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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 40. Die Lex Ribuaria.
ausdrücklich als Pactus legis Ribuariae, qui temporibus Karoli renovatus
est. Spuren einer älteren, verlorenen Textform enthalten die Inhalts-
verzeichnisse einiger Handschriften. Sie verzeichnen eine Titelrubrik6),
für welche in keinem der überlieferten Texte ein entsprechender Titel
zu finden ist.

Die Lex Ribuaria ist zum grössten Teile nach dem Vorbilde des
salischen Volksrechtes ausgearbeitet worden7). In Bezug auf das
Mass der Abhängigkeit zeigen sich Verschiedenheiten. Schon in dem
ersten, hauptsächlich von Verwundungen und Tötungen handelnden
Teile der Lex Ribuaria tritt der Anschluss an den Wortlaut und
Inhalt des Vorbildes zu Tage. Allein die Busszahlen, die nicht auf
einer Teilung des Wergeldes beruhen, weichen häufig von der Lex
Salica ab, indem das salische, auf der Grundzahl 15 aufgebaute Bussen-
system durch ein anderes ersetzt wird, welches auf die Grundzahl 18
zurückführt. Weit enger wird die Anlehnung in einem zweiten Teile
der Lex, welcher -- mit Ausnahme eines eingeschobenen Königs-
gesetzes -- die Titel 32 bis 64 umfasst. Er stellt sich geradezu als
eine Umarbeitung der Lex Salica dar, bei welcher die den Ribuariern
fremden Rechtsinstitute der Salier8) und die damals bereits veralteten
Titel der Vorlage9) absichtlich übergangen worden sind. Charakteristisch
ist diesem Teile der Lex auch die Art, wie die Wergeld- und Buss-
zahlen ausgedrückt werden. Während sonst Kardinalzahlen dafür
verwendet werden, sind hier die Bussbeträge regelmässig in Distributiv-
zahlen angesetzt10). Die Titel 57 bis 59, Titel 60 c. 1, 61 und

6) Die Rubrik "de aroene" hinter Titel 56 de alodis. Sie würde Lex Sal. 61
de charoena entsprechen. Sohm glaubt den Titel de aroene in Lex Rib. 60 c. 2
bis 5 zu erkennen, wo von widerrechtlicher Landnahme gehandelt wird. Dagegen
macht Ernst Mayer a. O. S 48 mit Recht geltend, dass charoena das Entreissen
einer beweglichen Sache bedeutet und nicht auf die superprisio terrae angewendet
werden kann. Das Trierer Fragment (s. oben S 295 Anm 14) übersetzt de charoena:
der fon andres hentei eowiht nimit.
7) Es wurde eine Textform der Lex Salica benutzt, welche der ersten Hand-
schriftenfamilie angehörte oder ihr doch wenigstens sehr nahe stand. Siehe Eich-
horn
I 251; v. Daniels I 250 Anm 3.
8) Z. B. der reipus bei der Witwenehe, die Entsippung, die Wergeldhaftung
der Magen und die Wergeldverteilung. Sohm, Z f. RG V 406 ff.
9) Aus diesem Grunde sind verschiedene Titel des altsalischen Prozessrechtes
und insbesondere die zahlreichen Diebstahlsbussen nicht aufgenommen worden.
Das ribuarische Recht strafte -- von gewissen leichteren Fällen abgesehen -- den
Diebstahl gleich dem jüngeren salischen Rechte mit Tod oder Wergeldzahlung.
10) Man vgl. z. B. Tit. 5: centum solidos culpabilis iudicetur mit 36, 3: bis
quinquagenus solidus multetur. Sohm, Praef. S 188.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 20

§ 40. Die Lex Ribuaria.
ausdrücklich als Pactus legis Ribuariae, qui temporibus Karoli renovatus
est. Spuren einer älteren, verlorenen Textform enthalten die Inhalts-
verzeichnisse einiger Handschriften. Sie verzeichnen eine Titelrubrik6),
für welche in keinem der überlieferten Texte ein entsprechender Titel
zu finden ist.

Die Lex Ribuaria ist zum gröſsten Teile nach dem Vorbilde des
salischen Volksrechtes ausgearbeitet worden7). In Bezug auf das
Maſs der Abhängigkeit zeigen sich Verschiedenheiten. Schon in dem
ersten, hauptsächlich von Verwundungen und Tötungen handelnden
Teile der Lex Ribuaria tritt der Anschluſs an den Wortlaut und
Inhalt des Vorbildes zu Tage. Allein die Buſszahlen, die nicht auf
einer Teilung des Wergeldes beruhen, weichen häufig von der Lex
Salica ab, indem das salische, auf der Grundzahl 15 aufgebaute Buſsen-
system durch ein anderes ersetzt wird, welches auf die Grundzahl 18
zurückführt. Weit enger wird die Anlehnung in einem zweiten Teile
der Lex, welcher — mit Ausnahme eines eingeschobenen Königs-
gesetzes — die Titel 32 bis 64 umfaſst. Er stellt sich geradezu als
eine Umarbeitung der Lex Salica dar, bei welcher die den Ribuariern
fremden Rechtsinstitute der Salier8) und die damals bereits veralteten
Titel der Vorlage9) absichtlich übergangen worden sind. Charakteristisch
ist diesem Teile der Lex auch die Art, wie die Wergeld- und Buſs-
zahlen ausgedrückt werden. Während sonst Kardinalzahlen dafür
verwendet werden, sind hier die Buſsbeträge regelmäſsig in Distributiv-
zahlen angesetzt10). Die Titel 57 bis 59, Titel 60 c. 1, 61 und

6) Die Rubrik „de aroene“ hinter Titel 56 de alodis. Sie würde Lex Sal. 61
de charoena entsprechen. Sohm glaubt den Titel de aroene in Lex Rib. 60 c. 2
bis 5 zu erkennen, wo von widerrechtlicher Landnahme gehandelt wird. Dagegen
macht Ernst Mayer a. O. S 48 mit Recht geltend, daſs charoena das Entreiſsen
einer beweglichen Sache bedeutet und nicht auf die superprisio terrae angewendet
werden kann. Das Trierer Fragment (s. oben S 295 Anm 14) übersetzt de charoena:
der fon anđres hentî eowiht nimit.
7) Es wurde eine Textform der Lex Salica benutzt, welche der ersten Hand-
schriftenfamilie angehörte oder ihr doch wenigstens sehr nahe stand. Siehe Eich-
horn
I 251; v. Daniels I 250 Anm 3.
8) Z. B. der reipus bei der Witwenehe, die Entsippung, die Wergeldhaftung
der Magen und die Wergeldverteilung. Sohm, Z f. RG V 406 ff.
9) Aus diesem Grunde sind verschiedene Titel des altsalischen Prozeſsrechtes
und insbesondere die zahlreichen Diebstahlsbuſsen nicht aufgenommen worden.
Das ribuarische Recht strafte — von gewissen leichteren Fällen abgesehen — den
Diebstahl gleich dem jüngeren salischen Rechte mit Tod oder Wergeldzahlung.
10) Man vgl. z. B. Tit. 5: centum solidos culpabilis iudicetur mit 36, 3: bis
quinquagenus solidus multetur. Sohm, Praef. S 188.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 20
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[305/0323] § 40. Die Lex Ribuaria. ausdrücklich als Pactus legis Ribuariae, qui temporibus Karoli renovatus est. Spuren einer älteren, verlorenen Textform enthalten die Inhalts- verzeichnisse einiger Handschriften. Sie verzeichnen eine Titelrubrik 6), für welche in keinem der überlieferten Texte ein entsprechender Titel zu finden ist. Die Lex Ribuaria ist zum gröſsten Teile nach dem Vorbilde des salischen Volksrechtes ausgearbeitet worden 7). In Bezug auf das Maſs der Abhängigkeit zeigen sich Verschiedenheiten. Schon in dem ersten, hauptsächlich von Verwundungen und Tötungen handelnden Teile der Lex Ribuaria tritt der Anschluſs an den Wortlaut und Inhalt des Vorbildes zu Tage. Allein die Buſszahlen, die nicht auf einer Teilung des Wergeldes beruhen, weichen häufig von der Lex Salica ab, indem das salische, auf der Grundzahl 15 aufgebaute Buſsen- system durch ein anderes ersetzt wird, welches auf die Grundzahl 18 zurückführt. Weit enger wird die Anlehnung in einem zweiten Teile der Lex, welcher — mit Ausnahme eines eingeschobenen Königs- gesetzes — die Titel 32 bis 64 umfaſst. Er stellt sich geradezu als eine Umarbeitung der Lex Salica dar, bei welcher die den Ribuariern fremden Rechtsinstitute der Salier 8) und die damals bereits veralteten Titel der Vorlage 9) absichtlich übergangen worden sind. Charakteristisch ist diesem Teile der Lex auch die Art, wie die Wergeld- und Buſs- zahlen ausgedrückt werden. Während sonst Kardinalzahlen dafür verwendet werden, sind hier die Buſsbeträge regelmäſsig in Distributiv- zahlen angesetzt 10). Die Titel 57 bis 59, Titel 60 c. 1, 61 und 6) Die Rubrik „de aroene“ hinter Titel 56 de alodis. Sie würde Lex Sal. 61 de charoena entsprechen. Sohm glaubt den Titel de aroene in Lex Rib. 60 c. 2 bis 5 zu erkennen, wo von widerrechtlicher Landnahme gehandelt wird. Dagegen macht Ernst Mayer a. O. S 48 mit Recht geltend, daſs charoena das Entreiſsen einer beweglichen Sache bedeutet und nicht auf die superprisio terrae angewendet werden kann. Das Trierer Fragment (s. oben S 295 Anm 14) übersetzt de charoena: der fon anđres hentî eowiht nimit. 7) Es wurde eine Textform der Lex Salica benutzt, welche der ersten Hand- schriftenfamilie angehörte oder ihr doch wenigstens sehr nahe stand. Siehe Eich- horn I 251; v. Daniels I 250 Anm 3. 8) Z. B. der reipus bei der Witwenehe, die Entsippung, die Wergeldhaftung der Magen und die Wergeldverteilung. Sohm, Z f. RG V 406 ff. 9) Aus diesem Grunde sind verschiedene Titel des altsalischen Prozeſsrechtes und insbesondere die zahlreichen Diebstahlsbuſsen nicht aufgenommen worden. Das ribuarische Recht strafte — von gewissen leichteren Fällen abgesehen — den Diebstahl gleich dem jüngeren salischen Rechte mit Tod oder Wergeldzahlung. 10) Man vgl. z. B. Tit. 5: centum solidos culpabilis iudicetur mit 36, 3: bis quinquagenus solidus multetur. Sohm, Praef. S 188. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 20

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/323>, abgerufen am 25.11.2024.