Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 72. Der Hausmeier.
der Hausmeier als erster weltlicher Beisitzer im Königsgericht 16.
Während der Minderjährigkeit des Königs gewinnt er die Leitung der
interimistischen Regierung 17.

Solange das Königtum die Kraft besass, die fränkische Aristokratie
im Zaume zu halten, wusste es auch die Hausmeier als gefügsame
Diener zu lenken. Der Wendepunkt in der Entwicklung des Amtes
liegt in den Ereignissen, welche den Sturz der Königin Brunhildis und
die Vereinigung Austrasiens und Burgunds mit dem Reiche Chlo-
thars II. herbeiführten. Die Wirkungen des Sieges, durch den die
austrasischen und burgundischen Grossen dem Regiment Brunhildens
ein Ende machten, bezeichnen eine neue Epoche nicht nur in der
Geschichte des merowingischen Königtums, sondern auch in der des
Hausmeiertums, welches die Interessen der Aristokratie gegen den
König vertrat. Als Chlothar II. im Jahre 613 in Burgund den Major-
domus Warnachar einsetzte, musste er ihm eidlich versprechen, dass
er ihn niemals seines Amtes entheben werde 18. Ein unabsetzbarer
Hausmeier war eine politische Macht, über welche der König nicht
mehr gebieten, mit welcher er nur verhandeln und paktieren konnte.

Aus einem ursprünglichen Hofamte war das Hausmeiertum (gegen
Ausgang der merowingischen Zeit maiorum domatus genannt) ein
Staatsamt geworden 19. Die Veränderung zeigt sich darin, dass Neu-
strien, Austrasien und Burgund besondere Hausmeier hatten, obzwar
durch die Vereinigung der Teilreiche die Zahl der Hofhaltungen 613
auf eine beschränkt worden war. Während der Majordomus zuerst
nur ein Seneschalk gewesen war, sind seit der Veränderung, die
den Schwerpunkt des Amtes in die Reichsverwaltung legte, die haus-
wirtschaftlichen Funktionen davon abgezweigt und besonderen Sene-
schalken übertragen 20.

Anfänglich wurde der Hausmeier gleich den übrigen Hofbeamten
vom Könige bestellt. Seit der König auf den Willen der Grossen
Rücksicht nehmen musste, gewannen diese entscheidenden Einfluss auf

16 In Marculf I 25, in Pertz, Dipl. M. Nr. 70 v. J. 697. Vgl. Zeumer, NA
VI 30 f. XI 348 f.
17 Siehe oben S. 34.
18 Fredegar IV, c. 42: ne umquam vitae suae temporibus degradaretur.
19 Lex Rib. 88 nennt den maior domus an der Spitze der daselbst aufgezählten
Beamten, was um so kennzeichnender ist, als die Stelle auf einer Nachbildung von
Lex Burg. prima const. § 4 beruht, wie die Aufzählung der Beamten und die
angedrohte Strafe ergeben. In der Lex Burg. stehen die maiores domus nostrae
erst in dritter Reihe. -- Den Ausdruck maiorum domatus haben die Fortsetzer
des sog. Fredegar und der Liber hist. Franc. MG SS rerum Merow. II 566.
20 Waitz, VG II 2, S. 86, Anm. 3.

§ 72. Der Hausmeier.
der Hausmeier als erster weltlicher Beisitzer im Königsgericht 16.
Während der Minderjährigkeit des Königs gewinnt er die Leitung der
interimistischen Regierung 17.

Solange das Königtum die Kraft besaſs, die fränkische Aristokratie
im Zaume zu halten, wuſste es auch die Hausmeier als gefügsame
Diener zu lenken. Der Wendepunkt in der Entwicklung des Amtes
liegt in den Ereignissen, welche den Sturz der Königin Brunhildis und
die Vereinigung Austrasiens und Burgunds mit dem Reiche Chlo-
thars II. herbeiführten. Die Wirkungen des Sieges, durch den die
austrasischen und burgundischen Groſsen dem Regiment Brunhildens
ein Ende machten, bezeichnen eine neue Epoche nicht nur in der
Geschichte des merowingischen Königtums, sondern auch in der des
Hausmeiertums, welches die Interessen der Aristokratie gegen den
König vertrat. Als Chlothar II. im Jahre 613 in Burgund den Major-
domus Warnachar einsetzte, muſste er ihm eidlich versprechen, daſs
er ihn niemals seines Amtes entheben werde 18. Ein unabsetzbarer
Hausmeier war eine politische Macht, über welche der König nicht
mehr gebieten, mit welcher er nur verhandeln und paktieren konnte.

Aus einem ursprünglichen Hofamte war das Hausmeiertum (gegen
Ausgang der merowingischen Zeit maiorum domatus genannt) ein
Staatsamt geworden 19. Die Veränderung zeigt sich darin, daſs Neu-
strien, Austrasien und Burgund besondere Hausmeier hatten, obzwar
durch die Vereinigung der Teilreiche die Zahl der Hofhaltungen 613
auf eine beschränkt worden war. Während der Majordomus zuerst
nur ein Seneschalk gewesen war, sind seit der Veränderung, die
den Schwerpunkt des Amtes in die Reichsverwaltung legte, die haus-
wirtschaftlichen Funktionen davon abgezweigt und besonderen Sene-
schalken übertragen 20.

Anfänglich wurde der Hausmeier gleich den übrigen Hofbeamten
vom Könige bestellt. Seit der König auf den Willen der Groſsen
Rücksicht nehmen muſste, gewannen diese entscheidenden Einfluſs auf

16 In Marculf I 25, in Pertz, Dipl. M. Nr. 70 v. J. 697. Vgl. Zeumer, NA
VI 30 f. XI 348 f.
17 Siehe oben S. 34.
18 Fredegar IV, c. 42: ne umquam vitae suae temporibus degradaretur.
19 Lex Rib. 88 nennt den maior domus an der Spitze der daselbst aufgezählten
Beamten, was um so kennzeichnender ist, als die Stelle auf einer Nachbildung von
Lex Burg. prima const. § 4 beruht, wie die Aufzählung der Beamten und die
angedrohte Strafe ergeben. In der Lex Burg. stehen die maiores domus nostrae
erst in dritter Reihe. — Den Ausdruck maiorum domatus haben die Fortsetzer
des sog. Fredegar und der Liber hist. Franc. MG SS rerum Merow. II 566.
20 Waitz, VG II 2, S. 86, Anm. 3.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0124" n="106"/><fw place="top" type="header">§ 72. Der Hausmeier.</fw><lb/>
der Hausmeier als erster weltlicher Beisitzer im Königsgericht <note place="foot" n="16">In Marculf I 25, in Pertz, Dipl. M. Nr. 70 v. J. 697. Vgl. <hi rendition="#g">Zeumer</hi>, NA<lb/>
VI 30 f. XI 348 f.</note>.<lb/>
Während der Minderjährigkeit des Königs gewinnt er die Leitung der<lb/>
interimistischen Regierung <note place="foot" n="17">Siehe oben S. 34.</note>.</p><lb/>
            <p>Solange das Königtum die Kraft besa&#x017F;s, die fränkische Aristokratie<lb/>
im Zaume zu halten, wu&#x017F;ste es auch die Hausmeier als gefügsame<lb/>
Diener zu lenken. Der Wendepunkt in der Entwicklung des Amtes<lb/>
liegt in den Ereignissen, welche den Sturz der Königin Brunhildis und<lb/>
die Vereinigung Austrasiens und Burgunds mit dem Reiche Chlo-<lb/>
thars II. herbeiführten. Die Wirkungen des Sieges, durch den die<lb/>
austrasischen und burgundischen Gro&#x017F;sen dem Regiment Brunhildens<lb/>
ein Ende machten, bezeichnen eine neue Epoche nicht nur in der<lb/>
Geschichte des merowingischen Königtums, sondern auch in der des<lb/>
Hausmeiertums, welches die Interessen der Aristokratie gegen den<lb/>
König vertrat. Als Chlothar II. im Jahre 613 in Burgund den Major-<lb/>
domus Warnachar einsetzte, mu&#x017F;ste er ihm eidlich versprechen, da&#x017F;s<lb/>
er ihn niemals seines Amtes entheben werde <note place="foot" n="18">Fredegar IV, c. 42: ne umquam vitae suae temporibus degradaretur.</note>. Ein unabsetzbarer<lb/>
Hausmeier war eine politische Macht, über welche der König nicht<lb/>
mehr gebieten, mit welcher er nur verhandeln und paktieren konnte.</p><lb/>
            <p>Aus einem ursprünglichen Hofamte war das Hausmeiertum (gegen<lb/>
Ausgang der merowingischen Zeit maiorum domatus genannt) ein<lb/>
Staatsamt geworden <note place="foot" n="19">Lex Rib. 88 nennt den maior domus an der Spitze der daselbst aufgezählten<lb/>
Beamten, was um so kennzeichnender ist, als die Stelle auf einer Nachbildung von<lb/>
Lex Burg. prima const. § 4 beruht, wie die Aufzählung der Beamten und die<lb/>
angedrohte Strafe ergeben. In der Lex Burg. stehen die maiores domus nostrae<lb/>
erst in dritter Reihe. &#x2014; Den Ausdruck maiorum domatus haben die Fortsetzer<lb/>
des sog. Fredegar und der Liber hist. Franc. MG SS rerum Merow. II 566.</note>. Die Veränderung zeigt sich darin, da&#x017F;s Neu-<lb/>
strien, Austrasien und Burgund besondere Hausmeier hatten, obzwar<lb/>
durch die Vereinigung der Teilreiche die Zahl der Hofhaltungen 613<lb/>
auf eine beschränkt worden war. Während der Majordomus zuerst<lb/>
nur ein Seneschalk gewesen war, sind seit der Veränderung, die<lb/>
den Schwerpunkt des Amtes in die Reichsverwaltung legte, die haus-<lb/>
wirtschaftlichen Funktionen davon abgezweigt und besonderen Sene-<lb/>
schalken übertragen <note place="foot" n="20"><hi rendition="#g">Waitz</hi>, VG II 2, S. 86, Anm. 3.</note>.</p><lb/>
            <p>Anfänglich wurde der Hausmeier gleich den übrigen Hofbeamten<lb/>
vom Könige bestellt. Seit der König auf den Willen der Gro&#x017F;sen<lb/>
Rücksicht nehmen mu&#x017F;ste, gewannen diese entscheidenden Einflu&#x017F;s auf<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0124] § 72. Der Hausmeier. der Hausmeier als erster weltlicher Beisitzer im Königsgericht 16. Während der Minderjährigkeit des Königs gewinnt er die Leitung der interimistischen Regierung 17. Solange das Königtum die Kraft besaſs, die fränkische Aristokratie im Zaume zu halten, wuſste es auch die Hausmeier als gefügsame Diener zu lenken. Der Wendepunkt in der Entwicklung des Amtes liegt in den Ereignissen, welche den Sturz der Königin Brunhildis und die Vereinigung Austrasiens und Burgunds mit dem Reiche Chlo- thars II. herbeiführten. Die Wirkungen des Sieges, durch den die austrasischen und burgundischen Groſsen dem Regiment Brunhildens ein Ende machten, bezeichnen eine neue Epoche nicht nur in der Geschichte des merowingischen Königtums, sondern auch in der des Hausmeiertums, welches die Interessen der Aristokratie gegen den König vertrat. Als Chlothar II. im Jahre 613 in Burgund den Major- domus Warnachar einsetzte, muſste er ihm eidlich versprechen, daſs er ihn niemals seines Amtes entheben werde 18. Ein unabsetzbarer Hausmeier war eine politische Macht, über welche der König nicht mehr gebieten, mit welcher er nur verhandeln und paktieren konnte. Aus einem ursprünglichen Hofamte war das Hausmeiertum (gegen Ausgang der merowingischen Zeit maiorum domatus genannt) ein Staatsamt geworden 19. Die Veränderung zeigt sich darin, daſs Neu- strien, Austrasien und Burgund besondere Hausmeier hatten, obzwar durch die Vereinigung der Teilreiche die Zahl der Hofhaltungen 613 auf eine beschränkt worden war. Während der Majordomus zuerst nur ein Seneschalk gewesen war, sind seit der Veränderung, die den Schwerpunkt des Amtes in die Reichsverwaltung legte, die haus- wirtschaftlichen Funktionen davon abgezweigt und besonderen Sene- schalken übertragen 20. Anfänglich wurde der Hausmeier gleich den übrigen Hofbeamten vom Könige bestellt. Seit der König auf den Willen der Groſsen Rücksicht nehmen muſste, gewannen diese entscheidenden Einfluſs auf 16 In Marculf I 25, in Pertz, Dipl. M. Nr. 70 v. J. 697. Vgl. Zeumer, NA VI 30 f. XI 348 f. 17 Siehe oben S. 34. 18 Fredegar IV, c. 42: ne umquam vitae suae temporibus degradaretur. 19 Lex Rib. 88 nennt den maior domus an der Spitze der daselbst aufgezählten Beamten, was um so kennzeichnender ist, als die Stelle auf einer Nachbildung von Lex Burg. prima const. § 4 beruht, wie die Aufzählung der Beamten und die angedrohte Strafe ergeben. In der Lex Burg. stehen die maiores domus nostrae erst in dritter Reihe. — Den Ausdruck maiorum domatus haben die Fortsetzer des sog. Fredegar und der Liber hist. Franc. MG SS rerum Merow. II 566. 20 Waitz, VG II 2, S. 86, Anm. 3.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/124
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/124>, abgerufen am 22.11.2024.