Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 57. Die Urkunden. Theodor Sickel, Lehre von den Urkunden der ersten Karolinger (751--840), als Das germanische Urkundenwesen ging aus dem spätrömischen Das Wort Urkunde ist in der Bedeutung eines schriftlichen 1 Marini, Papiri diplomatici S 128 ff. Nr 82. 83. Spangenberg, Juris romani tabulae negotiorum, 1822, S 164. 2 Das römische Testamentsformular hat in seinen wesentlichen Bestandteilen bis in die karolingische Zeit hinein und zwar fast gänzlich ausserhalb der Formel- sammlungen fortgelebt (eine freundliche Bemerkung Zeumers). Man hatte wohl in kirchlichen Kreisen keinen Anlass und kein Interesse, es allgemein zugänglich zu machen. 3 Besonders in Rätien. Brunner, Zur RG der Urk. I 245. 4 "Urkunde" wurde im Mittelalter u. a. als Bezeichnung des Gerichtszeug-
nisses (Haltaus, Gloss. col. 2005) und dann zunächst für das schriftliche Gerichts- zeugnis verwendet. Ältestes Beispiel für die Bedeutung Dokument ist nach einer Mitteilung Bresslaus: Boos, UB. der Landschaft Basel II 73, Nr 627 v. J. 1422: han ich der obgen. schultheis ... die urkund mit einem angehenkten insigel geben. § 57. Die Urkunden. Theodor Sickel, Lehre von den Urkunden der ersten Karolinger (751—840), als Das germanische Urkundenwesen ging aus dem spätrömischen Das Wort Urkunde ist in der Bedeutung eines schriftlichen 1 Marini, Papiri diplomatici S 128 ff. Nr 82. 83. Spangenberg, Juris romani tabulae negotiorum, 1822, S 164. 2 Das römische Testamentsformular hat in seinen wesentlichen Bestandteilen bis in die karolingische Zeit hinein und zwar fast gänzlich auſserhalb der Formel- sammlungen fortgelebt (eine freundliche Bemerkung Zeumers). Man hatte wohl in kirchlichen Kreisen keinen Anlaſs und kein Interesse, es allgemein zugänglich zu machen. 3 Besonders in Rätien. Brunner, Zur RG der Urk. I 245. 4 „Urkunde“ wurde im Mittelalter u. a. als Bezeichnung des Gerichtszeug-
nisses (Haltaus, Gloss. col. 2005) und dann zunächst für das schriftliche Gerichts- zeugnis verwendet. Ältestes Beispiel für die Bedeutung Dokument ist nach einer Mitteilung Breſslaus: Boos, UB. der Landschaft Basel II 73, Nr 627 v. J. 1422: han ich der obgen. schultheis … die urkund mit einem angehenkten insigel geben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0410" n="392"/> <fw place="top" type="header">§ 57. <hi rendition="#g">Die Urkunden</hi>.</fw><lb/> <p> <bibl><hi rendition="#g">Theodor Sickel</hi>, Lehre von den Urkunden der ersten Karolinger (751—840), als<lb/> erster Teil der Acta regum et imperatorum Karolinorum 1867, wo S 34 ff. die<lb/> ältere Litteratur der Diplomatik besprochen wird. <hi rendition="#g">Mühlbacher</hi>, Die Urkunden<lb/> Karls III., Wiener Sitz.-Ber. 1878, XCII. <hi rendition="#g">Stumpf</hi>, Die Reichskanzler vornehmlich<lb/> des 10., 11. u. 12. Jahrh. nebst einem Rückblicke auf die Merowinger- und Karo-<lb/> linger-Urkunden I, 1865; <hi rendition="#g">derselbe</hi>, Über die Merowinger-Diplome, in v. Sybels<lb/> Hist. Z XXIX 343. <hi rendition="#g">Jul. Ficker</hi>, Beiträge zur Urkundenlehre, 2 Bde 1877. 1878.<lb/><hi rendition="#g">Brunner</hi>, Zur Rechtsgesch. der röm. und germ. Urkunde I, 1880; <hi rendition="#g">derselbe</hi>, Das<lb/> Gerichtszeugnis und die fränk. Königsurkunde, 1873 (Festgaben für Heffter, S 133);<lb/><hi rendition="#g">derselbe</hi>, Carta und Notitia, 1877 (Commentationes philologae in honorem Th.<lb/> Mommseni S 570). <hi rendition="#g">Zeumer</hi>, Cartam levare in St. Galler Urkunden, in Z <hi rendition="#sup">2</hi> f. RG<lb/> IV 113. H. <hi rendition="#g">Breſslau</hi>, Urkundenbeweis u. Urkundenschreiber im älteren deutschen<lb/> Recht, Forschungen zur deutschen Gesch. XXVI 1. O. <hi rendition="#g">Redlich</hi>, Über bairische<lb/><hi rendition="#c">Traditionsbücher und Traditionen, in den Mitth. des österr. Instituts V 1—82.</hi></bibl> </p><lb/> <p>Das germanische Urkundenwesen ging aus dem spätrömischen<lb/> hervor. Als die Germanen anfingen, die Urkunde nach römischem<lb/> Vorbilde in der Verwaltung und im Rechtsleben anzuwenden, be-<lb/> dienten sie sich römischer Urkundenschreiber oder solcher Stammes-<lb/> genossen, welche bei diesen in die Schule gegangen waren. Die<lb/> älteste germanische Königsurkunde, ein Schenkungsbrief Odovakers von<lb/> 489, ist noch ganz in den Formen des römisch-italischen Urkunden-<lb/> typus abgefaſst <note place="foot" n="1"><hi rendition="#g">Marini</hi>, Papiri diplomatici S 128 ff. Nr 82. 83. <hi rendition="#g">Spangenberg</hi>, Juris<lb/> romani tabulae negotiorum, 1822, S 164.</note>. Bei den Franken hat das Urkundenwesen allerdings<lb/> schon frühzeitig selbständige Entwicklungswege eingeschlagen. Den-<lb/> noch zeigen zahlreiche fränkische Urkundenformulare noch deutlich<lb/> das spätrömische Gepräge <note place="foot" n="2">Das römische Testamentsformular hat in seinen wesentlichen Bestandteilen<lb/> bis in die karolingische Zeit hinein und zwar fast gänzlich auſserhalb der Formel-<lb/> sammlungen fortgelebt (eine freundliche Bemerkung <hi rendition="#g">Zeumers</hi>). Man hatte wohl<lb/> in kirchlichen Kreisen keinen Anlaſs und kein Interesse, es allgemein zugänglich<lb/> zu machen.</note> und hat in einzelnen Gegenden des Reiches<lb/> sich der spezifisch römische Urkundentypus bis in das neunte Jahr-<lb/> hundert hinein erhalten <note place="foot" n="3">Besonders in Rätien. <hi rendition="#g">Brunner</hi>, Zur RG der Urk. I 245.</note>.</p><lb/> <p>Das Wort Urkunde ist in der Bedeutung eines schriftlichen<lb/> Zeugnisses über rechtliche Akte verhältnismäſsig jung <note xml:id="seg2pn_30_1" next="#seg2pn_30_2" place="foot" n="4">„Urkunde“ wurde im Mittelalter u. a. als Bezeichnung des Gerichtszeug-<lb/> nisses (<hi rendition="#g">Haltaus</hi>, Gloss. col. 2005) und dann zunächst für das schriftliche Gerichts-<lb/> zeugnis verwendet. Ältestes Beispiel für die Bedeutung Dokument ist nach einer<lb/> Mitteilung <hi rendition="#g">Breſslaus: Boos</hi>, UB. der Landschaft Basel II 73, Nr 627 v. J. 1422:<lb/> han ich der obgen. schultheis … die urkund mit einem angehenkten insigel geben.</note>. Die fränkische<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [392/0410]
§ 57. Die Urkunden.
Theodor Sickel, Lehre von den Urkunden der ersten Karolinger (751—840), als
erster Teil der Acta regum et imperatorum Karolinorum 1867, wo S 34 ff. die
ältere Litteratur der Diplomatik besprochen wird. Mühlbacher, Die Urkunden
Karls III., Wiener Sitz.-Ber. 1878, XCII. Stumpf, Die Reichskanzler vornehmlich
des 10., 11. u. 12. Jahrh. nebst einem Rückblicke auf die Merowinger- und Karo-
linger-Urkunden I, 1865; derselbe, Über die Merowinger-Diplome, in v. Sybels
Hist. Z XXIX 343. Jul. Ficker, Beiträge zur Urkundenlehre, 2 Bde 1877. 1878.
Brunner, Zur Rechtsgesch. der röm. und germ. Urkunde I, 1880; derselbe, Das
Gerichtszeugnis und die fränk. Königsurkunde, 1873 (Festgaben für Heffter, S 133);
derselbe, Carta und Notitia, 1877 (Commentationes philologae in honorem Th.
Mommseni S 570). Zeumer, Cartam levare in St. Galler Urkunden, in Z 2 f. RG
IV 113. H. Breſslau, Urkundenbeweis u. Urkundenschreiber im älteren deutschen
Recht, Forschungen zur deutschen Gesch. XXVI 1. O. Redlich, Über bairische
Traditionsbücher und Traditionen, in den Mitth. des österr. Instituts V 1—82.
Das germanische Urkundenwesen ging aus dem spätrömischen
hervor. Als die Germanen anfingen, die Urkunde nach römischem
Vorbilde in der Verwaltung und im Rechtsleben anzuwenden, be-
dienten sie sich römischer Urkundenschreiber oder solcher Stammes-
genossen, welche bei diesen in die Schule gegangen waren. Die
älteste germanische Königsurkunde, ein Schenkungsbrief Odovakers von
489, ist noch ganz in den Formen des römisch-italischen Urkunden-
typus abgefaſst 1. Bei den Franken hat das Urkundenwesen allerdings
schon frühzeitig selbständige Entwicklungswege eingeschlagen. Den-
noch zeigen zahlreiche fränkische Urkundenformulare noch deutlich
das spätrömische Gepräge 2 und hat in einzelnen Gegenden des Reiches
sich der spezifisch römische Urkundentypus bis in das neunte Jahr-
hundert hinein erhalten 3.
Das Wort Urkunde ist in der Bedeutung eines schriftlichen
Zeugnisses über rechtliche Akte verhältnismäſsig jung 4. Die fränkische
1 Marini, Papiri diplomatici S 128 ff. Nr 82. 83. Spangenberg, Juris
romani tabulae negotiorum, 1822, S 164.
2 Das römische Testamentsformular hat in seinen wesentlichen Bestandteilen
bis in die karolingische Zeit hinein und zwar fast gänzlich auſserhalb der Formel-
sammlungen fortgelebt (eine freundliche Bemerkung Zeumers). Man hatte wohl
in kirchlichen Kreisen keinen Anlaſs und kein Interesse, es allgemein zugänglich
zu machen.
3 Besonders in Rätien. Brunner, Zur RG der Urk. I 245.
4 „Urkunde“ wurde im Mittelalter u. a. als Bezeichnung des Gerichtszeug-
nisses (Haltaus, Gloss. col. 2005) und dann zunächst für das schriftliche Gerichts-
zeugnis verwendet. Ältestes Beispiel für die Bedeutung Dokument ist nach einer
Mitteilung Breſslaus: Boos, UB. der Landschaft Basel II 73, Nr 627 v. J. 1422:
han ich der obgen. schultheis … die urkund mit einem angehenkten insigel geben.
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Zitationshilfe: | Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/410>, abgerufen am 20.07.2024. |