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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 39. Die Lex Salica.
dass ein aggressives Vorgehen gegen das noch mächtige Heidentum
ein politischer Selbstmord des fränkischen Königtums gewesen wäre,
hätte es gar nicht in der Macht des Königs gelegen, Rechtssätze
spezifisch christlichen Inhalts einseitig in das Volksrecht einzuführen,
dessen Begriff ein solches Vorgehen ausschloss40).

Auf die Zeit nach der Reichsgründung weist uns auch das Münz-
system der Lex Salica hin. Abweichend von allen anderen Volks-
rechten giebt sie die Bussen und Wergelder zugleich in Denaren und
solidi an41), wobei 40 Denare auf den Solidus gehen. Augenschein-
lich sollte damit eine Unterscheidung von einer anderen, älteren
Geldrechnung markiert werden, eine Absicht, die sich kaum anders
erklären lässt, als dass nicht lange vorher eine Veränderung des Münz-
wesens stattgefunden hatte42). Den Zeitpunkt der fränkischen Münz-
reform können wir nicht genau bestimmen. Es ist aber nach Lage
der Verhältnisse wahrscheinlicher, dass sie erst nach Chlodovechs ersten
gallischen Eroberungen, als dass sie vorher stattgefunden habe. Auch
glaubt man aus den Berichten über die Münzfunde, welche 1653 in
dem Grabe Childerichs I. zu Tournay gemacht worden sind, schliessen
zu können, dass die Franken um das Jahr 481 den Solidus noch nicht
zu 40 Denaren berechneten43).

Höchst beachtenswert ist die bisher allgemein übersehene Über-
einstimmung der Ausdrucksweise, welche sich in einzelnen Stellen
zwischen der Lex Salica einerseits und zwischen der Lex Burgundionum
und der Lex Wisigothorum andererseits nachweisen lässt44). Sie

anstaltete. Da giebt es Bierkrüge für die Christen und für die Heiden. Weil
letztere nach heidnischem Gebrauche geweiht waren, werden sie durch ein Wunder
des Heiligen ihres dämonischen Inhalts entleert.
40) Ein culpabilis iudicetur wäre in Sachen des Christentums völlig illusorisch
gewesen, wo heidnische Rachineburgen nach Volksrecht das Urteil fanden. Zum
Schutz der Kirche und ihrer Diener konnte der König seinen Friedensbann ver-
wenden. Man beachte, wie spät und wie spärlich die Zusätze christlichen Inhalts
sind, welche die jüngeren Texte in die Lex aufgenommen haben. Die oben S 177
hervorgehobene Einengung der Todesstrafe scheint in Einklang mit den Tendenzen
des gallischen Klerus erfolgt zu sein.
41) Nach dem Schema: DC dinarios qui faciunt solidos XV.
42) Vgl. E. Mayer, Zur Entst. der Lex Rib. S 38.
43) Soetbeer, Forsch. zur deutschen Gesch. I 545 ff. Gegen seine Schluss-
folgerungen haben freilich Fahlbeck S 283 und E. Mayer a. O. S 36 Wider-
spruch erhoben.
44) Die Erledigung dieser Frage erfordert eine eingehendere Untersuchung, als
sie hier gegeben werden kann, zumal die Verwandtschaft sich stellenweise auch auf
andere Volksrechte erstreckt, welche, wie die Lex Baiuw. anerkanntermassen oder
wie Rotharis Edikt wahrscheinlich, westgotische Vorlagen benutzt haben. Ich be-

§ 39. Die Lex Salica.
daſs ein aggressives Vorgehen gegen das noch mächtige Heidentum
ein politischer Selbstmord des fränkischen Königtums gewesen wäre,
hätte es gar nicht in der Macht des Königs gelegen, Rechtssätze
spezifisch christlichen Inhalts einseitig in das Volksrecht einzuführen,
dessen Begriff ein solches Vorgehen ausschloſs40).

Auf die Zeit nach der Reichsgründung weist uns auch das Münz-
system der Lex Salica hin. Abweichend von allen anderen Volks-
rechten giebt sie die Buſsen und Wergelder zugleich in Denaren und
solidi an41), wobei 40 Denare auf den Solidus gehen. Augenschein-
lich sollte damit eine Unterscheidung von einer anderen, älteren
Geldrechnung markiert werden, eine Absicht, die sich kaum anders
erklären läſst, als daſs nicht lange vorher eine Veränderung des Münz-
wesens stattgefunden hatte42). Den Zeitpunkt der fränkischen Münz-
reform können wir nicht genau bestimmen. Es ist aber nach Lage
der Verhältnisse wahrscheinlicher, daſs sie erst nach Chlodovechs ersten
gallischen Eroberungen, als daſs sie vorher stattgefunden habe. Auch
glaubt man aus den Berichten über die Münzfunde, welche 1653 in
dem Grabe Childerichs I. zu Tournay gemacht worden sind, schlieſsen
zu können, daſs die Franken um das Jahr 481 den Solidus noch nicht
zu 40 Denaren berechneten43).

Höchst beachtenswert ist die bisher allgemein übersehene Über-
einstimmung der Ausdrucksweise, welche sich in einzelnen Stellen
zwischen der Lex Salica einerseits und zwischen der Lex Burgundionum
und der Lex Wisigothorum andererseits nachweisen läſst44). Sie

anstaltete. Da giebt es Bierkrüge für die Christen und für die Heiden. Weil
letztere nach heidnischem Gebrauche geweiht waren, werden sie durch ein Wunder
des Heiligen ihres dämonischen Inhalts entleert.
40) Ein culpabilis iudicetur wäre in Sachen des Christentums völlig illusorisch
gewesen, wo heidnische Rachineburgen nach Volksrecht das Urteil fanden. Zum
Schutz der Kirche und ihrer Diener konnte der König seinen Friedensbann ver-
wenden. Man beachte, wie spät und wie spärlich die Zusätze christlichen Inhalts
sind, welche die jüngeren Texte in die Lex aufgenommen haben. Die oben S 177
hervorgehobene Einengung der Todesstrafe scheint in Einklang mit den Tendenzen
des gallischen Klerus erfolgt zu sein.
41) Nach dem Schema: DC dinarios qui faciunt solidos XV.
42) Vgl. E. Mayer, Zur Entst. der Lex Rib. S 38.
43) Soetbeer, Forsch. zur deutschen Gesch. I 545 ff. Gegen seine Schluſs-
folgerungen haben freilich Fahlbeck S 283 und E. Mayer a. O. S 36 Wider-
spruch erhoben.
44) Die Erledigung dieser Frage erfordert eine eingehendere Untersuchung, als
sie hier gegeben werden kann, zumal die Verwandtschaft sich stellenweise auch auf
andere Volksrechte erstreckt, welche, wie die Lex Baiuw. anerkanntermaſsen oder
wie Rotharis Edikt wahrscheinlich, westgotische Vorlagen benutzt haben. Ich be-
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[300/0318] § 39. Die Lex Salica. daſs ein aggressives Vorgehen gegen das noch mächtige Heidentum ein politischer Selbstmord des fränkischen Königtums gewesen wäre, hätte es gar nicht in der Macht des Königs gelegen, Rechtssätze spezifisch christlichen Inhalts einseitig in das Volksrecht einzuführen, dessen Begriff ein solches Vorgehen ausschloſs 40). Auf die Zeit nach der Reichsgründung weist uns auch das Münz- system der Lex Salica hin. Abweichend von allen anderen Volks- rechten giebt sie die Buſsen und Wergelder zugleich in Denaren und solidi an 41), wobei 40 Denare auf den Solidus gehen. Augenschein- lich sollte damit eine Unterscheidung von einer anderen, älteren Geldrechnung markiert werden, eine Absicht, die sich kaum anders erklären läſst, als daſs nicht lange vorher eine Veränderung des Münz- wesens stattgefunden hatte 42). Den Zeitpunkt der fränkischen Münz- reform können wir nicht genau bestimmen. Es ist aber nach Lage der Verhältnisse wahrscheinlicher, daſs sie erst nach Chlodovechs ersten gallischen Eroberungen, als daſs sie vorher stattgefunden habe. Auch glaubt man aus den Berichten über die Münzfunde, welche 1653 in dem Grabe Childerichs I. zu Tournay gemacht worden sind, schlieſsen zu können, daſs die Franken um das Jahr 481 den Solidus noch nicht zu 40 Denaren berechneten 43). Höchst beachtenswert ist die bisher allgemein übersehene Über- einstimmung der Ausdrucksweise, welche sich in einzelnen Stellen zwischen der Lex Salica einerseits und zwischen der Lex Burgundionum und der Lex Wisigothorum andererseits nachweisen läſst 44). Sie 39) 40) Ein culpabilis iudicetur wäre in Sachen des Christentums völlig illusorisch gewesen, wo heidnische Rachineburgen nach Volksrecht das Urteil fanden. Zum Schutz der Kirche und ihrer Diener konnte der König seinen Friedensbann ver- wenden. Man beachte, wie spät und wie spärlich die Zusätze christlichen Inhalts sind, welche die jüngeren Texte in die Lex aufgenommen haben. Die oben S 177 hervorgehobene Einengung der Todesstrafe scheint in Einklang mit den Tendenzen des gallischen Klerus erfolgt zu sein. 41) Nach dem Schema: DC dinarios qui faciunt solidos XV. 42) Vgl. E. Mayer, Zur Entst. der Lex Rib. S 38. 43) Soetbeer, Forsch. zur deutschen Gesch. I 545 ff. Gegen seine Schluſs- folgerungen haben freilich Fahlbeck S 283 und E. Mayer a. O. S 36 Wider- spruch erhoben. 44) Die Erledigung dieser Frage erfordert eine eingehendere Untersuchung, als sie hier gegeben werden kann, zumal die Verwandtschaft sich stellenweise auch auf andere Volksrechte erstreckt, welche, wie die Lex Baiuw. anerkanntermaſsen oder wie Rotharis Edikt wahrscheinlich, westgotische Vorlagen benutzt haben. Ich be- 39) anstaltete. Da giebt es Bierkrüge für die Christen und für die Heiden. Weil letztere nach heidnischem Gebrauche geweiht waren, werden sie durch ein Wunder des Heiligen ihres dämonischen Inhalts entleert.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/318>, abgerufen am 26.11.2024.