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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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des römischen Westreichs.
das ostgotische Königtum über. Die den Goten eingeräumten Land-
lose waren der Grundsteuerpflicht unterworfen und hiessen tertiae 10.
Die Landanweisung wird tertiarum deputatio genannt 11.

Über die ältesten Landteilungen der Westgoten sind wir nicht
unterrichtet. Es wird uns erzählt, dass ihnen schon 419 in der
Aquitania secunda von den Römern Land überwiesen worden sei 12.
Der Teilungsfuss könnte bei dem von Anfang an selbständigeren Auf-
treten der Westgoten von vorneherein ein für sie günstigerer gewesen
sein, als bei den Ostgoten. Nach der ältesten westgotischen Rechts-
quelle hat der Gote zwei Drittel des Ackerlandes, und heisst der
römische Anteil tertia 13. Nicht aufgeteiltes Waldland und nicht um-
hegtes Weideland gehörte dem gotischen und dem römischen hospes
zu gemeinschaftlichem Gebrauche 14. Wenn der eine der beiden
consortes ein Stück des gemeinsamen Waldlandes ausrodete, sollte
der andere durch eine gleich grosse Waldfläche entschädigt oder das
Rottland geteilt werden 15. Die westgotischen sortes waren steuer-
frei 16.

Durch die Art der Landteilung wurden die germanischen An-
kömmlinge räumlich unter die römischen Provinzialen verteilt. "Wie
die Felder des Schachbrettes durchsetzen sich die Wohnsitze der alten
und neuen Bewohner 17." Nirgends sass die germanische Bevölkerung
in geschlossener Masse beisammen. Das Nachbarverhältnis musste
zahlreiche persönliche Beziehungen erzeugen, um so mehr als die
Landteilung zunächst nur ein Miteigenthum der Konsorten herbei-
führte, das erst später einer Realteilung Platz machte, während Wald
und Weideland noch längere Zeit gemeinschaftlich blieben. Die all-
mähliche Romanisierung der neuen Ansiedler, die Ausgleichung ger-
manischer und römischer Lebensführung konnten bei dieser Sachlage

10 Das Wort tertiae kommt auch für eine Abgabe aus Leiheverhältnissen vor.
Gaupp S 483.
11 Cassiodori Varia II 16. Da der Kriegsdienst ausschliesslich auf den
Goten und sonstigen Germanen lastete, konnte Theoderich a. O. sagen: in parte
agri defensor acquisitus est, ut substantiae securitas integra servaretur.
12 Epitome Philostorgii bei Gaupp S 379: cum prius ipsi annonas ab im-
peratore et quandam Galliae partem ad agros excolendos accepissent.
13 Antiqua 277: sortes Gothicas et tertiam Romanorum ... Lex Wis. X 1, 8:
nec de duabus partibus Gothi aliquid sibi Romanus praesumat aut vindicet, aut de
tertia Romani Gothus sibi aliquid audeat usurpare aut vindicare.
14 Lex Wis. X 1, 9; VIII 5, 5.
15 Lex Wis. X 1, 9.
16 Helfferich, Entstehung und Gesch. des Westgothenrechts, 1858, S 112.
17 Binding S 36.
5*

des römischen Westreichs.
das ostgotische Königtum über. Die den Goten eingeräumten Land-
lose waren der Grundsteuerpflicht unterworfen und hieſsen tertiae 10.
Die Landanweisung wird tertiarum deputatio genannt 11.

Über die ältesten Landteilungen der Westgoten sind wir nicht
unterrichtet. Es wird uns erzählt, daſs ihnen schon 419 in der
Aquitania secunda von den Römern Land überwiesen worden sei 12.
Der Teilungsfuſs könnte bei dem von Anfang an selbständigeren Auf-
treten der Westgoten von vorneherein ein für sie günstigerer gewesen
sein, als bei den Ostgoten. Nach der ältesten westgotischen Rechts-
quelle hat der Gote zwei Drittel des Ackerlandes, und heiſst der
römische Anteil tertia 13. Nicht aufgeteiltes Waldland und nicht um-
hegtes Weideland gehörte dem gotischen und dem römischen hospes
zu gemeinschaftlichem Gebrauche 14. Wenn der eine der beiden
consortes ein Stück des gemeinsamen Waldlandes ausrodete, sollte
der andere durch eine gleich groſse Waldfläche entschädigt oder das
Rottland geteilt werden 15. Die westgotischen sortes waren steuer-
frei 16.

Durch die Art der Landteilung wurden die germanischen An-
kömmlinge räumlich unter die römischen Provinzialen verteilt. „Wie
die Felder des Schachbrettes durchsetzen sich die Wohnsitze der alten
und neuen Bewohner 17.“ Nirgends saſs die germanische Bevölkerung
in geschlossener Masse beisammen. Das Nachbarverhältnis muſste
zahlreiche persönliche Beziehungen erzeugen, um so mehr als die
Landteilung zunächst nur ein Miteigenthum der Konsorten herbei-
führte, das erst später einer Realteilung Platz machte, während Wald
und Weideland noch längere Zeit gemeinschaftlich blieben. Die all-
mähliche Romanisierung der neuen Ansiedler, die Ausgleichung ger-
manischer und römischer Lebensführung konnten bei dieser Sachlage

10 Das Wort tertiae kommt auch für eine Abgabe aus Leiheverhältnissen vor.
Gaupp S 483.
11 Cassiodori Varia II 16. Da der Kriegsdienst ausschlieſslich auf den
Goten und sonstigen Germanen lastete, konnte Theoderich a. O. sagen: in parte
agri defensor acquisitus est, ut substantiae securitas integra servaretur.
12 Epitome Philostorgii bei Gaupp S 379: cum prius ipsi annonas ab im-
peratore et quandam Galliae partem ad agros excolendos accepissent.
13 Antiqua 277: sortes Gothicas et tertiam Romanorum … Lex Wis. X 1, 8:
nec de duabus partibus Gothi aliquid sibi Romanus praesumat aut vindicet, aut de
tertia Romani Gothus sibi aliquid audeat usurpare aut vindicare.
14 Lex Wis. X 1, 9; VIII 5, 5.
15 Lex Wis. X 1, 9.
16 Helfferich, Entstehung und Gesch. des Westgothenrechts, 1858, S 112.
17 Binding S 36.
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[67/0085] des römischen Westreichs. das ostgotische Königtum über. Die den Goten eingeräumten Land- lose waren der Grundsteuerpflicht unterworfen und hieſsen tertiae 10. Die Landanweisung wird tertiarum deputatio genannt 11. Über die ältesten Landteilungen der Westgoten sind wir nicht unterrichtet. Es wird uns erzählt, daſs ihnen schon 419 in der Aquitania secunda von den Römern Land überwiesen worden sei 12. Der Teilungsfuſs könnte bei dem von Anfang an selbständigeren Auf- treten der Westgoten von vorneherein ein für sie günstigerer gewesen sein, als bei den Ostgoten. Nach der ältesten westgotischen Rechts- quelle hat der Gote zwei Drittel des Ackerlandes, und heiſst der römische Anteil tertia 13. Nicht aufgeteiltes Waldland und nicht um- hegtes Weideland gehörte dem gotischen und dem römischen hospes zu gemeinschaftlichem Gebrauche 14. Wenn der eine der beiden consortes ein Stück des gemeinsamen Waldlandes ausrodete, sollte der andere durch eine gleich groſse Waldfläche entschädigt oder das Rottland geteilt werden 15. Die westgotischen sortes waren steuer- frei 16. Durch die Art der Landteilung wurden die germanischen An- kömmlinge räumlich unter die römischen Provinzialen verteilt. „Wie die Felder des Schachbrettes durchsetzen sich die Wohnsitze der alten und neuen Bewohner 17.“ Nirgends saſs die germanische Bevölkerung in geschlossener Masse beisammen. Das Nachbarverhältnis muſste zahlreiche persönliche Beziehungen erzeugen, um so mehr als die Landteilung zunächst nur ein Miteigenthum der Konsorten herbei- führte, das erst später einer Realteilung Platz machte, während Wald und Weideland noch längere Zeit gemeinschaftlich blieben. Die all- mähliche Romanisierung der neuen Ansiedler, die Ausgleichung ger- manischer und römischer Lebensführung konnten bei dieser Sachlage 10 Das Wort tertiae kommt auch für eine Abgabe aus Leiheverhältnissen vor. Gaupp S 483. 11 Cassiodori Varia II 16. Da der Kriegsdienst ausschlieſslich auf den Goten und sonstigen Germanen lastete, konnte Theoderich a. O. sagen: in parte agri defensor acquisitus est, ut substantiae securitas integra servaretur. 12 Epitome Philostorgii bei Gaupp S 379: cum prius ipsi annonas ab im- peratore et quandam Galliae partem ad agros excolendos accepissent. 13 Antiqua 277: sortes Gothicas et tertiam Romanorum … Lex Wis. X 1, 8: nec de duabus partibus Gothi aliquid sibi Romanus praesumat aut vindicet, aut de tertia Romani Gothus sibi aliquid audeat usurpare aut vindicare. 14 Lex Wis. X 1, 9; VIII 5, 5. 15 Lex Wis. X 1, 9. 16 Helfferich, Entstehung und Gesch. des Westgothenrechts, 1858, S 112. 17 Binding S 36. 5*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/85>, abgerufen am 22.11.2024.