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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 58. Die Formelsammlungen.
die daselbst nachträglich angefügte sechste Formel an, deren Datie-
rung23 auf das Jahr 734 oder 764--65 hinzuweisen scheint. Altertüm-
lich und jedenfalls noch merowingisch ist Formel 7, den Ersatz ver-
lorener Urkunden betreffend. Bedeutend jünger sind dagegen die
übrigen zwölf Formeln, eine ziemlich planlose, meist aus Briefmustern
bestehende Kompilation, deren einzelne Stücke in der Zeit Karls
des Grossen teils vor, teils nach dessen Kaiserkrönung abgefasst
worden sind.

4. Die Formulae Arvernenses24, eine aus der Auvergne
stammende Formelsammlung, von der wir nur ein Bruchstück (acht
Formeln, 1 und 8 verstümmelt) besitzen. Die ersten vier Formeln
beziehen sich auf das Verfahren zum Ersatz verlorener Urkunden,
welches nach römischer Weise und zwar unter Bezugnahme auf eine
uns unbekannte Konstitution des Honorius und Theodosius geregelt
ist25. Als Ursache des Urkundenverlustes wird in Formel 1 die
hostilitas Francorum angegeben. Die Entstehungszeit ist unsicher.
Jedenfalls muss ihr eine Periode vorausgegangen sein, in der die
Auvergne fränkisch war, weil sich fränkische Rechtsausdrücke wie
alodis, litimonium finden. Andrerseits scheint die Erwähnung der
hostilitas Francorum in dem Formular eines öffentlich auszuhängenden
Schriftstückes eine Entstehungszeit auszuschliessen, in welcher die
Auvergne unter unmittelbarer fränkischer Herrschaft stand. Die Ab-
fassung der Sammlung dürfte daher noch vor der Eroberung Cler-
monts durch Pippin (761), in die Zeit der Selbständigkeit des aquita-
nischen Herzogtums zu setzen sein26.

5. Die Formulae Turonenses27, früher Sirmondicae28 ge-
nannt. Den ursprünglichen Kern der Sammlung, welche zu Tours

23 Anno 14 regni domni ill. regis gloriosissimi. Vermutlich ist Theuderich IV.
oder Pippin gemeint. Zeumer, NA XI 314.
24 Zeumer S 28.
25 Zeumer, Z2 f. RG I 99 hat die ansprechende Vermutung aufgestellt, dass
Honorius für Gallien, das damals von germanischen Völkerschaften überschwemmt
worden war, ein Notgesetz über die Sicherstellung der Rechtstitel im Falle des Ur-
kundenverlustes erlassen habe.
26 Zeumer, Formulae S 726 und NA XI 334 ff. ist geneigt die Entstehung
der Arvernenses in das 8. Jahrh. zu setzen und die hostilitas Francorum auf die
Feldzüge Pippins von 760 und 761 zu deuten.
27 Zeumer S 135.
28 Jak. Sirmond hatte sie dem ersten Herausgeber Bignon mitgeteilt. Zur
Litteratur Roth, Beneficialwesen S 379 Anm 51; Ehrenberg, Commendation
und Huldigung S 136; Zeumer, NA VI 50 ff. und Formulae S 128 f.

§ 58. Die Formelsammlungen.
die daselbst nachträglich angefügte sechste Formel an, deren Datie-
rung23 auf das Jahr 734 oder 764—65 hinzuweisen scheint. Altertüm-
lich und jedenfalls noch merowingisch ist Formel 7, den Ersatz ver-
lorener Urkunden betreffend. Bedeutend jünger sind dagegen die
übrigen zwölf Formeln, eine ziemlich planlose, meist aus Briefmustern
bestehende Kompilation, deren einzelne Stücke in der Zeit Karls
des Groſsen teils vor, teils nach dessen Kaiserkrönung abgefaſst
worden sind.

4. Die Formulae Arvernenses24, eine aus der Auvergne
stammende Formelsammlung, von der wir nur ein Bruchstück (acht
Formeln, 1 und 8 verstümmelt) besitzen. Die ersten vier Formeln
beziehen sich auf das Verfahren zum Ersatz verlorener Urkunden,
welches nach römischer Weise und zwar unter Bezugnahme auf eine
uns unbekannte Konstitution des Honorius und Theodosius geregelt
ist25. Als Ursache des Urkundenverlustes wird in Formel 1 die
hostilitas Francorum angegeben. Die Entstehungszeit ist unsicher.
Jedenfalls muſs ihr eine Periode vorausgegangen sein, in der die
Auvergne fränkisch war, weil sich fränkische Rechtsausdrücke wie
alodis, litimonium finden. Andrerseits scheint die Erwähnung der
hostilitas Francorum in dem Formular eines öffentlich auszuhängenden
Schriftstückes eine Entstehungszeit auszuschlieſsen, in welcher die
Auvergne unter unmittelbarer fränkischer Herrschaft stand. Die Ab-
fassung der Sammlung dürfte daher noch vor der Eroberung Cler-
monts durch Pippin (761), in die Zeit der Selbständigkeit des aquita-
nischen Herzogtums zu setzen sein26.

5. Die Formulae Turonenses27, früher Sirmondicae28 ge-
nannt. Den ursprünglichen Kern der Sammlung, welche zu Tours

23 Anno 14 regni domni ill. regis gloriosissimi. Vermutlich ist Theuderich IV.
oder Pippin gemeint. Zeumer, NA XI 314.
24 Zeumer S 28.
25 Zeumer, Z2 f. RG I 99 hat die ansprechende Vermutung aufgestellt, daſs
Honorius für Gallien, das damals von germanischen Völkerschaften überschwemmt
worden war, ein Notgesetz über die Sicherstellung der Rechtstitel im Falle des Ur-
kundenverlustes erlassen habe.
26 Zeumer, Formulae S 726 und NA XI 334 ff. ist geneigt die Entstehung
der Arvernenses in das 8. Jahrh. zu setzen und die hostilitas Francorum auf die
Feldzüge Pippins von 760 und 761 zu deuten.
27 Zeumer S 135.
28 Jak. Sirmond hatte sie dem ersten Herausgeber Bignon mitgeteilt. Zur
Litteratur Roth, Beneficialwesen S 379 Anm 51; Ehrenberg, Commendation
und Huldigung S 136; Zeumer, NA VI 50 ff. und Formulae S 128 f.
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[406/0424] § 58. Die Formelsammlungen. die daselbst nachträglich angefügte sechste Formel an, deren Datie- rung 23 auf das Jahr 734 oder 764—65 hinzuweisen scheint. Altertüm- lich und jedenfalls noch merowingisch ist Formel 7, den Ersatz ver- lorener Urkunden betreffend. Bedeutend jünger sind dagegen die übrigen zwölf Formeln, eine ziemlich planlose, meist aus Briefmustern bestehende Kompilation, deren einzelne Stücke in der Zeit Karls des Groſsen teils vor, teils nach dessen Kaiserkrönung abgefaſst worden sind. 4. Die Formulae Arvernenses 24, eine aus der Auvergne stammende Formelsammlung, von der wir nur ein Bruchstück (acht Formeln, 1 und 8 verstümmelt) besitzen. Die ersten vier Formeln beziehen sich auf das Verfahren zum Ersatz verlorener Urkunden, welches nach römischer Weise und zwar unter Bezugnahme auf eine uns unbekannte Konstitution des Honorius und Theodosius geregelt ist 25. Als Ursache des Urkundenverlustes wird in Formel 1 die hostilitas Francorum angegeben. Die Entstehungszeit ist unsicher. Jedenfalls muſs ihr eine Periode vorausgegangen sein, in der die Auvergne fränkisch war, weil sich fränkische Rechtsausdrücke wie alodis, litimonium finden. Andrerseits scheint die Erwähnung der hostilitas Francorum in dem Formular eines öffentlich auszuhängenden Schriftstückes eine Entstehungszeit auszuschlieſsen, in welcher die Auvergne unter unmittelbarer fränkischer Herrschaft stand. Die Ab- fassung der Sammlung dürfte daher noch vor der Eroberung Cler- monts durch Pippin (761), in die Zeit der Selbständigkeit des aquita- nischen Herzogtums zu setzen sein 26. 5. Die Formulae Turonenses 27, früher Sirmondicae 28 ge- nannt. Den ursprünglichen Kern der Sammlung, welche zu Tours 23 Anno 14 regni domni ill. regis gloriosissimi. Vermutlich ist Theuderich IV. oder Pippin gemeint. Zeumer, NA XI 314. 24 Zeumer S 28. 25 Zeumer, Z2 f. RG I 99 hat die ansprechende Vermutung aufgestellt, daſs Honorius für Gallien, das damals von germanischen Völkerschaften überschwemmt worden war, ein Notgesetz über die Sicherstellung der Rechtstitel im Falle des Ur- kundenverlustes erlassen habe. 26 Zeumer, Formulae S 726 und NA XI 334 ff. ist geneigt die Entstehung der Arvernenses in das 8. Jahrh. zu setzen und die hostilitas Francorum auf die Feldzüge Pippins von 760 und 761 zu deuten. 27 Zeumer S 135. 28 Jak. Sirmond hatte sie dem ersten Herausgeber Bignon mitgeteilt. Zur Litteratur Roth, Beneficialwesen S 379 Anm 51; Ehrenberg, Commendation und Huldigung S 136; Zeumer, NA VI 50 ff. und Formulae S 128 f.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/424>, abgerufen am 22.11.2024.