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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 34. Das Personalitätsprinzip.
es ursprünglich kaum gegolten hatte. So bedachte ein Kapitular Karls
des Grossen den Diebstahl bei Hausfriedensbruch mit dem dreifachen
der Busse, die das Recht des Verletzten statuiert11.

2. Öffentliche Strafen und die Lösungsbussen, um welche öffent-
liche Strafen geledigt werden können, richten sich nicht nach der Lex
des Verletzten, sondern nach dem Rechte des Thäters12. Volksrechte
mit ständisch abgestuftem Strafrecht gehen noch weiter. Indem sie
bei der Bemessung der compositio auf den Stand des Thäters sehen,
müssen sie in Kollisionsfällen das Recht des Thäters entscheiden
lassen. Auf diesem Standpunkte steht die Lex Ribuaria, welche für
die Bestrafung von Personen, die einem fremden Stammesrechte an-
gehören, den Grundsatz aufstellt, dass dieses letztere und nicht das
ribuarische Recht die Entscheidungsnorm abgebe13.

Seit dem neunten Jahrhundert beginnt im internationalen Straf-
rechte die lex loci delicti commissi, das Recht des Thatortes durch-
zudringen. So soll nach einer langobardischen, vor 830 entstandenen
Paraphrase eines älteren Kapitulars der Eidhelfer, der unwissentlich
einen Meineid geschworen, büssen: sicut lex loci illius, ubi periurium
factum est, a longo tempore fuit14. Handschriftliche Zusätze zur Lex
Saxonum, welche der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts an-
gehören15, enthalten die Bestimmung, dass Diebstahl, Brandstiftung,
Tötung auf dem Kirchwege, Kirchenschändung und wissentlicher Mein-
eid, die ein Sachse ausserhalb Sachsens begangen hat, nicht mit der
Todesstrafe des sächsischen Rechtes, sondern nach dem Rechte des
Thatortes bestraft werden sollen. Ein westfränkisches Edikt von 864

11 Cap. I 160, c. 2.
12 Das lässt sich durch argumentum a contrario aus den Zusätzen zur Lex
Saxonum im Spangenbergischen Kodex erschliessen. Siehe unten Anm 15. Eine
vereinzelte Anwendung enthält Cap. Pipp. 782 -- 786 c. 7, I 192: Et de Langu-
bardiscos comites .. sicut illorum lex est, ita componat. In dem Falle Muratori
SS IIb 942, v. J. 874 wird der Franke, der eine Nonne zur Ehe genommen hat, nach
fränkischem, die Nonne und ihr Mundwald nach langobardischem Rechte bestraft.
13 Lex Rib. 31, 4: quod si damnatus fuerit, secundum legem propriam non
secundum Ribuariam damnum susteneat. Vgl. Lex Rib. 61, 2 über den libertus civis
Romanus: quod si aliquid criminis admiserit, secundum legem Romanam iudicetur.
14 Cap. Haristall. v. J. 779 c. 10, Forma langobardica I 49.
15 Die Zusätze des Spangenbergischen Kodex, über welche v. Richthofen,
Zur Lex Saxonum S 2 ff. zu vergleichen ist. Sie ersetzen das persönliche Recht
nicht durch das Recht des erkennenden Gerichts, sondern durch das Recht des
Thatorts. Diese decken sich nicht immer. Der Sachse, der ausserhalb Sachsens
gestohlen, würde nach c. 36 auch von einem sächsischen Gerichte nicht nach
sächsischem Rechte, sondern secundum illorum legem, ubi factum fuerit, bestraft
worden sein.

§ 34. Das Personalitätsprinzip.
es ursprünglich kaum gegolten hatte. So bedachte ein Kapitular Karls
des Groſsen den Diebstahl bei Hausfriedensbruch mit dem dreifachen
der Buſse, die das Recht des Verletzten statuiert11.

2. Öffentliche Strafen und die Lösungsbuſsen, um welche öffent-
liche Strafen geledigt werden können, richten sich nicht nach der Lex
des Verletzten, sondern nach dem Rechte des Thäters12. Volksrechte
mit ständisch abgestuftem Strafrecht gehen noch weiter. Indem sie
bei der Bemessung der compositio auf den Stand des Thäters sehen,
müssen sie in Kollisionsfällen das Recht des Thäters entscheiden
lassen. Auf diesem Standpunkte steht die Lex Ribuaria, welche für
die Bestrafung von Personen, die einem fremden Stammesrechte an-
gehören, den Grundsatz aufstellt, daſs dieses letztere und nicht das
ribuarische Recht die Entscheidungsnorm abgebe13.

Seit dem neunten Jahrhundert beginnt im internationalen Straf-
rechte die lex loci delicti commissi, das Recht des Thatortes durch-
zudringen. So soll nach einer langobardischen, vor 830 entstandenen
Paraphrase eines älteren Kapitulars der Eidhelfer, der unwissentlich
einen Meineid geschworen, büſsen: sicut lex loci illius, ubi periurium
factum est, a longo tempore fuit14. Handschriftliche Zusätze zur Lex
Saxonum, welche der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts an-
gehören15, enthalten die Bestimmung, daſs Diebstahl, Brandstiftung,
Tötung auf dem Kirchwege, Kirchenschändung und wissentlicher Mein-
eid, die ein Sachse auſserhalb Sachsens begangen hat, nicht mit der
Todesstrafe des sächsischen Rechtes, sondern nach dem Rechte des
Thatortes bestraft werden sollen. Ein westfränkisches Edikt von 864

11 Cap. I 160, c. 2.
12 Das läſst sich durch argumentum a contrario aus den Zusätzen zur Lex
Saxonum im Spangenbergischen Kodex erschlieſsen. Siehe unten Anm 15. Eine
vereinzelte Anwendung enthält Cap. Pipp. 782 — 786 c. 7, I 192: Et de Langu-
bardiscos comites .. sicut illorum lex est, ita componat. In dem Falle Muratori
SS IIb 942, v. J. 874 wird der Franke, der eine Nonne zur Ehe genommen hat, nach
fränkischem, die Nonne und ihr Mundwald nach langobardischem Rechte bestraft.
13 Lex Rib. 31, 4: quod si damnatus fuerit, secundum legem propriam non
secundum Ribuariam damnum susteneat. Vgl. Lex Rib. 61, 2 über den libertus civis
Romanus: quod si aliquid criminis admiserit, secundum legem Romanam iudicetur.
14 Cap. Haristall. v. J. 779 c. 10, Forma langobardica I 49.
15 Die Zusätze des Spangenbergischen Kodex, über welche v. Richthofen,
Zur Lex Saxonum S 2 ff. zu vergleichen ist. Sie ersetzen das persönliche Recht
nicht durch das Recht des erkennenden Gerichts, sondern durch das Recht des
Thatorts. Diese decken sich nicht immer. Der Sachse, der auſserhalb Sachsens
gestohlen, würde nach c. 36 auch von einem sächsischen Gerichte nicht nach
sächsischem Rechte, sondern secundum illorum legem, ubi factum fuerit, bestraft
worden sein.
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[262/0280] § 34. Das Personalitätsprinzip. es ursprünglich kaum gegolten hatte. So bedachte ein Kapitular Karls des Groſsen den Diebstahl bei Hausfriedensbruch mit dem dreifachen der Buſse, die das Recht des Verletzten statuiert 11. 2. Öffentliche Strafen und die Lösungsbuſsen, um welche öffent- liche Strafen geledigt werden können, richten sich nicht nach der Lex des Verletzten, sondern nach dem Rechte des Thäters 12. Volksrechte mit ständisch abgestuftem Strafrecht gehen noch weiter. Indem sie bei der Bemessung der compositio auf den Stand des Thäters sehen, müssen sie in Kollisionsfällen das Recht des Thäters entscheiden lassen. Auf diesem Standpunkte steht die Lex Ribuaria, welche für die Bestrafung von Personen, die einem fremden Stammesrechte an- gehören, den Grundsatz aufstellt, daſs dieses letztere und nicht das ribuarische Recht die Entscheidungsnorm abgebe 13. Seit dem neunten Jahrhundert beginnt im internationalen Straf- rechte die lex loci delicti commissi, das Recht des Thatortes durch- zudringen. So soll nach einer langobardischen, vor 830 entstandenen Paraphrase eines älteren Kapitulars der Eidhelfer, der unwissentlich einen Meineid geschworen, büſsen: sicut lex loci illius, ubi periurium factum est, a longo tempore fuit 14. Handschriftliche Zusätze zur Lex Saxonum, welche der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts an- gehören 15, enthalten die Bestimmung, daſs Diebstahl, Brandstiftung, Tötung auf dem Kirchwege, Kirchenschändung und wissentlicher Mein- eid, die ein Sachse auſserhalb Sachsens begangen hat, nicht mit der Todesstrafe des sächsischen Rechtes, sondern nach dem Rechte des Thatortes bestraft werden sollen. Ein westfränkisches Edikt von 864 11 Cap. I 160, c. 2. 12 Das läſst sich durch argumentum a contrario aus den Zusätzen zur Lex Saxonum im Spangenbergischen Kodex erschlieſsen. Siehe unten Anm 15. Eine vereinzelte Anwendung enthält Cap. Pipp. 782 — 786 c. 7, I 192: Et de Langu- bardiscos comites .. sicut illorum lex est, ita componat. In dem Falle Muratori SS IIb 942, v. J. 874 wird der Franke, der eine Nonne zur Ehe genommen hat, nach fränkischem, die Nonne und ihr Mundwald nach langobardischem Rechte bestraft. 13 Lex Rib. 31, 4: quod si damnatus fuerit, secundum legem propriam non secundum Ribuariam damnum susteneat. Vgl. Lex Rib. 61, 2 über den libertus civis Romanus: quod si aliquid criminis admiserit, secundum legem Romanam iudicetur. 14 Cap. Haristall. v. J. 779 c. 10, Forma langobardica I 49. 15 Die Zusätze des Spangenbergischen Kodex, über welche v. Richthofen, Zur Lex Saxonum S 2 ff. zu vergleichen ist. Sie ersetzen das persönliche Recht nicht durch das Recht des erkennenden Gerichts, sondern durch das Recht des Thatorts. Diese decken sich nicht immer. Der Sachse, der auſserhalb Sachsens gestohlen, würde nach c. 36 auch von einem sächsischen Gerichte nicht nach sächsischem Rechte, sondern secundum illorum legem, ubi factum fuerit, bestraft worden sein.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/280>, abgerufen am 22.11.2024.