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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
die Verwandten des Toten versöhnt hat und diese für ihn bitten, dass
es ihm gestattet werde inter homines accedere 26. Friedlos, aspellis 27
wird bei den Saliern auch eine Freie, die sich mit ihrem Knechte
ehelich verbindet; doch ist in solchem Falle von einer Wieder-
gewinnung des Friedens nicht die Rede. Am nächsten steht den
skandinavischen Rechten in der umfassenden Anwendung der Fried-
losigkeit das altlangobardische Recht. Es verpönt eine nicht unerheb-
liche Anzahl von Unthaten mit der stereotypen Wendung: animae
suae (oder mortis, sanguinis) incurrat periculum und zwar entweder
unbedingt oder so, dass der Thäter durch Zahlung einer Busse sich die
Sicherheit seines Lebens erkaufen kann 28.

Die hervorragende Rolle, welche die Friedlosigkeit einst bei allen
Germanen gespielt haben muss, schimmert durch die Ausdrücke hin-
durch, welche uns die alte Sprache für den Begriff verurteilen über-
liefert. Das Gotische hat das Verbum gavargjan für verdammen 29
und das Substantivum vargitha 30, Urteil, Verdammnis. Varg ist aber,
wie oben ausgeführt worden, der Friedlose. Dem gotischen vargitha
entspricht das in einem sächsischen Kapitular bezeugte altsächsische
Wort wargida, condemnatio 31 und der Ausdruck vergdu, vaergdu der
angelsächsischen Poesie: Fluch, Verdammnis, Strafe 32. Die Verben

26 L. Sal. 55, 2. Die Sühne ist nicht ein Recht des Thäters, der Fall steht
daher mit der utlegdarmal des norwegischen Rechtes nicht auf gleicher Linie.
Anderer Ansicht Schröder, RG I 75.
27 Lex Sal. Hessels Tit. 70 (Cap. I c. 5). Aspellis von spel, parabola. Vgl.
vorspellen für vorsprechen im Mittelniederländischen. Das Wort aspellis ist sonach
als extra sermonem (regis posita) zu erklären, s. oben S 147. Eine eigentliche Fried-
losigkeit des Weibes ist den germanischen Rechten im allgemeinen unbekannt. Nach
nordischen Rechten wird das Weib nicht friedlos gelegt. Das anglonormannische
Recht überliefert in Bracton III 2 c. 11 den Satz: foemina utlagari non potest. Den-
selben Sinn scheint es zu haben, wenn der sog. Ariprand, Lombardacommentare
I 25 sagt: mulier plane fegangi esse non potest. Sit fegangi, fegangit sagt die
langobardische Rechtssprache (Roth. 253. 291. 372, Grim. 9, Li. 147) von dem auf
handhafter That ertappten Diebe und von der dem Gläubiger verfallenen Pfand-
sache (Cod. dipl. Lang. col. 128, 69 von 796). Eine befriedigende sprachliche Er-
klärung des Wortes ist bisher nicht gefunden worden. Der Zusammenhang, in dem
es gebraucht wird, scheint auf Friedlosigkeit hinzuweisen. Wahrscheinlich ist das
Wort aus feh-gangi verderbt, und steht feh feindlich im Sinne von friedlos. Siehe
Osenbrüggen, Strafr. der Langobarden S 121.
28 Osenbrüggen a. O. S 28.
29 2. Kor. 7, 3; Röm. 8, 3. Gavargjan dauthau, zum Tod verurteilen Marc. 10, 33.
30 2. Kor. 3, 9; Gal. 5, 10; Röm. 8, 1. 13, 2.
31 Capit. Saxon. von 797 c. 4, I 71.
32 Grein, Sprachschatz der ags. Dichter II 662. Ags. vergian, vergan heisst
maledicere und damnare.

§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
die Verwandten des Toten versöhnt hat und diese für ihn bitten, daſs
es ihm gestattet werde inter homines accedere 26. Friedlos, aspellis 27
wird bei den Saliern auch eine Freie, die sich mit ihrem Knechte
ehelich verbindet; doch ist in solchem Falle von einer Wieder-
gewinnung des Friedens nicht die Rede. Am nächsten steht den
skandinavischen Rechten in der umfassenden Anwendung der Fried-
losigkeit das altlangobardische Recht. Es verpönt eine nicht unerheb-
liche Anzahl von Unthaten mit der stereotypen Wendung: animae
suae (oder mortis, sanguinis) incurrat periculum und zwar entweder
unbedingt oder so, daſs der Thäter durch Zahlung einer Buſse sich die
Sicherheit seines Lebens erkaufen kann 28.

Die hervorragende Rolle, welche die Friedlosigkeit einst bei allen
Germanen gespielt haben muſs, schimmert durch die Ausdrücke hin-
durch, welche uns die alte Sprache für den Begriff verurteilen über-
liefert. Das Gotische hat das Verbum gavargjan für verdammen 29
und das Substantivum vargitha 30, Urteil, Verdammnis. Varg ist aber,
wie oben ausgeführt worden, der Friedlose. Dem gotischen vargitha
entspricht das in einem sächsischen Kapitular bezeugte altsächsische
Wort wargida, condemnatio 31 und der Ausdruck vergđu, værgđu der
angelsächsischen Poesie: Fluch, Verdammnis, Strafe 32. Die Verben

26 L. Sal. 55, 2. Die Sühne ist nicht ein Recht des Thäters, der Fall steht
daher mit der útlegđarmal des norwegischen Rechtes nicht auf gleicher Linie.
Anderer Ansicht Schröder, RG I 75.
27 Lex Sal. Hessels Tit. 70 (Cap. I c. 5). Aspellis von spel, parabola. Vgl.
vorspellen für vorsprechen im Mittelniederländischen. Das Wort aspellis ist sonach
als extra sermonem (regis posita) zu erklären, s. oben S 147. Eine eigentliche Fried-
losigkeit des Weibes ist den germanischen Rechten im allgemeinen unbekannt. Nach
nordischen Rechten wird das Weib nicht friedlos gelegt. Das anglonormannische
Recht überliefert in Bracton III 2 c. 11 den Satz: foemina utlagari non potest. Den-
selben Sinn scheint es zu haben, wenn der sog. Ariprand, Lombardacommentare
I 25 sagt: mulier plane fegangi esse non potest. Sit fegangi, fegangit sagt die
langobardische Rechtssprache (Roth. 253. 291. 372, Grim. 9, Li. 147) von dem auf
handhafter That ertappten Diebe und von der dem Gläubiger verfallenen Pfand-
sache (Cod. dipl. Lang. col. 128, 69 von 796). Eine befriedigende sprachliche Er-
klärung des Wortes ist bisher nicht gefunden worden. Der Zusammenhang, in dem
es gebraucht wird, scheint auf Friedlosigkeit hinzuweisen. Wahrscheinlich ist das
Wort aus fêh-gangi verderbt, und steht fêh feindlich im Sinne von friedlos. Siehe
Osenbrüggen, Strafr. der Langobarden S 121.
28 Osenbrüggen a. O. S 28.
29 2. Kor. 7, 3; Röm. 8, 3. Gavargjan dauþau, zum Tod verurteilen Marc. 10, 33.
30 2. Kor. 3, 9; Gal. 5, 10; Röm. 8, 1. 13, 2.
31 Capit. Saxon. von 797 c. 4, I 71.
32 Grein, Sprachschatz der ags. Dichter II 662. Ags. vergian, vergan heiſst
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[172/0190] § 22. Friedlosigkeit und Opfertod. die Verwandten des Toten versöhnt hat und diese für ihn bitten, daſs es ihm gestattet werde inter homines accedere 26. Friedlos, aspellis 27 wird bei den Saliern auch eine Freie, die sich mit ihrem Knechte ehelich verbindet; doch ist in solchem Falle von einer Wieder- gewinnung des Friedens nicht die Rede. Am nächsten steht den skandinavischen Rechten in der umfassenden Anwendung der Fried- losigkeit das altlangobardische Recht. Es verpönt eine nicht unerheb- liche Anzahl von Unthaten mit der stereotypen Wendung: animae suae (oder mortis, sanguinis) incurrat periculum und zwar entweder unbedingt oder so, daſs der Thäter durch Zahlung einer Buſse sich die Sicherheit seines Lebens erkaufen kann 28. Die hervorragende Rolle, welche die Friedlosigkeit einst bei allen Germanen gespielt haben muſs, schimmert durch die Ausdrücke hin- durch, welche uns die alte Sprache für den Begriff verurteilen über- liefert. Das Gotische hat das Verbum gavargjan für verdammen 29 und das Substantivum vargitha 30, Urteil, Verdammnis. Varg ist aber, wie oben ausgeführt worden, der Friedlose. Dem gotischen vargitha entspricht das in einem sächsischen Kapitular bezeugte altsächsische Wort wargida, condemnatio 31 und der Ausdruck vergđu, værgđu der angelsächsischen Poesie: Fluch, Verdammnis, Strafe 32. Die Verben 26 L. Sal. 55, 2. Die Sühne ist nicht ein Recht des Thäters, der Fall steht daher mit der útlegđarmal des norwegischen Rechtes nicht auf gleicher Linie. Anderer Ansicht Schröder, RG I 75. 27 Lex Sal. Hessels Tit. 70 (Cap. I c. 5). Aspellis von spel, parabola. Vgl. vorspellen für vorsprechen im Mittelniederländischen. Das Wort aspellis ist sonach als extra sermonem (regis posita) zu erklären, s. oben S 147. Eine eigentliche Fried- losigkeit des Weibes ist den germanischen Rechten im allgemeinen unbekannt. Nach nordischen Rechten wird das Weib nicht friedlos gelegt. Das anglonormannische Recht überliefert in Bracton III 2 c. 11 den Satz: foemina utlagari non potest. Den- selben Sinn scheint es zu haben, wenn der sog. Ariprand, Lombardacommentare I 25 sagt: mulier plane fegangi esse non potest. Sit fegangi, fegangit sagt die langobardische Rechtssprache (Roth. 253. 291. 372, Grim. 9, Li. 147) von dem auf handhafter That ertappten Diebe und von der dem Gläubiger verfallenen Pfand- sache (Cod. dipl. Lang. col. 128, 69 von 796). Eine befriedigende sprachliche Er- klärung des Wortes ist bisher nicht gefunden worden. Der Zusammenhang, in dem es gebraucht wird, scheint auf Friedlosigkeit hinzuweisen. Wahrscheinlich ist das Wort aus fêh-gangi verderbt, und steht fêh feindlich im Sinne von friedlos. Siehe Osenbrüggen, Strafr. der Langobarden S 121. 28 Osenbrüggen a. O. S 28. 29 2. Kor. 7, 3; Röm. 8, 3. Gavargjan dauþau, zum Tod verurteilen Marc. 10, 33. 30 2. Kor. 3, 9; Gal. 5, 10; Röm. 8, 1. 13, 2. 31 Capit. Saxon. von 797 c. 4, I 71. 32 Grein, Sprachschatz der ags. Dichter II 662. Ags. vergian, vergan heiſst maledicere und damnare.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/190>, abgerufen am 25.11.2024.