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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.
rheinischen Germanen und ihren Nachkommen, welche auf öffentlichen
Ländereien angesiedelt sind. Sie bewirtschaften Grundstücke, terrae
laeticae, welche sie nicht veräussern dürfen, müssen dafür Kriegs-
dienste leisten, darben der Freizügigkeit und sind einem praefectus
laetorum untergeordnet. Das Verhältnis der Läten ist ein erbliches.
Im übrigen ziemlich unabhängig, hatten sie korporative Verfassung12
und lebten, wie es scheint, in ihren gegenseitigen Rechtsbeziehungen
nach heimischem Rechte. Die Anweisung lätischer Ländereien war
rechtlich dem Kaiser vorbehalten. Doch haben gegen Ende des vierten
Jahrhunderts die angesiedelten Läten Grundstücke ohne kaiserliche
annotatio okkupiert oder durch Konnivenz der städtischen Behörden
zu erwerben gewusst, Missbräuche, welchen eine Konstitution des
Kaisers Honorius von 399 zu steuern sucht13. Das römische Ämter-
verzeichnis vom Anfang des fünften Jahrhunderts nennt zwölf lätische
Präfekturen, die unter dem magister militum praesentalis a parte
peditum stehen und sich ausnahmlos in Gallien und zwar zumeist
in den beiden Belgien befinden14. Soweit die Ursprungsnamen der
einzelnen lätischen Truppenkörper angegeben sind, weisen sie in der
Mehrzahl auf fränkische Abstammung hin. Das Wort Läten ist
germanischer Herkunft15. Es bedeutet bei den Franken, Friesen und
Sachsen die Halbfreien, kann dagegen bei den Oberdeutschen und bei
den ostgermanischen Stämmen nicht oder doch nicht als bodenständig
nachgewiesen werden. Wahrscheinlich führt die Entstehung des Instituts
auf die Ausnutzung der ersten Römersiege über die Franken zurück.

Verwandt mit den Läten sind die Gentilen, gleichfalls ange-
siedelte barbarische Truppenkörper, welche seit der zweiten Hälfte

12 In Nov. Severi cit. a. 465 werden sie zu den corpora publicis obsequiis
deputata gezählt.
13 Cod. Theod. XIII 11, 10: Quoniam ex multis gentibus sequentes Romanam
felicitatem se ad nostrum imperium contulerunt, quibus terrae laeticae administrandae
sunt, nullus ex his agris aliquid nisi ex nostra annotatione mereatur. Et quoniam
aliquanti aut amplius, quam meruerant, occuparunt, aut colludio principalium vel
defensorum vel subrepticiis rescriptis maiorem quam ratio poscebat, terrarum mo-
dum sunt consecuti, inspector idoneus dirigatur, qui ea revocet, quae aut male sunt
tradita aut improbe ab aliquibus occupata. Ein Summarium zum Codex Theodosi-
anus fasst nicht bloss die Läten, sondern alle eingedrungenen Barbaren und ihre
Besitzverhältnisse ins Auge, indem es die Konstitution von 399 folgendermassen
summiert: peregrini occupantes Romanam provinciam nullum beneficium accipi-
ant, nisi eis principalis indulgentia concesserit. Antiqua summaria codicis Theodos.
ed. G. Haenel S 47 c. 9. Vgl. Fitting in der Z f. RG X 337 f.
14 Notitia dignitatum ed. Seeck 1876 S 216 f.
15 Näheres unten § 14 S 101 ff.
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§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.
rheinischen Germanen und ihren Nachkommen, welche auf öffentlichen
Ländereien angesiedelt sind. Sie bewirtschaften Grundstücke, terrae
laeticae, welche sie nicht veräuſsern dürfen, müssen dafür Kriegs-
dienste leisten, darben der Freizügigkeit und sind einem praefectus
laetorum untergeordnet. Das Verhältnis der Läten ist ein erbliches.
Im übrigen ziemlich unabhängig, hatten sie korporative Verfassung12
und lebten, wie es scheint, in ihren gegenseitigen Rechtsbeziehungen
nach heimischem Rechte. Die Anweisung lätischer Ländereien war
rechtlich dem Kaiser vorbehalten. Doch haben gegen Ende des vierten
Jahrhunderts die angesiedelten Läten Grundstücke ohne kaiserliche
annotatio okkupiert oder durch Konnivenz der städtischen Behörden
zu erwerben gewuſst, Miſsbräuche, welchen eine Konstitution des
Kaisers Honorius von 399 zu steuern sucht13. Das römische Ämter-
verzeichnis vom Anfang des fünften Jahrhunderts nennt zwölf lätische
Präfekturen, die unter dem magister militum praesentalis a parte
peditum stehen und sich ausnahmlos in Gallien und zwar zumeist
in den beiden Belgien befinden14. Soweit die Ursprungsnamen der
einzelnen lätischen Truppenkörper angegeben sind, weisen sie in der
Mehrzahl auf fränkische Abstammung hin. Das Wort Läten ist
germanischer Herkunft15. Es bedeutet bei den Franken, Friesen und
Sachsen die Halbfreien, kann dagegen bei den Oberdeutschen und bei
den ostgermanischen Stämmen nicht oder doch nicht als bodenständig
nachgewiesen werden. Wahrscheinlich führt die Entstehung des Instituts
auf die Ausnutzung der ersten Römersiege über die Franken zurück.

Verwandt mit den Läten sind die Gentilen, gleichfalls ange-
siedelte barbarische Truppenkörper, welche seit der zweiten Hälfte

12 In Nov. Severi cit. a. 465 werden sie zu den corpora publicis obsequiis
deputata gezählt.
13 Cod. Theod. XIII 11, 10: Quoniam ex multis gentibus sequentes Romanam
felicitatem se ad nostrum imperium contulerunt, quibus terrae laeticae administrandae
sunt, nullus ex his agris aliquid nisi ex nostra annotatione mereatur. Et quoniam
aliquanti aut amplius, quam meruerant, occuparunt, aut colludio principalium vel
defensorum vel subrepticiis rescriptis maiorem quam ratio poscebat, terrarum mo-
dum sunt consecuti, inspector idoneus dirigatur, qui ea revocet, quae aut male sunt
tradita aut improbe ab aliquibus occupata. Ein Summarium zum Codex Theodosi-
anus faſst nicht bloſs die Läten, sondern alle eingedrungenen Barbaren und ihre
Besitzverhältnisse ins Auge, indem es die Konstitution von 399 folgendermaſsen
summiert: peregrini occupantes Romanam provinciam nullum beneficium accipi-
ant, nisi eis principalis indulgentia concesserit. Antiqua summaria codicis Theodos.
ed. G. Haenel S 47 c. 9. Vgl. Fitting in der Z f. RG X 337 f.
14 Notitia dignitatum ed. Seeck 1876 S 216 f.
15 Näheres unten § 14 S 101 ff.
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[35/0053] § 7. Das Germanentum im römischen Reich. rheinischen Germanen und ihren Nachkommen, welche auf öffentlichen Ländereien angesiedelt sind. Sie bewirtschaften Grundstücke, terrae laeticae, welche sie nicht veräuſsern dürfen, müssen dafür Kriegs- dienste leisten, darben der Freizügigkeit und sind einem praefectus laetorum untergeordnet. Das Verhältnis der Läten ist ein erbliches. Im übrigen ziemlich unabhängig, hatten sie korporative Verfassung 12 und lebten, wie es scheint, in ihren gegenseitigen Rechtsbeziehungen nach heimischem Rechte. Die Anweisung lätischer Ländereien war rechtlich dem Kaiser vorbehalten. Doch haben gegen Ende des vierten Jahrhunderts die angesiedelten Läten Grundstücke ohne kaiserliche annotatio okkupiert oder durch Konnivenz der städtischen Behörden zu erwerben gewuſst, Miſsbräuche, welchen eine Konstitution des Kaisers Honorius von 399 zu steuern sucht 13. Das römische Ämter- verzeichnis vom Anfang des fünften Jahrhunderts nennt zwölf lätische Präfekturen, die unter dem magister militum praesentalis a parte peditum stehen und sich ausnahmlos in Gallien und zwar zumeist in den beiden Belgien befinden 14. Soweit die Ursprungsnamen der einzelnen lätischen Truppenkörper angegeben sind, weisen sie in der Mehrzahl auf fränkische Abstammung hin. Das Wort Läten ist germanischer Herkunft 15. Es bedeutet bei den Franken, Friesen und Sachsen die Halbfreien, kann dagegen bei den Oberdeutschen und bei den ostgermanischen Stämmen nicht oder doch nicht als bodenständig nachgewiesen werden. Wahrscheinlich führt die Entstehung des Instituts auf die Ausnutzung der ersten Römersiege über die Franken zurück. Verwandt mit den Läten sind die Gentilen, gleichfalls ange- siedelte barbarische Truppenkörper, welche seit der zweiten Hälfte 12 In Nov. Severi cit. a. 465 werden sie zu den corpora publicis obsequiis deputata gezählt. 13 Cod. Theod. XIII 11, 10: Quoniam ex multis gentibus sequentes Romanam felicitatem se ad nostrum imperium contulerunt, quibus terrae laeticae administrandae sunt, nullus ex his agris aliquid nisi ex nostra annotatione mereatur. Et quoniam aliquanti aut amplius, quam meruerant, occuparunt, aut colludio principalium vel defensorum vel subrepticiis rescriptis maiorem quam ratio poscebat, terrarum mo- dum sunt consecuti, inspector idoneus dirigatur, qui ea revocet, quae aut male sunt tradita aut improbe ab aliquibus occupata. Ein Summarium zum Codex Theodosi- anus faſst nicht bloſs die Läten, sondern alle eingedrungenen Barbaren und ihre Besitzverhältnisse ins Auge, indem es die Konstitution von 399 folgendermaſsen summiert: peregrini occupantes Romanam provinciam nullum beneficium accipi- ant, nisi eis principalis indulgentia concesserit. Antiqua summaria codicis Theodos. ed. G. Haenel S 47 c. 9. Vgl. Fitting in der Z f. RG X 337 f. 14 Notitia dignitatum ed. Seeck 1876 S 216 f. 15 Näheres unten § 14 S 101 ff. 3*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/53>, abgerufen am 20.07.2024.