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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 43. Die Leges Wisigothorum.
haben unmittelbar oder mittelbar auf die meisten germanischen Leges
aus merowingischer Zeit eingewirkt. Schon oben S 301 ist darauf
hingewiesen worden, dass die Verwandtschaft der Lex Salica mit der
Lex Wisigothorum aus einer Benutzung der Gesetze König Eurichs
zu erklären sei. Wie die Burgunder haben nachmals auch die Baiern 21
die älteste westgotische Gesetzgebung als Vorlage verwertet. Auch
der Edictus des Langobardenkönigs Rothari zeigt einige Spuren west-
gotischen Einflusses.

Im Anschluss an die Leges Eurici wurde vermutlich noch in der
ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts eine Rechtsaufzeichnung ver-
fasst, von welcher kürzlich ein Bruchstück in einer ziemlich planlosen
Kompilation römischer und westgotischer Rechtsquellen entdeckt wor-
den ist 22. Dass sie dem Kreise der gotischen Rechtsquellen angehört,
beweist der darin genannte Sagio, ein Wort, welches den Gerichts-
büttel bedeutet und nur den Ost- und Westgoten bekannt ist. Mehr-
fach wird auf ein königliches Edikt verwiesen, indem es heisst: sicut
in edictum scriptum est, secundum edicti seriem, secundum regis
edictum, eine Ausdrucksweise, welche den Gedanken ausschliesst, als
ob die erhaltenen Fragmente selbst ein Teil eines königlichen Ediktes
seien 23. Die Aufzeichnung stellt sich als eine die Leges Eurici ergän-
zende Privatarbeit dar 24. Aus Anlass des Rechtssatzes, dass Neffen und
Nichten sich in die Erbschaft des Ohms und der Muhme nicht nach
Stämmen, sondern nach Köpfen teilen, beruft sie sich mit den Worten:
sicut in edictum scriptum est, wahrscheinlich auf Fr. 331 des Pariser
Palimpsestes. hauptsächlich römisch-rechtlichen Inhalts benutzt sie
die westgotische Interpretatio, während sie an anderen Stellen
Rechtssätze aus dem Edikt des Ostgotenkönigs Theoderich auf-
nimmt 25 und auch unverkennbare Anklänge an burgundische Rechts-
quellen verrät 26. Die Rechtsaufzeichnung kann daher nur in Gallien
und zwar nur in einem Gebiete entstanden sein, wo westgotisches,

21 Siehe oben S 314 f.
22 In der Bibliothek des Lord Leicester zu Holkham. Der Entdecker,
A. Gaudenzi, hat die Handschrift eingehend beschrieben, erörtert und teil-
weise ediert.
23 Gegen Gaudenzi, der in den Fragmenten Gesetze des Königs Eurich er-
blickt, s. Zeumer, NA XII 389.
24 Zeumer a. O., nur dass dieser die Antiqua noch dem König Reccared
zuschreibt.
25 Vgl. c. 10 mit Ed. Theod. 2, c. 14. 15 mit Ed. Theod. 51. 52, c. 12 mit
Ed. Theod. 131, c. 19 mit Ed. Theod. 80.
26 Cap. 13 vgl. mit Lex Burg. 19, 3. Über Verwandtschaft mit der Lex Rom.
Burg. s. Gaudenzi S 28. 29.

§ 43. Die Leges Wisigothorum.
haben unmittelbar oder mittelbar auf die meisten germanischen Leges
aus merowingischer Zeit eingewirkt. Schon oben S 301 ist darauf
hingewiesen worden, daſs die Verwandtschaft der Lex Salica mit der
Lex Wisigothorum aus einer Benutzung der Gesetze König Eurichs
zu erklären sei. Wie die Burgunder haben nachmals auch die Baiern 21
die älteste westgotische Gesetzgebung als Vorlage verwertet. Auch
der Edictus des Langobardenkönigs Rothari zeigt einige Spuren west-
gotischen Einflusses.

Im Anschluſs an die Leges Eurici wurde vermutlich noch in der
ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts eine Rechtsaufzeichnung ver-
faſst, von welcher kürzlich ein Bruchstück in einer ziemlich planlosen
Kompilation römischer und westgotischer Rechtsquellen entdeckt wor-
den ist 22. Daſs sie dem Kreise der gotischen Rechtsquellen angehört,
beweist der darin genannte Sagio, ein Wort, welches den Gerichts-
büttel bedeutet und nur den Ost- und Westgoten bekannt ist. Mehr-
fach wird auf ein königliches Edikt verwiesen, indem es heiſst: sicut
in edictum scriptum est, secundum edicti seriem, secundum regis
edictum, eine Ausdrucksweise, welche den Gedanken ausschlieſst, als
ob die erhaltenen Fragmente selbst ein Teil eines königlichen Ediktes
seien 23. Die Aufzeichnung stellt sich als eine die Leges Eurici ergän-
zende Privatarbeit dar 24. Aus Anlaſs des Rechtssatzes, daſs Neffen und
Nichten sich in die Erbschaft des Ohms und der Muhme nicht nach
Stämmen, sondern nach Köpfen teilen, beruft sie sich mit den Worten:
sicut in edictum scriptum est, wahrscheinlich auf Fr. 331 des Pariser
Palimpsestes. hauptsächlich römisch-rechtlichen Inhalts benutzt sie
die westgotische Interpretatio, während sie an anderen Stellen
Rechtssätze aus dem Edikt des Ostgotenkönigs Theoderich auf-
nimmt 25 und auch unverkennbare Anklänge an burgundische Rechts-
quellen verrät 26. Die Rechtsaufzeichnung kann daher nur in Gallien
und zwar nur in einem Gebiete entstanden sein, wo westgotisches,

21 Siehe oben S 314 f.
22 In der Bibliothek des Lord Leicester zu Holkham. Der Entdecker,
A. Gaudenzi, hat die Handschrift eingehend beschrieben, erörtert und teil-
weise ediert.
23 Gegen Gaudenzi, der in den Fragmenten Gesetze des Königs Eurich er-
blickt, s. Zeumer, NA XII 389.
24 Zeumer a. O., nur daſs dieser die Antiqua noch dem König Reccared
zuschreibt.
25 Vgl. c. 10 mit Ed. Theod. 2, c. 14. 15 mit Ed. Theod. 51. 52, c. 12 mit
Ed. Theod. 131, c. 19 mit Ed. Theod. 80.
26 Cap. 13 vgl. mit Lex Burg. 19, 3. Über Verwandtschaft mit der Lex Rom.
Burg. s. Gaudenzi S 28. 29.
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[325/0343] § 43. Die Leges Wisigothorum. haben unmittelbar oder mittelbar auf die meisten germanischen Leges aus merowingischer Zeit eingewirkt. Schon oben S 301 ist darauf hingewiesen worden, daſs die Verwandtschaft der Lex Salica mit der Lex Wisigothorum aus einer Benutzung der Gesetze König Eurichs zu erklären sei. Wie die Burgunder haben nachmals auch die Baiern 21 die älteste westgotische Gesetzgebung als Vorlage verwertet. Auch der Edictus des Langobardenkönigs Rothari zeigt einige Spuren west- gotischen Einflusses. Im Anschluſs an die Leges Eurici wurde vermutlich noch in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts eine Rechtsaufzeichnung ver- faſst, von welcher kürzlich ein Bruchstück in einer ziemlich planlosen Kompilation römischer und westgotischer Rechtsquellen entdeckt wor- den ist 22. Daſs sie dem Kreise der gotischen Rechtsquellen angehört, beweist der darin genannte Sagio, ein Wort, welches den Gerichts- büttel bedeutet und nur den Ost- und Westgoten bekannt ist. Mehr- fach wird auf ein königliches Edikt verwiesen, indem es heiſst: sicut in edictum scriptum est, secundum edicti seriem, secundum regis edictum, eine Ausdrucksweise, welche den Gedanken ausschlieſst, als ob die erhaltenen Fragmente selbst ein Teil eines königlichen Ediktes seien 23. Die Aufzeichnung stellt sich als eine die Leges Eurici ergän- zende Privatarbeit dar 24. Aus Anlaſs des Rechtssatzes, daſs Neffen und Nichten sich in die Erbschaft des Ohms und der Muhme nicht nach Stämmen, sondern nach Köpfen teilen, beruft sie sich mit den Worten: sicut in edictum scriptum est, wahrscheinlich auf Fr. 331 des Pariser Palimpsestes. hauptsächlich römisch-rechtlichen Inhalts benutzt sie die westgotische Interpretatio, während sie an anderen Stellen Rechtssätze aus dem Edikt des Ostgotenkönigs Theoderich auf- nimmt 25 und auch unverkennbare Anklänge an burgundische Rechts- quellen verrät 26. Die Rechtsaufzeichnung kann daher nur in Gallien und zwar nur in einem Gebiete entstanden sein, wo westgotisches, 21 Siehe oben S 314 f. 22 In der Bibliothek des Lord Leicester zu Holkham. Der Entdecker, A. Gaudenzi, hat die Handschrift eingehend beschrieben, erörtert und teil- weise ediert. 23 Gegen Gaudenzi, der in den Fragmenten Gesetze des Königs Eurich er- blickt, s. Zeumer, NA XII 389. 24 Zeumer a. O., nur daſs dieser die Antiqua noch dem König Reccared zuschreibt. 25 Vgl. c. 10 mit Ed. Theod. 2, c. 14. 15 mit Ed. Theod. 51. 52, c. 12 mit Ed. Theod. 131, c. 19 mit Ed. Theod. 80. 26 Cap. 13 vgl. mit Lex Burg. 19, 3. Über Verwandtschaft mit der Lex Rom. Burg. s. Gaudenzi S 28. 29.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/343>, abgerufen am 27.11.2024.