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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 58. Die Formelsammlungen.
muss sie doch noch vor der Mitte des siebenten Jahrhunderts ent-
standen sein. Denn die Allegate aus der Lex Romana weisen auf die
Zeit hin, ehe Reckessuinth die gerichtliche Anwendung derselben ver-
boten hatte 6. In Formel 20 bestellt der Mann die Hälfte seines Ver-
mögens als dos, während schon ein Gesetz Chindasuinths von 645
nur noch den zehnten Teil als dos zu verschreiben gestattete 7. Die
ursprüngliche Sammlung scheint in der zweiten Hälfte des siebenten
Jahrhunderts durch Zufügung einiger Stücke vermehrt worden zu
sein. Denn Formel 40 markiert ein Zitat aus der Lex Wisigothorum
nach Büchern, Titeln und Ären (erae), setzt also die Reccessuinthiana
voraus 8.

II. Westfränkische und burgundische Sammlungen.

1. Die Formulae Andegavenses 9, 60 Formeln, die uns in
einer aus dem Anfang des achten Jahrhunderts stammenden Fuldaer
Handschrift überliefert sind. Die Sammlung wurde zu Angers wahr-
scheinlich von einem Schreiber der städtischen Kurie oder von einem
Gerichtsschreiber abgefasst. Der Inhalt der Formeln zeigt eine eigen-
tümliche Mischung römischen und fränkischen Rechtes. Mehrfach wird
auf das römische Recht als die Lex Romana Bezug genommen 10.
Römisch sind die dem fränkischen Rechte durchaus unbekannten Stell-
vertretungsmandate. Veräusserungsurkunden werden vor der Kurie
(apud gesta municipalia) verlautbart. Anschluss an römische Einrich-
tungen verraten die Erbpachtverhältnisse und verrät die Kompetenz
der Kirchen in Sachen der Gerichtsbarkeit 11. Daneben begegnen uns
zahlreiche fränkische Rechtsausdrücke und Rechtseinrichtungen, wie
mallare, admallare 12, solsadia, alodis, texaca (F. 15), revestire (47),
der Name der Rachineburgen (50 a), der Eid mit Eidhelfern, das ehe-
fräuliche Errungenschaftsdrittel (59). Das Wort dos hat nicht die
römische Bedeutung der Mitgift, sondern die germanische des Wit-
tums. Der Ersatz verlorener Urkunden ist nicht nach dem römischen
Verfahren, sondern nach der fränkischen Fortbildung desselben ge-
regelt 13. Die Entstehungszeit der Sammlung ist streitig. Die For-

6 S. oben S 329.
7 Lex Wis. III 1, 5.
8 S. oben S 330.
9 Zeumer S 4.
10 F. 40: secundum lege Romana sponsata; 46. 54. 58: lex Romana edocet.
11 Brunner, Die Erbpacht der Formelsammlungen von Angers und Tours,
Z2 f. RG V 69.
12 In F. 5 u. 52, einem Vertretungsmandat.
13 Zeumer, Über den Ersatz verlorener Urkunden, in Z2 f. RG I 100.
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§ 58. Die Formelsammlungen.
muſs sie doch noch vor der Mitte des siebenten Jahrhunderts ent-
standen sein. Denn die Allegate aus der Lex Romana weisen auf die
Zeit hin, ehe Reckessuinth die gerichtliche Anwendung derselben ver-
boten hatte 6. In Formel 20 bestellt der Mann die Hälfte seines Ver-
mögens als dos, während schon ein Gesetz Chindasuinths von 645
nur noch den zehnten Teil als dos zu verschreiben gestattete 7. Die
ursprüngliche Sammlung scheint in der zweiten Hälfte des siebenten
Jahrhunderts durch Zufügung einiger Stücke vermehrt worden zu
sein. Denn Formel 40 markiert ein Zitat aus der Lex Wisigothorum
nach Büchern, Titeln und Ären (erae), setzt also die Reccessuinthiana
voraus 8.

II. Westfränkische und burgundische Sammlungen.

1. Die Formulae Andegavenses 9, 60 Formeln, die uns in
einer aus dem Anfang des achten Jahrhunderts stammenden Fuldaer
Handschrift überliefert sind. Die Sammlung wurde zu Angers wahr-
scheinlich von einem Schreiber der städtischen Kurie oder von einem
Gerichtsschreiber abgefaſst. Der Inhalt der Formeln zeigt eine eigen-
tümliche Mischung römischen und fränkischen Rechtes. Mehrfach wird
auf das römische Recht als die Lex Romana Bezug genommen 10.
Römisch sind die dem fränkischen Rechte durchaus unbekannten Stell-
vertretungsmandate. Veräuſserungsurkunden werden vor der Kurie
(apud gesta municipalia) verlautbart. Anschluſs an römische Einrich-
tungen verraten die Erbpachtverhältnisse und verrät die Kompetenz
der Kirchen in Sachen der Gerichtsbarkeit 11. Daneben begegnen uns
zahlreiche fränkische Rechtsausdrücke und Rechtseinrichtungen, wie
mallare, admallare 12, solsadia, alodis, texaca (F. 15), revestire (47),
der Name der Rachineburgen (50 a), der Eid mit Eidhelfern, das ehe-
fräuliche Errungenschaftsdrittel (59). Das Wort dos hat nicht die
römische Bedeutung der Mitgift, sondern die germanische des Wit-
tums. Der Ersatz verlorener Urkunden ist nicht nach dem römischen
Verfahren, sondern nach der fränkischen Fortbildung desselben ge-
regelt 13. Die Entstehungszeit der Sammlung ist streitig. Die For-

6 S. oben S 329.
7 Lex Wis. III 1, 5.
8 S. oben S 330.
9 Zeumer S 4.
10 F. 40: secundum lege Romana sponsata; 46. 54. 58: lex Romana edocet.
11 Brunner, Die Erbpacht der Formelsammlungen von Angers und Tours,
Z2 f. RG V 69.
12 In F. 5 u. 52, einem Vertretungsmandat.
13 Zeumer, Über den Ersatz verlorener Urkunden, in Z2 f. RG I 100.
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[403/0421] § 58. Die Formelsammlungen. muſs sie doch noch vor der Mitte des siebenten Jahrhunderts ent- standen sein. Denn die Allegate aus der Lex Romana weisen auf die Zeit hin, ehe Reckessuinth die gerichtliche Anwendung derselben ver- boten hatte 6. In Formel 20 bestellt der Mann die Hälfte seines Ver- mögens als dos, während schon ein Gesetz Chindasuinths von 645 nur noch den zehnten Teil als dos zu verschreiben gestattete 7. Die ursprüngliche Sammlung scheint in der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts durch Zufügung einiger Stücke vermehrt worden zu sein. Denn Formel 40 markiert ein Zitat aus der Lex Wisigothorum nach Büchern, Titeln und Ären (erae), setzt also die Reccessuinthiana voraus 8. II. Westfränkische und burgundische Sammlungen. 1. Die Formulae Andegavenses 9, 60 Formeln, die uns in einer aus dem Anfang des achten Jahrhunderts stammenden Fuldaer Handschrift überliefert sind. Die Sammlung wurde zu Angers wahr- scheinlich von einem Schreiber der städtischen Kurie oder von einem Gerichtsschreiber abgefaſst. Der Inhalt der Formeln zeigt eine eigen- tümliche Mischung römischen und fränkischen Rechtes. Mehrfach wird auf das römische Recht als die Lex Romana Bezug genommen 10. Römisch sind die dem fränkischen Rechte durchaus unbekannten Stell- vertretungsmandate. Veräuſserungsurkunden werden vor der Kurie (apud gesta municipalia) verlautbart. Anschluſs an römische Einrich- tungen verraten die Erbpachtverhältnisse und verrät die Kompetenz der Kirchen in Sachen der Gerichtsbarkeit 11. Daneben begegnen uns zahlreiche fränkische Rechtsausdrücke und Rechtseinrichtungen, wie mallare, admallare 12, solsadia, alodis, texaca (F. 15), revestire (47), der Name der Rachineburgen (50 a), der Eid mit Eidhelfern, das ehe- fräuliche Errungenschaftsdrittel (59). Das Wort dos hat nicht die römische Bedeutung der Mitgift, sondern die germanische des Wit- tums. Der Ersatz verlorener Urkunden ist nicht nach dem römischen Verfahren, sondern nach der fränkischen Fortbildung desselben ge- regelt 13. Die Entstehungszeit der Sammlung ist streitig. Die For- 6 S. oben S 329. 7 Lex Wis. III 1, 5. 8 S. oben S 330. 9 Zeumer S 4. 10 F. 40: secundum lege Romana sponsata; 46. 54. 58: lex Romana edocet. 11 Brunner, Die Erbpacht der Formelsammlungen von Angers und Tours, Z2 f. RG V 69. 12 In F. 5 u. 52, einem Vertretungsmandat. 13 Zeumer, Über den Ersatz verlorener Urkunden, in Z2 f. RG I 100. 26*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/421>, abgerufen am 24.11.2024.