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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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chen Eleganz und sorgsamen Berechnung an den Fleischpar-
tien namentlich am Halse, den ein antiker Künstler am ersten
vernachlässigt haben würde. In der Inschrift aber seien die
Kugeln an den Enden der Buchstaben so unverhältnissmässig
gross gebildet, dass sie einander beinahe berühren und die
Verbindungslinien nur noch mit Mühe erkennen lassen: ein
Verhältniss, das sich kaum mit Hülfe der rohesten attischen
oder ägyptischen Münzen durch ein antikes Analogon begrün-
den lasse und sich sowohl für sich, als auch vorzüglich in sei-
ner Verbindung mit der vollendeten Eleganz und Regelmässig-
keit des Schnittes so sehr von antiker Sitte entferne, dass selbst
die conservativsten unter den Gelehrten, wie R. Rochette,
den Namen preisgäben, wenngleich sie den Stein selbst für
antik erklärten und dadurch in einen noch ärgern Widerspruch
geriethen, da Bild und Buchstaben so vollständig in einem
Geiste behandelt seien, dass beides nothwendig von derselben
Hand herrühren müsse. Dazu wird dann auf den angeblichen
Fundort und die Inschrift aus dem Columbarium der Livia
noch ein besonderes Gewicht gelegt. -- Stephani's Ausfüh-
rung kannte Tölken noch nicht: ich bemerke daher zunächst
nur, dass R. Rochette (Lettre p. 105) seine Verwerfung nur auf
das Zeugniss Vettori's und Visconti's stützt. Was sodann
die Form der Buchstaben anlangt, so müssen Stephani's Worte
jeden, der nicht den Abdruk der Gemme vor sich hat, irre
leiten, und der Vergleich mit rohen attischen und ägyptischen
Münzen ist mindestens sehr unglücklich gewählt. Die Ku-
geln treten allerdings bei der Untersuchung mit gewaffnetem
Auge sehr deutlich und bestimmt hervor; mit blossem Auge
betrachtet, erscheinen sie dagegen so wenig "unverhältniss-
mässig gross", dass sie vielmehr fast gänzlich verschwinden
und die Inschrift im Ganzen den Eindruck grosser Eleganz
gewährt. Wie wenig endlich ein schlagender Grund vorliegt,
die Inschrift der Gemme durch die des Grabsteins zu ver-
dächtigen, ist schon oben durch die Hinweisung auf die Art
der Aeusserungen Venuti's und selbst Vettori's angedeutet
worden.

Tölken unternimmt es nun zunächst, das Bildniss als
das des Sextus Pompeius durch die Vergleichung mit einem
seltenen Aureus zu rechtfertigen, auf dem man früher Pom-
peius den Vater zu sehen glaubte. Ausserdem aber ent-

chen Eleganz und sorgsamen Berechnung an den Fleischpar-
tien namentlich am Halse, den ein antiker Künstler am ersten
vernachlässigt haben würde. In der Inschrift aber seien die
Kugeln an den Enden der Buchstaben so unverhältnissmässig
gross gebildet, dass sie einander beinahe berühren und die
Verbindungslinien nur noch mit Mühe erkennen lassen: ein
Verhältniss, das sich kaum mit Hülfe der rohesten attischen
oder ägyptischen Münzen durch ein antikes Analogon begrün-
den lasse und sich sowohl für sich, als auch vorzüglich in sei-
ner Verbindung mit der vollendeten Eleganz und Regelmässig-
keit des Schnittes so sehr von antiker Sitte entferne, dass selbst
die conservativsten unter den Gelehrten, wie R. Rochette,
den Namen preisgäben, wenngleich sie den Stein selbst für
antik erklärten und dadurch in einen noch ärgern Widerspruch
geriethen, da Bild und Buchstaben so vollständig in einem
Geiste behandelt seien, dass beides nothwendig von derselben
Hand herrühren müsse. Dazu wird dann auf den angeblichen
Fundort und die Inschrift aus dem Columbarium der Livia
noch ein besonderes Gewicht gelegt. — Stephani’s Ausfüh-
rung kannte Tölken noch nicht: ich bemerke daher zunächst
nur, dass R. Rochette (Lettre p. 105) seine Verwerfung nur auf
das Zeugniss Vettori’s und Visconti’s stützt. Was sodann
die Form der Buchstaben anlangt, so müssen Stephani’s Worte
jeden, der nicht den Abdruk der Gemme vor sich hat, irre
leiten, und der Vergleich mit rohen attischen und ägyptischen
Münzen ist mindestens sehr unglücklich gewählt. Die Ku-
geln treten allerdings bei der Untersuchung mit gewaffnetem
Auge sehr deutlich und bestimmt hervor; mit blossem Auge
betrachtet, erscheinen sie dagegen so wenig „unverhältniss-
mässig gross‟, dass sie vielmehr fast gänzlich verschwinden
und die Inschrift im Ganzen den Eindruck grosser Eleganz
gewährt. Wie wenig endlich ein schlagender Grund vorliegt,
die Inschrift der Gemme durch die des Grabsteins zu ver-
dächtigen, ist schon oben durch die Hinweisung auf die Art
der Aeusserungen Venuti’s und selbst Vettori’s angedeutet
worden.

Tölken unternimmt es nun zunächst, das Bildniss als
das des Sextus Pompeius durch die Vergleichung mit einem
seltenen Aureus zu rechtfertigen, auf dem man früher Pom-
peius den Vater zu sehen glaubte. Ausserdem aber ent-

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[541/0558] chen Eleganz und sorgsamen Berechnung an den Fleischpar- tien namentlich am Halse, den ein antiker Künstler am ersten vernachlässigt haben würde. In der Inschrift aber seien die Kugeln an den Enden der Buchstaben so unverhältnissmässig gross gebildet, dass sie einander beinahe berühren und die Verbindungslinien nur noch mit Mühe erkennen lassen: ein Verhältniss, das sich kaum mit Hülfe der rohesten attischen oder ägyptischen Münzen durch ein antikes Analogon begrün- den lasse und sich sowohl für sich, als auch vorzüglich in sei- ner Verbindung mit der vollendeten Eleganz und Regelmässig- keit des Schnittes so sehr von antiker Sitte entferne, dass selbst die conservativsten unter den Gelehrten, wie R. Rochette, den Namen preisgäben, wenngleich sie den Stein selbst für antik erklärten und dadurch in einen noch ärgern Widerspruch geriethen, da Bild und Buchstaben so vollständig in einem Geiste behandelt seien, dass beides nothwendig von derselben Hand herrühren müsse. Dazu wird dann auf den angeblichen Fundort und die Inschrift aus dem Columbarium der Livia noch ein besonderes Gewicht gelegt. — Stephani’s Ausfüh- rung kannte Tölken noch nicht: ich bemerke daher zunächst nur, dass R. Rochette (Lettre p. 105) seine Verwerfung nur auf das Zeugniss Vettori’s und Visconti’s stützt. Was sodann die Form der Buchstaben anlangt, so müssen Stephani’s Worte jeden, der nicht den Abdruk der Gemme vor sich hat, irre leiten, und der Vergleich mit rohen attischen und ägyptischen Münzen ist mindestens sehr unglücklich gewählt. Die Ku- geln treten allerdings bei der Untersuchung mit gewaffnetem Auge sehr deutlich und bestimmt hervor; mit blossem Auge betrachtet, erscheinen sie dagegen so wenig „unverhältniss- mässig gross‟, dass sie vielmehr fast gänzlich verschwinden und die Inschrift im Ganzen den Eindruck grosser Eleganz gewährt. Wie wenig endlich ein schlagender Grund vorliegt, die Inschrift der Gemme durch die des Grabsteins zu ver- dächtigen, ist schon oben durch die Hinweisung auf die Art der Aeusserungen Venuti’s und selbst Vettori’s angedeutet worden. Tölken unternimmt es nun zunächst, das Bildniss als das des Sextus Pompeius durch die Vergleichung mit einem seltenen Aureus zu rechtfertigen, auf dem man früher Pom- peius den Vater zu sehen glaubte. Ausserdem aber ent-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/558>, abgerufen am 24.11.2024.