omnibus notum est. Der Zusatz ist jedenfalls
eine Bemerkung des Verfassers, der zwischen 834 und 845 schrieb und die ihm
bekannte Einrichtung der älteren karolingischen Zeit in die merowingische hineintrug.
11 Siehe oben I 376. Das pertractare, die Beratung, geschah allerdings nach
dem Wortlaut der decretio nur mit den optimates. Allein das convenire, die An-
nahme, erfolgte auf dem Märzfeld una cum leodos nostros, omnibus nobis aduna-
tis, worunter nicht bloss die Optimaten zu verstehen sind, welchen bei der Be-
ratung ein massgebendes Recht der Annahme nicht zustand.
12 Siehe oben S. 68 f..
13 Nach Arbeo, Vita Corbiniani c. 4, Riezler S. 249, einer Stelle, auf welche
W. Sickel in den Gött. gel. Anzeigen a. O. S. 219 aufmerksam macht, schenkte
Pippin der Mittlere dem Corbinian pretiosissimum indumentum .. quem ad cam-
pum, antiquorum mos ut fuerat Martius, utebatur. Ann. Mettenses z. J. 692,
MG SS I 320: singulis vero annis in Kalendis Martii generale cum omnibus Francis
secundum priscorum consuetudinem concilium agebat. Fredegarii Cont. c. 37 (120).
Chron. Lauriss. min. oben S. 68, Anm. 8.
14 Die Annales Mosellani MG SS XVI 495 und die verwandten Annalen be-
richten die Massregel z. J. 755. Vgl. Fredegarii Cont. c. 48 (131).
15 Siehe oben Anm. 8. 9.
§ 76. Volksversammlungen und Hoftage.

Das Märzfeld fiel in Neustrien und Burgund nach dem Tode
Chlodovechs hinweg 10. Dagegen lebte es in Austrasien fort. Es
nahm hier teil an der Satzung des Rechtes, wie die Märzfeldbeschlüsse
beweisen, aus welchen 596 die decretio Childeberti II. entstand 11.
Auf dem Märzfeld wurden dem König die üblichen Jahresgeschenke
dargebracht 12. Gegen Ende des siebenten Jahrhunderts haben die
Arnulfinger das Märzfeld von Austrasien aus, wo es als hergebrachter
Brauch erscheint, auf das ganze Reich ausgedehnt 13. König Pippin
verlegte im Jahre 755 die Heerschau in den Mai 14. Diese Verlegung
geschah aus militärischen Gründen. Mit Rücksicht auf die eingetretene
Vermehrung der Reiterei muſsten die Heerfahrten etliche Monate
später beginnen, weil erst um diese Zeit das für den Pferdebestand
erforderliche Gras auf den Wiesen und Weiden zu finden war, wäh-
rend es andererseits füglich nicht anging, das im März zur Heerschau
versammelte Heer auseinandergehen zu lassen, um es binnen kurzer
Zeit aufs neue zur Heerfahrt einzuberufen. Seit jener Maſsregel heiſst
die Versammlung Maifeld, campus Madius, Magiscampus. Sie be-
hält diesen Namen, obwohl sie unter Karl dem Groſsen nicht selten
in den Hochsommer fällt. Verhandlungen oder Beschluſsfassungen
kommen in den karolingischen Heerversammlungen höchstens bei auſser-
ordentlichen Gelegenheiten vor 15. Doch werden sie auſser zur Heer-

10 Die Gesta abb. Fontanell. sagen I, c. 8 (Loewenfeld S. 17) von einer Ur-
kunde des Königs Chlodovaeus, daſs sie zu Compiègne ausgestellt worden sei:
die Kalendarum Martiarum congregatis Francorum populis in campo Martio, ubi
omnibus annis conveniebant veluti omnibus notum est. Der Zusatz ist jedenfalls
eine Bemerkung des Verfassers, der zwischen 834 und 845 schrieb und die ihm
bekannte Einrichtung der älteren karolingischen Zeit in die merowingische hineintrug.
11 Siehe oben I 376. Das pertractare, die Beratung, geschah allerdings nach
dem Wortlaut der decretio nur mit den optimates. Allein das convenire, die An-
nahme, erfolgte auf dem Märzfeld una cum leodos nostros, omnibus nobis aduna-
tis, worunter nicht bloſs die Optimaten zu verstehen sind, welchen bei der Be-
ratung ein maſsgebendes Recht der Annahme nicht zustand.
12 Siehe oben S. 68 f..
13 Nach Arbeo, Vita Corbiniani c. 4, Riezler S. 249, einer Stelle, auf welche
W. Sickel in den Gött. gel. Anzeigen a. O. S. 219 aufmerksam macht, schenkte
Pippin der Mittlere dem Corbinian pretiosissimum indumentum .. quem ad cam-
pum, antiquorum mos ut fuerat Martius, utebatur. Ann. Mettenses z. J. 692,
MG SS I 320: singulis vero annis in Kalendis Martii generale cum omnibus Francis
secundum priscorum consuetudinem concilium agebat. Fredegarii Cont. c. 37 (120).
Chron. Lauriss. min. oben S. 68, Anm. 8.
14 Die Annales Mosellani MG SS XVI 495 und die verwandten Annalen be-
richten die Maſsregel z. J. 755. Vgl. Fredegarii Cont. c. 48 (131).
15 Siehe oben Anm. 8. 9.
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[128/0146] § 76. Volksversammlungen und Hoftage. Das Märzfeld fiel in Neustrien und Burgund nach dem Tode Chlodovechs hinweg 10. Dagegen lebte es in Austrasien fort. Es nahm hier teil an der Satzung des Rechtes, wie die Märzfeldbeschlüsse beweisen, aus welchen 596 die decretio Childeberti II. entstand 11. Auf dem Märzfeld wurden dem König die üblichen Jahresgeschenke dargebracht 12. Gegen Ende des siebenten Jahrhunderts haben die Arnulfinger das Märzfeld von Austrasien aus, wo es als hergebrachter Brauch erscheint, auf das ganze Reich ausgedehnt 13. König Pippin verlegte im Jahre 755 die Heerschau in den Mai 14. Diese Verlegung geschah aus militärischen Gründen. Mit Rücksicht auf die eingetretene Vermehrung der Reiterei muſsten die Heerfahrten etliche Monate später beginnen, weil erst um diese Zeit das für den Pferdebestand erforderliche Gras auf den Wiesen und Weiden zu finden war, wäh- rend es andererseits füglich nicht anging, das im März zur Heerschau versammelte Heer auseinandergehen zu lassen, um es binnen kurzer Zeit aufs neue zur Heerfahrt einzuberufen. Seit jener Maſsregel heiſst die Versammlung Maifeld, campus Madius, Magiscampus. Sie be- hält diesen Namen, obwohl sie unter Karl dem Groſsen nicht selten in den Hochsommer fällt. Verhandlungen oder Beschluſsfassungen kommen in den karolingischen Heerversammlungen höchstens bei auſser- ordentlichen Gelegenheiten vor 15. Doch werden sie auſser zur Heer- 10 Die Gesta abb. Fontanell. sagen I, c. 8 (Loewenfeld S. 17) von einer Ur- kunde des Königs Chlodovaeus, daſs sie zu Compiègne ausgestellt worden sei: die Kalendarum Martiarum congregatis Francorum populis in campo Martio, ubi omnibus annis conveniebant veluti omnibus notum est. Der Zusatz ist jedenfalls eine Bemerkung des Verfassers, der zwischen 834 und 845 schrieb und die ihm bekannte Einrichtung der älteren karolingischen Zeit in die merowingische hineintrug. 11 Siehe oben I 376. Das pertractare, die Beratung, geschah allerdings nach dem Wortlaut der decretio nur mit den optimates. Allein das convenire, die An- nahme, erfolgte auf dem Märzfeld una cum leodos nostros, omnibus nobis aduna- tis, worunter nicht bloſs die Optimaten zu verstehen sind, welchen bei der Be- ratung ein maſsgebendes Recht der Annahme nicht zustand. 12 Siehe oben S. 68 f.. 13 Nach Arbeo, Vita Corbiniani c. 4, Riezler S. 249, einer Stelle, auf welche W. Sickel in den Gött. gel. Anzeigen a. O. S. 219 aufmerksam macht, schenkte Pippin der Mittlere dem Corbinian pretiosissimum indumentum .. quem ad cam- pum, antiquorum mos ut fuerat Martius, utebatur. Ann. Mettenses z. J. 692, MG SS I 320: singulis vero annis in Kalendis Martii generale cum omnibus Francis secundum priscorum consuetudinem concilium agebat. Fredegarii Cont. c. 37 (120). Chron. Lauriss. min. oben S. 68, Anm. 8. 14 Die Annales Mosellani MG SS XVI 495 und die verwandten Annalen be- richten die Maſsregel z. J. 755. Vgl. Fredegarii Cont. c. 48 (131). 15 Siehe oben Anm. 8. 9.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/146>, abgerufen am 28.11.2024.