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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 28. Die Sippe.
Punkt, dessen nähere Erörterung der Darstellung des Rechtsganges
dieser Periode vorbehalten bleibt.

Eine Abschwächung erlitt auch die vormundschaftliche Stellung
der Sippe. Zu schwerfällig, um die Interessen des Mündels wahrzu-
nehmen, wurde die Gesamtvormundschaft des Geschlechtes, wie schon
oben bemerkt worden ist, durch die Rechte des geborenen Vormunds
zurückgedrängt, während andrerseits die Staatsgewalt obervormund-
schaftliche Funktionen an sich zu ziehen begann.

Verhältnismässig am zähesten hat die Magschaft ihre Rechte bei
der Vermählung von Mündeln festgehalten. Wird eine Mündel zur
Ehe begehrt, so soll sie nach westgotischem Rechte nur communi
voluntate parentum zugesagt oder communi parentum iudicio ver-
weigert werden 25. Als König Reccared bei Childebert II. um die
Hand seiner Schwester Chlodosvinde anhalten lässt, wagt es dieser
nicht, sie ihm ohne Zustimmung seines Oheims Guntram zu ver-
loben 26. Jüngere Quellen lassen ersehen, dass im salischen Rechts-
gebiete das Recht der Sippe während der fränkischen Periode in
diesem Punkte nicht geschmälert worden ist. Holländische Rechte
verbieten es bei schwerer Busse, Unmündige ohne die Zustimmung
der vier Vierendeele zur Ehe zu geben. Es wird als Pflicht des
Vormundes betont, das Mündel nach erreichter Mündigkeit den ge-
meinen Magen auszuliefern vrie ende loys, das heisst unvermählt und
unverschuldet 27. Im nördlichen Frankreich pflegten sich die Magen
für Erfüllung dieser Pflicht Bürgen stellen zu lassen 28. Auch auf die
Errichtung und Verwaltung der Vormundschaft wirkte die Sippe noch
ein. Ein von der Sippe gekorener Vormund erscheint bei den West-
goten. Die Magen wählen ihn, wenn gewisse nächste Verwandte des
Mündels untauglich oder nicht vorhanden sind 29. Für das salische
Rechtsgebiet ergänzen uns den Mangel gleichzeitiger Nachrichten die
Quellen der folgenden Periode, nach welchen unter gewissen Voraus-
setzungen ein Vormund von der Sippe bestellt wird 30. Auch bei der

25 Lex Wisig. III 1, 7.
26 Gregor. Tur. Hist. Fr. IX 16. 20.
27 Rechtsbronnen der stad Zutphen, hg. von Hordijk 1881, S 66 § 66: eyn
vormunder sal dat kint antwarden den menen maghen an beyden siden vri ende loys,
als et mundich is.
28 Marnier, Anc. Coutumier de Picardie S 6.
29 Lex Wisig. IV, 3, 3.
30 Der holländische Sachsenspiegel nennt Art 8 den von den vier Vierteln der
Sippe gekorenen Vormund. Nach dem Stadtrecht von Zwolle (hg. von Dozy 1867,
§ 223 S 131 Anm 2) wählen Vater- und Muttermagen einen Vormund, wenn ihnen
der geborene Vormund untauglich scheint. Hugo Grotius berichtet (Inleydingh I

§ 28. Die Sippe.
Punkt, dessen nähere Erörterung der Darstellung des Rechtsganges
dieser Periode vorbehalten bleibt.

Eine Abschwächung erlitt auch die vormundschaftliche Stellung
der Sippe. Zu schwerfällig, um die Interessen des Mündels wahrzu-
nehmen, wurde die Gesamtvormundschaft des Geschlechtes, wie schon
oben bemerkt worden ist, durch die Rechte des geborenen Vormunds
zurückgedrängt, während andrerseits die Staatsgewalt obervormund-
schaftliche Funktionen an sich zu ziehen begann.

Verhältnismäſsig am zähesten hat die Magschaft ihre Rechte bei
der Vermählung von Mündeln festgehalten. Wird eine Mündel zur
Ehe begehrt, so soll sie nach westgotischem Rechte nur communi
voluntate parentum zugesagt oder communi parentum iudicio ver-
weigert werden 25. Als König Reccared bei Childebert II. um die
Hand seiner Schwester Chlodosvinde anhalten läſst, wagt es dieser
nicht, sie ihm ohne Zustimmung seines Oheims Guntram zu ver-
loben 26. Jüngere Quellen lassen ersehen, daſs im salischen Rechts-
gebiete das Recht der Sippe während der fränkischen Periode in
diesem Punkte nicht geschmälert worden ist. Holländische Rechte
verbieten es bei schwerer Buſse, Unmündige ohne die Zustimmung
der vier Vierendeele zur Ehe zu geben. Es wird als Pflicht des
Vormundes betont, das Mündel nach erreichter Mündigkeit den ge-
meinen Magen auszuliefern vrie ende loys, das heiſst unvermählt und
unverschuldet 27. Im nördlichen Frankreich pflegten sich die Magen
für Erfüllung dieser Pflicht Bürgen stellen zu lassen 28. Auch auf die
Errichtung und Verwaltung der Vormundschaft wirkte die Sippe noch
ein. Ein von der Sippe gekorener Vormund erscheint bei den West-
goten. Die Magen wählen ihn, wenn gewisse nächste Verwandte des
Mündels untauglich oder nicht vorhanden sind 29. Für das salische
Rechtsgebiet ergänzen uns den Mangel gleichzeitiger Nachrichten die
Quellen der folgenden Periode, nach welchen unter gewissen Voraus-
setzungen ein Vormund von der Sippe bestellt wird 30. Auch bei der

25 Lex Wisig. III 1, 7.
26 Gregor. Tur. Hist. Fr. IX 16. 20.
27 Rechtsbronnen der stad Zutphen, hg. von Hordijk 1881, S 66 § 66: eyn
vormunder sal dat kint antwarden den menen maghen an beyden siden vri ende loys,
als et mundich is.
28 Marnier, Anc. Coutumier de Picardie S 6.
29 Lex Wisig. IV, 3, 3.
30 Der holländische Sachsenspiegel nennt Art 8 den von den vier Vierteln der
Sippe gekorenen Vormund. Nach dem Stadtrecht von Zwolle (hg. von Dozy 1867,
§ 223 S 131 Anm 2) wählen Vater- und Muttermagen einen Vormund, wenn ihnen
der geborene Vormund untauglich scheint. Hugo Grotius berichtet (Inleydingh I
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[222/0240] § 28. Die Sippe. Punkt, dessen nähere Erörterung der Darstellung des Rechtsganges dieser Periode vorbehalten bleibt. Eine Abschwächung erlitt auch die vormundschaftliche Stellung der Sippe. Zu schwerfällig, um die Interessen des Mündels wahrzu- nehmen, wurde die Gesamtvormundschaft des Geschlechtes, wie schon oben bemerkt worden ist, durch die Rechte des geborenen Vormunds zurückgedrängt, während andrerseits die Staatsgewalt obervormund- schaftliche Funktionen an sich zu ziehen begann. Verhältnismäſsig am zähesten hat die Magschaft ihre Rechte bei der Vermählung von Mündeln festgehalten. Wird eine Mündel zur Ehe begehrt, so soll sie nach westgotischem Rechte nur communi voluntate parentum zugesagt oder communi parentum iudicio ver- weigert werden 25. Als König Reccared bei Childebert II. um die Hand seiner Schwester Chlodosvinde anhalten läſst, wagt es dieser nicht, sie ihm ohne Zustimmung seines Oheims Guntram zu ver- loben 26. Jüngere Quellen lassen ersehen, daſs im salischen Rechts- gebiete das Recht der Sippe während der fränkischen Periode in diesem Punkte nicht geschmälert worden ist. Holländische Rechte verbieten es bei schwerer Buſse, Unmündige ohne die Zustimmung der vier Vierendeele zur Ehe zu geben. Es wird als Pflicht des Vormundes betont, das Mündel nach erreichter Mündigkeit den ge- meinen Magen auszuliefern vrie ende loys, das heiſst unvermählt und unverschuldet 27. Im nördlichen Frankreich pflegten sich die Magen für Erfüllung dieser Pflicht Bürgen stellen zu lassen 28. Auch auf die Errichtung und Verwaltung der Vormundschaft wirkte die Sippe noch ein. Ein von der Sippe gekorener Vormund erscheint bei den West- goten. Die Magen wählen ihn, wenn gewisse nächste Verwandte des Mündels untauglich oder nicht vorhanden sind 29. Für das salische Rechtsgebiet ergänzen uns den Mangel gleichzeitiger Nachrichten die Quellen der folgenden Periode, nach welchen unter gewissen Voraus- setzungen ein Vormund von der Sippe bestellt wird 30. Auch bei der 25 Lex Wisig. III 1, 7. 26 Gregor. Tur. Hist. Fr. IX 16. 20. 27 Rechtsbronnen der stad Zutphen, hg. von Hordijk 1881, S 66 § 66: eyn vormunder sal dat kint antwarden den menen maghen an beyden siden vri ende loys, als et mundich is. 28 Marnier, Anc. Coutumier de Picardie S 6. 29 Lex Wisig. IV, 3, 3. 30 Der holländische Sachsenspiegel nennt Art 8 den von den vier Vierteln der Sippe gekorenen Vormund. Nach dem Stadtrecht von Zwolle (hg. von Dozy 1867, § 223 S 131 Anm 2) wählen Vater- und Muttermagen einen Vormund, wenn ihnen der geborene Vormund untauglich scheint. Hugo Grotius berichtet (Inleydingh I

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/240>, abgerufen am 27.11.2024.