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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 47. Die Lex Angliorum et Werinorum.
i. e. Thuringorum bezeichnet war, ist uns in einer anglo-normannischen
Rechtsaufzeichnung erhalten, welche in England gegen Ende des
elften oder im Laufe des zwölften Jahrhunderts entstanden sein
dürfte 2.

Die Heimat der Lex ist jener Teil Thüringens, welcher von den
Stämmen der Angeln und Warnen bewohnt war. Der Name der
Angeln, die im Gebiete der Unstrut sassen, hat sich in dem südlich
der Unstrut gelegenen pagus Engili oder Engleheim erhalten, welcher
uns in Urkunden des neunten und zehnten Jahrhunderts begegnet. Noch
jetzt weist eine Anzahl thüringischer Ortsnamen auf die einstigen Sitze
der Angeln 3. Östlich von ihnen sassen die Warnen, nach welchen
die Landschaft zwischen Saale und Elster zu Anfang des neunten
Jahrhunderts als Werenofeld bezeichnet wurde 4. Zur Zeit des Ost-
gotenkönigs Theoderich bildeten sie ein selbständiges Königreich 5,
scheinen sich aber noch vor dem Sturze des Thüringerreiches diesem
angeschlossen zu haben. Von den Franken unterworfen, empörten
sie sich gegen Childebert II., wurden aber durch ein fränkisches Heer
besiegt und nahezu aufgerieben 6. Die Überschrift der Lex Thuringorum

2 In den Constitutiones de foresta angeblich von Knut. Schmid, Gesetze der
Angels. S 321, c. 33: quod si (canes rabidi) intra septa forestae reperiantur, talis
exquiratur herus et emendet secundum pretium hominis mediocris, quod secundum
legem Werinorum i. e. Thuringorum est ducentorum solidorum. Nach c. 2
der Lex Angl. beträgt das Wergeld des Freien 200 solidi. Die Constitutiones de
foresta sind eine in normannischer Zeit vermutlich auf Grund angelsächsischer Vor-
lagen verfasste Rechtsaufzeichnung. Das Zitat aus der Lex Thuringorum entspricht
der kompilierenden Methode, nach welcher man im 12. Jahrh. angelsächsische
Quellen zu verarbeiten liebte. In den Leges Henrici I. (entstanden zwischen 1108
und 1118) sind die Lex Sal. und die Lex Rib. vielfach benutzt und mehrfach zitiert.
Jenes Zitat aus der Lex Thur. beweist, dass in England zu Beginn der normanni-
schen Periode eine Handschrift der Lex mit der angegebenen Überschrift vorhanden
war. Sie mag im Gefolge der Salica oder Ribuaria vielleicht durch die Normannen
nach England gekommen sein. Unmöglich ist, dass das Zitat aus Herolds Ausgabe
in den Text der Const. de foresta geraten sei, wie v. Richthofen, Zur Lex Sax.
S 410 vermutet. Aus dem Hinweis der Const. de foresta auf die Lex Thuringorum
hat man die abenteuerlichsten Folgerungen in Bezug auf das Geltungsgebiet der
letzteren gezogen. Nach Zöpfl, RG I 51 ist sie bei den Dänen in Gebrauch ge-
kommen und von diesen nach England gebracht worden. Nach v. Schulte, RG
S 84 "galt sie bis nach Holstein, Dänemark und England hinein".
3 v. Richthofen, Zur Lex Sax. S 410. Schröder a. O. S 21. Arnold,
Deutsche Geschichte II 64.
4 v. Richthofen a. O. S 411. Als neuen Beleg bringt Schröder a. O.
den Ortsnamen Werines aus einer Urkunde von 1068 bei.
5 S. oben S 46.
6 Fredegar. Chron. c. 15. Zeuss, Die Deutschen und die Nachbarstämme

§ 47. Die Lex Angliorum et Werinorum.
i. e. Thuringorum bezeichnet war, ist uns in einer anglo-normannischen
Rechtsaufzeichnung erhalten, welche in England gegen Ende des
elften oder im Laufe des zwölften Jahrhunderts entstanden sein
dürfte 2.

Die Heimat der Lex ist jener Teil Thüringens, welcher von den
Stämmen der Angeln und Warnen bewohnt war. Der Name der
Angeln, die im Gebiete der Unstrut saſsen, hat sich in dem südlich
der Unstrut gelegenen pagus Engili oder Engleheim erhalten, welcher
uns in Urkunden des neunten und zehnten Jahrhunderts begegnet. Noch
jetzt weist eine Anzahl thüringischer Ortsnamen auf die einstigen Sitze
der Angeln 3. Östlich von ihnen saſsen die Warnen, nach welchen
die Landschaft zwischen Saale und Elster zu Anfang des neunten
Jahrhunderts als Werenofeld bezeichnet wurde 4. Zur Zeit des Ost-
gotenkönigs Theoderich bildeten sie ein selbständiges Königreich 5,
scheinen sich aber noch vor dem Sturze des Thüringerreiches diesem
angeschlossen zu haben. Von den Franken unterworfen, empörten
sie sich gegen Childebert II., wurden aber durch ein fränkisches Heer
besiegt und nahezu aufgerieben 6. Die Überschrift der Lex Thuringorum

2 In den Constitutiones de foresta angeblich von Knut. Schmid, Gesetze der
Angels. S 321, c. 33: quod si (canes rabidi) intra septa forestae reperiantur, talis
exquiratur herus et emendet secundum pretium hominis mediocris, quod secundum
legem Werinorum i. e. Thuringorum est ducentorum solidorum. Nach c. 2
der Lex Angl. beträgt das Wergeld des Freien 200 solidi. Die Constitutiones de
foresta sind eine in normannischer Zeit vermutlich auf Grund angelsächsischer Vor-
lagen verfaſste Rechtsaufzeichnung. Das Zitat aus der Lex Thuringorum entspricht
der kompilierenden Methode, nach welcher man im 12. Jahrh. angelsächsische
Quellen zu verarbeiten liebte. In den Leges Henrici I. (entstanden zwischen 1108
und 1118) sind die Lex Sal. und die Lex Rib. vielfach benutzt und mehrfach zitiert.
Jenes Zitat aus der Lex Thur. beweist, daſs in England zu Beginn der normanni-
schen Periode eine Handschrift der Lex mit der angegebenen Überschrift vorhanden
war. Sie mag im Gefolge der Salica oder Ribuaria vielleicht durch die Normannen
nach England gekommen sein. Unmöglich ist, daſs das Zitat aus Herolds Ausgabe
in den Text der Const. de foresta geraten sei, wie v. Richthofen, Zur Lex Sax.
S 410 vermutet. Aus dem Hinweis der Const. de foresta auf die Lex Thuringorum
hat man die abenteuerlichsten Folgerungen in Bezug auf das Geltungsgebiet der
letzteren gezogen. Nach Zöpfl, RG I 51 ist sie bei den Dänen in Gebrauch ge-
kommen und von diesen nach England gebracht worden. Nach v. Schulte, RG
S 84 „galt sie bis nach Holstein, Dänemark und England hinein“.
3 v. Richthofen, Zur Lex Sax. S 410. Schröder a. O. S 21. Arnold,
Deutsche Geschichte II 64.
4 v. Richthofen a. O. S 411. Als neuen Beleg bringt Schröder a. O.
den Ortsnamen Werines aus einer Urkunde von 1068 bei.
5 S. oben S 46.
6 Fredegar. Chron. c. 15. Zeuſs, Die Deutschen und die Nachbarstämme
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[350/0368] § 47. Die Lex Angliorum et Werinorum. i. e. Thuringorum bezeichnet war, ist uns in einer anglo-normannischen Rechtsaufzeichnung erhalten, welche in England gegen Ende des elften oder im Laufe des zwölften Jahrhunderts entstanden sein dürfte 2. Die Heimat der Lex ist jener Teil Thüringens, welcher von den Stämmen der Angeln und Warnen bewohnt war. Der Name der Angeln, die im Gebiete der Unstrut saſsen, hat sich in dem südlich der Unstrut gelegenen pagus Engili oder Engleheim erhalten, welcher uns in Urkunden des neunten und zehnten Jahrhunderts begegnet. Noch jetzt weist eine Anzahl thüringischer Ortsnamen auf die einstigen Sitze der Angeln 3. Östlich von ihnen saſsen die Warnen, nach welchen die Landschaft zwischen Saale und Elster zu Anfang des neunten Jahrhunderts als Werenofeld bezeichnet wurde 4. Zur Zeit des Ost- gotenkönigs Theoderich bildeten sie ein selbständiges Königreich 5, scheinen sich aber noch vor dem Sturze des Thüringerreiches diesem angeschlossen zu haben. Von den Franken unterworfen, empörten sie sich gegen Childebert II., wurden aber durch ein fränkisches Heer besiegt und nahezu aufgerieben 6. Die Überschrift der Lex Thuringorum 2 In den Constitutiones de foresta angeblich von Knut. Schmid, Gesetze der Angels. S 321, c. 33: quod si (canes rabidi) intra septa forestae reperiantur, talis exquiratur herus et emendet secundum pretium hominis mediocris, quod secundum legem Werinorum i. e. Thuringorum est ducentorum solidorum. Nach c. 2 der Lex Angl. beträgt das Wergeld des Freien 200 solidi. Die Constitutiones de foresta sind eine in normannischer Zeit vermutlich auf Grund angelsächsischer Vor- lagen verfaſste Rechtsaufzeichnung. Das Zitat aus der Lex Thuringorum entspricht der kompilierenden Methode, nach welcher man im 12. Jahrh. angelsächsische Quellen zu verarbeiten liebte. In den Leges Henrici I. (entstanden zwischen 1108 und 1118) sind die Lex Sal. und die Lex Rib. vielfach benutzt und mehrfach zitiert. Jenes Zitat aus der Lex Thur. beweist, daſs in England zu Beginn der normanni- schen Periode eine Handschrift der Lex mit der angegebenen Überschrift vorhanden war. Sie mag im Gefolge der Salica oder Ribuaria vielleicht durch die Normannen nach England gekommen sein. Unmöglich ist, daſs das Zitat aus Herolds Ausgabe in den Text der Const. de foresta geraten sei, wie v. Richthofen, Zur Lex Sax. S 410 vermutet. Aus dem Hinweis der Const. de foresta auf die Lex Thuringorum hat man die abenteuerlichsten Folgerungen in Bezug auf das Geltungsgebiet der letzteren gezogen. Nach Zöpfl, RG I 51 ist sie bei den Dänen in Gebrauch ge- kommen und von diesen nach England gebracht worden. Nach v. Schulte, RG S 84 „galt sie bis nach Holstein, Dänemark und England hinein“. 3 v. Richthofen, Zur Lex Sax. S 410. Schröder a. O. S 21. Arnold, Deutsche Geschichte II 64. 4 v. Richthofen a. O. S 411. Als neuen Beleg bringt Schröder a. O. den Ortsnamen Werines aus einer Urkunde von 1068 bei. 5 S. oben S 46. 6 Fredegar. Chron. c. 15. Zeuſs, Die Deutschen und die Nachbarstämme

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/368>, abgerufen am 25.11.2024.