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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 58. Die Formelsammlungen.
entstanden ist, bilden die Formeln 1--33. Für die Bedürfnisse von
Laien berechnet, mit Ausnahme von zwei Stücken (27. 33) nur Muster
für Privaturkunden enthaltend, sind sie wahrscheinlich von einem Ge-
richtsschreiber zusammengestellt worden. Mehr in der Form als im
Inhalte römisch, prunken sie mit gelehrten Zitaten aus der Lex
Romana Wisigothorum oder aus einem ihrer Auszüge29. Da einige
Formeln dem Marculf nachgebildet sind, muss die Sammlung jünger
sein wie dieser. Wahrscheinlich entstand sie um die Mitte des achten
Jahrhunderts30. Die Formeln 34--45 sind zur Ergänzung später
hinzugefügt worden31.

6. Die Formulae Senonenses32, zwei Formelsammlungen ver-
schiedener Entstehungszeit, welche beide aus Sens stammen und früher
missbräuchlich als Appendix Marculfi bezeichnet worden sind33. Die
ältere Sammlung, 51 Formeln, teils cartae, teils notitiae enthaltend,
trägt die Überschrift Cartae Senicae (Senonicae) und ist, wie aus dem
Protokoll ihrer cartae regales erschlossen werden kann, in den Jahren
768--775 und zwar wahrscheinlich von einem Schreiber des Grafen
von Sens abgefasst worden34. Einen Anhang der Cartae Senonicae bil-
den sechs ältere noch aus der merowingischen Zeit herrührende For-
meln. Die jüngere Sammlung (Formulae Senonenses recentiores) ist
erst unter Ludwig I. angelegt worden. Doch reicht das Alter einzelner
Stücke noch in die Zeit Karls des Grossen hinauf35.

7. Die Formulae Salicae Bignonianae36, nach ihrem ersten
Herausgeber Bignon benannt. Die Sammlung hat die Überschrift: In-

29 S. oben S 361 Anm 9.
30 F. 33, im übrigen Marculf 37 nachgebildet, zeigt (wie Suppl. Marc. 2) den
Übergang von der merowingischen zur karolingischen Form der königlichen placita.
31 Andere Ergänzungsstücke einzelner Handschriften, sowie Bearbeitungen ein-
zelner Formeln, wie sie die Collectio Flaviniacensis (s. u. Nr 11) enthält, sind bei
Zeumer S 159 als Additamenta abgedruckt. Die vier Formeln des Anhangs,
Zeumer S 163 ff., gehören dem 9. Jahrh. an.
32 Zeumer S 182.
33 Weil sie Bignon im Anschluss an Marculf abgedruckt hatte.
34 Darauf scheinen die prozessrechtlichen Formeln hinzuweisen.
35 Die ersten sieben Formeln sind notitiae über gräfliche und missatische
Gerichtsverhandlungen. F. 12 ist von 808, F. 14 und 15, zwei an den Erzbischof
Magnus von Sens gerichtete Briefe, sind von 810 datiert. Die neunte Formel ent-
hält einen Passus, der sich auf ein Kapitular Ludwigs I. von 818--19 (Cap. I 276,
c. 6) bezieht. Magnus (+ 818) kann daher die Zusammenstellung der Form. Sen.
rec. nicht mehr selbst veranlasst haben. Zu dieser Sammlung gehören noch zwei
in tironischen Noten geschriebene Formeln, bei Zeumer als Nachtrag S 723 f.
36 Zeumer S 228.

§ 58. Die Formelsammlungen.
entstanden ist, bilden die Formeln 1—33. Für die Bedürfnisse von
Laien berechnet, mit Ausnahme von zwei Stücken (27. 33) nur Muster
für Privaturkunden enthaltend, sind sie wahrscheinlich von einem Ge-
richtsschreiber zusammengestellt worden. Mehr in der Form als im
Inhalte römisch, prunken sie mit gelehrten Zitaten aus der Lex
Romana Wisigothorum oder aus einem ihrer Auszüge29. Da einige
Formeln dem Marculf nachgebildet sind, muſs die Sammlung jünger
sein wie dieser. Wahrscheinlich entstand sie um die Mitte des achten
Jahrhunderts30. Die Formeln 34—45 sind zur Ergänzung später
hinzugefügt worden31.

6. Die Formulae Senonenses32, zwei Formelsammlungen ver-
schiedener Entstehungszeit, welche beide aus Sens stammen und früher
miſsbräuchlich als Appendix Marculfi bezeichnet worden sind33. Die
ältere Sammlung, 51 Formeln, teils cartae, teils notitiae enthaltend,
trägt die Überschrift Cartae Senicae (Senonicae) und ist, wie aus dem
Protokoll ihrer cartae regales erschlossen werden kann, in den Jahren
768—775 und zwar wahrscheinlich von einem Schreiber des Grafen
von Sens abgefaſst worden34. Einen Anhang der Cartae Senonicae bil-
den sechs ältere noch aus der merowingischen Zeit herrührende For-
meln. Die jüngere Sammlung (Formulae Senonenses recentiores) ist
erst unter Ludwig I. angelegt worden. Doch reicht das Alter einzelner
Stücke noch in die Zeit Karls des Groſsen hinauf35.

7. Die Formulae Salicae Bignonianae36, nach ihrem ersten
Herausgeber Bignon benannt. Die Sammlung hat die Überschrift: In-

29 S. oben S 361 Anm 9.
30 F. 33, im übrigen Marculf 37 nachgebildet, zeigt (wie Suppl. Marc. 2) den
Übergang von der merowingischen zur karolingischen Form der königlichen placita.
31 Andere Ergänzungsstücke einzelner Handschriften, sowie Bearbeitungen ein-
zelner Formeln, wie sie die Collectio Flaviniacensis (s. u. Nr 11) enthält, sind bei
Zeumer S 159 als Additamenta abgedruckt. Die vier Formeln des Anhangs,
Zeumer S 163 ff., gehören dem 9. Jahrh. an.
32 Zeumer S 182.
33 Weil sie Bignon im Anschluſs an Marculf abgedruckt hatte.
34 Darauf scheinen die prozeſsrechtlichen Formeln hinzuweisen.
35 Die ersten sieben Formeln sind notitiae über gräfliche und missatische
Gerichtsverhandlungen. F. 12 ist von 808, F. 14 und 15, zwei an den Erzbischof
Magnus von Sens gerichtete Briefe, sind von 810 datiert. Die neunte Formel ent-
hält einen Passus, der sich auf ein Kapitular Ludwigs I. von 818—19 (Cap. I 276,
c. 6) bezieht. Magnus († 818) kann daher die Zusammenstellung der Form. Sen.
rec. nicht mehr selbst veranlaſst haben. Zu dieser Sammlung gehören noch zwei
in tironischen Noten geschriebene Formeln, bei Zeumer als Nachtrag S 723 f.
36 Zeumer S 228.
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[407/0425] § 58. Die Formelsammlungen. entstanden ist, bilden die Formeln 1—33. Für die Bedürfnisse von Laien berechnet, mit Ausnahme von zwei Stücken (27. 33) nur Muster für Privaturkunden enthaltend, sind sie wahrscheinlich von einem Ge- richtsschreiber zusammengestellt worden. Mehr in der Form als im Inhalte römisch, prunken sie mit gelehrten Zitaten aus der Lex Romana Wisigothorum oder aus einem ihrer Auszüge 29. Da einige Formeln dem Marculf nachgebildet sind, muſs die Sammlung jünger sein wie dieser. Wahrscheinlich entstand sie um die Mitte des achten Jahrhunderts 30. Die Formeln 34—45 sind zur Ergänzung später hinzugefügt worden 31. 6. Die Formulae Senonenses 32, zwei Formelsammlungen ver- schiedener Entstehungszeit, welche beide aus Sens stammen und früher miſsbräuchlich als Appendix Marculfi bezeichnet worden sind 33. Die ältere Sammlung, 51 Formeln, teils cartae, teils notitiae enthaltend, trägt die Überschrift Cartae Senicae (Senonicae) und ist, wie aus dem Protokoll ihrer cartae regales erschlossen werden kann, in den Jahren 768—775 und zwar wahrscheinlich von einem Schreiber des Grafen von Sens abgefaſst worden 34. Einen Anhang der Cartae Senonicae bil- den sechs ältere noch aus der merowingischen Zeit herrührende For- meln. Die jüngere Sammlung (Formulae Senonenses recentiores) ist erst unter Ludwig I. angelegt worden. Doch reicht das Alter einzelner Stücke noch in die Zeit Karls des Groſsen hinauf 35. 7. Die Formulae Salicae Bignonianae 36, nach ihrem ersten Herausgeber Bignon benannt. Die Sammlung hat die Überschrift: In- 29 S. oben S 361 Anm 9. 30 F. 33, im übrigen Marculf 37 nachgebildet, zeigt (wie Suppl. Marc. 2) den Übergang von der merowingischen zur karolingischen Form der königlichen placita. 31 Andere Ergänzungsstücke einzelner Handschriften, sowie Bearbeitungen ein- zelner Formeln, wie sie die Collectio Flaviniacensis (s. u. Nr 11) enthält, sind bei Zeumer S 159 als Additamenta abgedruckt. Die vier Formeln des Anhangs, Zeumer S 163 ff., gehören dem 9. Jahrh. an. 32 Zeumer S 182. 33 Weil sie Bignon im Anschluſs an Marculf abgedruckt hatte. 34 Darauf scheinen die prozeſsrechtlichen Formeln hinzuweisen. 35 Die ersten sieben Formeln sind notitiae über gräfliche und missatische Gerichtsverhandlungen. F. 12 ist von 808, F. 14 und 15, zwei an den Erzbischof Magnus von Sens gerichtete Briefe, sind von 810 datiert. Die neunte Formel ent- hält einen Passus, der sich auf ein Kapitular Ludwigs I. von 818—19 (Cap. I 276, c. 6) bezieht. Magnus († 818) kann daher die Zusammenstellung der Form. Sen. rec. nicht mehr selbst veranlaſst haben. Zu dieser Sammlung gehören noch zwei in tironischen Noten geschriebene Formeln, bei Zeumer als Nachtrag S 723 f. 36 Zeumer S 228.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/425>, abgerufen am 24.11.2024.