Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.
mes, war zunächst von den Istväonen als Stammesgott zum höchsten
Träger ihres religiösen Bewusstseins erhoben worden, ehe er bei den
übrigen Germanen die Stellung des Obergottes erlangte. Nachrichten
kirchlicher Schriftsteller bezeugen uns die Bedeutung des gemeinsamen
Kultus bei den deutschen Stämmen, die das Heidentum am längsten
bewahrt haben, bei den Friesen und Sachsen. Die friesische Insel
Helgoland ist noch im 8. Jahrhundert als Stätte allgemeiner Ver-
ehrung dem Gott Fosite geweiht, nach welchem sie Fositesland ge-
nannt wird 10. Ein im 10. Jahrhundert verfasstes Heiligenleben
berichtet von einer mit Opfern eröffneten Stammesversammlung der
heidnischen Sachsen 11.

§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.

Mommsen, Die Conscriptionsordnung der röm. Kaiserzeit, Hermes XIX 1 ff. 210 ff.
J. Marquardt, Röm. Staatsverwaltung II, 2. Aufl. 1884, Abschn.: Militärwesen.
Heinrich Richter, Das weström. Reich, bes. unter den Kaisern Gratian, Va-
lentinian II. und Maximus (375--388), 1865, S 180 ff. Böcking, Notitia dignita-
tum (nebst Kommentar), 1839--1853. Jung, Die romanischen Landschaften des
röm. Reichs, Studien über die innere Entwicklung der römischen Kaiserzeit, 1881.
v. Wietersheim, Gesch. der Völkerwanderung, 2. Aufl. besorgt von Dahn 1880,
I 283 ff. v. Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozess I 109.
Burckhardt, Die Zeit Constantins d. Gr., 2. Aufl. 1880. Giraud, Essai sur
l'histoire du droit francais au moyen age I 147 ff., 1846. Leotard, Essai sur la
condition des barbares etablis dans l'empire romain au quatrieme siecle, 1873.

Der Gegensatz zwischen Römern und Germanen fand seine end-
liche Lösung, indem die westliche Hälfte des römischen Reiches in
eine Anzahl germanischer Staaten auseinanderfiel. Das Stück Welt-
geschichte, welches diesem Ergebnis eines halbtausendjährigen Kampfes
vorausging, und das Ergebnis selbst, insbesondere die Art, wie die
germanischen Staatsbildungen sich in die Trümmer der römischen
Kultur hineinschoben, kann man sich nicht zu vollem Verständnis
bringen, wenn man die Kette der äusseren Ereignisse vor sich ab-
rollen lässt, ohne das gleichzeitige Wachstum der germanischen Ele-
mente im Innern des römischen Reiches ins Auge zu fassen. Der
römische Occident würde seinen gefährlichsten Feinden schon früher
erlegen sein, hätte nicht seit Beginn der Germanenkriege ein unab-
lässiges Einströmen germanischen Blutes in den alternden Körper des
Reiches stattgefunden. Und die Gründung und Ausbreitung germa-
nischer Staaten auf römischer Erde würde ganz anders ausgefallen

10 v. Richthofen, Untersuchungen über friesische Rechtsgesch. II 423 ff.
11 Hucbaldi Vita s. Lebuini, MG SS II 361.

§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.
mes, war zunächst von den Istväonen als Stammesgott zum höchsten
Träger ihres religiösen Bewuſstseins erhoben worden, ehe er bei den
übrigen Germanen die Stellung des Obergottes erlangte. Nachrichten
kirchlicher Schriftsteller bezeugen uns die Bedeutung des gemeinsamen
Kultus bei den deutschen Stämmen, die das Heidentum am längsten
bewahrt haben, bei den Friesen und Sachsen. Die friesische Insel
Helgoland ist noch im 8. Jahrhundert als Stätte allgemeiner Ver-
ehrung dem Gott Fosite geweiht, nach welchem sie Fositesland ge-
nannt wird 10. Ein im 10. Jahrhundert verfaſstes Heiligenleben
berichtet von einer mit Opfern eröffneten Stammesversammlung der
heidnischen Sachsen 11.

§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.

Mommsen, Die Conscriptionsordnung der röm. Kaiserzeit, Hermes XIX 1 ff. 210 ff.
J. Marquardt, Röm. Staatsverwaltung II, 2. Aufl. 1884, Abschn.: Militärwesen.
Heinrich Richter, Das weström. Reich, bes. unter den Kaisern Gratian, Va-
lentinian II. und Maximus (375—388), 1865, S 180 ff. Böcking, Notitia dignita-
tum (nebst Kommentar), 1839—1853. Jung, Die romanischen Landschaften des
röm. Reichs, Studien über die innere Entwicklung der römischen Kaiserzeit, 1881.
v. Wietersheim, Gesch. der Völkerwanderung, 2. Aufl. besorgt von Dahn 1880,
I 283 ff. v. Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeſs I 109.
Burckhardt, Die Zeit Constantins d. Gr., 2. Aufl. 1880. Giraud, Essai sur
l’histoire du droit français au moyen âge I 147 ff., 1846. Léotard, Essai sur la
condition des barbares établis dans l’empire romain au quatrième siècle, 1873.

Der Gegensatz zwischen Römern und Germanen fand seine end-
liche Lösung, indem die westliche Hälfte des römischen Reiches in
eine Anzahl germanischer Staaten auseinanderfiel. Das Stück Welt-
geschichte, welches diesem Ergebnis eines halbtausendjährigen Kampfes
vorausging, und das Ergebnis selbst, insbesondere die Art, wie die
germanischen Staatsbildungen sich in die Trümmer der römischen
Kultur hineinschoben, kann man sich nicht zu vollem Verständnis
bringen, wenn man die Kette der äuſseren Ereignisse vor sich ab-
rollen läſst, ohne das gleichzeitige Wachstum der germanischen Ele-
mente im Innern des römischen Reiches ins Auge zu fassen. Der
römische Occident würde seinen gefährlichsten Feinden schon früher
erlegen sein, hätte nicht seit Beginn der Germanenkriege ein unab-
lässiges Einströmen germanischen Blutes in den alternden Körper des
Reiches stattgefunden. Und die Gründung und Ausbreitung germa-
nischer Staaten auf römischer Erde würde ganz anders ausgefallen

10 v. Richthofen, Untersuchungen über friesische Rechtsgesch. II 423 ff.
11 Hucbaldi Vita s. Lebuini, MG SS II 361.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0050" n="32"/><fw place="top" type="header">§ 7. Das Germanentum im römischen Reich.</fw><lb/>
mes, war zunächst von den Istväonen als Stammesgott zum höchsten<lb/>
Träger ihres religiösen Bewu&#x017F;stseins erhoben worden, ehe er bei den<lb/>
übrigen Germanen die Stellung des Obergottes erlangte. Nachrichten<lb/>
kirchlicher Schriftsteller bezeugen uns die Bedeutung des gemeinsamen<lb/>
Kultus bei den deutschen Stämmen, die das Heidentum am längsten<lb/>
bewahrt haben, bei den Friesen und Sachsen. Die friesische Insel<lb/>
Helgoland ist noch im 8. Jahrhundert als Stätte allgemeiner Ver-<lb/>
ehrung dem Gott Fosite geweiht, nach welchem sie Fositesland ge-<lb/>
nannt wird <note place="foot" n="10">v. <hi rendition="#g">Richthofen</hi>, Untersuchungen über friesische Rechtsgesch. II 423 ff.</note>. Ein im 10. Jahrhundert verfa&#x017F;stes Heiligenleben<lb/>
berichtet von einer mit Opfern eröffneten Stammesversammlung der<lb/>
heidnischen Sachsen <note place="foot" n="11">Hucbaldi Vita s. Lebuini, MG SS II 361.</note>.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§ 7. <hi rendition="#g">Das Germanentum im römischen Reich</hi>.</head><lb/>
          <p>
            <bibl><hi rendition="#g">Mommsen</hi>, Die Conscriptionsordnung der röm. Kaiserzeit, Hermes XIX 1 ff. 210 ff.<lb/>
J. <hi rendition="#g">Marquardt</hi>, Röm. Staatsverwaltung II, 2. Aufl. 1884, Abschn.: Militärwesen.<lb/><hi rendition="#g">Heinrich Richter</hi>, Das weström. Reich, bes. unter den Kaisern Gratian, Va-<lb/>
lentinian II. und Maximus (375&#x2014;388), 1865, S 180 ff. <hi rendition="#g">Böcking</hi>, Notitia dignita-<lb/>
tum (nebst Kommentar), 1839&#x2014;1853. <hi rendition="#g">Jung</hi>, Die romanischen Landschaften des<lb/>
röm. Reichs, Studien über die innere Entwicklung der römischen Kaiserzeit, 1881.<lb/>
v. <hi rendition="#g">Wietersheim</hi>, Gesch. der Völkerwanderung, 2. Aufl. besorgt von Dahn 1880,<lb/>
I 283 ff. v. <hi rendition="#g">Bethmann-Hollweg</hi>, Der germanisch-romanische Civilproze&#x017F;s I 109.<lb/><hi rendition="#g">Burckhardt</hi>, Die Zeit Constantins d. Gr., 2. Aufl. 1880. <hi rendition="#g">Giraud</hi>, Essai sur<lb/>
l&#x2019;histoire du droit français au moyen âge I 147 ff., 1846. <hi rendition="#g">Léotard</hi>, Essai sur la<lb/><hi rendition="#c">condition des barbares établis dans l&#x2019;empire romain au quatrième siècle, 1873.</hi></bibl>
          </p><lb/>
          <p>Der Gegensatz zwischen Römern und Germanen fand seine end-<lb/>
liche Lösung, indem die westliche Hälfte des römischen Reiches in<lb/>
eine Anzahl germanischer Staaten auseinanderfiel. Das Stück Welt-<lb/>
geschichte, welches diesem Ergebnis eines halbtausendjährigen Kampfes<lb/>
vorausging, und das Ergebnis selbst, insbesondere die Art, wie die<lb/>
germanischen Staatsbildungen sich in die Trümmer der römischen<lb/>
Kultur hineinschoben, kann man sich nicht zu vollem Verständnis<lb/>
bringen, wenn man die Kette der äu&#x017F;seren Ereignisse vor sich ab-<lb/>
rollen lä&#x017F;st, ohne das gleichzeitige Wachstum der germanischen Ele-<lb/>
mente im Innern des römischen Reiches ins Auge zu fassen. Der<lb/>
römische Occident würde seinen gefährlichsten Feinden schon früher<lb/>
erlegen sein, hätte nicht seit Beginn der Germanenkriege ein unab-<lb/>
lässiges Einströmen germanischen Blutes in den alternden Körper des<lb/>
Reiches stattgefunden. Und die Gründung und Ausbreitung germa-<lb/>
nischer Staaten auf römischer Erde würde ganz anders ausgefallen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0050] § 7. Das Germanentum im römischen Reich. mes, war zunächst von den Istväonen als Stammesgott zum höchsten Träger ihres religiösen Bewuſstseins erhoben worden, ehe er bei den übrigen Germanen die Stellung des Obergottes erlangte. Nachrichten kirchlicher Schriftsteller bezeugen uns die Bedeutung des gemeinsamen Kultus bei den deutschen Stämmen, die das Heidentum am längsten bewahrt haben, bei den Friesen und Sachsen. Die friesische Insel Helgoland ist noch im 8. Jahrhundert als Stätte allgemeiner Ver- ehrung dem Gott Fosite geweiht, nach welchem sie Fositesland ge- nannt wird 10. Ein im 10. Jahrhundert verfaſstes Heiligenleben berichtet von einer mit Opfern eröffneten Stammesversammlung der heidnischen Sachsen 11. § 7. Das Germanentum im römischen Reich. Mommsen, Die Conscriptionsordnung der röm. Kaiserzeit, Hermes XIX 1 ff. 210 ff. J. Marquardt, Röm. Staatsverwaltung II, 2. Aufl. 1884, Abschn.: Militärwesen. Heinrich Richter, Das weström. Reich, bes. unter den Kaisern Gratian, Va- lentinian II. und Maximus (375—388), 1865, S 180 ff. Böcking, Notitia dignita- tum (nebst Kommentar), 1839—1853. Jung, Die romanischen Landschaften des röm. Reichs, Studien über die innere Entwicklung der römischen Kaiserzeit, 1881. v. Wietersheim, Gesch. der Völkerwanderung, 2. Aufl. besorgt von Dahn 1880, I 283 ff. v. Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeſs I 109. Burckhardt, Die Zeit Constantins d. Gr., 2. Aufl. 1880. Giraud, Essai sur l’histoire du droit français au moyen âge I 147 ff., 1846. Léotard, Essai sur la condition des barbares établis dans l’empire romain au quatrième siècle, 1873. Der Gegensatz zwischen Römern und Germanen fand seine end- liche Lösung, indem die westliche Hälfte des römischen Reiches in eine Anzahl germanischer Staaten auseinanderfiel. Das Stück Welt- geschichte, welches diesem Ergebnis eines halbtausendjährigen Kampfes vorausging, und das Ergebnis selbst, insbesondere die Art, wie die germanischen Staatsbildungen sich in die Trümmer der römischen Kultur hineinschoben, kann man sich nicht zu vollem Verständnis bringen, wenn man die Kette der äuſseren Ereignisse vor sich ab- rollen läſst, ohne das gleichzeitige Wachstum der germanischen Ele- mente im Innern des römischen Reiches ins Auge zu fassen. Der römische Occident würde seinen gefährlichsten Feinden schon früher erlegen sein, hätte nicht seit Beginn der Germanenkriege ein unab- lässiges Einströmen germanischen Blutes in den alternden Körper des Reiches stattgefunden. Und die Gründung und Ausbreitung germa- nischer Staaten auf römischer Erde würde ganz anders ausgefallen 10 v. Richthofen, Untersuchungen über friesische Rechtsgesch. II 423 ff. 11 Hucbaldi Vita s. Lebuini, MG SS II 361.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/50
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/50>, abgerufen am 22.12.2024.