Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod. In holländischen Stadtrechten ist aus dem Niederbrennen der Wereeine symbolische Handlung des Formalismus der Friedloslegung ge- worden, welche woestinge, Wüstung 19 genannt wird und darin besteht, dass der Richter, während er die Formel der Friedloslegung spricht, dreimal eine brennende Fackel schwingt 20. Ausgedehnten Gebrauch machen von der Friedlosigkeit die nord- fugitivis): et domus eius comburatur, si in villa fuerit. Das in einer Burg oder Stadt gelegene Haus wird zunächst abgebrochen, dann ausserhalb verbrannt. Über das nordische Recht Wilda S 293. Dingtaal von Südholland Fruin, Dordrecht II 298: also N. alhier tuutlagens t'slants gheleit is mit allen recht, datmen an die weer rechten sal als men schuldich is te rechten mit breken ende mit brande. Orlers, Beschr. van Leyden S 39: Auf die Frage des Richters, wie er gegen den abwesenden Mörder weiter verfahren solle, antworten die Schöffen: met breckende ende met brandt ende ballinck te leggen. -- S. noch Grimm, RA S 729; Geib, Strafr. S 234; die Litteratur bei Homeyer zu Ssp III 1, III 68 und Hasenöhrl, Österr. Landr. S 163. 19 Zu ahd. wuostan, alts. awostjan vastare, verwüsten. 20 Anschaulich beschrieben in Mathijssens Rechtsbuch van den Briel ed. Fruin u. Pols S 187: Wenn der Richter mit Schöffen und Kläger vor den Stein (den Ort der Friedloslegung) kommt, so findet er daselbst Feuer und Stroh. Nach Weisung ergreift er dann ein vierbaken (eine mit Stroh umwundene und angezündete Stange oder ein brennendes Holzstück) und schwingt es dreimal über dem Haupte mit den Worten: hier woest ic ende legh ballingh (bannitum) tslans ... NN. Nach Hugo Grotius, Inleyd. 3 c. 32 wird der Missethäter woestballingh gelegt met vier ende met brant. In wenig befriedigender Weise erklärt Nordewier, Regts- oudheden S 324, das woesten als in die Wüste treiben. 21 Utlegd bedeutete ursprünglich die Friedlosigkeit überhaupt, wurde aber später technische Bezeichnung für die mildere Friedlosigkeit. K. Maurer, KrV XVI 85. 22 v. Amira, Vollstreckungsverfahren, betrachtet die bedingte Friedlosigkeit,
die utlegd im technischen Sinne, als Ausgangspunkt des altnordischen Strafrechtes, eine Auffassung, der sich Schröder, RG I 72. 75 angeschlossen hat. Dagegen ist nach K. Maurer, KrV XVI 106, die mildere Friedlosigkeit eine jüngere Bil- dung und hatte die älteste Zeit, abgesehen von den Strafen sakralen Charakters, nur Bussen und die strenge Acht verfügbar, welch letztere auch dann zur An- § 22. Friedlosigkeit und Opfertod. In holländischen Stadtrechten ist aus dem Niederbrennen der Wereeine symbolische Handlung des Formalismus der Friedloslegung ge- worden, welche woestinge, Wüstung 19 genannt wird und darin besteht, daſs der Richter, während er die Formel der Friedloslegung spricht, dreimal eine brennende Fackel schwingt 20. Ausgedehnten Gebrauch machen von der Friedlosigkeit die nord- fugitivis): et domus eius comburatur, si in villa fuerit. Das in einer Burg oder Stadt gelegene Haus wird zunächst abgebrochen, dann auſserhalb verbrannt. Über das nordische Recht Wilda S 293. Dingtaal von Südholland Fruin, Dordrecht II 298: also N. alhier tuutlagens t’slants gheleit is mit allen recht, datmen an die weer rechten sal als men schuldich is te rechten mit breken ende mit brande. Orlers, Beschr. van Leyden S 39: Auf die Frage des Richters, wie er gegen den abwesenden Mörder weiter verfahren solle, antworten die Schöffen: met breckende ende met brandt ende ballinck te leggen. — S. noch Grimm, RA S 729; Geib, Strafr. S 234; die Litteratur bei Homeyer zu Ssp III 1, III 68 und Hasenöhrl, Österr. Landr. S 163. 19 Zu ahd. wuostan, alts. awôstjan vastare, verwüsten. 20 Anschaulich beschrieben in Mathijssens Rechtsbuch van den Briel ed. Fruin u. Pols S 187: Wenn der Richter mit Schöffen und Kläger vor den Stein (den Ort der Friedloslegung) kommt, so findet er daselbst Feuer und Stroh. Nach Weisung ergreift er dann ein vierbaken (eine mit Stroh umwundene und angezündete Stange oder ein brennendes Holzstück) und schwingt es dreimal über dem Haupte mit den Worten: hier woest ic ende legh ballingh (bannitum) tslans … NN. Nach Hugo Grotius, Inleyd. 3 c. 32 wird der Missethäter woestballingh gelegt met vier ende met brant. In wenig befriedigender Weise erklärt Nordewier, Regts- oudheden S 324, das woesten als in die Wüste treiben. 21 Utlegđ bedeutete ursprünglich die Friedlosigkeit überhaupt, wurde aber später technische Bezeichnung für die mildere Friedlosigkeit. K. Maurer, KrV XVI 85. 22 v. Amira, Vollstreckungsverfahren, betrachtet die bedingte Friedlosigkeit,
die útlegđ im technischen Sinne, als Ausgangspunkt des altnordischen Strafrechtes, eine Auffassung, der sich Schröder, RG I 72. 75 angeschlossen hat. Dagegen ist nach K. Maurer, KrV XVI 106, die mildere Friedlosigkeit eine jüngere Bil- dung und hatte die älteste Zeit, abgesehen von den Strafen sakralen Charakters, nur Buſsen und die strenge Acht verfügbar, welch letztere auch dann zur An- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0188" n="170"/><fw place="top" type="header">§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.</fw><lb/> In holländischen Stadtrechten ist aus dem Niederbrennen der Were<lb/> eine symbolische Handlung des Formalismus der Friedloslegung ge-<lb/> worden, welche woestinge, Wüstung <note place="foot" n="19">Zu ahd. wuostan, alts. awôstjan vastare, verwüsten.</note> genannt wird und darin besteht,<lb/> daſs der Richter, während er die Formel der Friedloslegung spricht,<lb/> dreimal eine brennende Fackel schwingt <note place="foot" n="20">Anschaulich beschrieben in Mathijssens Rechtsbuch van den Briel ed.<lb/><hi rendition="#g">Fruin u. Pols</hi> S 187: Wenn der Richter mit Schöffen und Kläger vor den Stein<lb/> (den Ort der Friedloslegung) kommt, so findet er daselbst Feuer und Stroh. Nach<lb/> Weisung ergreift er dann ein vierbaken (eine mit Stroh umwundene und angezündete<lb/> Stange oder ein brennendes Holzstück) und schwingt es dreimal über dem Haupte<lb/> mit den Worten: hier woest ic ende legh ballingh (bannitum) tslans … NN. Nach<lb/><hi rendition="#g">Hugo Grotius</hi>, Inleyd. 3 c. 32 wird der Missethäter woestballingh gelegt met<lb/> vier ende met brant. In wenig befriedigender Weise erklärt <hi rendition="#g">Nordewier</hi>, Regts-<lb/> oudheden S 324, das woesten als in die Wüste treiben.</note>.</p><lb/> <p>Ausgedehnten Gebrauch machen von der Friedlosigkeit die nord-<lb/> germanischen Rechte zu einer Zeit, da sie bei den Westgermanen<lb/> bereits in enge Grenzen eingeschränkt ist. Und zwar kennt das alt-<lb/> nordische Recht zwei Hauptarten der Friedlosigkeit, eine strengere<lb/> und eine mildere. Jene tritt bei sogen. úbótamál, bei buſslosen<lb/> Thaten, diese bei minder schweren Übelthaten, bei den sog. útleg-<lb/> đarmál <note place="foot" n="21">Utlegđ bedeutete ursprünglich die Friedlosigkeit überhaupt, wurde aber<lb/> später technische Bezeichnung für die mildere Friedlosigkeit. K. <hi rendition="#g">Maurer</hi>, KrV<lb/> XVI 85.</note> ein. Die mildere Friedlosigkeit ist eine bedingte, denn sie<lb/> giebt dem Friedlosen das Recht, sich durch Buſszahlung aus der Fried-<lb/> losigkeit herauszuziehen, während ihm bei der strengeren Friedlosig-<lb/> keit dieser Anspruch versagt ist. Letztere scheint das ältere Rechts-<lb/> institut zu sein <note xml:id="note-0188a" next="#note-0189" place="foot" n="22">v. <hi rendition="#g">Amira</hi>, Vollstreckungsverfahren, betrachtet die bedingte Friedlosigkeit,<lb/> die útlegđ im technischen Sinne, als Ausgangspunkt des altnordischen Strafrechtes,<lb/> eine Auffassung, der sich <hi rendition="#g">Schröder</hi>, RG I 72. 75 angeschlossen hat. Dagegen<lb/> ist nach K. <hi rendition="#g">Maurer</hi>, KrV XVI 106, die mildere Friedlosigkeit eine jüngere Bil-<lb/> dung und hatte die älteste Zeit, abgesehen von den Strafen sakralen Charakters,<lb/> nur Buſsen und die strenge Acht verfügbar, welch letztere auch dann zur An-</note>. Die mildere Friedlosigkeit mag als ein Erzeugnis<lb/><note xml:id="note-0188" prev="#note-0187" place="foot" n="18">fugitivis): et domus eius comburatur, si in villa fuerit. Das in einer Burg oder<lb/> Stadt gelegene Haus wird zunächst abgebrochen, dann auſserhalb verbrannt. Über<lb/> das nordische Recht <hi rendition="#g">Wilda</hi> S 293. Dingtaal von Südholland <hi rendition="#g">Fruin</hi>, Dordrecht<lb/> II 298: also N. alhier tuutlagens t’slants gheleit is mit allen recht, datmen an die<lb/> weer rechten sal als men schuldich is te rechten mit breken ende mit brande.<lb/><hi rendition="#g">Orlers</hi>, Beschr. van Leyden S 39: Auf die Frage des Richters, wie er gegen den<lb/> abwesenden Mörder weiter verfahren solle, antworten die Schöffen: met breckende<lb/> ende met brandt ende ballinck te leggen. — S. noch <hi rendition="#g">Grimm</hi>, RA S 729; <hi rendition="#g">Geib</hi>,<lb/> Strafr. S 234; die Litteratur bei <hi rendition="#g">Homeyer</hi> zu Ssp III 1, III 68 und <hi rendition="#g">Hasenöhrl</hi>,<lb/> Österr. Landr. S 163.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [170/0188]
§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
In holländischen Stadtrechten ist aus dem Niederbrennen der Were
eine symbolische Handlung des Formalismus der Friedloslegung ge-
worden, welche woestinge, Wüstung 19 genannt wird und darin besteht,
daſs der Richter, während er die Formel der Friedloslegung spricht,
dreimal eine brennende Fackel schwingt 20.
Ausgedehnten Gebrauch machen von der Friedlosigkeit die nord-
germanischen Rechte zu einer Zeit, da sie bei den Westgermanen
bereits in enge Grenzen eingeschränkt ist. Und zwar kennt das alt-
nordische Recht zwei Hauptarten der Friedlosigkeit, eine strengere
und eine mildere. Jene tritt bei sogen. úbótamál, bei buſslosen
Thaten, diese bei minder schweren Übelthaten, bei den sog. útleg-
đarmál 21 ein. Die mildere Friedlosigkeit ist eine bedingte, denn sie
giebt dem Friedlosen das Recht, sich durch Buſszahlung aus der Fried-
losigkeit herauszuziehen, während ihm bei der strengeren Friedlosig-
keit dieser Anspruch versagt ist. Letztere scheint das ältere Rechts-
institut zu sein 22. Die mildere Friedlosigkeit mag als ein Erzeugnis
18
19 Zu ahd. wuostan, alts. awôstjan vastare, verwüsten.
20 Anschaulich beschrieben in Mathijssens Rechtsbuch van den Briel ed.
Fruin u. Pols S 187: Wenn der Richter mit Schöffen und Kläger vor den Stein
(den Ort der Friedloslegung) kommt, so findet er daselbst Feuer und Stroh. Nach
Weisung ergreift er dann ein vierbaken (eine mit Stroh umwundene und angezündete
Stange oder ein brennendes Holzstück) und schwingt es dreimal über dem Haupte
mit den Worten: hier woest ic ende legh ballingh (bannitum) tslans … NN. Nach
Hugo Grotius, Inleyd. 3 c. 32 wird der Missethäter woestballingh gelegt met
vier ende met brant. In wenig befriedigender Weise erklärt Nordewier, Regts-
oudheden S 324, das woesten als in die Wüste treiben.
21 Utlegđ bedeutete ursprünglich die Friedlosigkeit überhaupt, wurde aber
später technische Bezeichnung für die mildere Friedlosigkeit. K. Maurer, KrV
XVI 85.
22 v. Amira, Vollstreckungsverfahren, betrachtet die bedingte Friedlosigkeit,
die útlegđ im technischen Sinne, als Ausgangspunkt des altnordischen Strafrechtes,
eine Auffassung, der sich Schröder, RG I 72. 75 angeschlossen hat. Dagegen
ist nach K. Maurer, KrV XVI 106, die mildere Friedlosigkeit eine jüngere Bil-
dung und hatte die älteste Zeit, abgesehen von den Strafen sakralen Charakters,
nur Buſsen und die strenge Acht verfügbar, welch letztere auch dann zur An-
18 fugitivis): et domus eius comburatur, si in villa fuerit. Das in einer Burg oder
Stadt gelegene Haus wird zunächst abgebrochen, dann auſserhalb verbrannt. Über
das nordische Recht Wilda S 293. Dingtaal von Südholland Fruin, Dordrecht
II 298: also N. alhier tuutlagens t’slants gheleit is mit allen recht, datmen an die
weer rechten sal als men schuldich is te rechten mit breken ende mit brande.
Orlers, Beschr. van Leyden S 39: Auf die Frage des Richters, wie er gegen den
abwesenden Mörder weiter verfahren solle, antworten die Schöffen: met breckende
ende met brandt ende ballinck te leggen. — S. noch Grimm, RA S 729; Geib,
Strafr. S 234; die Litteratur bei Homeyer zu Ssp III 1, III 68 und Hasenöhrl,
Österr. Landr. S 163.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |