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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 2. Die Gliederung des Stoffes.
massen gerecht werden, so ist es geboten, die Rechtsgeschichte nach
der historischen Methode einzuteilen, also den Stoff zunächst nach
Perioden zu gliedern.

Die Periodisierung der Rechtsgeschichte darf keine pedantische
sein. Steife Zeitgrenzen, wie etwa das Todesjahr Chlothars I. (561),
der Monat des Vertrags von Verdun (August 843), die Wahl Rudolfs
von Habsburg (29. September 1273), die Daten der goldenen Bulle
(10. Januar und 25. Dezember 1356), der Tag des Wormser Reichs-
abschiedes (7. August 1495), sind abzulehnen und durch möglichst
elastische Abrundung der einzelnen Perioden zu ersetzen, so dass für
die Darstellung der verschiedenen Rechtsinstitute ein gewisser Spiel-
raum offen bleibt. Nur dadurch wird es möglich, jene lästigen
Wiederholungen und störenden Unterbrechungen zu vermeiden, welche
man der historischen Darstellungsweise zum Vorwurfe macht.

Als die älteste Periode der deutschen Rechtsgeschichte stellt die
germanische Zeit sich dar. Mit den ersten Anfängen unserer rechts-
geschichtlichen Kunde beginnend, endigt sie mit dem Stillstande der
sogenannten Völkerwanderung, welche durch die Bildung germanischer
Staaten auf römischer Erde und durch die Gründung des fränkischen
Reiches zum Abschluss gelangte. Die Berührung der Germanen mit
römischer Kultur und mit dem Christentum eröffnete ihrem Rechts-
leben eine neue Epoche, die Zeit des fränkischen Reiches, welches
die Durchdringung der deutschen Stämme mit den neuen Bildungs-
elementen vermittelte. Seit der Auflösung der fränkischen Monarchie
beginnt eine neue, die dritte Periode der deutschen Rechtsgeschichte.
Ihr Gesichtskreis beschränkt sich nunmehr auf das deutsche Reich,
welches die nicht verwelschten deutschen Stämme als politische Ein-
heit umfasst. Auf den Grundlagen, welche die fränkische Zeit ge-
schaffen hatte, erwächst eine rein volkstümliche Rechtsbildung, welche
schliesslich, weil von oben her sich durchaus selbst überlassen, einem
weitgehenden Partikularismus verfällt. Um dieses Gebrechens willen
war es dem deutschen Rechte nicht beschieden, seine Entwicklung
selbständig zu vollenden. Vielmehr sind seit dem Ausgange des
fünfzehnten Jahrhunderts das römische und das kanonische Recht
nebst dem langobardischen Lehnrechte als gemeines Recht in die
Rechtsprechung eingedrungen. Da sich um dieselbe Zeit in der Ver-
fassung des deutschen Reiches eine Umwandlung fühlbar macht,
welche ihm den Charakter einer Staatenrepublik aufprägt, so er-
scheint es als angemessen, die dritte Periode als die Zeit der natio-
nalen Rechtsbildung in Deutschland vor dem Eintritte der Rezeption
der fremden Rechte abzuschliessen. Die vierte und letzte Periode

§ 2. Die Gliederung des Stoffes.
maſsen gerecht werden, so ist es geboten, die Rechtsgeschichte nach
der historischen Methode einzuteilen, also den Stoff zunächst nach
Perioden zu gliedern.

Die Periodisierung der Rechtsgeschichte darf keine pedantische
sein. Steife Zeitgrenzen, wie etwa das Todesjahr Chlothars I. (561),
der Monat des Vertrags von Verdun (August 843), die Wahl Rudolfs
von Habsburg (29. September 1273), die Daten der goldenen Bulle
(10. Januar und 25. Dezember 1356), der Tag des Wormser Reichs-
abschiedes (7. August 1495), sind abzulehnen und durch möglichst
elastische Abrundung der einzelnen Perioden zu ersetzen, so daſs für
die Darstellung der verschiedenen Rechtsinstitute ein gewisser Spiel-
raum offen bleibt. Nur dadurch wird es möglich, jene lästigen
Wiederholungen und störenden Unterbrechungen zu vermeiden, welche
man der historischen Darstellungsweise zum Vorwurfe macht.

Als die älteste Periode der deutschen Rechtsgeschichte stellt die
germanische Zeit sich dar. Mit den ersten Anfängen unserer rechts-
geschichtlichen Kunde beginnend, endigt sie mit dem Stillstande der
sogenannten Völkerwanderung, welche durch die Bildung germanischer
Staaten auf römischer Erde und durch die Gründung des fränkischen
Reiches zum Abschluſs gelangte. Die Berührung der Germanen mit
römischer Kultur und mit dem Christentum eröffnete ihrem Rechts-
leben eine neue Epoche, die Zeit des fränkischen Reiches, welches
die Durchdringung der deutschen Stämme mit den neuen Bildungs-
elementen vermittelte. Seit der Auflösung der fränkischen Monarchie
beginnt eine neue, die dritte Periode der deutschen Rechtsgeschichte.
Ihr Gesichtskreis beschränkt sich nunmehr auf das deutsche Reich,
welches die nicht verwelschten deutschen Stämme als politische Ein-
heit umfaſst. Auf den Grundlagen, welche die fränkische Zeit ge-
schaffen hatte, erwächst eine rein volkstümliche Rechtsbildung, welche
schlieſslich, weil von oben her sich durchaus selbst überlassen, einem
weitgehenden Partikularismus verfällt. Um dieses Gebrechens willen
war es dem deutschen Rechte nicht beschieden, seine Entwicklung
selbständig zu vollenden. Vielmehr sind seit dem Ausgange des
fünfzehnten Jahrhunderts das römische und das kanonische Recht
nebst dem langobardischen Lehnrechte als gemeines Recht in die
Rechtsprechung eingedrungen. Da sich um dieselbe Zeit in der Ver-
fassung des deutschen Reiches eine Umwandlung fühlbar macht,
welche ihm den Charakter einer Staatenrepublik aufprägt, so er-
scheint es als angemessen, die dritte Periode als die Zeit der natio-
nalen Rechtsbildung in Deutschland vor dem Eintritte der Rezeption
der fremden Rechte abzuschlieſsen. Die vierte und letzte Periode

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[6/0024] § 2. Die Gliederung des Stoffes. maſsen gerecht werden, so ist es geboten, die Rechtsgeschichte nach der historischen Methode einzuteilen, also den Stoff zunächst nach Perioden zu gliedern. Die Periodisierung der Rechtsgeschichte darf keine pedantische sein. Steife Zeitgrenzen, wie etwa das Todesjahr Chlothars I. (561), der Monat des Vertrags von Verdun (August 843), die Wahl Rudolfs von Habsburg (29. September 1273), die Daten der goldenen Bulle (10. Januar und 25. Dezember 1356), der Tag des Wormser Reichs- abschiedes (7. August 1495), sind abzulehnen und durch möglichst elastische Abrundung der einzelnen Perioden zu ersetzen, so daſs für die Darstellung der verschiedenen Rechtsinstitute ein gewisser Spiel- raum offen bleibt. Nur dadurch wird es möglich, jene lästigen Wiederholungen und störenden Unterbrechungen zu vermeiden, welche man der historischen Darstellungsweise zum Vorwurfe macht. Als die älteste Periode der deutschen Rechtsgeschichte stellt die germanische Zeit sich dar. Mit den ersten Anfängen unserer rechts- geschichtlichen Kunde beginnend, endigt sie mit dem Stillstande der sogenannten Völkerwanderung, welche durch die Bildung germanischer Staaten auf römischer Erde und durch die Gründung des fränkischen Reiches zum Abschluſs gelangte. Die Berührung der Germanen mit römischer Kultur und mit dem Christentum eröffnete ihrem Rechts- leben eine neue Epoche, die Zeit des fränkischen Reiches, welches die Durchdringung der deutschen Stämme mit den neuen Bildungs- elementen vermittelte. Seit der Auflösung der fränkischen Monarchie beginnt eine neue, die dritte Periode der deutschen Rechtsgeschichte. Ihr Gesichtskreis beschränkt sich nunmehr auf das deutsche Reich, welches die nicht verwelschten deutschen Stämme als politische Ein- heit umfaſst. Auf den Grundlagen, welche die fränkische Zeit ge- schaffen hatte, erwächst eine rein volkstümliche Rechtsbildung, welche schlieſslich, weil von oben her sich durchaus selbst überlassen, einem weitgehenden Partikularismus verfällt. Um dieses Gebrechens willen war es dem deutschen Rechte nicht beschieden, seine Entwicklung selbständig zu vollenden. Vielmehr sind seit dem Ausgange des fünfzehnten Jahrhunderts das römische und das kanonische Recht nebst dem langobardischen Lehnrechte als gemeines Recht in die Rechtsprechung eingedrungen. Da sich um dieselbe Zeit in der Ver- fassung des deutschen Reiches eine Umwandlung fühlbar macht, welche ihm den Charakter einer Staatenrepublik aufprägt, so er- scheint es als angemessen, die dritte Periode als die Zeit der natio- nalen Rechtsbildung in Deutschland vor dem Eintritte der Rezeption der fremden Rechte abzuschlieſsen. Die vierte und letzte Periode

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/24>, abgerufen am 21.11.2024.