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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 45. Die Lex Frisionum.
Karlmann, nachweislich so benannten 14. Als Ergebnis volksrechtlicher
Satzung stellen sich die wichtigen Titel 1 und 22 dar. Titel 1 han-
delt von den Wergeldern der verschiedenen Stände, Titel 22 enthält
ein ausführliches Verzeichnis von Wundbussen. Der letztere ist jünger
als der erstere. Denn während Titel 1 neben dem Solidus nur den
Denar kennt und den Wergeldsätzen den Goldsolidus zu Grunde legt,
nennt Titel 22 den Tremissis und baut sein Busssystem auf den Silber-
solidus 15. Die Anordnung der Bussfälle und die Fassung einzelner
Stellen des Titel 22 deuten auf Benutzung der Lex Alamannorum
hin 16.

Eine Sammlung von Weistümern ist die sog. Additio sapientum.
Sie enthält Rechtssätze, welche von zwei Rechtsgelehrten Namens
Wulemar und Saxmund gewiesen wurden 17. Die Wundbussen ihrer
Weistümer sind zum grössten Teile erheblich höher, wie die in der
Lex. Einige Titel der Additio zeigen nahe Verwandtschaft mit der
Lex Alamannorum 18.

Als Ganzes betrachtet hat die Aufzeichnung des friesischen Volks-
rechtes den Charakter einer Privatkompilation von Rechtsquellen ver-
schiedener Entstehungsart und verschiedener Entstehungszeit. Scheinen
etliche Titel noch über die Mitte des achten Jahrhunderts hinaufzu-
reichen 19, so dürfte doch die Hauptmasse erst unter Karl dem Grossen
entstanden sein, einiges vielleicht unter dem Einfluss der Anregungen,
welche Karl zur Aufzeichnung der Volksrechte gab, etwa als Vor-
arbeit für eine amtliche Redaktion, die dann aus unbekannten Gründen
unterblieb. Jünger wie die Lex ist die Additio sapientum und sind

14 Mittelfriesland wurde erst infolge des Sieges von 734 unterworfen. Von
Karl Martell ist nicht bekannt, dass er den Titel dux Francorum amtlich geführt
habe. Da Tit. 17 einen fränkischen König voraussetzt, so bleibt die königlose Zeit
von 737--743 ausser Betracht. Der genaue Wortlaut der königlichen Satzung ist
uns in Tit. 17 ff. vermutlich ebensowenig erhalten wie in Tit. 7. Der Verfasser
der Kompilation hat sie nur im wesentlichen aufgenommen und bei dieser Gelegen-
heit wahrscheinlich das dreifache Wergeld (wie es Lex Al. hat) durch das neunfache
friesische Simplum ersetzt. Zugleich mag er die auf Ostfriesland bezügliche Stelle
in Tit. 18 eingefügt haben.
15 Tit. 22, 77. Vgl. oben S 225. Den Charakter der Satzung verbürgt dem
Tit. 22 die Ausdrucksweise in c. 79: si quid de brachio et de manu, ita de coxa
ac pede iudicatum est.
16 Vgl. Tit. 22, 1. 3. 4. 5 mit Lex Al. 59.
17 Eines der Weistümer Wulemars ist dem Tit. 2 der Lex eingefügt unter
der Überschrift: haec Wulemarus addidit.
18 Vgl. Add. 3 b mit Al. 67, Add. 4 u. 5 mit Al. 68, Add. 7 und 8 mit Al.
88. 89. Zu 3 b und 4 sind auch die Titelrubriken der Lex Al. entlehnt.
19 Tit. 1 und die oben besprochenen Stellen des Tit. 17.

§ 45. Die Lex Frisionum.
Karlmann, nachweislich so benannten 14. Als Ergebnis volksrechtlicher
Satzung stellen sich die wichtigen Titel 1 und 22 dar. Titel 1 han-
delt von den Wergeldern der verschiedenen Stände, Titel 22 enthält
ein ausführliches Verzeichnis von Wundbuſsen. Der letztere ist jünger
als der erstere. Denn während Titel 1 neben dem Solidus nur den
Denar kennt und den Wergeldsätzen den Goldsolidus zu Grunde legt,
nennt Titel 22 den Tremissis und baut sein Buſssystem auf den Silber-
solidus 15. Die Anordnung der Buſsfälle und die Fassung einzelner
Stellen des Titel 22 deuten auf Benutzung der Lex Alamannorum
hin 16.

Eine Sammlung von Weistümern ist die sog. Additio sapientum.
Sie enthält Rechtssätze, welche von zwei Rechtsgelehrten Namens
Wulemar und Saxmund gewiesen wurden 17. Die Wundbuſsen ihrer
Weistümer sind zum gröſsten Teile erheblich höher, wie die in der
Lex. Einige Titel der Additio zeigen nahe Verwandtschaft mit der
Lex Alamannorum 18.

Als Ganzes betrachtet hat die Aufzeichnung des friesischen Volks-
rechtes den Charakter einer Privatkompilation von Rechtsquellen ver-
schiedener Entstehungsart und verschiedener Entstehungszeit. Scheinen
etliche Titel noch über die Mitte des achten Jahrhunderts hinaufzu-
reichen 19, so dürfte doch die Hauptmasse erst unter Karl dem Groſsen
entstanden sein, einiges vielleicht unter dem Einfluſs der Anregungen,
welche Karl zur Aufzeichnung der Volksrechte gab, etwa als Vor-
arbeit für eine amtliche Redaktion, die dann aus unbekannten Gründen
unterblieb. Jünger wie die Lex ist die Additio sapientum und sind

14 Mittelfriesland wurde erst infolge des Sieges von 734 unterworfen. Von
Karl Martell ist nicht bekannt, daſs er den Titel dux Francorum amtlich geführt
habe. Da Tit. 17 einen fränkischen König voraussetzt, so bleibt die königlose Zeit
von 737—743 auſser Betracht. Der genaue Wortlaut der königlichen Satzung ist
uns in Tit. 17 ff. vermutlich ebensowenig erhalten wie in Tit. 7. Der Verfasser
der Kompilation hat sie nur im wesentlichen aufgenommen und bei dieser Gelegen-
heit wahrscheinlich das dreifache Wergeld (wie es Lex Al. hat) durch das neunfache
friesische Simplum ersetzt. Zugleich mag er die auf Ostfriesland bezügliche Stelle
in Tit. 18 eingefügt haben.
15 Tit. 22, 77. Vgl. oben S 225. Den Charakter der Satzung verbürgt dem
Tit. 22 die Ausdrucksweise in c. 79: si quid de brachio et de manu, ita de coxa
ac pede iudicatum est.
16 Vgl. Tit. 22, 1. 3. 4. 5 mit Lex Al. 59.
17 Eines der Weistümer Wulemars ist dem Tit. 2 der Lex eingefügt unter
der Überschrift: haec Wulemarus addidit.
18 Vgl. Add. 3 b mit Al. 67, Add. 4 u. 5 mit Al. 68, Add. 7 und 8 mit Al.
88. 89. Zu 3 b und 4 sind auch die Titelrubriken der Lex Al. entlehnt.
19 Tit. 1 und die oben besprochenen Stellen des Tit. 17.
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[344/0362] § 45. Die Lex Frisionum. Karlmann, nachweislich so benannten 14. Als Ergebnis volksrechtlicher Satzung stellen sich die wichtigen Titel 1 und 22 dar. Titel 1 han- delt von den Wergeldern der verschiedenen Stände, Titel 22 enthält ein ausführliches Verzeichnis von Wundbuſsen. Der letztere ist jünger als der erstere. Denn während Titel 1 neben dem Solidus nur den Denar kennt und den Wergeldsätzen den Goldsolidus zu Grunde legt, nennt Titel 22 den Tremissis und baut sein Buſssystem auf den Silber- solidus 15. Die Anordnung der Buſsfälle und die Fassung einzelner Stellen des Titel 22 deuten auf Benutzung der Lex Alamannorum hin 16. Eine Sammlung von Weistümern ist die sog. Additio sapientum. Sie enthält Rechtssätze, welche von zwei Rechtsgelehrten Namens Wulemar und Saxmund gewiesen wurden 17. Die Wundbuſsen ihrer Weistümer sind zum gröſsten Teile erheblich höher, wie die in der Lex. Einige Titel der Additio zeigen nahe Verwandtschaft mit der Lex Alamannorum 18. Als Ganzes betrachtet hat die Aufzeichnung des friesischen Volks- rechtes den Charakter einer Privatkompilation von Rechtsquellen ver- schiedener Entstehungsart und verschiedener Entstehungszeit. Scheinen etliche Titel noch über die Mitte des achten Jahrhunderts hinaufzu- reichen 19, so dürfte doch die Hauptmasse erst unter Karl dem Groſsen entstanden sein, einiges vielleicht unter dem Einfluſs der Anregungen, welche Karl zur Aufzeichnung der Volksrechte gab, etwa als Vor- arbeit für eine amtliche Redaktion, die dann aus unbekannten Gründen unterblieb. Jünger wie die Lex ist die Additio sapientum und sind 14 Mittelfriesland wurde erst infolge des Sieges von 734 unterworfen. Von Karl Martell ist nicht bekannt, daſs er den Titel dux Francorum amtlich geführt habe. Da Tit. 17 einen fränkischen König voraussetzt, so bleibt die königlose Zeit von 737—743 auſser Betracht. Der genaue Wortlaut der königlichen Satzung ist uns in Tit. 17 ff. vermutlich ebensowenig erhalten wie in Tit. 7. Der Verfasser der Kompilation hat sie nur im wesentlichen aufgenommen und bei dieser Gelegen- heit wahrscheinlich das dreifache Wergeld (wie es Lex Al. hat) durch das neunfache friesische Simplum ersetzt. Zugleich mag er die auf Ostfriesland bezügliche Stelle in Tit. 18 eingefügt haben. 15 Tit. 22, 77. Vgl. oben S 225. Den Charakter der Satzung verbürgt dem Tit. 22 die Ausdrucksweise in c. 79: si quid de brachio et de manu, ita de coxa ac pede iudicatum est. 16 Vgl. Tit. 22, 1. 3. 4. 5 mit Lex Al. 59. 17 Eines der Weistümer Wulemars ist dem Tit. 2 der Lex eingefügt unter der Überschrift: haec Wulemarus addidit. 18 Vgl. Add. 3 b mit Al. 67, Add. 4 u. 5 mit Al. 68, Add. 7 und 8 mit Al. 88. 89. Zu 3 b und 4 sind auch die Titelrubriken der Lex Al. entlehnt. 19 Tit. 1 und die oben besprochenen Stellen des Tit. 17.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/362>, abgerufen am 22.11.2024.