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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 14. Die Stände.
Aus ihnen bestanden jene zahlreichen Heere, an welchen schliess-
lich die Schärfe der römischen Waffen sich stumpf schlug. Dagegen
kann die Zahl der Knechte und Liten nicht gross gewesen sein. Wie
schon innerhalb der agrarischen Verhältnisse der germanischen Zeit
kein Raum bleibt für eine ausgedehnte Verwertung unfreier Arbeits-
kräfte, so bietet der Mangel an solchen den eigentlichen Schlüssel für
das Verständnis der Entwicklung, welche in dem Wirtschaftsleben der
fränkischen Zeit durch die Ausbildung zahlreicher Leiheverhältnisse
eingetreten ist.

Der Knecht3 wird nicht als Person, sondern als eine im Eigen-
tum des Herrn stehende Sache angesehen. Noch in den Volksrechten
wird er gelegentlich als Vermögensobjekt mit den Haustieren zu-
sammengestellt4. Wie das Pferd oder das Rind kann der Knecht
seinem Herrn gestohlen werden5. Wird er durch einen Dritten ge-
tötet, so wird er nicht durch Zahlung eines Wergeldes, sondern durch
den Ersatz des Sachwertes vergolten6. Wird er verletzt, so hat er
keinen Anspruch auf Busse, wohl aber der Herr einen Anspruch auf
Entschädigung. Der Herr kann den Knecht ungestraft töten und nach
Belieben züchtigen. Er kann ihm ungemessene Dienste auferlegen.
Der Knecht ist nicht fähig Vermögen zu haben und zu erwerben; er
erwirbt nur seinem Herrn. Wie überhaupt keinen Vertrag kann er
auch keine Ehe schliessen; selbst die mit Zustimmung des Herrn ein-

gegenüber dem Leibeigenen; dem aufsteigenden Adel gegenüber ward er aber erst
zur Bezeichnung der Gemeinfreien, der freien Bauern, als Standesname, dann aber
zu Bauer im späteren Sinne." Grimm, WB V 571. Da das Wort auch für
maritus und senex vorkommt, ist vielleicht in der Stellung des Hausherrn zu Frau,
Kindern und Knechten ein einheitlicher Ausgangspunkt für die verschiedenen älteren
Bedeutungen des Wortes zu finden.
3 Got. skalks, ahd. scalc, Schalk, ferner got. thius, ahd. deo, teo, in der
malberg. Glosse theo, ags. theov. Die Magd diu, thiu, diorna, thiorna. Nordisch
thraell Knecht, ambat Magd. Zu thraell ahd. dregil, drigil, Diener. Grimm, RA
S 302. 303 und Nachtrag; Grimm, Gesch. d. DSpr S 283 (404).
4 Z. B. Lex Fris. Add. 7: De rebus fugitivis. Si servus aut ancilla aut equus
aut bos aut quodlibet animal fugiens dominum suum ab alio fuerit receptum.
5 Lex Sal. 10: si quis servo aut caballo vel jumentum furaverit. Ine 53:
Wenn man einen gestohlenen Mann in Beschlag nimmt bei einem anderen. Das
salische Recht hat für den am Knechte begangenen Diebstahl die technische Be-
zeichnung theotexaca.
6 Lex Fris. 4, 1: si quis servum alterius occiderit, componat eum iuxta quod
a domino eius fuerit aestimatus; 1, 11: iuxta quod fuerit adpretiatus et dominus
eius ipsius pretii eum fuisse sacramento suo iuraverit. Wenn jemand, sagt die
norweg. Gulathingslög 182, eines andern Knecht erschlägt, so soll man ihn er-
setzen, wie man ihn nackt schätzt.

§ 14. Die Stände.
Aus ihnen bestanden jene zahlreichen Heere, an welchen schlieſs-
lich die Schärfe der römischen Waffen sich stumpf schlug. Dagegen
kann die Zahl der Knechte und Liten nicht groſs gewesen sein. Wie
schon innerhalb der agrarischen Verhältnisse der germanischen Zeit
kein Raum bleibt für eine ausgedehnte Verwertung unfreier Arbeits-
kräfte, so bietet der Mangel an solchen den eigentlichen Schlüssel für
das Verständnis der Entwicklung, welche in dem Wirtschaftsleben der
fränkischen Zeit durch die Ausbildung zahlreicher Leiheverhältnisse
eingetreten ist.

Der Knecht3 wird nicht als Person, sondern als eine im Eigen-
tum des Herrn stehende Sache angesehen. Noch in den Volksrechten
wird er gelegentlich als Vermögensobjekt mit den Haustieren zu-
sammengestellt4. Wie das Pferd oder das Rind kann der Knecht
seinem Herrn gestohlen werden5. Wird er durch einen Dritten ge-
tötet, so wird er nicht durch Zahlung eines Wergeldes, sondern durch
den Ersatz des Sachwertes vergolten6. Wird er verletzt, so hat er
keinen Anspruch auf Buſse, wohl aber der Herr einen Anspruch auf
Entschädigung. Der Herr kann den Knecht ungestraft töten und nach
Belieben züchtigen. Er kann ihm ungemessene Dienste auferlegen.
Der Knecht ist nicht fähig Vermögen zu haben und zu erwerben; er
erwirbt nur seinem Herrn. Wie überhaupt keinen Vertrag kann er
auch keine Ehe schlieſsen; selbst die mit Zustimmung des Herrn ein-

gegenüber dem Leibeigenen; dem aufsteigenden Adel gegenüber ward er aber erst
zur Bezeichnung der Gemeinfreien, der freien Bauern, als Standesname, dann aber
zu Bauer im späteren Sinne.“ Grimm, WB V 571. Da das Wort auch für
maritus und senex vorkommt, ist vielleicht in der Stellung des Hausherrn zu Frau,
Kindern und Knechten ein einheitlicher Ausgangspunkt für die verschiedenen älteren
Bedeutungen des Wortes zu finden.
3 Got. skalks, ahd. scalc, Schalk, ferner got. þius, ahd. dëo, tëo, in der
malberg. Glosse theo, ags. þeóv. Die Magd diu, thiu, diorna, thiorna. Nordisch
þræll Knecht, ambat Magd. Zu þræll ahd. drëgil, drigil, Diener. Grimm, RA
S 302. 303 und Nachtrag; Grimm, Gesch. d. DSpr S 283 (404).
4 Z. B. Lex Fris. Add. 7: De rebus fugitivis. Si servus aut ancilla aut equus
aut bos aut quodlibet animal fugiens dominum suum ab alio fuerit receptum.
5 Lex Sal. 10: si quis servo aut caballo vel jumentum furaverit. Ine 53:
Wenn man einen gestohlenen Mann in Beschlag nimmt bei einem anderen. Das
salische Recht hat für den am Knechte begangenen Diebstahl die technische Be-
zeichnung theotexaca.
6 Lex Fris. 4, 1: si quis servum alterius occiderit, componat eum iuxta quod
a domino eius fuerit aestimatus; 1, 11: iuxta quod fuerit adpretiatus et dominus
eius ipsius pretii eum fuisse sacramento suo iuraverit. Wenn jemand, sagt die
norweg. Gulaþíngslög 182, eines andern Knecht erschlägt, so soll man ihn er-
setzen, wie man ihn nackt schätzt.
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[96/0114] § 14. Die Stände. Aus ihnen bestanden jene zahlreichen Heere, an welchen schlieſs- lich die Schärfe der römischen Waffen sich stumpf schlug. Dagegen kann die Zahl der Knechte und Liten nicht groſs gewesen sein. Wie schon innerhalb der agrarischen Verhältnisse der germanischen Zeit kein Raum bleibt für eine ausgedehnte Verwertung unfreier Arbeits- kräfte, so bietet der Mangel an solchen den eigentlichen Schlüssel für das Verständnis der Entwicklung, welche in dem Wirtschaftsleben der fränkischen Zeit durch die Ausbildung zahlreicher Leiheverhältnisse eingetreten ist. Der Knecht 3 wird nicht als Person, sondern als eine im Eigen- tum des Herrn stehende Sache angesehen. Noch in den Volksrechten wird er gelegentlich als Vermögensobjekt mit den Haustieren zu- sammengestellt 4. Wie das Pferd oder das Rind kann der Knecht seinem Herrn gestohlen werden 5. Wird er durch einen Dritten ge- tötet, so wird er nicht durch Zahlung eines Wergeldes, sondern durch den Ersatz des Sachwertes vergolten 6. Wird er verletzt, so hat er keinen Anspruch auf Buſse, wohl aber der Herr einen Anspruch auf Entschädigung. Der Herr kann den Knecht ungestraft töten und nach Belieben züchtigen. Er kann ihm ungemessene Dienste auferlegen. Der Knecht ist nicht fähig Vermögen zu haben und zu erwerben; er erwirbt nur seinem Herrn. Wie überhaupt keinen Vertrag kann er auch keine Ehe schlieſsen; selbst die mit Zustimmung des Herrn ein- 2 3 Got. skalks, ahd. scalc, Schalk, ferner got. þius, ahd. dëo, tëo, in der malberg. Glosse theo, ags. þeóv. Die Magd diu, thiu, diorna, thiorna. Nordisch þræll Knecht, ambat Magd. Zu þræll ahd. drëgil, drigil, Diener. Grimm, RA S 302. 303 und Nachtrag; Grimm, Gesch. d. DSpr S 283 (404). 4 Z. B. Lex Fris. Add. 7: De rebus fugitivis. Si servus aut ancilla aut equus aut bos aut quodlibet animal fugiens dominum suum ab alio fuerit receptum. 5 Lex Sal. 10: si quis servo aut caballo vel jumentum furaverit. Ine 53: Wenn man einen gestohlenen Mann in Beschlag nimmt bei einem anderen. Das salische Recht hat für den am Knechte begangenen Diebstahl die technische Be- zeichnung theotexaca. 6 Lex Fris. 4, 1: si quis servum alterius occiderit, componat eum iuxta quod a domino eius fuerit aestimatus; 1, 11: iuxta quod fuerit adpretiatus et dominus eius ipsius pretii eum fuisse sacramento suo iuraverit. Wenn jemand, sagt die norweg. Gulaþíngslög 182, eines andern Knecht erschlägt, so soll man ihn er- setzen, wie man ihn nackt schätzt. 2 gegenüber dem Leibeigenen; dem aufsteigenden Adel gegenüber ward er aber erst zur Bezeichnung der Gemeinfreien, der freien Bauern, als Standesname, dann aber zu Bauer im späteren Sinne.“ Grimm, WB V 571. Da das Wort auch für maritus und senex vorkommt, ist vielleicht in der Stellung des Hausherrn zu Frau, Kindern und Knechten ein einheitlicher Ausgangspunkt für die verschiedenen älteren Bedeutungen des Wortes zu finden.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/114>, abgerufen am 24.11.2024.