Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 12. Das Haus.
zeichnet haben, ein Analogon der hausherrlichen manus des römischen
Rechtes. Doch schon in den ältesten Fundstellen tritt die Bedeutung
von Schutz, Schirm, Friede hervor, während es andrerseits auf Schutz-
verhältnisse angewendet wird, welchen das Merkmal der Hausgenossen-
schaft fremd ist. Munt (mascul.) bezeichnet auch den Inhaber der
Munt 7, den Vormund und Schutzherrn; doch wird er regelmässig
muntporo, mundboro (Träger der Munt), mundoaldus (Mundwalt) oder
foramundo genannt. Die rechtliche Bedeutung der verschiedenen Munt-
verhältnisse soll weiter unten zur Sprache kommen. Hier beschäftigt
uns das Hauswesen nur als einer der sozialen Faktoren der Rechts-
bildung.

Die Ehe, das die Hausgemeinschaft begründende Verhältnis, war
bei den Germanen eine monogamische. Doch schloss das Recht die
Vielweiberei nicht aus, welche nach Tacitus nur ausnahmsweise und
zwar bei den Vornehmsten vorkam 8.

Die ältesten Formen der germanischen Eheschliessung sind der
Frauenraub und der Frauenkauf 9. Allerdings gilt in der Zeit, da die
ersten Rechtsquellen fliessen, nur noch die Kaufehe für erlaubt, wo-
gegen der Frauenraub strenge bestraft wird. Allein verschiedene An-
haltspunkte weisen darauf zurück, dass auch die Germanen wie ihre
arischen Vettern, die Inder, Griechen, Römer und Slawen, einstens
die Raubehe gekannt haben 10. An der Schwelle der deutschen Ge-
schichte steht das berühmte Beispiel des Cheruskerfürsten Armin, der
die einem Anderen versprochene Tochter des Segestes durch Raub zur
Ehe gewann 11. Germanische Sagen und Dichtungen preisen den Helden,
der sich durch kühne Waffenthat aus dem Hause des Feindes das
Eheweib holt 12. Die ehebegründende Kraft des Frauenraubes verraten
noch die Bestimmungen einzelner deutscher Volksrechte, nach welchen

7 Ahd. Glossen, Graff II 813, übersetzen protector mit munt. Im Friesischen
heisst mund, mond der Vormund über Kinder und Frauen. Richthofen, Fries.
WB S 938. 939.
8 Tacitus, Germ. c. 18. Vgl. Wackernagel a. O. S 10.
9 Zu weit gehen m. E. Dargun und Heusler, wenn sie die Priorität der
Raubehe behaupten und daraus die Kaufehe in der Weise ableiten, dass der Kauf-
preis zunächst die Sühne des Frauenraubes gewesen sei.
10 Kohler, KrV XXIII 15; derselbe, Indisches Ehe- und Familienrecht,
Z f. vgl. RW III 342; derselbe, Studien über Frauengemeinschaft, Frauenraub
und Frauenkauf a. O. V 334. Dargun a. O.
11 Tacitus, Ann. I 55. 57. Der Frauenraub ist stets raptus in parentes und
schliesst auch die Entführung in sich, da der Konsens der Frau für das älteste
Eherecht irrelevant ist.
12 Stiernhöök, De iure Sveonum et Gothorum vetusto S 152.

§ 12. Das Haus.
zeichnet haben, ein Analogon der hausherrlichen manus des römischen
Rechtes. Doch schon in den ältesten Fundstellen tritt die Bedeutung
von Schutz, Schirm, Friede hervor, während es andrerseits auf Schutz-
verhältnisse angewendet wird, welchen das Merkmal der Hausgenossen-
schaft fremd ist. Munt (mascul.) bezeichnet auch den Inhaber der
Munt 7, den Vormund und Schutzherrn; doch wird er regelmäſsig
muntporo, mundboro (Träger der Munt), mundoaldus (Mundwalt) oder
foramundo genannt. Die rechtliche Bedeutung der verschiedenen Munt-
verhältnisse soll weiter unten zur Sprache kommen. Hier beschäftigt
uns das Hauswesen nur als einer der sozialen Faktoren der Rechts-
bildung.

Die Ehe, das die Hausgemeinschaft begründende Verhältnis, war
bei den Germanen eine monogamische. Doch schloſs das Recht die
Vielweiberei nicht aus, welche nach Tacitus nur ausnahmsweise und
zwar bei den Vornehmsten vorkam 8.

Die ältesten Formen der germanischen Eheschlieſsung sind der
Frauenraub und der Frauenkauf 9. Allerdings gilt in der Zeit, da die
ersten Rechtsquellen flieſsen, nur noch die Kaufehe für erlaubt, wo-
gegen der Frauenraub strenge bestraft wird. Allein verschiedene An-
haltspunkte weisen darauf zurück, daſs auch die Germanen wie ihre
arischen Vettern, die Inder, Griechen, Römer und Slawen, einstens
die Raubehe gekannt haben 10. An der Schwelle der deutschen Ge-
schichte steht das berühmte Beispiel des Cheruskerfürsten Armin, der
die einem Anderen versprochene Tochter des Segestes durch Raub zur
Ehe gewann 11. Germanische Sagen und Dichtungen preisen den Helden,
der sich durch kühne Waffenthat aus dem Hause des Feindes das
Eheweib holt 12. Die ehebegründende Kraft des Frauenraubes verraten
noch die Bestimmungen einzelner deutscher Volksrechte, nach welchen

7 Ahd. Glossen, Graff II 813, übersetzen protector mit munt. Im Friesischen
heiſst mund, mond der Vormund über Kinder und Frauen. Richthofen, Fries.
WB S 938. 939.
8 Tacitus, Germ. c. 18. Vgl. Wackernagel a. O. S 10.
9 Zu weit gehen m. E. Dargun und Heusler, wenn sie die Priorität der
Raubehe behaupten und daraus die Kaufehe in der Weise ableiten, daſs der Kauf-
preis zunächst die Sühne des Frauenraubes gewesen sei.
10 Kohler, KrV XXIII 15; derselbe, Indisches Ehe- und Familienrecht,
Z f. vgl. RW III 342; derselbe, Studien über Frauengemeinschaft, Frauenraub
und Frauenkauf a. O. V 334. Dargun a. O.
11 Tacitus, Ann. I 55. 57. Der Frauenraub ist stets raptus in parentes und
schlieſst auch die Entführung in sich, da der Konsens der Frau für das älteste
Eherecht irrelevant ist.
12 Stiernhöök, De iure Sveonum et Gothorum vetusto S 152.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0090" n="72"/><fw place="top" type="header">§ 12. Das Haus.</fw><lb/>
zeichnet haben, ein Analogon der hausherrlichen manus des römischen<lb/>
Rechtes. Doch schon in den ältesten Fundstellen tritt die Bedeutung<lb/>
von Schutz, Schirm, Friede hervor, während es andrerseits auf Schutz-<lb/>
verhältnisse angewendet wird, welchen das Merkmal der Hausgenossen-<lb/>
schaft fremd ist. Munt (mascul.) bezeichnet auch den Inhaber der<lb/>
Munt <note place="foot" n="7">Ahd. Glossen, <hi rendition="#g">Graff</hi> II 813, übersetzen protector mit munt. Im Friesischen<lb/>
hei&#x017F;st mund, mond der Vormund über Kinder und Frauen. <hi rendition="#g">Richthofen</hi>, Fries.<lb/>
WB S 938. 939.</note>, den Vormund und Schutzherrn; doch wird er regelmä&#x017F;sig<lb/>
muntporo, mundboro (Träger der Munt), mundoaldus (Mundwalt) oder<lb/>
foramundo genannt. Die rechtliche Bedeutung der verschiedenen Munt-<lb/>
verhältnisse soll weiter unten zur Sprache kommen. Hier beschäftigt<lb/>
uns das Hauswesen nur als einer der sozialen Faktoren der Rechts-<lb/>
bildung.</p><lb/>
          <p>Die Ehe, das die Hausgemeinschaft begründende Verhältnis, war<lb/>
bei den Germanen eine monogamische. Doch schlo&#x017F;s das Recht die<lb/>
Vielweiberei nicht aus, welche nach Tacitus nur ausnahmsweise und<lb/>
zwar bei den Vornehmsten vorkam <note place="foot" n="8">Tacitus, Germ. c. 18. Vgl. <hi rendition="#g">Wackernagel</hi> a. O. S 10.</note>.</p><lb/>
          <p>Die ältesten Formen der germanischen Eheschlie&#x017F;sung sind der<lb/>
Frauenraub und der Frauenkauf <note place="foot" n="9">Zu weit gehen m. E. <hi rendition="#g">Dargun</hi> und <hi rendition="#g">Heusler</hi>, wenn sie die Priorität der<lb/>
Raubehe behaupten und daraus die Kaufehe in der Weise ableiten, da&#x017F;s der Kauf-<lb/>
preis zunächst die Sühne des Frauenraubes gewesen sei.</note>. Allerdings gilt in der Zeit, da die<lb/>
ersten Rechtsquellen flie&#x017F;sen, nur noch die Kaufehe für erlaubt, wo-<lb/>
gegen der Frauenraub strenge bestraft wird. Allein verschiedene An-<lb/>
haltspunkte weisen darauf zurück, da&#x017F;s auch die Germanen wie ihre<lb/>
arischen Vettern, die Inder, Griechen, Römer und Slawen, einstens<lb/>
die Raubehe gekannt haben <note place="foot" n="10"><hi rendition="#g">Kohler</hi>, KrV XXIII 15; <hi rendition="#g">derselbe</hi>, Indisches Ehe- und Familienrecht,<lb/>
Z f. vgl. RW III 342; <hi rendition="#g">derselbe</hi>, Studien über Frauengemeinschaft, Frauenraub<lb/>
und Frauenkauf a. O. V 334. <hi rendition="#g">Dargun</hi> a. O.</note>. An der Schwelle der deutschen Ge-<lb/>
schichte steht das berühmte Beispiel des Cheruskerfürsten Armin, der<lb/>
die einem Anderen versprochene Tochter des Segestes durch Raub zur<lb/>
Ehe gewann <note place="foot" n="11">Tacitus, Ann. I 55. 57. Der Frauenraub ist stets raptus in parentes und<lb/>
schlie&#x017F;st auch die Entführung in sich, da der Konsens der Frau für das älteste<lb/>
Eherecht irrelevant ist.</note>. Germanische Sagen und Dichtungen preisen den Helden,<lb/>
der sich durch kühne Waffenthat aus dem Hause des Feindes das<lb/>
Eheweib holt <note place="foot" n="12"><hi rendition="#g">Stiernhöök</hi>, De iure Sveonum et Gothorum vetusto S 152.</note>. Die ehebegründende Kraft des Frauenraubes verraten<lb/>
noch die Bestimmungen einzelner deutscher Volksrechte, nach welchen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0090] § 12. Das Haus. zeichnet haben, ein Analogon der hausherrlichen manus des römischen Rechtes. Doch schon in den ältesten Fundstellen tritt die Bedeutung von Schutz, Schirm, Friede hervor, während es andrerseits auf Schutz- verhältnisse angewendet wird, welchen das Merkmal der Hausgenossen- schaft fremd ist. Munt (mascul.) bezeichnet auch den Inhaber der Munt 7, den Vormund und Schutzherrn; doch wird er regelmäſsig muntporo, mundboro (Träger der Munt), mundoaldus (Mundwalt) oder foramundo genannt. Die rechtliche Bedeutung der verschiedenen Munt- verhältnisse soll weiter unten zur Sprache kommen. Hier beschäftigt uns das Hauswesen nur als einer der sozialen Faktoren der Rechts- bildung. Die Ehe, das die Hausgemeinschaft begründende Verhältnis, war bei den Germanen eine monogamische. Doch schloſs das Recht die Vielweiberei nicht aus, welche nach Tacitus nur ausnahmsweise und zwar bei den Vornehmsten vorkam 8. Die ältesten Formen der germanischen Eheschlieſsung sind der Frauenraub und der Frauenkauf 9. Allerdings gilt in der Zeit, da die ersten Rechtsquellen flieſsen, nur noch die Kaufehe für erlaubt, wo- gegen der Frauenraub strenge bestraft wird. Allein verschiedene An- haltspunkte weisen darauf zurück, daſs auch die Germanen wie ihre arischen Vettern, die Inder, Griechen, Römer und Slawen, einstens die Raubehe gekannt haben 10. An der Schwelle der deutschen Ge- schichte steht das berühmte Beispiel des Cheruskerfürsten Armin, der die einem Anderen versprochene Tochter des Segestes durch Raub zur Ehe gewann 11. Germanische Sagen und Dichtungen preisen den Helden, der sich durch kühne Waffenthat aus dem Hause des Feindes das Eheweib holt 12. Die ehebegründende Kraft des Frauenraubes verraten noch die Bestimmungen einzelner deutscher Volksrechte, nach welchen 7 Ahd. Glossen, Graff II 813, übersetzen protector mit munt. Im Friesischen heiſst mund, mond der Vormund über Kinder und Frauen. Richthofen, Fries. WB S 938. 939. 8 Tacitus, Germ. c. 18. Vgl. Wackernagel a. O. S 10. 9 Zu weit gehen m. E. Dargun und Heusler, wenn sie die Priorität der Raubehe behaupten und daraus die Kaufehe in der Weise ableiten, daſs der Kauf- preis zunächst die Sühne des Frauenraubes gewesen sei. 10 Kohler, KrV XXIII 15; derselbe, Indisches Ehe- und Familienrecht, Z f. vgl. RW III 342; derselbe, Studien über Frauengemeinschaft, Frauenraub und Frauenkauf a. O. V 334. Dargun a. O. 11 Tacitus, Ann. I 55. 57. Der Frauenraub ist stets raptus in parentes und schlieſst auch die Entführung in sich, da der Konsens der Frau für das älteste Eherecht irrelevant ist. 12 Stiernhöök, De iure Sveonum et Gothorum vetusto S 152.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/90
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/90>, abgerufen am 22.11.2024.