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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 44. Die Lex Burgundionum.
der Gesetzgeber für seine Aufgabe, den Gesetzen die Normierung
solcher Fälle hinzuzufügen, die in den vorausgegangenen Konstitutionen
nicht geregelt seien 13. Und Titel 60 stellt den Grundsatz auf, dass
durch ein neues Gesetz Vorsorge getroffen werden müsse, wenn altes
Gewohnheitsrecht ausser Gebrauch gekommen sei. Bei diesem Stand-
punkte der Gesetzgebung konnte es nicht ausbleiben, dass das Be-
dürfnis nach Novellen sich bald und häufig geltend machte. Die
Novellen wurden, wenn sie dauernde Geltung haben sollten, mit dem
vorhandenen liber constitutionum in feste Verbindung gebracht, ihm
eingefügt ("adiecta"). Dabei befolgte man nicht etwa die Methode,
sie dem alten Gesetzbuch in chronologischer Reihenfolge anzuhängen,
sondern die Novellen wurden, so weit es anging und als passend er-
schien, zu bestimmten Titeln oder als bestimmte Titel der Konstitu-
tionensammlung erlassen 14. Hob ein neues Gesetz eine ältere in der
Sammlung befindliche Konstitution ganz oder teilweise auf, so wurde
wohl die Novelle an Stelle des aufgehobenen Rechtssatzes eingeschoben.
Die Abschreiber setzten dann in den Handschriften die Novellen an
der Stelle ein, die ihnen vom Gesetzgeber angewiesen worden war,
so dass im wesentlichen gleichmässig angeordnete Texte zustande
kamen 15. Ein deutliches Beispiel für die dargestellte Methode der
Novellengesetzgebung liefert gleich der erste Titel der Lex "de liber-
tate donandi patribus adtributa et muneribus regis". Denn dieser Titel
ist nicht etwa, wie manche annehmen 16, später eingeschoben worden,

13 Quotiens eiusmodi causae consurgunt, de quibus praecedentium constitutionum
ordo non evidenter observanda decrevit, necesse est ut terminandae causationis mo-
dum instructio legibus adiecta contineat.
14 Das Verfahren war ähnlich den Adkapitulationen, welche unter Karl d. Gr.
und Ludwig dem Frommen bei Abfassung der Kapitularien zur Lex Rib. v. J. 803
und zur Lex Sal. v. J. 819 vorgenommen wurden. Dass die Novelle mit einer be-
stimmten Titelziffer erlassen wurde, soll nicht behauptet werden. Man mochte sich
mit der Titelrubrik begnügen.
15 Die übereinstimmende Anordnung, welche die Handschriften in Tit. 1--88
aufweisen, wäre kaum zu erklären, wenn die Einfügung der Novellen dem Belieben
der Abschreiber überlassen war.
16 So Gaupp a. O., nach welchem die Lex ursprünglich mit Titel 2 "de
homicidiis" begonnen hatte. Allein Gundob. 1 ist in der Lex Rom. Burg. nach-
gebildet, welche dem Titel 2 einen Titel 1 "de patris vel matris donatione vel muni-
ficentia dominorum" vorausschickt. Gundob. I 3 bestimmt hinsichtlich der königl.
Schenkungen: id quod ei conlatum est, etiam ex nostra largitate, ut filiis suis re-
linquat praesenti constitutione praestamus. In Lex Rom. Burg. 1, 3 heisst es: de
donationibus dominorum proprietas accipientium etiam circa heredes et proheredes
lege firmatur. Vom Standpunkte des römischen Rechtes hätte man keinen be-
sonderen Anlass gehabt, die Vererblichkeit der durch Schenkung erworbenen

§ 44. Die Lex Burgundionum.
der Gesetzgeber für seine Aufgabe, den Gesetzen die Normierung
solcher Fälle hinzuzufügen, die in den vorausgegangenen Konstitutionen
nicht geregelt seien 13. Und Titel 60 stellt den Grundsatz auf, daſs
durch ein neues Gesetz Vorsorge getroffen werden müsse, wenn altes
Gewohnheitsrecht auſser Gebrauch gekommen sei. Bei diesem Stand-
punkte der Gesetzgebung konnte es nicht ausbleiben, daſs das Be-
dürfnis nach Novellen sich bald und häufig geltend machte. Die
Novellen wurden, wenn sie dauernde Geltung haben sollten, mit dem
vorhandenen liber constitutionum in feste Verbindung gebracht, ihm
eingefügt („adiecta“). Dabei befolgte man nicht etwa die Methode,
sie dem alten Gesetzbuch in chronologischer Reihenfolge anzuhängen,
sondern die Novellen wurden, so weit es anging und als passend er-
schien, zu bestimmten Titeln oder als bestimmte Titel der Konstitu-
tionensammlung erlassen 14. Hob ein neues Gesetz eine ältere in der
Sammlung befindliche Konstitution ganz oder teilweise auf, so wurde
wohl die Novelle an Stelle des aufgehobenen Rechtssatzes eingeschoben.
Die Abschreiber setzten dann in den Handschriften die Novellen an
der Stelle ein, die ihnen vom Gesetzgeber angewiesen worden war,
so daſs im wesentlichen gleichmäſsig angeordnete Texte zustande
kamen 15. Ein deutliches Beispiel für die dargestellte Methode der
Novellengesetzgebung liefert gleich der erste Titel der Lex „de liber-
tate donandi patribus adtributa et muneribus regis“. Denn dieser Titel
ist nicht etwa, wie manche annehmen 16, später eingeschoben worden,

13 Quotiens eiusmodi causae consurgunt, de quibus praecedentium constitutionum
ordo non evidenter observanda decrevit, necesse est ut terminandae causationis mo-
dum instructio legibus adiecta contineat.
14 Das Verfahren war ähnlich den Adkapitulationen, welche unter Karl d. Gr.
und Ludwig dem Frommen bei Abfassung der Kapitularien zur Lex Rib. v. J. 803
und zur Lex Sal. v. J. 819 vorgenommen wurden. Daſs die Novelle mit einer be-
stimmten Titelziffer erlassen wurde, soll nicht behauptet werden. Man mochte sich
mit der Titelrubrik begnügen.
15 Die übereinstimmende Anordnung, welche die Handschriften in Tit. 1—88
aufweisen, wäre kaum zu erklären, wenn die Einfügung der Novellen dem Belieben
der Abschreiber überlassen war.
16 So Gaupp a. O., nach welchem die Lex ursprünglich mit Titel 2 „de
homicidiis“ begonnen hatte. Allein Gundob. 1 ist in der Lex Rom. Burg. nach-
gebildet, welche dem Titel 2 einen Titel 1 „de patris vel matris donatione vel muni-
ficentia dominorum“ vorausschickt. Gundob. I 3 bestimmt hinsichtlich der königl.
Schenkungen: id quod ei conlatum est, etiam ex nostra largitate, ut filiis suis re-
linquat praesenti constitutione praestamus. In Lex Rom. Burg. 1, 3 heiſst es: de
donationibus dominorum proprietas accipientium etiam circa heredes et proheredes
lege firmatur. Vom Standpunkte des römischen Rechtes hätte man keinen be-
sonderen Anlaſs gehabt, die Vererblichkeit der durch Schenkung erworbenen
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[336/0354] § 44. Die Lex Burgundionum. der Gesetzgeber für seine Aufgabe, den Gesetzen die Normierung solcher Fälle hinzuzufügen, die in den vorausgegangenen Konstitutionen nicht geregelt seien 13. Und Titel 60 stellt den Grundsatz auf, daſs durch ein neues Gesetz Vorsorge getroffen werden müsse, wenn altes Gewohnheitsrecht auſser Gebrauch gekommen sei. Bei diesem Stand- punkte der Gesetzgebung konnte es nicht ausbleiben, daſs das Be- dürfnis nach Novellen sich bald und häufig geltend machte. Die Novellen wurden, wenn sie dauernde Geltung haben sollten, mit dem vorhandenen liber constitutionum in feste Verbindung gebracht, ihm eingefügt („adiecta“). Dabei befolgte man nicht etwa die Methode, sie dem alten Gesetzbuch in chronologischer Reihenfolge anzuhängen, sondern die Novellen wurden, so weit es anging und als passend er- schien, zu bestimmten Titeln oder als bestimmte Titel der Konstitu- tionensammlung erlassen 14. Hob ein neues Gesetz eine ältere in der Sammlung befindliche Konstitution ganz oder teilweise auf, so wurde wohl die Novelle an Stelle des aufgehobenen Rechtssatzes eingeschoben. Die Abschreiber setzten dann in den Handschriften die Novellen an der Stelle ein, die ihnen vom Gesetzgeber angewiesen worden war, so daſs im wesentlichen gleichmäſsig angeordnete Texte zustande kamen 15. Ein deutliches Beispiel für die dargestellte Methode der Novellengesetzgebung liefert gleich der erste Titel der Lex „de liber- tate donandi patribus adtributa et muneribus regis“. Denn dieser Titel ist nicht etwa, wie manche annehmen 16, später eingeschoben worden, 13 Quotiens eiusmodi causae consurgunt, de quibus praecedentium constitutionum ordo non evidenter observanda decrevit, necesse est ut terminandae causationis mo- dum instructio legibus adiecta contineat. 14 Das Verfahren war ähnlich den Adkapitulationen, welche unter Karl d. Gr. und Ludwig dem Frommen bei Abfassung der Kapitularien zur Lex Rib. v. J. 803 und zur Lex Sal. v. J. 819 vorgenommen wurden. Daſs die Novelle mit einer be- stimmten Titelziffer erlassen wurde, soll nicht behauptet werden. Man mochte sich mit der Titelrubrik begnügen. 15 Die übereinstimmende Anordnung, welche die Handschriften in Tit. 1—88 aufweisen, wäre kaum zu erklären, wenn die Einfügung der Novellen dem Belieben der Abschreiber überlassen war. 16 So Gaupp a. O., nach welchem die Lex ursprünglich mit Titel 2 „de homicidiis“ begonnen hatte. Allein Gundob. 1 ist in der Lex Rom. Burg. nach- gebildet, welche dem Titel 2 einen Titel 1 „de patris vel matris donatione vel muni- ficentia dominorum“ vorausschickt. Gundob. I 3 bestimmt hinsichtlich der königl. Schenkungen: id quod ei conlatum est, etiam ex nostra largitate, ut filiis suis re- linquat praesenti constitutione praestamus. In Lex Rom. Burg. 1, 3 heiſst es: de donationibus dominorum proprietas accipientium etiam circa heredes et proheredes lege firmatur. Vom Standpunkte des römischen Rechtes hätte man keinen be- sonderen Anlaſs gehabt, die Vererblichkeit der durch Schenkung erworbenen

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/354>, abgerufen am 25.11.2024.