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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 41. Pactus und Lex Alamannorum.
in das Ausland (foris provincia) verkauft, "post conventum nostrum,
quod conplacuit cunctis Alamannis". In Kapitel 41, 3 wird eine
Satzung über rechtswidrige Urteilschelte motiviert mit den Worten:
quia sic convenit duci et omni populo [Alamannorum] in publico con-
cilio. Allenthalben tritt in den Rechtssätzen der Lex der Herzog als
die entscheidende politische Macht des Stammes hervor. Seine Herr-
schaft heisst regnum und vererbt vom Vater auf den Sohn. Habe
und Gut des Herzogs sind res dominicae. Er hat die oberste Ge-
richtsbarkeit, setzt die iudices ein, bezieht die Friedensgelder, spricht
die Friedloslegung aus und entscheidet über die Verhängung der
Todesstrafe. Andrerseits wird die Oberhoheit des fränkischen Königs
über den alamannischen Herzog anerkannt. Dieses Verhältnis der
herzoglichen zur königlichen Gewalt passt nicht in die Zeit Chlo-
thars II., sondern ist das Spiegelbild der thatsächlichen Unabhängig-
keit, welche das alamannische Herzogtum seit der zweiten Hälfte des
siebenten Jahrhunderts zu erringen wusste, indem es bei theoreti-
scher Anerkennung der königlichen Oberhoheit sich dem Einfluss der
wirklichen Machthaber Austrasiens, der emporstrebenden Hausmeier
entzog.

Nach alledem steht nichts im Wege, den Eingangsworten der
Lex in der Sanktgaller Handschrift von 793 vollen Glauben zu
schenken, dass das alamannische Gesetz unter Herzog Lantfrid zu-
stande gekommen sei. Von Herzog Lantfrid wissen wir, dass er
der Sohn des 709 verstorbenen alamannischen Herzogs Godofrid war
und von Karl Martell bekriegt im Jahre 730 Land und Leben
verlor.

Die beiden Prologe sind jünger wie die Lex. Der längere Prolog
ist den Eingangsworten der Lex Lantfridana nachgebildet. Nach Lant-
frids Tode hat es in Schwaben kein von Reichswegen anerkanntes
Herzogtum mehr gegeben. Man mochte daher Bedenken tragen, den
Namen des im Kampfe mit der Reichsgewalt erlegenen Herzogs an
die Spitze der Lex zu setzen. Der Eingang der Lex, wie er sich in
der Sanktgaller Handschrift von 793 vorfindet, wurde daher von den
Abschreibern unterdrückt und in dem Prolog Lantfrids Name durch
die Wendung temporibus Chlothario ersetzt. Diese Zeitbestimmung
lässt sich aber mit dem Inhalte der Lex nur dann in Einklang
bringen, wenn man an den fränkischen König Chlothar IV. denkt,
welcher 717--719 regierte. Nur Chlothar IV. kann unter den frän-
kischen Königen dieses Namens Zeitgenosse Herzog Lantfrids gewesen
sein. Die Nachricht des längeren Prologs macht es daher wahr-
scheinlich, dass die Lex Alamannorum in den Jahren 717--719 ent-

§ 41. Pactus und Lex Alamannorum.
in das Ausland (foris provincia) verkauft, „post conventum nostrum,
quod conplacuit cunctis Alamannis“. In Kapitel 41, 3 wird eine
Satzung über rechtswidrige Urteilschelte motiviert mit den Worten:
quia sic convenit duci et omni populo [Alamannorum] in publico con-
cilio. Allenthalben tritt in den Rechtssätzen der Lex der Herzog als
die entscheidende politische Macht des Stammes hervor. Seine Herr-
schaft heiſst regnum und vererbt vom Vater auf den Sohn. Habe
und Gut des Herzogs sind res dominicae. Er hat die oberste Ge-
richtsbarkeit, setzt die iudices ein, bezieht die Friedensgelder, spricht
die Friedloslegung aus und entscheidet über die Verhängung der
Todesstrafe. Andrerseits wird die Oberhoheit des fränkischen Königs
über den alamannischen Herzog anerkannt. Dieses Verhältnis der
herzoglichen zur königlichen Gewalt paſst nicht in die Zeit Chlo-
thars II., sondern ist das Spiegelbild der thatsächlichen Unabhängig-
keit, welche das alamannische Herzogtum seit der zweiten Hälfte des
siebenten Jahrhunderts zu erringen wuſste, indem es bei theoreti-
scher Anerkennung der königlichen Oberhoheit sich dem Einfluſs der
wirklichen Machthaber Austrasiens, der emporstrebenden Hausmeier
entzog.

Nach alledem steht nichts im Wege, den Eingangsworten der
Lex in der Sanktgaller Handschrift von 793 vollen Glauben zu
schenken, daſs das alamannische Gesetz unter Herzog Lantfrid zu-
stande gekommen sei. Von Herzog Lantfrid wissen wir, daſs er
der Sohn des 709 verstorbenen alamannischen Herzogs Godofrid war
und von Karl Martell bekriegt im Jahre 730 Land und Leben
verlor.

Die beiden Prologe sind jünger wie die Lex. Der längere Prolog
ist den Eingangsworten der Lex Lantfridana nachgebildet. Nach Lant-
frids Tode hat es in Schwaben kein von Reichswegen anerkanntes
Herzogtum mehr gegeben. Man mochte daher Bedenken tragen, den
Namen des im Kampfe mit der Reichsgewalt erlegenen Herzogs an
die Spitze der Lex zu setzen. Der Eingang der Lex, wie er sich in
der Sanktgaller Handschrift von 793 vorfindet, wurde daher von den
Abschreibern unterdrückt und in dem Prolog Lantfrids Name durch
die Wendung temporibus Chlothario ersetzt. Diese Zeitbestimmung
läſst sich aber mit dem Inhalte der Lex nur dann in Einklang
bringen, wenn man an den fränkischen König Chlothar IV. denkt,
welcher 717—719 regierte. Nur Chlothar IV. kann unter den frän-
kischen Königen dieses Namens Zeitgenosse Herzog Lantfrids gewesen
sein. Die Nachricht des längeren Prologs macht es daher wahr-
scheinlich, daſs die Lex Alamannorum in den Jahren 717—719 ent-

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[311/0329] § 41. Pactus und Lex Alamannorum. in das Ausland (foris provincia) verkauft, „post conventum nostrum, quod conplacuit cunctis Alamannis“. In Kapitel 41, 3 wird eine Satzung über rechtswidrige Urteilschelte motiviert mit den Worten: quia sic convenit duci et omni populo [Alamannorum] in publico con- cilio. Allenthalben tritt in den Rechtssätzen der Lex der Herzog als die entscheidende politische Macht des Stammes hervor. Seine Herr- schaft heiſst regnum und vererbt vom Vater auf den Sohn. Habe und Gut des Herzogs sind res dominicae. Er hat die oberste Ge- richtsbarkeit, setzt die iudices ein, bezieht die Friedensgelder, spricht die Friedloslegung aus und entscheidet über die Verhängung der Todesstrafe. Andrerseits wird die Oberhoheit des fränkischen Königs über den alamannischen Herzog anerkannt. Dieses Verhältnis der herzoglichen zur königlichen Gewalt paſst nicht in die Zeit Chlo- thars II., sondern ist das Spiegelbild der thatsächlichen Unabhängig- keit, welche das alamannische Herzogtum seit der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts zu erringen wuſste, indem es bei theoreti- scher Anerkennung der königlichen Oberhoheit sich dem Einfluſs der wirklichen Machthaber Austrasiens, der emporstrebenden Hausmeier entzog. Nach alledem steht nichts im Wege, den Eingangsworten der Lex in der Sanktgaller Handschrift von 793 vollen Glauben zu schenken, daſs das alamannische Gesetz unter Herzog Lantfrid zu- stande gekommen sei. Von Herzog Lantfrid wissen wir, daſs er der Sohn des 709 verstorbenen alamannischen Herzogs Godofrid war und von Karl Martell bekriegt im Jahre 730 Land und Leben verlor. Die beiden Prologe sind jünger wie die Lex. Der längere Prolog ist den Eingangsworten der Lex Lantfridana nachgebildet. Nach Lant- frids Tode hat es in Schwaben kein von Reichswegen anerkanntes Herzogtum mehr gegeben. Man mochte daher Bedenken tragen, den Namen des im Kampfe mit der Reichsgewalt erlegenen Herzogs an die Spitze der Lex zu setzen. Der Eingang der Lex, wie er sich in der Sanktgaller Handschrift von 793 vorfindet, wurde daher von den Abschreibern unterdrückt und in dem Prolog Lantfrids Name durch die Wendung temporibus Chlothario ersetzt. Diese Zeitbestimmung läſst sich aber mit dem Inhalte der Lex nur dann in Einklang bringen, wenn man an den fränkischen König Chlothar IV. denkt, welcher 717—719 regierte. Nur Chlothar IV. kann unter den frän- kischen Königen dieses Namens Zeitgenosse Herzog Lantfrids gewesen sein. Die Nachricht des längeren Prologs macht es daher wahr- scheinlich, daſs die Lex Alamannorum in den Jahren 717—719 ent-

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/329>, abgerufen am 25.11.2024.