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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 33. Vielheit und Einheit des Rechtes.
der Freien zu Minderfreien herabzudrücken. Die wirtschaftliche Ab-
hängigkeit allein war nicht das entscheidende Moment. Massgebend
war vielmehr auch der Eintritt in ein Schutzverhältnis, aus welchem
dem Herrn eine dauernde Haftung für die von ihm abhängigen Leute
erwuchs. Wurde dafür ein Schutzzins bezahlt, oder konkurrierte damit
die Verpflichtung zu niederen Diensten oder die wirtschaftliche Ab-
hängigkeit des Hintersassen, so trat eine Minderung der Freiheit ein.
Die Ausbildung der Schutzhörigkeit, ihre Ausdehnung auf die niederen
Formen der Güterleihe und der Hausgenossenschaft hängt so enge
mit verfassungsrechtlichen Fragen, insbesondere mit den schwierigen
Kontroversen über die Entstehung der Immunität, der sogenannten
grundherrlichen Gerichtsbarkeit und des Lehnwesens zusammen, dass
ihre Erörterung füglich der Verfassungsgeschichte der fränkischen Zeit
vorbehalten bleibt. Immerhin mag aber hier bereits konstatiert wer-
den, dass in einer Rechtsquelle Churrätiens vom Anfang des neunten
Jahrhunderts freie Hintersassen des Bischofs von Chur, welche zur
römischen Bevölkerung gehören, nicht das Wergeld des freien Römers,
sondern nur ein Wergeld von 60 solidi haben 33.

III. Rechtsbildung und Rechtsquellen.
§. 33. Vielheit und Einheit des Rechtes.

Gaupp, Das alte Gesetz der Thüringer I: über die Familien der altgermanischen
Volksrechte, 1834. H. Brunner, Zur Rechtsgesch. der römischen und germanischen
Urkunde, 1880, I 113. 308. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht, in
der Z2 f. RG I. Heusler, Institutionen I 19 ff.

Im fränkischen Reiche galt bei den einzelnen Nationalitäten und
Stämmen verschiedenes Recht. Als die salischen Franken Gallien er-
oberten, liessen sie die römische Bevölkerung bei dem römischen
Rechte beharren. Dieses war nicht -- wie später das jüdische -- ein
bloss geduldetes Recht, sondern es wurde im fränkischen Reiche wie im
burgundischen und altwestgotischen für Streitigkeiten unter Romanen
als Grundlage der Rechtsprechung anerkannt 1. Ebenso blieben die
verschiedenen deutschen Stämme, welche in das fränkische Reich ein-

33 Capitula Remedii, LL V 182: item de patrianos, qui ingenuum hoc modo
occiderit, LX solidos conponat.
1 Chlotharii II. praeceptio c. 4, Cap. I 19: inter Romanus negutia causarum
romanis legebus praecepemus terminari. Pipp. Cap. Aquit. v. J. 768 c. 10, Cap. I 43:
ut omnes homines eorum legis habeant tam Romani quam et Salici. Lex Burg.
prima const. c. 7: inter Romanos ... romanis legibus praecipimus iudicari; a. O.
55, 2: quodsi Romanus ... iubemus ... causam romanis legibus terminari.

§ 33. Vielheit und Einheit des Rechtes.
der Freien zu Minderfreien herabzudrücken. Die wirtschaftliche Ab-
hängigkeit allein war nicht das entscheidende Moment. Maſsgebend
war vielmehr auch der Eintritt in ein Schutzverhältnis, aus welchem
dem Herrn eine dauernde Haftung für die von ihm abhängigen Leute
erwuchs. Wurde dafür ein Schutzzins bezahlt, oder konkurrierte damit
die Verpflichtung zu niederen Diensten oder die wirtschaftliche Ab-
hängigkeit des Hintersassen, so trat eine Minderung der Freiheit ein.
Die Ausbildung der Schutzhörigkeit, ihre Ausdehnung auf die niederen
Formen der Güterleihe und der Hausgenossenschaft hängt so enge
mit verfassungsrechtlichen Fragen, insbesondere mit den schwierigen
Kontroversen über die Entstehung der Immunität, der sogenannten
grundherrlichen Gerichtsbarkeit und des Lehnwesens zusammen, daſs
ihre Erörterung füglich der Verfassungsgeschichte der fränkischen Zeit
vorbehalten bleibt. Immerhin mag aber hier bereits konstatiert wer-
den, daſs in einer Rechtsquelle Churrätiens vom Anfang des neunten
Jahrhunderts freie Hintersassen des Bischofs von Chur, welche zur
römischen Bevölkerung gehören, nicht das Wergeld des freien Römers,
sondern nur ein Wergeld von 60 solidi haben 33.

III. Rechtsbildung und Rechtsquellen.
§. 33. Vielheit und Einheit des Rechtes.

Gaupp, Das alte Gesetz der Thüringer I: über die Familien der altgermanischen
Volksrechte, 1834. H. Brunner, Zur Rechtsgesch. der römischen und germanischen
Urkunde, 1880, I 113. 308. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht, in
der Z2 f. RG I. Heusler, Institutionen I 19 ff.

Im fränkischen Reiche galt bei den einzelnen Nationalitäten und
Stämmen verschiedenes Recht. Als die salischen Franken Gallien er-
oberten, lieſsen sie die römische Bevölkerung bei dem römischen
Rechte beharren. Dieses war nicht — wie später das jüdische — ein
bloſs geduldetes Recht, sondern es wurde im fränkischen Reiche wie im
burgundischen und altwestgotischen für Streitigkeiten unter Romanen
als Grundlage der Rechtsprechung anerkannt 1. Ebenso blieben die
verschiedenen deutschen Stämme, welche in das fränkische Reich ein-

33 Capitula Remedii, LL V 182: item de patrianos, qui ingenuum hoc modo
occiderit, LX solidos conponat.
1 Chlotharii II. praeceptio c. 4, Cap. I 19: inter Romanus negutia causarum
romanis legebus praecepemus terminari. Pipp. Cap. Aquit. v. J. 768 c. 10, Cap. I 43:
ut omnes homines eorum legis habeant tam Romani quam et Salici. Lex Burg.
prima const. c. 7: inter Romanos … romanis legibus praecipimus iudicari; a. O.
55, 2: quodsi Romanus … iubemus … causam romanis legibus terminari.
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[254/0272] § 33. Vielheit und Einheit des Rechtes. der Freien zu Minderfreien herabzudrücken. Die wirtschaftliche Ab- hängigkeit allein war nicht das entscheidende Moment. Maſsgebend war vielmehr auch der Eintritt in ein Schutzverhältnis, aus welchem dem Herrn eine dauernde Haftung für die von ihm abhängigen Leute erwuchs. Wurde dafür ein Schutzzins bezahlt, oder konkurrierte damit die Verpflichtung zu niederen Diensten oder die wirtschaftliche Ab- hängigkeit des Hintersassen, so trat eine Minderung der Freiheit ein. Die Ausbildung der Schutzhörigkeit, ihre Ausdehnung auf die niederen Formen der Güterleihe und der Hausgenossenschaft hängt so enge mit verfassungsrechtlichen Fragen, insbesondere mit den schwierigen Kontroversen über die Entstehung der Immunität, der sogenannten grundherrlichen Gerichtsbarkeit und des Lehnwesens zusammen, daſs ihre Erörterung füglich der Verfassungsgeschichte der fränkischen Zeit vorbehalten bleibt. Immerhin mag aber hier bereits konstatiert wer- den, daſs in einer Rechtsquelle Churrätiens vom Anfang des neunten Jahrhunderts freie Hintersassen des Bischofs von Chur, welche zur römischen Bevölkerung gehören, nicht das Wergeld des freien Römers, sondern nur ein Wergeld von 60 solidi haben 33. III. Rechtsbildung und Rechtsquellen. §. 33. Vielheit und Einheit des Rechtes. Gaupp, Das alte Gesetz der Thüringer I: über die Familien der altgermanischen Volksrechte, 1834. H. Brunner, Zur Rechtsgesch. der römischen und germanischen Urkunde, 1880, I 113. 308. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht, in der Z2 f. RG I. Heusler, Institutionen I 19 ff. Im fränkischen Reiche galt bei den einzelnen Nationalitäten und Stämmen verschiedenes Recht. Als die salischen Franken Gallien er- oberten, lieſsen sie die römische Bevölkerung bei dem römischen Rechte beharren. Dieses war nicht — wie später das jüdische — ein bloſs geduldetes Recht, sondern es wurde im fränkischen Reiche wie im burgundischen und altwestgotischen für Streitigkeiten unter Romanen als Grundlage der Rechtsprechung anerkannt 1. Ebenso blieben die verschiedenen deutschen Stämme, welche in das fränkische Reich ein- 33 Capitula Remedii, LL V 182: item de patrianos, qui ingenuum hoc modo occiderit, LX solidos conponat. 1 Chlotharii II. praeceptio c. 4, Cap. I 19: inter Romanus negutia causarum romanis legebus praecepemus terminari. Pipp. Cap. Aquit. v. J. 768 c. 10, Cap. I 43: ut omnes homines eorum legis habeant tam Romani quam et Salici. Lex Burg. prima const. c. 7: inter Romanos … romanis legibus praecipimus iudicari; a. O. 55, 2: quodsi Romanus … iubemus … causam romanis legibus terminari.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/272>, abgerufen am 13.11.2024.