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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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Ueber die Zeit des Beginnes und der Vollendung des Baues
wird bei Gelegenheit des Theodoros gehandelt werden, und
es sei hier nur bemerkt, dass die 120 Jahre, welche er nach
Plinius (a. a. O.) in Anspruch nahm, ungefähr durch die 50.
und 80. Olympiade begrenzt werden. Die Angabe des Pli-
nius, wonach ganz Asien sich daran betheiligt (vgl. Liv. 1,
45), wird näher begrenzt durch Dionys von Halikarnass
(IV, 25), welcher nur von den Ioniern Kleinasiens spricht.
Der Bau ward nach Plinius auf sumpfigem Boden errichtet,
damit er weniger der Beschädigung durch Erdbeben unter-
worfen sei; um aber für die gewaltigen Fundamente eine
feste Grundlage zu gewinnen, fütterte man den Boden mit
Holzkohlen (weil dieselben nicht faulen) und Schaaffellen
aus. Aus Diogenes Laertius II, s. 104 und Hesychius Mile-
sius de vir. illust. v. [fremdsprachliches Material - fehlt] wissen wir, dass die Angabe
dieses Verfahrens dem Theodoros von Samos verdankt
ward. Der Tempel selbst war ein ionischer Dipteros: Vitr.
III, 2, 7; die Notiz bei Vitruv IV, 1, 7 und Plinius 36, 179
jedoch, wonach die ionische Ordnung hier zuerst angewendet
worden sei, erweist sich schon dadurch als unrichtig, dass
Pausanias (VI, 19, 2) in dem bald nach Ol. 33 errichteten
Thesauros des Myron zu Olympia ionische Säulen sah. Ihre
Glaubwürdigkeit aber dadurch retten zu wollen, dass man
sie etwa auf einen noch älteren Bau der halb mythischen
Zeit bezöge, scheint mir bei der Unzuverlässigkeit mancher
ähnlichen Nachrichten über Erfindungen nicht eben rathsam.
Von Einzelnheiten des Baues berichtet Vitruv (X, 2, 11) die
sinnreiche Art, mit welcher Chersiphron die gewaltigen Säu-
len ohne Wagen und feste Strasse von den durch einen
Hirten Pixodaros entdeckten Steinbrüchen (vgl. Vitr. X, 2,
15) nach dem Bauplatz schaffte, indem er sie nemlich ganz
nach der Art unserer noch beim Ackern und beim Chaussee-
bau gebräuchlichen Walzen fortziehen liess. Dasselbe Ver-
fahren wendete sein Sohn Metagenes auf den Transport der
Gebälkstücke an, indem er um sie wie um eine Axe walzen-
artige Räder herumlegte. Hiernach werden wir Plinius
(36, 96) berichtigen müssen, welcher auch das Legen des
Gebälkes dem Chersiphron beilegt. Auch hierbei wurden
die grossen mechanischen Schwierigkeiten durch einfache
Mittel überwältigt: aus Sandsäcken ward eine schiefe Ebene

Ueber die Zeit des Beginnes und der Vollendung des Baues
wird bei Gelegenheit des Theodoros gehandelt werden, und
es sei hier nur bemerkt, dass die 120 Jahre, welche er nach
Plinius (a. a. O.) in Anspruch nahm, ungefähr durch die 50.
und 80. Olympiade begrenzt werden. Die Angabe des Pli-
nius, wonach ganz Asien sich daran betheiligt (vgl. Liv. 1,
45), wird näher begrenzt durch Dionys von Halikarnass
(IV, 25), welcher nur von den Ioniern Kleinasiens spricht.
Der Bau ward nach Plinius auf sumpfigem Boden errichtet,
damit er weniger der Beschädigung durch Erdbeben unter-
worfen sei; um aber für die gewaltigen Fundamente eine
feste Grundlage zu gewinnen, fütterte man den Boden mit
Holzkohlen (weil dieselben nicht faulen) und Schaaffellen
aus. Aus Diogenes Laertius II, s. 104 und Hesychius Mile-
sius de vir. illust. v. [fremdsprachliches Material – fehlt] wissen wir, dass die Angabe
dieses Verfahrens dem Theodoros von Samos verdankt
ward. Der Tempel selbst war ein ionischer Dipteros: Vitr.
III, 2, 7; die Notiz bei Vitruv IV, 1, 7 und Plinius 36, 179
jedoch, wonach die ionische Ordnung hier zuerst angewendet
worden sei, erweist sich schon dadurch als unrichtig, dass
Pausanias (VI, 19, 2) in dem bald nach Ol. 33 errichteten
Thesauros des Myron zu Olympia ionische Säulen sah. Ihre
Glaubwürdigkeit aber dadurch retten zu wollen, dass man
sie etwa auf einen noch älteren Bau der halb mythischen
Zeit bezöge, scheint mir bei der Unzuverlässigkeit mancher
ähnlichen Nachrichten über Erfindungen nicht eben rathsam.
Von Einzelnheiten des Baues berichtet Vitruv (X, 2, 11) die
sinnreiche Art, mit welcher Chersiphron die gewaltigen Säu-
len ohne Wagen und feste Strasse von den durch einen
Hirten Pixodaros entdeckten Steinbrüchen (vgl. Vitr. X, 2,
15) nach dem Bauplatz schaffte, indem er sie nemlich ganz
nach der Art unserer noch beim Ackern und beim Chaussee-
bau gebräuchlichen Walzen fortziehen liess. Dasselbe Ver-
fahren wendete sein Sohn Metagenes auf den Transport der
Gebälkstücke an, indem er um sie wie um eine Axe walzen-
artige Räder herumlegte. Hiernach werden wir Plinius
(36, 96) berichtigen müssen, welcher auch das Legen des
Gebälkes dem Chersiphron beilegt. Auch hierbei wurden
die grossen mechanischen Schwierigkeiten durch einfache
Mittel überwältigt: aus Sandsäcken ward eine schiefe Ebene

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[345/0362] Ueber die Zeit des Beginnes und der Vollendung des Baues wird bei Gelegenheit des Theodoros gehandelt werden, und es sei hier nur bemerkt, dass die 120 Jahre, welche er nach Plinius (a. a. O.) in Anspruch nahm, ungefähr durch die 50. und 80. Olympiade begrenzt werden. Die Angabe des Pli- nius, wonach ganz Asien sich daran betheiligt (vgl. Liv. 1, 45), wird näher begrenzt durch Dionys von Halikarnass (IV, 25), welcher nur von den Ioniern Kleinasiens spricht. Der Bau ward nach Plinius auf sumpfigem Boden errichtet, damit er weniger der Beschädigung durch Erdbeben unter- worfen sei; um aber für die gewaltigen Fundamente eine feste Grundlage zu gewinnen, fütterte man den Boden mit Holzkohlen (weil dieselben nicht faulen) und Schaaffellen aus. Aus Diogenes Laertius II, s. 104 und Hesychius Mile- sius de vir. illust. v. _ wissen wir, dass die Angabe dieses Verfahrens dem Theodoros von Samos verdankt ward. Der Tempel selbst war ein ionischer Dipteros: Vitr. III, 2, 7; die Notiz bei Vitruv IV, 1, 7 und Plinius 36, 179 jedoch, wonach die ionische Ordnung hier zuerst angewendet worden sei, erweist sich schon dadurch als unrichtig, dass Pausanias (VI, 19, 2) in dem bald nach Ol. 33 errichteten Thesauros des Myron zu Olympia ionische Säulen sah. Ihre Glaubwürdigkeit aber dadurch retten zu wollen, dass man sie etwa auf einen noch älteren Bau der halb mythischen Zeit bezöge, scheint mir bei der Unzuverlässigkeit mancher ähnlichen Nachrichten über Erfindungen nicht eben rathsam. Von Einzelnheiten des Baues berichtet Vitruv (X, 2, 11) die sinnreiche Art, mit welcher Chersiphron die gewaltigen Säu- len ohne Wagen und feste Strasse von den durch einen Hirten Pixodaros entdeckten Steinbrüchen (vgl. Vitr. X, 2, 15) nach dem Bauplatz schaffte, indem er sie nemlich ganz nach der Art unserer noch beim Ackern und beim Chaussee- bau gebräuchlichen Walzen fortziehen liess. Dasselbe Ver- fahren wendete sein Sohn Metagenes auf den Transport der Gebälkstücke an, indem er um sie wie um eine Axe walzen- artige Räder herumlegte. Hiernach werden wir Plinius (36, 96) berichtigen müssen, welcher auch das Legen des Gebälkes dem Chersiphron beilegt. Auch hierbei wurden die grossen mechanischen Schwierigkeiten durch einfache Mittel überwältigt: aus Sandsäcken ward eine schiefe Ebene

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/362>, abgerufen am 24.11.2024.