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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 58. Die Formelsammlungen.
cipiunt cartas regales sive pagensales, enthält aber nur eine carta
regalis, im übrigen Formeln für Rechtsgeschäfte, gerichtliche notitiae
und Briefmuster. Formel 16 ist ein Empfehlungsschreiben, welches ein
Majordomus einem Rompilger ausstellte. Dagegen deuten die Ge-
richtsurkunden, insbesondere die Erwähnung der Schöffen (F. 7), auf
karolingische Entstehungszeit. Die Sammlung ist jedenfalls vor der
Unterwerfung des Langobardenreiches, also nicht nach 774, wahr-
scheinlich in den ersten Regierungsjahren Karls des Grossen angelegt
worden. Die Hinweise auf die Lex Salica (F. 1. 6) und die spezifisch
salischen Rechtsausdrücke ergeben, dass sie in einem Gebiete salischen
Rechtes entstanden sei.

8. Die Formulae Salicae Merkelianae37. Die in einer vati-
kanischen Handschrift überlieferte und nach ihrem ersten Herausgeber
Joh. Merkel benannte Sammlung zerfällt in drei Bestandteile. Den
ursprünglichen Kern bildet eine systematisch geordnete Sammlung von
dreissig Formeln, welche Rechtsgeschäfte und Gerichtsverhandlungen
vor missus, comes und vicarius betreffen. Der Verfasser hat Marculf
und die Formulae Turonenses benutzt. Sein Werk kann also nicht
vor der Mitte des achten Jahrhunderts entstanden sein, ist aber jeden-
falls älter wie der zweite Bestandteil, Formel 3138--45, von welchen
vier der Bignonschen Sammlung entlehnt sind. Das Protokoll der
zwei cartae regales F. 40. 41 bietet den Königstitel: rex Francorum
et Langobardorum vir inlustris, der die Unterwerfung des Lango-
bardenreiches (im Juli 774) voraussetzt, während der Zusatz vir
inlustris seit 776 verschwand. Der zweite Teil der Merkelschen For-
meln dürfte also in den Jahren 774 und 775 entstanden sein, mit
Ausnahme der drei letzten Formeln, von welchen F. 44 aus der
Kanzlei Ludwigs des Frommen stammt. Den dritten Bestandteil bildet
eine Sammlung von Briefmustern (F. 46--66), die vor der Kaiser-
krönung Karls des Grossen abgefasst worden ist. Die Merkelschen
Formeln sind in einer westfränkischen Abtei und zwar, wie aus dem
ausgeprägt salischen Charakter der Sammlung gefolgert werden muss,
in einer Gegend mit dichter salischer Bevölkerung entstanden39.

9. Die Formulae Salicae Lindenbrogianae40, nach Linden-

37 Zeumer S 241.
38 Vielleicht ist erst F. 32 als der Anfang des zweiten Teiles anzusehen.
39 Wegen des Ausdruckes: cum appendiciis vel exitis, ist Schröder a. O. S 93
geneigt, sie dem nördlichen Burgund zuzuweisen. S. aber F. Bitur. 1 und oben
Anm 22.
40 Zeumer S 266.

§ 58. Die Formelsammlungen.
cipiunt cartas regales sive pagensales, enthält aber nur eine carta
regalis, im übrigen Formeln für Rechtsgeschäfte, gerichtliche notitiae
und Briefmuster. Formel 16 ist ein Empfehlungsschreiben, welches ein
Majordomus einem Rompilger ausstellte. Dagegen deuten die Ge-
richtsurkunden, insbesondere die Erwähnung der Schöffen (F. 7), auf
karolingische Entstehungszeit. Die Sammlung ist jedenfalls vor der
Unterwerfung des Langobardenreiches, also nicht nach 774, wahr-
scheinlich in den ersten Regierungsjahren Karls des Groſsen angelegt
worden. Die Hinweise auf die Lex Salica (F. 1. 6) und die spezifisch
salischen Rechtsausdrücke ergeben, daſs sie in einem Gebiete salischen
Rechtes entstanden sei.

8. Die Formulae Salicae Merkelianae37. Die in einer vati-
kanischen Handschrift überlieferte und nach ihrem ersten Herausgeber
Joh. Merkel benannte Sammlung zerfällt in drei Bestandteile. Den
ursprünglichen Kern bildet eine systematisch geordnete Sammlung von
dreiſsig Formeln, welche Rechtsgeschäfte und Gerichtsverhandlungen
vor missus, comes und vicarius betreffen. Der Verfasser hat Marculf
und die Formulae Turonenses benutzt. Sein Werk kann also nicht
vor der Mitte des achten Jahrhunderts entstanden sein, ist aber jeden-
falls älter wie der zweite Bestandteil, Formel 3138—45, von welchen
vier der Bignonschen Sammlung entlehnt sind. Das Protokoll der
zwei cartae regales F. 40. 41 bietet den Königstitel: rex Francorum
et Langobardorum vir inlustris, der die Unterwerfung des Lango-
bardenreiches (im Juli 774) voraussetzt, während der Zusatz vir
inlustris seit 776 verschwand. Der zweite Teil der Merkelschen For-
meln dürfte also in den Jahren 774 und 775 entstanden sein, mit
Ausnahme der drei letzten Formeln, von welchen F. 44 aus der
Kanzlei Ludwigs des Frommen stammt. Den dritten Bestandteil bildet
eine Sammlung von Briefmustern (F. 46—66), die vor der Kaiser-
krönung Karls des Groſsen abgefaſst worden ist. Die Merkelschen
Formeln sind in einer westfränkischen Abtei und zwar, wie aus dem
ausgeprägt salischen Charakter der Sammlung gefolgert werden muſs,
in einer Gegend mit dichter salischer Bevölkerung entstanden39.

9. Die Formulae Salicae Lindenbrogianae40, nach Linden-

37 Zeumer S 241.
38 Vielleicht ist erst F. 32 als der Anfang des zweiten Teiles anzusehen.
39 Wegen des Ausdruckes: cum appendiciis vel exitis, ist Schröder a. O. S 93
geneigt, sie dem nördlichen Burgund zuzuweisen. S. aber F. Bitur. 1 und oben
Anm 22.
40 Zeumer S 266.
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[408/0426] § 58. Die Formelsammlungen. cipiunt cartas regales sive pagensales, enthält aber nur eine carta regalis, im übrigen Formeln für Rechtsgeschäfte, gerichtliche notitiae und Briefmuster. Formel 16 ist ein Empfehlungsschreiben, welches ein Majordomus einem Rompilger ausstellte. Dagegen deuten die Ge- richtsurkunden, insbesondere die Erwähnung der Schöffen (F. 7), auf karolingische Entstehungszeit. Die Sammlung ist jedenfalls vor der Unterwerfung des Langobardenreiches, also nicht nach 774, wahr- scheinlich in den ersten Regierungsjahren Karls des Groſsen angelegt worden. Die Hinweise auf die Lex Salica (F. 1. 6) und die spezifisch salischen Rechtsausdrücke ergeben, daſs sie in einem Gebiete salischen Rechtes entstanden sei. 8. Die Formulae Salicae Merkelianae 37. Die in einer vati- kanischen Handschrift überlieferte und nach ihrem ersten Herausgeber Joh. Merkel benannte Sammlung zerfällt in drei Bestandteile. Den ursprünglichen Kern bildet eine systematisch geordnete Sammlung von dreiſsig Formeln, welche Rechtsgeschäfte und Gerichtsverhandlungen vor missus, comes und vicarius betreffen. Der Verfasser hat Marculf und die Formulae Turonenses benutzt. Sein Werk kann also nicht vor der Mitte des achten Jahrhunderts entstanden sein, ist aber jeden- falls älter wie der zweite Bestandteil, Formel 31 38—45, von welchen vier der Bignonschen Sammlung entlehnt sind. Das Protokoll der zwei cartae regales F. 40. 41 bietet den Königstitel: rex Francorum et Langobardorum vir inlustris, der die Unterwerfung des Lango- bardenreiches (im Juli 774) voraussetzt, während der Zusatz vir inlustris seit 776 verschwand. Der zweite Teil der Merkelschen For- meln dürfte also in den Jahren 774 und 775 entstanden sein, mit Ausnahme der drei letzten Formeln, von welchen F. 44 aus der Kanzlei Ludwigs des Frommen stammt. Den dritten Bestandteil bildet eine Sammlung von Briefmustern (F. 46—66), die vor der Kaiser- krönung Karls des Groſsen abgefaſst worden ist. Die Merkelschen Formeln sind in einer westfränkischen Abtei und zwar, wie aus dem ausgeprägt salischen Charakter der Sammlung gefolgert werden muſs, in einer Gegend mit dichter salischer Bevölkerung entstanden 39. 9. Die Formulae Salicae Lindenbrogianae 40, nach Linden- 37 Zeumer S 241. 38 Vielleicht ist erst F. 32 als der Anfang des zweiten Teiles anzusehen. 39 Wegen des Ausdruckes: cum appendiciis vel exitis, ist Schröder a. O. S 93 geneigt, sie dem nördlichen Burgund zuzuweisen. S. aber F. Bitur. 1 und oben Anm 22. 40 Zeumer S 266.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/426>, abgerufen am 22.11.2024.