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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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um die Zeit der Reichsgründung.
heisst precaturia 31, meist precaria 32, gelegentlich auch securitas 33, weil
sie dem Verleiher zum Beweismittel dient, dass der Inhaber des
Grundstücks es von jenem zur Leihe erhalten habe. Precaria wird
zu Anfang des sechsten Jahrhunderts auch das Rechtsgeschäft der
Verleihung 34, nachmals auch das Leiheverhältnis und das Leihegut
genannt. Schon nach altrömischem Rechte konnte ein Prekarium auf
bestimmte Zeit gegeben werden 35. Doch wurde der Verleiher durch
solchen Termin nicht rechtlich gebunden 36. Aber nicht leicht mochte
es vorkommen, zumal bei der Not an Landbauern, welche in spät-
römischer Zeit herrschte 37, dass der Eigentümer sein Widerrufsrecht
vor Ablauf der Zeit geltend machte. So konnte sich eine vulgar-
rechtliche Gewohnheit bilden, welche dem Prekaristen während der
bestimmten Zeit ein Recht der Nutzung gewährte und ihn darin
schützte. Seitdem gab es im Grunde genommen zwei Arten von
Prekarien, ein widerrufliches und ein Prekarium auf Zeit. Das letztere
wurde zur Regel 38. Sein Rahmen war weit genug, um Pachtverhält-

31 So in den Akten des Konzils von Epao v. J. 517 (Loening a. O. S 289),
in den von Waitz II 1 S 292 Anm 1 angeführten Stellen und in der Epitome
Guelferbytana zu Paulus V 7, 9. Precatus im Testament des Bischofs Bertram
von Le Mans v. J. 616, Pardessus, Dipl. I 210.
32 Form. Wisigoth. Nr 36. 37.
33 Form. Andegav. 7.
34 Lex Rom. Burg. 35,2: si vero post possessionem dierum aut mensium praecaria
fuerit subsecuta, ut ille iterum rem videatur possidere, qui vindedit, documenti pro-
fessio firmitatem praecariae possessionis obteneat. Die Erklärung, welche Barkow
von dieser Stelle giebt (Lex Rom. Burg. S 99), halte ich zum Teil für verfehlt.
Nach Abschluss des Kaufvertrags hatte eine corporalis traditio stattgefunden und
der Käufer das Grundstück durch etliche Tage oder Monate besessen. Erhält dann
der Verkäufer das Gut zu Prekarium, so muss er sich vom Käufer sein Recht ur-
kundlich sichern lassen, wenn er darin geschützt sein will. Als Emphyteusis darf
die precaria hier nicht aufgefasst werden. -- Precaria heisst die Leihe ferner in
der von Loening a. O. S 710 Anm 3 angeführten Stelle Flodoards Hist. Rem. II 1,
MG SS XIII 447, welche wahrscheinlich aus einer Urkunde vom Anfang des 6.
Jahrh. geschöpft ist: quam partem villae ipse quoque presul Teudechildi ... usu-
fructuario per precariam salvo ecclesiae iure concessit.
35 S. l. 4 § 4, l. 5 Dig. 43, 26.
36 Windscheid, Pandekten § 376.
37 Arg. l. 3 § 6 Dig. 49, 14.
38 Es ist bezeichnend, dass die westgotische Interpretation zu Paulus V 7, 8
die Zeitbestimmung in den Begriff des Prekariums aufnahm. "Si quando alicuius
precibus exorati aliquid cuicunque possidendum ad tempus praestitum fuerit et
ad primam admonitionem hoc ipsum reddere noluerit, datur adversus eum inter-
dictum et actio iusta proponitur." Die Stelle konnte kaum anders verstanden wer-
den, als dass der Prekarist die Sache erst nach Ablauf der bedungenen Zeit auf

um die Zeit der Reichsgründung.
heiſst precaturia 31, meist precaria 32, gelegentlich auch securitas 33, weil
sie dem Verleiher zum Beweismittel dient, daſs der Inhaber des
Grundstücks es von jenem zur Leihe erhalten habe. Precaria wird
zu Anfang des sechsten Jahrhunderts auch das Rechtsgeschäft der
Verleihung 34, nachmals auch das Leiheverhältnis und das Leihegut
genannt. Schon nach altrömischem Rechte konnte ein Prekarium auf
bestimmte Zeit gegeben werden 35. Doch wurde der Verleiher durch
solchen Termin nicht rechtlich gebunden 36. Aber nicht leicht mochte
es vorkommen, zumal bei der Not an Landbauern, welche in spät-
römischer Zeit herrschte 37, daſs der Eigentümer sein Widerrufsrecht
vor Ablauf der Zeit geltend machte. So konnte sich eine vulgar-
rechtliche Gewohnheit bilden, welche dem Prekaristen während der
bestimmten Zeit ein Recht der Nutzung gewährte und ihn darin
schützte. Seitdem gab es im Grunde genommen zwei Arten von
Prekarien, ein widerrufliches und ein Prekarium auf Zeit. Das letztere
wurde zur Regel 38. Sein Rahmen war weit genug, um Pachtverhält-

31 So in den Akten des Konzils von Epao v. J. 517 (Loening a. O. S 289),
in den von Waitz II 1 S 292 Anm 1 angeführten Stellen und in der Epitome
Guelferbytana zu Paulus V 7, 9. Precatus im Testament des Bischofs Bertram
von Le Mans v. J. 616, Pardessus, Dipl. I 210.
32 Form. Wisigoth. Nr 36. 37.
33 Form. Andegav. 7.
34 Lex Rom. Burg. 35,2: si vero post possessionem dierum aut mensium praecaria
fuerit subsecuta, ut ille iterum rem videatur possidere, qui vindedit, documenti pro-
fessio firmitatem praecariae possessionis obteneat. Die Erklärung, welche Barkow
von dieser Stelle giebt (Lex Rom. Burg. S 99), halte ich zum Teil für verfehlt.
Nach Abschluſs des Kaufvertrags hatte eine corporalis traditio stattgefunden und
der Käufer das Grundstück durch etliche Tage oder Monate besessen. Erhält dann
der Verkäufer das Gut zu Prekarium, so muſs er sich vom Käufer sein Recht ur-
kundlich sichern lassen, wenn er darin geschützt sein will. Als Emphyteusis darf
die precaria hier nicht aufgefaſst werden. — Precaria heiſst die Leihe ferner in
der von Loening a. O. S 710 Anm 3 angeführten Stelle Flodoards Hist. Rem. II 1,
MG SS XIII 447, welche wahrscheinlich aus einer Urkunde vom Anfang des 6.
Jahrh. geschöpft ist: quam partem villae ipse quoque presul Teudechildi … usu-
fructuario per precariam salvo ecclesiae iure concessit.
35 S. l. 4 § 4, l. 5 Dig. 43, 26.
36 Windscheid, Pandekten § 376.
37 Arg. l. 3 § 6 Dig. 49, 14.
38 Es ist bezeichnend, daſs die westgotische Interpretation zu Paulus V 7, 8
die Zeitbestimmung in den Begriff des Prekariums aufnahm. „Si quando alicuius
precibus exorati aliquid cuicunque possidendum ad tempus praestitum fuerit et
ad primam admonitionem hoc ipsum reddere noluerit, datur adversus eum inter-
dictum et actio iusta proponitur.“ Die Stelle konnte kaum anders verstanden wer-
den, als daſs der Prekarist die Sache erst nach Ablauf der bedungenen Zeit auf
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[201/0219] um die Zeit der Reichsgründung. heiſst precaturia 31, meist precaria 32, gelegentlich auch securitas 33, weil sie dem Verleiher zum Beweismittel dient, daſs der Inhaber des Grundstücks es von jenem zur Leihe erhalten habe. Precaria wird zu Anfang des sechsten Jahrhunderts auch das Rechtsgeschäft der Verleihung 34, nachmals auch das Leiheverhältnis und das Leihegut genannt. Schon nach altrömischem Rechte konnte ein Prekarium auf bestimmte Zeit gegeben werden 35. Doch wurde der Verleiher durch solchen Termin nicht rechtlich gebunden 36. Aber nicht leicht mochte es vorkommen, zumal bei der Not an Landbauern, welche in spät- römischer Zeit herrschte 37, daſs der Eigentümer sein Widerrufsrecht vor Ablauf der Zeit geltend machte. So konnte sich eine vulgar- rechtliche Gewohnheit bilden, welche dem Prekaristen während der bestimmten Zeit ein Recht der Nutzung gewährte und ihn darin schützte. Seitdem gab es im Grunde genommen zwei Arten von Prekarien, ein widerrufliches und ein Prekarium auf Zeit. Das letztere wurde zur Regel 38. Sein Rahmen war weit genug, um Pachtverhält- 31 So in den Akten des Konzils von Epao v. J. 517 (Loening a. O. S 289), in den von Waitz II 1 S 292 Anm 1 angeführten Stellen und in der Epitome Guelferbytana zu Paulus V 7, 9. Precatus im Testament des Bischofs Bertram von Le Mans v. J. 616, Pardessus, Dipl. I 210. 32 Form. Wisigoth. Nr 36. 37. 33 Form. Andegav. 7. 34 Lex Rom. Burg. 35,2: si vero post possessionem dierum aut mensium praecaria fuerit subsecuta, ut ille iterum rem videatur possidere, qui vindedit, documenti pro- fessio firmitatem praecariae possessionis obteneat. Die Erklärung, welche Barkow von dieser Stelle giebt (Lex Rom. Burg. S 99), halte ich zum Teil für verfehlt. Nach Abschluſs des Kaufvertrags hatte eine corporalis traditio stattgefunden und der Käufer das Grundstück durch etliche Tage oder Monate besessen. Erhält dann der Verkäufer das Gut zu Prekarium, so muſs er sich vom Käufer sein Recht ur- kundlich sichern lassen, wenn er darin geschützt sein will. Als Emphyteusis darf die precaria hier nicht aufgefaſst werden. — Precaria heiſst die Leihe ferner in der von Loening a. O. S 710 Anm 3 angeführten Stelle Flodoards Hist. Rem. II 1, MG SS XIII 447, welche wahrscheinlich aus einer Urkunde vom Anfang des 6. Jahrh. geschöpft ist: quam partem villae ipse quoque presul Teudechildi … usu- fructuario per precariam salvo ecclesiae iure concessit. 35 S. l. 4 § 4, l. 5 Dig. 43, 26. 36 Windscheid, Pandekten § 376. 37 Arg. l. 3 § 6 Dig. 49, 14. 38 Es ist bezeichnend, daſs die westgotische Interpretation zu Paulus V 7, 8 die Zeitbestimmung in den Begriff des Prekariums aufnahm. „Si quando alicuius precibus exorati aliquid cuicunque possidendum ad tempus praestitum fuerit et ad primam admonitionem hoc ipsum reddere noluerit, datur adversus eum inter- dictum et actio iusta proponitur.“ Die Stelle konnte kaum anders verstanden wer- den, als daſs der Prekarist die Sache erst nach Ablauf der bedungenen Zeit auf

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/219>, abgerufen am 27.11.2024.