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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 58. Die Formelsammlungen.
dacht genommen. Die Privilegienformel (I 2) ist nach dem Muster
einer Urkunde Dagoberts I. von 635 für Resbach (Rebais) in der
Diözese Meaux ausgearbeitet, woraus man schliessen kann, dass Mar-
culf diesem Kloster angehört habe. Unter dem Bischof Landerich,
der den Anstoss zur Abfassung der Formelsammlung gab und an
welchen auch Marculfs Vorrede gerichtet ist, hat man früher fast all-
gemein den von Paris (etwa 650--656) verstanden. Wahrscheinlich
ist aber ein Bischof Landerich von Meaux gemeint17 und Marculfs
Werk nicht schon um die Mitte, sondern erst gegen Ende des siebenten
Jahrhunderts abgefasst worden. Es gelangte zu hohem Ansehen und
wurde im achten Jahrhundert, namentlich in den Kanzleien der ersten
Karolinger, wie eine offizielle Sammlung benutzt. Zur Ausfüllung
einiger Lücken wurde dem Marculf um die Mitte des siebenten Jahr-
hunderts eine kleine Sammlung von 6 Formeln hinzugefügt18. Eine
Umarbeitung und Ergänzung Marculfscher Formeln, welche Briefmuster
und Formulare für Königsurkunden zusammenstellt, entstand in der
Zeit Karls des Grossen vor dem Jahre 80019.

3. Die Formulae Bituricenses20, 19 Formeln, welche aus
Bourges stammen und nicht in einer geschlossenen Sammlung über-
liefert sind, sondern sich auf drei verschiedene Handschriften verteilen.
Die ersten fünf, in einem Handschriftenfragmente des achten Jahr-
hunderts enthalten, sind ein Bruchstück einer alten Formelsammlung,
welche vor dem Jahre 721 entstanden ist21. Sie haben in Form und
Inhalt römischrechtliches Gepräge22. Demselben Fragmente gehört

17 Für Landerich von Paris ist gegen Zeumer A. Tardif in der Bibliotheque
de l'ecole des chartes XLIV 353 ff., in der Nouvelle Revue historique de droit fran-
cais et etr. VIII 557, IX 368 eingetreten. S. dagegen Zeumer im NA X 383 ff.,
XI 338 ff.
18 Bei Zeumer als Supplementum formularum Marculfi S 107--109 abgedruckt.
Als Additamenta e codicibus Marculfi stehen bei Zeumer S 110--112 Zusätze einer
Handschrift und zwei karolingische Formeln (Mundbrief und Zollprivileg), durch
welche in der Collectio Flaviniacensis (s. unten Nr 11) Marc. I 24 und Suppl.
Marc. 1 ersetzt sind.
19 Als Formulae Marculfinae aevi Karolini bei Zeumer S 115 ff. Mit Ein-
schluss einer Zusatzformel enthalten sie zehn selbständige Stücke. Wo Marculf
den maior domus nennt, ist senior oder princeps eingesetzt.
20 Zeumer S 169.
21 Nach Krusch a. O. S 516 enthält der Kodex eine im Jahre 720 zu-
sammengestellte Ostertafel und eine verstümmelte Notiz de anno quarto regni, die
auf das vierte Jahr Chilperichs II. zu beziehen ist. Vgl. Zeumer, NA XI 314.
22 Man beachte den sacratissimus fiscus in 4, das ingressus egressusque tra-
dere in 1 wie in Bruns, Fontes, 4. Aufl. 1879, S. 202. 208.

§ 58. Die Formelsammlungen.
dacht genommen. Die Privilegienformel (I 2) ist nach dem Muster
einer Urkunde Dagoberts I. von 635 für Resbach (Rebais) in der
Diözese Meaux ausgearbeitet, woraus man schlieſsen kann, daſs Mar-
culf diesem Kloster angehört habe. Unter dem Bischof Landerich,
der den Anstoſs zur Abfassung der Formelsammlung gab und an
welchen auch Marculfs Vorrede gerichtet ist, hat man früher fast all-
gemein den von Paris (etwa 650—656) verstanden. Wahrscheinlich
ist aber ein Bischof Landerich von Meaux gemeint17 und Marculfs
Werk nicht schon um die Mitte, sondern erst gegen Ende des siebenten
Jahrhunderts abgefaſst worden. Es gelangte zu hohem Ansehen und
wurde im achten Jahrhundert, namentlich in den Kanzleien der ersten
Karolinger, wie eine offizielle Sammlung benutzt. Zur Ausfüllung
einiger Lücken wurde dem Marculf um die Mitte des siebenten Jahr-
hunderts eine kleine Sammlung von 6 Formeln hinzugefügt18. Eine
Umarbeitung und Ergänzung Marculfscher Formeln, welche Briefmuster
und Formulare für Königsurkunden zusammenstellt, entstand in der
Zeit Karls des Groſsen vor dem Jahre 80019.

3. Die Formulae Bituricenses20, 19 Formeln, welche aus
Bourges stammen und nicht in einer geschlossenen Sammlung über-
liefert sind, sondern sich auf drei verschiedene Handschriften verteilen.
Die ersten fünf, in einem Handschriftenfragmente des achten Jahr-
hunderts enthalten, sind ein Bruchstück einer alten Formelsammlung,
welche vor dem Jahre 721 entstanden ist21. Sie haben in Form und
Inhalt römischrechtliches Gepräge22. Demselben Fragmente gehört

17 Für Landerich von Paris ist gegen Zeumer A. Tardif in der Bibliothèque
de l’école des chartes XLIV 353 ff., in der Nouvelle Revue historique de droit fran-
çais et étr. VIII 557, IX 368 eingetreten. S. dagegen Zeumer im NA X 383 ff.,
XI 338 ff.
18 Bei Zeumer als Supplementum formularum Marculfi S 107—109 abgedruckt.
Als Additamenta e codicibus Marculfi stehen bei Zeumer S 110—112 Zusätze einer
Handschrift und zwei karolingische Formeln (Mundbrief und Zollprivileg), durch
welche in der Collectio Flaviniacensis (s. unten Nr 11) Marc. I 24 und Suppl.
Marc. 1 ersetzt sind.
19 Als Formulae Marculfinae aevi Karolini bei Zeumer S 115 ff. Mit Ein-
schluſs einer Zusatzformel enthalten sie zehn selbständige Stücke. Wo Marculf
den maior domus nennt, ist senior oder princeps eingesetzt.
20 Zeumer S 169.
21 Nach Krusch a. O. S 516 enthält der Kodex eine im Jahre 720 zu-
sammengestellte Ostertafel und eine verstümmelte Notiz de anno quarto regni, die
auf das vierte Jahr Chilperichs II. zu beziehen ist. Vgl. Zeumer, NA XI 314.
22 Man beachte den sacratissimus fiscus in 4, das ingressus egressusque tra-
dere in 1 wie in Bruns, Fontes, 4. Aufl. 1879, S. 202. 208.
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[405/0423] § 58. Die Formelsammlungen. dacht genommen. Die Privilegienformel (I 2) ist nach dem Muster einer Urkunde Dagoberts I. von 635 für Resbach (Rebais) in der Diözese Meaux ausgearbeitet, woraus man schlieſsen kann, daſs Mar- culf diesem Kloster angehört habe. Unter dem Bischof Landerich, der den Anstoſs zur Abfassung der Formelsammlung gab und an welchen auch Marculfs Vorrede gerichtet ist, hat man früher fast all- gemein den von Paris (etwa 650—656) verstanden. Wahrscheinlich ist aber ein Bischof Landerich von Meaux gemeint 17 und Marculfs Werk nicht schon um die Mitte, sondern erst gegen Ende des siebenten Jahrhunderts abgefaſst worden. Es gelangte zu hohem Ansehen und wurde im achten Jahrhundert, namentlich in den Kanzleien der ersten Karolinger, wie eine offizielle Sammlung benutzt. Zur Ausfüllung einiger Lücken wurde dem Marculf um die Mitte des siebenten Jahr- hunderts eine kleine Sammlung von 6 Formeln hinzugefügt 18. Eine Umarbeitung und Ergänzung Marculfscher Formeln, welche Briefmuster und Formulare für Königsurkunden zusammenstellt, entstand in der Zeit Karls des Groſsen vor dem Jahre 800 19. 3. Die Formulae Bituricenses 20, 19 Formeln, welche aus Bourges stammen und nicht in einer geschlossenen Sammlung über- liefert sind, sondern sich auf drei verschiedene Handschriften verteilen. Die ersten fünf, in einem Handschriftenfragmente des achten Jahr- hunderts enthalten, sind ein Bruchstück einer alten Formelsammlung, welche vor dem Jahre 721 entstanden ist 21. Sie haben in Form und Inhalt römischrechtliches Gepräge 22. Demselben Fragmente gehört 17 Für Landerich von Paris ist gegen Zeumer A. Tardif in der Bibliothèque de l’école des chartes XLIV 353 ff., in der Nouvelle Revue historique de droit fran- çais et étr. VIII 557, IX 368 eingetreten. S. dagegen Zeumer im NA X 383 ff., XI 338 ff. 18 Bei Zeumer als Supplementum formularum Marculfi S 107—109 abgedruckt. Als Additamenta e codicibus Marculfi stehen bei Zeumer S 110—112 Zusätze einer Handschrift und zwei karolingische Formeln (Mundbrief und Zollprivileg), durch welche in der Collectio Flaviniacensis (s. unten Nr 11) Marc. I 24 und Suppl. Marc. 1 ersetzt sind. 19 Als Formulae Marculfinae aevi Karolini bei Zeumer S 115 ff. Mit Ein- schluſs einer Zusatzformel enthalten sie zehn selbständige Stücke. Wo Marculf den maior domus nennt, ist senior oder princeps eingesetzt. 20 Zeumer S 169. 21 Nach Krusch a. O. S 516 enthält der Kodex eine im Jahre 720 zu- sammengestellte Ostertafel und eine verstümmelte Notiz de anno quarto regni, die auf das vierte Jahr Chilperichs II. zu beziehen ist. Vgl. Zeumer, NA XI 314. 22 Man beachte den sacratissimus fiscus in 4, das ingressus egressusque tra- dere in 1 wie in Bruns, Fontes, 4. Aufl. 1879, S. 202. 208.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/423>, abgerufen am 25.11.2024.