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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 38. Die Volksrechte.
Könige Theoderich, Childebert und Chlothar bezieht, auf einer freien
Nachbildung von Nachrichten, welche uns über die Entstehung der
Lex Salica überliefert sind, wogegen die Erwähnung Dagoberts am
ehesten aus einer verloren gegangenen Notiz über eine Satzung dieses
Königs für die ribuarischen Franken erklärt werden kann 15. Alt ist
die Erzählung jedenfalls nicht, sie stammt wohl erst aus dem Ende
des achten Jahrhunderts 16.

Festeren Grund und Boden haben die Nachrichten über die Für-
sorge, welche Karl der Grosse den Volksrechten zugedacht und zu-
gewendet habe. Von ihm wird erzählt, dass er bald nach der An-
nahme der Kaiserwürde die Rechte der Stämme, die noch kein
geschriebenes Recht besassen, aufzuzeichnen befahl, dass er eine Re-
vision der geltenden Leges anordnete und dass er von allen Volks-
rechten Handschriften herstellen liess 17. Es ist sehr wahrscheinlich,

Erwähnt mag noch werden, dass eine Stelle der burgundischen Lex Romana, LL III
596 Anm 8, V 168 missverständlich einem Theodericus rex Francorum zugeschrie-
ben wird (s. unten § 49), und dass die Expositio zum Liber legis Lang. Aist. 7
§ 3, Liu. 87 § 2, Karl 70 § 2 den rex Theodericus als cartarum compositor und
als Verfasser der Lex Salica betrachtet. Letztere Nachricht geht sicher auf den
Prolog zurück.
15 Der Epilog der Wolfenbüttler Handschrift der Lex Salica nennt den primus
rex Francorum als Verfasser, Childebert und Chlothar als Ergänzer der Lex Salica.
Für den primus rex setzte der Prolog den sagenhaften Namen Theoderichs ein;
die vier viri illustres bilden das Seitenstück zu den vier sapientes des salischen
Prologs. Die Ausdehnung dieser Nachrichten auf die Lex Alam. und Baiuw. er-
klärt sich aus dem Bestreben, die herzoglichen Satzungen dieser Stämme nach der
Beseitigung der Herzogsgeschlechter als Satzungen merowingischer Könige erscheinen
zu lassen.
16 Nach Dagoberts Tode (639) muss der Prolog verfasst worden sein, weil
sonst die Wendung, dass seine Gesetze bis heute in Geltung seien, keinen Sinn
hätte. Zudem ist Isidors Werk, die mittelbare Quelle des Prologs, erst nach dessen
Tod (+ 636) von einem seiner Schüler zum Abschluss gebracht worden. Siehe
Merkel, Archiv XI 681. In den Akten der Aschheimer Synode von 756 be-
zeichnen die bairischen Bischöfe dem Herzog Tassilo gegenüber die Lex Baiuw.
als precessorum vestrorum depicta pactus, LL III 457, c. 4. Der Prolog zur Lex
Baiuw. kann ihnen also noch nicht vorgelegen haben. Von den Handschriften,
welche ihn enthalten, reicht der Ingolstädter Kodex der Lex Baiuw. bis in das
Ende des 8. Jahrh. hinauf.
17 Einhardi Vita Karoli c. 29, SS II 458: omnium nationum, quae sub eius
dominatu erant, iura quae scripta non erant, describere ac litteris mandare fecit.
Annales Lauresham. zum J. 802, SS I 38: imperator ... congregavit duces comites
et reliquo christiano populo cum legislatoribus et fecit omnes leges in regno suo
legi et tradi unicuique homini legem suam et emendare ubi necesse fuit et emen-
datam legem scribere. Poeta Saxo SS I 276: ... antiquas leges correxit, in ipsis
Uniri mandans dissona quae fuerant. Addidit his etiam noviter quae congrua duxit,
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 19

§ 38. Die Volksrechte.
Könige Theoderich, Childebert und Chlothar bezieht, auf einer freien
Nachbildung von Nachrichten, welche uns über die Entstehung der
Lex Salica überliefert sind, wogegen die Erwähnung Dagoberts am
ehesten aus einer verloren gegangenen Notiz über eine Satzung dieses
Königs für die ribuarischen Franken erklärt werden kann 15. Alt ist
die Erzählung jedenfalls nicht, sie stammt wohl erst aus dem Ende
des achten Jahrhunderts 16.

Festeren Grund und Boden haben die Nachrichten über die Für-
sorge, welche Karl der Groſse den Volksrechten zugedacht und zu-
gewendet habe. Von ihm wird erzählt, daſs er bald nach der An-
nahme der Kaiserwürde die Rechte der Stämme, die noch kein
geschriebenes Recht besaſsen, aufzuzeichnen befahl, daſs er eine Re-
vision der geltenden Leges anordnete und daſs er von allen Volks-
rechten Handschriften herstellen lieſs 17. Es ist sehr wahrscheinlich,

Erwähnt mag noch werden, daſs eine Stelle der burgundischen Lex Romana, LL III
596 Anm 8, V 168 miſsverständlich einem Theodericus rex Francorum zugeschrie-
ben wird (s. unten § 49), und daſs die Expositio zum Liber legis Lang. Aist. 7
§ 3, Liu. 87 § 2, Karl 70 § 2 den rex Theodericus als cartarum compositor und
als Verfasser der Lex Salica betrachtet. Letztere Nachricht geht sicher auf den
Prolog zurück.
15 Der Epilog der Wolfenbüttler Handschrift der Lex Salica nennt den primus
rex Francorum als Verfasser, Childebert und Chlothar als Ergänzer der Lex Salica.
Für den primus rex setzte der Prolog den sagenhaften Namen Theoderichs ein;
die vier viri illustres bilden das Seitenstück zu den vier sapientes des salischen
Prologs. Die Ausdehnung dieser Nachrichten auf die Lex Alam. und Baiuw. er-
klärt sich aus dem Bestreben, die herzoglichen Satzungen dieser Stämme nach der
Beseitigung der Herzogsgeschlechter als Satzungen merowingischer Könige erscheinen
zu lassen.
16 Nach Dagoberts Tode (639) muſs der Prolog verfaſst worden sein, weil
sonst die Wendung, daſs seine Gesetze bis heute in Geltung seien, keinen Sinn
hätte. Zudem ist Isidors Werk, die mittelbare Quelle des Prologs, erst nach dessen
Tod († 636) von einem seiner Schüler zum Abschluſs gebracht worden. Siehe
Merkel, Archiv XI 681. In den Akten der Aschheimer Synode von 756 be-
zeichnen die bairischen Bischöfe dem Herzog Tassilo gegenüber die Lex Baiuw.
als precessorum vestrorum depicta pactus, LL III 457, c. 4. Der Prolog zur Lex
Baiuw. kann ihnen also noch nicht vorgelegen haben. Von den Handschriften,
welche ihn enthalten, reicht der Ingolstädter Kodex der Lex Baiuw. bis in das
Ende des 8. Jahrh. hinauf.
17 Einhardi Vita Karoli c. 29, SS II 458: omnium nationum, quae sub eius
dominatu erant, iura quae scripta non erant, describere ac litteris mandare fecit.
Annales Lauresham. zum J. 802, SS I 38: imperator … congregavit duces comites
et reliquo christiano populo cum legislatoribus et fecit omnes leges in regno suo
legi et tradi unicuique homini legem suam et emendare ubi necesse fuit et emen-
datam legem scribere. Poeta Saxo SS I 276: … antiquas leges correxit, in ipsis
Uniri mandans dissona quae fuerant. Addidit his etiam noviter quae congrua duxit,
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 19
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[289/0307] § 38. Die Volksrechte. Könige Theoderich, Childebert und Chlothar bezieht, auf einer freien Nachbildung von Nachrichten, welche uns über die Entstehung der Lex Salica überliefert sind, wogegen die Erwähnung Dagoberts am ehesten aus einer verloren gegangenen Notiz über eine Satzung dieses Königs für die ribuarischen Franken erklärt werden kann 15. Alt ist die Erzählung jedenfalls nicht, sie stammt wohl erst aus dem Ende des achten Jahrhunderts 16. Festeren Grund und Boden haben die Nachrichten über die Für- sorge, welche Karl der Groſse den Volksrechten zugedacht und zu- gewendet habe. Von ihm wird erzählt, daſs er bald nach der An- nahme der Kaiserwürde die Rechte der Stämme, die noch kein geschriebenes Recht besaſsen, aufzuzeichnen befahl, daſs er eine Re- vision der geltenden Leges anordnete und daſs er von allen Volks- rechten Handschriften herstellen lieſs 17. Es ist sehr wahrscheinlich, 14 15 Der Epilog der Wolfenbüttler Handschrift der Lex Salica nennt den primus rex Francorum als Verfasser, Childebert und Chlothar als Ergänzer der Lex Salica. Für den primus rex setzte der Prolog den sagenhaften Namen Theoderichs ein; die vier viri illustres bilden das Seitenstück zu den vier sapientes des salischen Prologs. Die Ausdehnung dieser Nachrichten auf die Lex Alam. und Baiuw. er- klärt sich aus dem Bestreben, die herzoglichen Satzungen dieser Stämme nach der Beseitigung der Herzogsgeschlechter als Satzungen merowingischer Könige erscheinen zu lassen. 16 Nach Dagoberts Tode (639) muſs der Prolog verfaſst worden sein, weil sonst die Wendung, daſs seine Gesetze bis heute in Geltung seien, keinen Sinn hätte. Zudem ist Isidors Werk, die mittelbare Quelle des Prologs, erst nach dessen Tod († 636) von einem seiner Schüler zum Abschluſs gebracht worden. Siehe Merkel, Archiv XI 681. In den Akten der Aschheimer Synode von 756 be- zeichnen die bairischen Bischöfe dem Herzog Tassilo gegenüber die Lex Baiuw. als precessorum vestrorum depicta pactus, LL III 457, c. 4. Der Prolog zur Lex Baiuw. kann ihnen also noch nicht vorgelegen haben. Von den Handschriften, welche ihn enthalten, reicht der Ingolstädter Kodex der Lex Baiuw. bis in das Ende des 8. Jahrh. hinauf. 17 Einhardi Vita Karoli c. 29, SS II 458: omnium nationum, quae sub eius dominatu erant, iura quae scripta non erant, describere ac litteris mandare fecit. Annales Lauresham. zum J. 802, SS I 38: imperator … congregavit duces comites et reliquo christiano populo cum legislatoribus et fecit omnes leges in regno suo legi et tradi unicuique homini legem suam et emendare ubi necesse fuit et emen- datam legem scribere. Poeta Saxo SS I 276: … antiquas leges correxit, in ipsis Uniri mandans dissona quae fuerant. Addidit his etiam noviter quae congrua duxit, 14 Erwähnt mag noch werden, daſs eine Stelle der burgundischen Lex Romana, LL III 596 Anm 8, V 168 miſsverständlich einem Theodericus rex Francorum zugeschrie- ben wird (s. unten § 49), und daſs die Expositio zum Liber legis Lang. Aist. 7 § 3, Liu. 87 § 2, Karl 70 § 2 den rex Theodericus als cartarum compositor und als Verfasser der Lex Salica betrachtet. Letztere Nachricht geht sicher auf den Prolog zurück. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 19

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/307>, abgerufen am 23.11.2024.