Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 39. Die Lex Salica. verhandlung in dem Mallus stattfindet, der durch den Wohnsitz desBeklagten bestimmt wird, so setzt die Lex Termine für Gerichts- verhandlungen jenseits der Loire und jenseits des Kohlenwaldes. Das fränkische Reich muss sonach die Loire nicht bloss erreicht, sondern überschritten haben und Titel 47 kann seine vorliegende Fassung frühestens in den letzten Jahren Chlodovechs, nämlich nach dem west- gotischen Kriege erhalten haben30). Aber ein zwingender Schluss auf das Alter der Lex oder auch nur des Titels 47 ist damit für die- jenigen, die aus anderen Indizien auf eine frühere Abfassung schliessen, nicht gegeben, weil es bei dem Zustande der Textüberlieferung sehr wohl möglich ist, dass die Loire und der Kohlenwald erst nachträglich auf Grund einer Novelle eingesetzt worden sind31). Über die Satzung der Lex berichtet ein Prolog32), welcher noch 30) Waitz, Altes Recht S 60, Thonissen, L'organisation judiciaire, 2. Aufl., S 11 und andere dachten bei dem Ligeris dieser Stelle an die flämische Lys oder Leye, ein Nebenflüsschen der Schelde, die wohl auch Legeris genannt worden sei, wofür man sich auf Pardessus, Dipl. II Nr 319 v. J. 651 berief. Allein Schrö- der, Forschungen XIX 471 hat nachgewiesen, dass hier wie sonst die Loire ge- meint ist. 31) Fahlbeck a. O. S 283 vermutet, dass die Abänderung unter Chilperich 567--575 erfolgt sei. 32) Es sind uns im ganzen fünf Prologe erhalten. Drei nennen nur die Namen der legislatores. Von den zwei ausführlicheren Prologen pflegt man den einen Hessels I, col. 422 schlechtweg den längeren, den anderen Hessels II, col. 423 schlechtweg den kürzeren zu nennen. Zum mindesten der Grundstock des längeren Prologs (die in der folgenden Anm ausgeschriebene Stelle) ist mit Waitz, VG II 1 S 121 gegen Loening, Kirchenrecht II 29 für älter zu erachten. Der kürzere Prolog muss zu Anfang des 8. Jahrh. vorhanden gewesen sein, weil er in den 727 begonnenen Gesta Francorum (Bouquet II 543) benutzt worden ist. 33) Gens Francorum ... ad catholica fide conuersa et inmunis ab herese dum
adhuc teneretur barbara ...: dictauerunt salica lege per proceris ipsius gentis, qui tunc tempore eiusdem aderant rectores, electi de pluribus uiris quatuor his no- minibus Uuisogastis, Bodogastis, Salegastis et Uuidogastis in loca nominancium Salchamae, Bodochamae, Uuidochamae, qui per tres mallos conuenientes omnes causarum origines sollicite discuciendum tractandis de singulis iudicibus decreuerunt hoc modo. Die meisten beziehen dictauerunt auf gens Francorum und betrachten die proceres als die vier legislatores. W. Sickel, Freistaat S 176 sieht, wie ich glaube mit Recht, in den vier Männern eine von den Königen (rectores) gewählte Kommission, interpungiert aber vor per proceres. Ich beziehe dictauerunt auf quatuor. § 39. Die Lex Salica. verhandlung in dem Mallus stattfindet, der durch den Wohnsitz desBeklagten bestimmt wird, so setzt die Lex Termine für Gerichts- verhandlungen jenseits der Loire und jenseits des Kohlenwaldes. Das fränkische Reich muſs sonach die Loire nicht bloſs erreicht, sondern überschritten haben und Titel 47 kann seine vorliegende Fassung frühestens in den letzten Jahren Chlodovechs, nämlich nach dem west- gotischen Kriege erhalten haben30). Aber ein zwingender Schluſs auf das Alter der Lex oder auch nur des Titels 47 ist damit für die- jenigen, die aus anderen Indizien auf eine frühere Abfassung schlieſsen, nicht gegeben, weil es bei dem Zustande der Textüberlieferung sehr wohl möglich ist, daſs die Loire und der Kohlenwald erst nachträglich auf Grund einer Novelle eingesetzt worden sind31). Über die Satzung der Lex berichtet ein Prolog32), welcher noch 30) Waitz, Altes Recht S 60, Thonissen, L’organisation judiciaire, 2. Aufl., S 11 und andere dachten bei dem Ligeris dieser Stelle an die flämische Lys oder Leye, ein Nebenflüſschen der Schelde, die wohl auch Legeris genannt worden sei, wofür man sich auf Pardessus, Dipl. II Nr 319 v. J. 651 berief. Allein Schrö- der, Forschungen XIX 471 hat nachgewiesen, daſs hier wie sonst die Loire ge- meint ist. 31) Fahlbeck a. O. S 283 vermutet, daſs die Abänderung unter Chilperich 567—575 erfolgt sei. 32) Es sind uns im ganzen fünf Prologe erhalten. Drei nennen nur die Namen der legislatores. Von den zwei ausführlicheren Prologen pflegt man den einen Hessels I, col. 422 schlechtweg den längeren, den anderen Hessels II, col. 423 schlechtweg den kürzeren zu nennen. Zum mindesten der Grundstock des längeren Prologs (die in der folgenden Anm ausgeschriebene Stelle) ist mit Waitz, VG II 1 S 121 gegen Loening, Kirchenrecht II 29 für älter zu erachten. Der kürzere Prolog muſs zu Anfang des 8. Jahrh. vorhanden gewesen sein, weil er in den 727 begonnenen Gesta Francorum (Bouquet II 543) benutzt worden ist. 33) Gens Francorum … ad catholica fide conuersa et inmunis ab herese dum
adhuc teneretur barbara …: dictauerunt salica lege per proceris ipsius gentis, qui tunc tempore eiusdem aderant rectores, electi de pluribus uiris quatuor his no- minibus Uuisogastis, Bodogastis, Salegastis et Uuidogastis in loca nominancium Salchamae, Bodochamae, Uuidochamae, qui per tres mallos conuenientes omnes causarum origines sollicite discuciendum tractandis de singulis iudicibus decreuerunt hoc modo. Die meisten beziehen dictauerunt auf gens Francorum und betrachten die proceres als die vier legislatores. W. Sickel, Freistaat S 176 sieht, wie ich glaube mit Recht, in den vier Männern eine von den Königen (rectores) gewählte Kommission, interpungiert aber vor per proceres. Ich beziehe dictauerunt auf quatuor. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0316" n="298"/><fw place="top" type="header">§ 39. Die Lex Salica.</fw><lb/> verhandlung in dem Mallus stattfindet, der durch den Wohnsitz des<lb/> Beklagten bestimmt wird, so setzt die Lex Termine für Gerichts-<lb/> verhandlungen jenseits der Loire und jenseits des Kohlenwaldes. Das<lb/> fränkische Reich muſs sonach die Loire nicht bloſs erreicht, sondern<lb/> überschritten haben und Titel 47 kann seine vorliegende Fassung<lb/> frühestens in den letzten Jahren Chlodovechs, nämlich nach dem west-<lb/> gotischen Kriege erhalten haben<note place="foot" n="30)"><hi rendition="#g">Waitz</hi>, Altes Recht S 60, <hi rendition="#g">Thonissen</hi>, L’organisation judiciaire, 2. Aufl.,<lb/> S 11 und andere dachten bei dem Ligeris dieser Stelle an die flämische Lys oder<lb/> Leye, ein Nebenflüſschen der Schelde, die wohl auch Legeris genannt worden sei,<lb/> wofür man sich auf <hi rendition="#g">Pardessus</hi>, Dipl. II Nr 319 v. J. 651 berief. Allein <hi rendition="#g">Schrö-<lb/> der</hi>, Forschungen XIX 471 hat nachgewiesen, daſs hier wie sonst die Loire ge-<lb/> meint ist.</note>. Aber ein zwingender Schluſs auf<lb/> das Alter der Lex oder auch nur des Titels 47 ist damit für die-<lb/> jenigen, die aus anderen Indizien auf eine frühere Abfassung schlieſsen,<lb/> nicht gegeben, weil es bei dem Zustande der Textüberlieferung sehr<lb/> wohl möglich ist, daſs die Loire und der Kohlenwald erst nachträglich<lb/> auf Grund einer Novelle eingesetzt worden sind<note place="foot" n="31)"><hi rendition="#g">Fahlbeck</hi> a. O. S 283 vermutet, daſs die Abänderung unter Chilperich<lb/> 567—575 erfolgt sei.</note>.</p><lb/> <p>Über die Satzung der Lex berichtet ein Prolog<note place="foot" n="32)">Es sind uns im ganzen fünf Prologe erhalten. Drei nennen nur die Namen<lb/> der legislatores. Von den zwei ausführlicheren Prologen pflegt man den einen<lb/><hi rendition="#g">Hessels</hi> I, col. 422 schlechtweg den längeren, den anderen <hi rendition="#g">Hessels</hi> II, col. 423<lb/> schlechtweg den kürzeren zu nennen. Zum mindesten der Grundstock des längeren<lb/> Prologs (die in der folgenden Anm ausgeschriebene Stelle) ist mit <hi rendition="#g">Waitz</hi>, VG II 1<lb/> S 121 gegen <hi rendition="#g">Loening</hi>, Kirchenrecht II 29 für älter zu erachten. Der kürzere<lb/> Prolog muſs zu Anfang des 8. Jahrh. vorhanden gewesen sein, weil er in den 727<lb/> begonnenen Gesta Francorum (<hi rendition="#g">Bouquet</hi> II 543) benutzt worden ist.</note>, welcher noch<lb/> dem sechsten Jahrhundert anzugehören scheint, daſs zur Zeit, da das<lb/> Volk noch heidnisch war, vier durch dessen rectores ausgewählte<lb/> Männer, nämlich Uuisogast, Bodogast, Saligast und Uuidogast an den<lb/> Orten Salchamae, Bodochamae und Uuidochamae auf drei Versamm-<lb/> lungen das salische Recht gewiesen hätten<note xml:id="seg2pn_12_1" next="#seg2pn_12_2" place="foot" n="33)">Gens Francorum … ad catholica fide conuersa et inmunis ab herese dum<lb/> adhuc teneretur barbara …: dictauerunt salica lege per proceris ipsius gentis,<lb/> qui tunc tempore eiusdem aderant rectores, electi de pluribus uiris quatuor his no-<lb/> minibus Uuisogastis, Bodogastis, Salegastis et Uuidogastis in loca nominancium<lb/> Salchamae, Bodochamae, Uuidochamae, qui per tres mallos conuenientes omnes<lb/> causarum origines sollicite discuciendum tractandis de singulis iudicibus decreuerunt<lb/> hoc modo. Die meisten beziehen dictauerunt auf gens Francorum und betrachten<lb/> die proceres als die vier legislatores. W. <hi rendition="#g">Sickel</hi>, Freistaat S 176 sieht, wie ich<lb/> glaube mit Recht, in den vier Männern eine von den Königen (rectores) gewählte<lb/> Kommission, interpungiert aber vor per proceres. Ich beziehe dictauerunt auf quatuor.</note>. König Chlodovech, nach-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [298/0316]
§ 39. Die Lex Salica.
verhandlung in dem Mallus stattfindet, der durch den Wohnsitz des
Beklagten bestimmt wird, so setzt die Lex Termine für Gerichts-
verhandlungen jenseits der Loire und jenseits des Kohlenwaldes. Das
fränkische Reich muſs sonach die Loire nicht bloſs erreicht, sondern
überschritten haben und Titel 47 kann seine vorliegende Fassung
frühestens in den letzten Jahren Chlodovechs, nämlich nach dem west-
gotischen Kriege erhalten haben 30). Aber ein zwingender Schluſs auf
das Alter der Lex oder auch nur des Titels 47 ist damit für die-
jenigen, die aus anderen Indizien auf eine frühere Abfassung schlieſsen,
nicht gegeben, weil es bei dem Zustande der Textüberlieferung sehr
wohl möglich ist, daſs die Loire und der Kohlenwald erst nachträglich
auf Grund einer Novelle eingesetzt worden sind 31).
Über die Satzung der Lex berichtet ein Prolog 32), welcher noch
dem sechsten Jahrhundert anzugehören scheint, daſs zur Zeit, da das
Volk noch heidnisch war, vier durch dessen rectores ausgewählte
Männer, nämlich Uuisogast, Bodogast, Saligast und Uuidogast an den
Orten Salchamae, Bodochamae und Uuidochamae auf drei Versamm-
lungen das salische Recht gewiesen hätten 33). König Chlodovech, nach-
30) Waitz, Altes Recht S 60, Thonissen, L’organisation judiciaire, 2. Aufl.,
S 11 und andere dachten bei dem Ligeris dieser Stelle an die flämische Lys oder
Leye, ein Nebenflüſschen der Schelde, die wohl auch Legeris genannt worden sei,
wofür man sich auf Pardessus, Dipl. II Nr 319 v. J. 651 berief. Allein Schrö-
der, Forschungen XIX 471 hat nachgewiesen, daſs hier wie sonst die Loire ge-
meint ist.
31) Fahlbeck a. O. S 283 vermutet, daſs die Abänderung unter Chilperich
567—575 erfolgt sei.
32) Es sind uns im ganzen fünf Prologe erhalten. Drei nennen nur die Namen
der legislatores. Von den zwei ausführlicheren Prologen pflegt man den einen
Hessels I, col. 422 schlechtweg den längeren, den anderen Hessels II, col. 423
schlechtweg den kürzeren zu nennen. Zum mindesten der Grundstock des längeren
Prologs (die in der folgenden Anm ausgeschriebene Stelle) ist mit Waitz, VG II 1
S 121 gegen Loening, Kirchenrecht II 29 für älter zu erachten. Der kürzere
Prolog muſs zu Anfang des 8. Jahrh. vorhanden gewesen sein, weil er in den 727
begonnenen Gesta Francorum (Bouquet II 543) benutzt worden ist.
33) Gens Francorum … ad catholica fide conuersa et inmunis ab herese dum
adhuc teneretur barbara …: dictauerunt salica lege per proceris ipsius gentis,
qui tunc tempore eiusdem aderant rectores, electi de pluribus uiris quatuor his no-
minibus Uuisogastis, Bodogastis, Salegastis et Uuidogastis in loca nominancium
Salchamae, Bodochamae, Uuidochamae, qui per tres mallos conuenientes omnes
causarum origines sollicite discuciendum tractandis de singulis iudicibus decreuerunt
hoc modo. Die meisten beziehen dictauerunt auf gens Francorum und betrachten
die proceres als die vier legislatores. W. Sickel, Freistaat S 176 sieht, wie ich
glaube mit Recht, in den vier Männern eine von den Königen (rectores) gewählte
Kommission, interpungiert aber vor per proceres. Ich beziehe dictauerunt auf quatuor.
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