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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.

War in Gallien ein Stand von weltlichen Grossgrundbesitzern
(potentes, potentiores)9 schon vor der Eroberung vorhanden gewesen,
so wurde nunmehr die Ausbildung eines solchen in den deutschen
Stammlanden durch die königlichen und herzoglichen Landschenkungen
vermittelt. Abgesehen hievon hat sich hier durch das Zusammen-
wirken verschiedener Ursachen die anfängliche Verteilung des Grund-
besitzes allgemach verschoben. Für diese Verschiebung kommen zu-
nächst die zahlreichen Rodungen in Betracht, durch welche vom
sechsten Jahrhundert ab ein grosser Teil des Waldbodens dem Acker-
bau gewonnen wurde. Was das Recht der Rodung betrifft10, so sind
die Rodungen in der gemeinen Mark und auf fiskalischem Boden, ge-
nossenschaftliche Rodungen und Rodungen einzelner, Rodungen der
Einheimischen und Fremder zu unterscheiden. In der gemeinen Mark
war die Markgemeinde und, wo sie es nicht verwehrte, der einzelne
Markgenosse befugt Land einzufangen. Der Neubruch, Beifang, ad-
prisio, comprehensio, captura, in romanischen Gegenden auch runcale
genannt, wurde Sondereigentum des Unternehmers. Über öffentliche
Wälder, welche nicht zu einer gemeinen Mark gehörten, konnte der
König verfügen. Soweit er sie nicht einforstete oder zur Domänen-
verwaltung zog, scheint die Rodung den Anwohnern entweder schlecht-
weg oder doch mit Erlaubnis des Grafen gestattet worden zu sein,
so dass ein königliches Rodungsprivileg im einzelnen Falle nicht er-
forderlich war. Allein der Neubruch wurde als fiskalisches Eigentum
behandelt, der Erwerber erlangte nur ein erbliches Nutzungsrecht und
musste dafür einen Zins bezahlen11. Der Fremde hatte kein Okku-
pationsrecht, wenn ihm nicht der König das Recht der Rodung durch
Privilegium verlieh. Die genossenschaftlichen Rodungen, welche in
der Mark oder im Königswalde12 zur Erweiterung bestehender, zur

9 Diese in fränkischer Zeit übliche Bezeichnung findet sich schon in den
römischen Quellen. Cod. Theod. XI 7, 12 v. J. 383; Cod. Just. III 25, 1 § 1 v.
J. 439.
10 Vgl. Beseler, Der Neubruch nach dem älteren deutschen Rechte, in den
Symbolae für Bethmann-Hollweg 1868 und Schröder, Z2 f. RG II 62 f.
11 Bei Devic et Vaissete, Hist. de Languedoc II Nr 189 v. J. 875 nimmt
der Beklagte ein Grundstück in Anspruch partibus comitis et ad servitium regis
exercendum. Die iudices fragen den Vertreter des Fiskus, ob er Beweise habe,
dass saepedictus locus per beneficia vel adprisionem comiti regalem servitium
persolvi debeat vel homines loci illius commanentes. Königliches Privileg konnte die
Zinsfreiheit gewähren, wie dies in Karls und Ludwigs Verleihungen an die flüchti-
gen Spanier geschah. Aber auch dann gab die adprisio noch kein Eigentum, son-
dern wurde als ein dem Lehen ähnliches Verhältnis behandelt.
12 Die fiskalischen Centenen, welche gelegentlich erwähnt werden, und die auf
§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.

War in Gallien ein Stand von weltlichen Groſsgrundbesitzern
(potentes, potentiores)9 schon vor der Eroberung vorhanden gewesen,
so wurde nunmehr die Ausbildung eines solchen in den deutschen
Stammlanden durch die königlichen und herzoglichen Landschenkungen
vermittelt. Abgesehen hievon hat sich hier durch das Zusammen-
wirken verschiedener Ursachen die anfängliche Verteilung des Grund-
besitzes allgemach verschoben. Für diese Verschiebung kommen zu-
nächst die zahlreichen Rodungen in Betracht, durch welche vom
sechsten Jahrhundert ab ein groſser Teil des Waldbodens dem Acker-
bau gewonnen wurde. Was das Recht der Rodung betrifft10, so sind
die Rodungen in der gemeinen Mark und auf fiskalischem Boden, ge-
nossenschaftliche Rodungen und Rodungen einzelner, Rodungen der
Einheimischen und Fremder zu unterscheiden. In der gemeinen Mark
war die Markgemeinde und, wo sie es nicht verwehrte, der einzelne
Markgenosse befugt Land einzufangen. Der Neubruch, Beifang, ad-
prisio, comprehensio, captura, in romanischen Gegenden auch runcale
genannt, wurde Sondereigentum des Unternehmers. Über öffentliche
Wälder, welche nicht zu einer gemeinen Mark gehörten, konnte der
König verfügen. Soweit er sie nicht einforstete oder zur Domänen-
verwaltung zog, scheint die Rodung den Anwohnern entweder schlecht-
weg oder doch mit Erlaubnis des Grafen gestattet worden zu sein,
so daſs ein königliches Rodungsprivileg im einzelnen Falle nicht er-
forderlich war. Allein der Neubruch wurde als fiskalisches Eigentum
behandelt, der Erwerber erlangte nur ein erbliches Nutzungsrecht und
muſste dafür einen Zins bezahlen11. Der Fremde hatte kein Okku-
pationsrecht, wenn ihm nicht der König das Recht der Rodung durch
Privilegium verlieh. Die genossenschaftlichen Rodungen, welche in
der Mark oder im Königswalde12 zur Erweiterung bestehender, zur

9 Diese in fränkischer Zeit übliche Bezeichnung findet sich schon in den
römischen Quellen. Cod. Theod. XI 7, 12 v. J. 383; Cod. Just. III 25, 1 § 1 v.
J. 439.
10 Vgl. Beseler, Der Neubruch nach dem älteren deutschen Rechte, in den
Symbolae für Bethmann-Hollweg 1868 und Schröder, Z2 f. RG II 62 f.
11 Bei Devic et Vaissete, Hist. de Languedoc II Nr 189 v. J. 875 nimmt
der Beklagte ein Grundstück in Anspruch partibus comitis et ad servitium regis
exercendum. Die iudices fragen den Vertreter des Fiskus, ob er Beweise habe,
daſs saepedictus locus per beneficia vel adprisionem comiti regalem servitium
persolvi debeat vel homines loci illius commanentes. Königliches Privileg konnte die
Zinsfreiheit gewähren, wie dies in Karls und Ludwigs Verleihungen an die flüchti-
gen Spanier geschah. Aber auch dann gab die adprisio noch kein Eigentum, son-
dern wurde als ein dem Lehen ähnliches Verhältnis behandelt.
12 Die fiskalischen Centenen, welche gelegentlich erwähnt werden, und die auf
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[205/0223] § 26. Grundherrschaften und Landleihe. War in Gallien ein Stand von weltlichen Groſsgrundbesitzern (potentes, potentiores) 9 schon vor der Eroberung vorhanden gewesen, so wurde nunmehr die Ausbildung eines solchen in den deutschen Stammlanden durch die königlichen und herzoglichen Landschenkungen vermittelt. Abgesehen hievon hat sich hier durch das Zusammen- wirken verschiedener Ursachen die anfängliche Verteilung des Grund- besitzes allgemach verschoben. Für diese Verschiebung kommen zu- nächst die zahlreichen Rodungen in Betracht, durch welche vom sechsten Jahrhundert ab ein groſser Teil des Waldbodens dem Acker- bau gewonnen wurde. Was das Recht der Rodung betrifft 10, so sind die Rodungen in der gemeinen Mark und auf fiskalischem Boden, ge- nossenschaftliche Rodungen und Rodungen einzelner, Rodungen der Einheimischen und Fremder zu unterscheiden. In der gemeinen Mark war die Markgemeinde und, wo sie es nicht verwehrte, der einzelne Markgenosse befugt Land einzufangen. Der Neubruch, Beifang, ad- prisio, comprehensio, captura, in romanischen Gegenden auch runcale genannt, wurde Sondereigentum des Unternehmers. Über öffentliche Wälder, welche nicht zu einer gemeinen Mark gehörten, konnte der König verfügen. Soweit er sie nicht einforstete oder zur Domänen- verwaltung zog, scheint die Rodung den Anwohnern entweder schlecht- weg oder doch mit Erlaubnis des Grafen gestattet worden zu sein, so daſs ein königliches Rodungsprivileg im einzelnen Falle nicht er- forderlich war. Allein der Neubruch wurde als fiskalisches Eigentum behandelt, der Erwerber erlangte nur ein erbliches Nutzungsrecht und muſste dafür einen Zins bezahlen 11. Der Fremde hatte kein Okku- pationsrecht, wenn ihm nicht der König das Recht der Rodung durch Privilegium verlieh. Die genossenschaftlichen Rodungen, welche in der Mark oder im Königswalde 12 zur Erweiterung bestehender, zur 9 Diese in fränkischer Zeit übliche Bezeichnung findet sich schon in den römischen Quellen. Cod. Theod. XI 7, 12 v. J. 383; Cod. Just. III 25, 1 § 1 v. J. 439. 10 Vgl. Beseler, Der Neubruch nach dem älteren deutschen Rechte, in den Symbolae für Bethmann-Hollweg 1868 und Schröder, Z2 f. RG II 62 f. 11 Bei Devic et Vaissete, Hist. de Languedoc II Nr 189 v. J. 875 nimmt der Beklagte ein Grundstück in Anspruch partibus comitis et ad servitium regis exercendum. Die iudices fragen den Vertreter des Fiskus, ob er Beweise habe, daſs saepedictus locus per beneficia vel adprisionem comiti regalem servitium persolvi debeat vel homines loci illius commanentes. Königliches Privileg konnte die Zinsfreiheit gewähren, wie dies in Karls und Ludwigs Verleihungen an die flüchti- gen Spanier geschah. Aber auch dann gab die adprisio noch kein Eigentum, son- dern wurde als ein dem Lehen ähnliches Verhältnis behandelt. 12 Die fiskalischen Centenen, welche gelegentlich erwähnt werden, und die auf

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/223>, abgerufen am 21.11.2024.