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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 53. Edictus Langobardorum.
als es sich frei von Einflüssen des fränkischen Rechtes auf rein
nationalen Grundlagen fortzubilden vermochte. Hier hat auch der
Edictus noch weitere Zusätze erhalten, welche die Fürsten von Bene-
vent, Aregis und Adelchis, nach Art der langobardischen Könige hin-
zufügten23. Ausserdem besitzen wir noch Verträge beneventanischer
Fürsten mit den Neapolitanern und einen Vertrag über die Teilung
des Herzogtums Benevent von 851. welche für die Erkenntnis des
altlangobardischen Rechtes von nicht unerheblicher Bedeutung sind.

Eigentümlich ist die Stellung, die das langobardische Volksrecht
zu den übrigen germanischen Rechten einnimmt. Nicht die ober-
deutschen Rechte und nicht die fränkischen Rechte stehen ihm am
nächsten, sondern es bildet innerhalb des Kreises der deutschen Volks-
rechte mit den Rechten der Altsachsen und der Angelsachsen eine
engere Gruppe. Charakteristische Rechtssätze und Rechtsausdrücke
sind den Langobarden mit den Sachsen und mit den Angelsachsen
gemein24. Nicht minder merkwürdig ist die Übereinstimmung, die in

23 Adelchis bezeichnet sowohl die Gesetze seines Vorgängers, des Herzogs
Aregis, als auch diejenigen, die er selbst im J. 866 erliess, als Teile des Edikts.
Von Aregis heisst es: sequens uestigia regum ... quaedam capitula ... statuere
curauit ... quae inserta in edicti corpore retinentur. Von den eigenen Gesetzen
sagt Adelchis: in edicti paginis inserere praecepimus perpetuo iure retinenda.
24 Auf diesen Punkt hat schon Biener, Comm. I § 47 S 141 hingewiesen.
Näheres hat Gaupp, Thüringer S 20. 68 und Sachsen passim beigebracht. S. noch
Stobbe, RQ I 127; Hammerstein-Loxten, Der Bardengau, 1869, S 59 ff.
Als Beispiele der Verwandtschaft seien hervorgehoben: 1. die Stellung des Ge-
währsmanns bei der Anefangsklage. Der Kläger wird bei Langobarden und Sachsen
in die Wohnung des Gewährsmanns geführt, während nach fränkischem Recht der
Besitzer den Auktor vor Gericht stellen muss. Roth. 231 und Ssp Ldr. II 36, 5.
Eine Kombination beider Methoden kennt das angelsächsische Recht; Aethelred II 9.
2. Die vollständige Ausschliessung der Töchter durch Söhne im Erbrecht. Miller,
Z f. RG XIII 53 und Lex Sax. 41. 3. Die Zählung der Verwandtschaft usque in
septimum geniculum und die sieben Sippezahlen des Sachsenspiegels. 4. Das säch-
sische Verbot der Veräusserung auf dem Siechbette galt ursprünglich auch im
langob. Recht, arg. Liu. 6. 5. Der ältere langob. Mündigkeitstermin von 12 Jahren
(Roth. 155) stimmt mit dem sächsischen überein. 6. Das Recht der Blutsverwandten
die Witwe zu verloben, wenn der Mage des verstorbenen Mannes als Vormund die
Verlobung verweigert. Roth. 182 u. Lex Sax. 43. 7. Die auf Tötung des dominus
gesetzte Todesstrafe in Roth. 13 u. Lex Sax. 25. 8. Wer einen Baum anzündet,
haftet 24 Stunden für den daraus entstehenden Schaden. Roth. 148 u. Lex Sax. 55.
9. Die Folgen der wissentlichen Bearbeitung fremden Landes in Roth. 354 u. Ssp
Ldr. II 46, 1. 10. Die Unterscheidung grossen und kleinen Diebstahls in Roth.
253 u. Lex Sax. 36. 11. Der langobardische dux und der angelsächsische ealdorman.
Weiteres s. bei Stobbe a. O. S 127 Anm 17. Von Rechtsausdrücken sind neben
einander zu stellen der fulcfree in Roth. 224 und der folcfry in Wihträd 8 und

§ 53. Edictus Langobardorum.
als es sich frei von Einflüssen des fränkischen Rechtes auf rein
nationalen Grundlagen fortzubilden vermochte. Hier hat auch der
Edictus noch weitere Zusätze erhalten, welche die Fürsten von Bene-
vent, Aregis und Adelchis, nach Art der langobardischen Könige hin-
zufügten23. Auſserdem besitzen wir noch Verträge beneventanischer
Fürsten mit den Neapolitanern und einen Vertrag über die Teilung
des Herzogtums Benevent von 851. welche für die Erkenntnis des
altlangobardischen Rechtes von nicht unerheblicher Bedeutung sind.

Eigentümlich ist die Stellung, die das langobardische Volksrecht
zu den übrigen germanischen Rechten einnimmt. Nicht die ober-
deutschen Rechte und nicht die fränkischen Rechte stehen ihm am
nächsten, sondern es bildet innerhalb des Kreises der deutschen Volks-
rechte mit den Rechten der Altsachsen und der Angelsachsen eine
engere Gruppe. Charakteristische Rechtssätze und Rechtsausdrücke
sind den Langobarden mit den Sachsen und mit den Angelsachsen
gemein24. Nicht minder merkwürdig ist die Übereinstimmung, die in

23 Adelchis bezeichnet sowohl die Gesetze seines Vorgängers, des Herzogs
Aregis, als auch diejenigen, die er selbst im J. 866 erlieſs, als Teile des Edikts.
Von Aregis heiſst es: sequens uestigia regum … quaedam capitula … statuere
curauit … quae inserta in edicti corpore retinentur. Von den eigenen Gesetzen
sagt Adelchis: in edicti paginis inserere praecepimus perpetuo iure retinenda.
24 Auf diesen Punkt hat schon Biener, Comm. I § 47 S 141 hingewiesen.
Näheres hat Gaupp, Thüringer S 20. 68 und Sachsen passim beigebracht. S. noch
Stobbe, RQ I 127; Hammerstein-Loxten, Der Bardengau, 1869, S 59 ff.
Als Beispiele der Verwandtschaft seien hervorgehoben: 1. die Stellung des Ge-
währsmanns bei der Anefangsklage. Der Kläger wird bei Langobarden und Sachsen
in die Wohnung des Gewährsmanns geführt, während nach fränkischem Recht der
Besitzer den Auktor vor Gericht stellen muſs. Roth. 231 und Ssp Ldr. II 36, 5.
Eine Kombination beider Methoden kennt das angelsächsische Recht; Aethelred II 9.
2. Die vollständige Ausschlieſsung der Töchter durch Söhne im Erbrecht. Miller,
Z f. RG XIII 53 und Lex Sax. 41. 3. Die Zählung der Verwandtschaft usque in
septimum geniculum und die sieben Sippezahlen des Sachsenspiegels. 4. Das säch-
sische Verbot der Veräuſserung auf dem Siechbette galt ursprünglich auch im
langob. Recht, arg. Liu. 6. 5. Der ältere langob. Mündigkeitstermin von 12 Jahren
(Roth. 155) stimmt mit dem sächsischen überein. 6. Das Recht der Blutsverwandten
die Witwe zu verloben, wenn der Mage des verstorbenen Mannes als Vormund die
Verlobung verweigert. Roth. 182 u. Lex Sax. 43. 7. Die auf Tötung des dominus
gesetzte Todesstrafe in Roth. 13 u. Lex Sax. 25. 8. Wer einen Baum anzündet,
haftet 24 Stunden für den daraus entstehenden Schaden. Roth. 148 u. Lex Sax. 55.
9. Die Folgen der wissentlichen Bearbeitung fremden Landes in Roth. 354 u. Ssp
Ldr. II 46, 1. 10. Die Unterscheidung groſsen und kleinen Diebstahls in Roth.
253 u. Lex Sax. 36. 11. Der langobardische dux und der angelsächsische ealdorman.
Weiteres s. bei Stobbe a. O. S 127 Anm 17. Von Rechtsausdrücken sind neben
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[373/0391] § 53. Edictus Langobardorum. als es sich frei von Einflüssen des fränkischen Rechtes auf rein nationalen Grundlagen fortzubilden vermochte. Hier hat auch der Edictus noch weitere Zusätze erhalten, welche die Fürsten von Bene- vent, Aregis und Adelchis, nach Art der langobardischen Könige hin- zufügten 23. Auſserdem besitzen wir noch Verträge beneventanischer Fürsten mit den Neapolitanern und einen Vertrag über die Teilung des Herzogtums Benevent von 851. welche für die Erkenntnis des altlangobardischen Rechtes von nicht unerheblicher Bedeutung sind. Eigentümlich ist die Stellung, die das langobardische Volksrecht zu den übrigen germanischen Rechten einnimmt. Nicht die ober- deutschen Rechte und nicht die fränkischen Rechte stehen ihm am nächsten, sondern es bildet innerhalb des Kreises der deutschen Volks- rechte mit den Rechten der Altsachsen und der Angelsachsen eine engere Gruppe. Charakteristische Rechtssätze und Rechtsausdrücke sind den Langobarden mit den Sachsen und mit den Angelsachsen gemein 24. Nicht minder merkwürdig ist die Übereinstimmung, die in 23 Adelchis bezeichnet sowohl die Gesetze seines Vorgängers, des Herzogs Aregis, als auch diejenigen, die er selbst im J. 866 erlieſs, als Teile des Edikts. Von Aregis heiſst es: sequens uestigia regum … quaedam capitula … statuere curauit … quae inserta in edicti corpore retinentur. Von den eigenen Gesetzen sagt Adelchis: in edicti paginis inserere praecepimus perpetuo iure retinenda. 24 Auf diesen Punkt hat schon Biener, Comm. I § 47 S 141 hingewiesen. Näheres hat Gaupp, Thüringer S 20. 68 und Sachsen passim beigebracht. S. noch Stobbe, RQ I 127; Hammerstein-Loxten, Der Bardengau, 1869, S 59 ff. Als Beispiele der Verwandtschaft seien hervorgehoben: 1. die Stellung des Ge- währsmanns bei der Anefangsklage. Der Kläger wird bei Langobarden und Sachsen in die Wohnung des Gewährsmanns geführt, während nach fränkischem Recht der Besitzer den Auktor vor Gericht stellen muſs. Roth. 231 und Ssp Ldr. II 36, 5. Eine Kombination beider Methoden kennt das angelsächsische Recht; Aethelred II 9. 2. Die vollständige Ausschlieſsung der Töchter durch Söhne im Erbrecht. Miller, Z f. RG XIII 53 und Lex Sax. 41. 3. Die Zählung der Verwandtschaft usque in septimum geniculum und die sieben Sippezahlen des Sachsenspiegels. 4. Das säch- sische Verbot der Veräuſserung auf dem Siechbette galt ursprünglich auch im langob. Recht, arg. Liu. 6. 5. Der ältere langob. Mündigkeitstermin von 12 Jahren (Roth. 155) stimmt mit dem sächsischen überein. 6. Das Recht der Blutsverwandten die Witwe zu verloben, wenn der Mage des verstorbenen Mannes als Vormund die Verlobung verweigert. Roth. 182 u. Lex Sax. 43. 7. Die auf Tötung des dominus gesetzte Todesstrafe in Roth. 13 u. Lex Sax. 25. 8. Wer einen Baum anzündet, haftet 24 Stunden für den daraus entstehenden Schaden. Roth. 148 u. Lex Sax. 55. 9. Die Folgen der wissentlichen Bearbeitung fremden Landes in Roth. 354 u. Ssp Ldr. II 46, 1. 10. Die Unterscheidung groſsen und kleinen Diebstahls in Roth. 253 u. Lex Sax. 36. 11. Der langobardische dux und der angelsächsische ealdorman. Weiteres s. bei Stobbe a. O. S 127 Anm 17. Von Rechtsausdrücken sind neben einander zu stellen der fulcfree in Roth. 224 und der folcfrŷ in Wihträd 8 und

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/391>, abgerufen am 22.11.2024.